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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.11.1998
Aktenzeichen: II ZR 238/97
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 565 Abs. 1
BGB § 781
BGB § 812 Abs. 2
BGB § 821
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am: 30. November 1998

Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

II ZR 238/97

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kapsa und Dr. Kurzwelly

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des 20. Zivilsenats des Kammergerichts vom 31. Juli 1997 aufgehoben, soweit es zum Nachteil des Beklagten ergangen ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien, die ursprünglich miteinander befreundet waren und zusammengelebt hatten, nehmen sich nach zwischenzeitlicher Trennung mit Klage und Widerklage gegenseitig auf Ausgleich zahlreicher Forderungen aus unterschiedlichen Rechtsgründen in Anspruch. Die Klägerin verlangt insgesamt 273.415,66 DM sowie ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000,-- DM. In Höhe von 250.000,-- DM stützt sie ihre Klage in erster Linie auf ein ihr vom Beklagten angeblich entwendetes, schriftliches Schuldanerkenntnis, das der Beklagte ihr, wie die Klägerin zuletzt behauptet hat, in der Woche vor Ostern des Jahres 1991 ausgestellt habe. Der Beklagte macht widerklagend Gegenforderungen in einer Gesamthöhe von 353.645,63 DM mit Zinsen geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage die Klägerin zur Zahlung von 233.654,63 DM nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Kammergericht durch Teilurteil den Beklagten zur Zahlung von 250.000,-- DM verurteilt und insoweit nur einen Teil des Zinsanspruchs abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, die die Klägerin zurückzuweisen bittet.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung von 250.000,-- DM aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis im Sinne des § 781 BGB, dessen Abgabe durch den Beklagten es für bewiesen erachtet. Dafür stützt es sich insbesondere auf die beeidete Aussage des Zeugen S.; die Bekundungen anderer Zeugen könnten diese nicht erschüttern. Zweck des Schuldanerkenntnisses sei es gewesen, die Klägerin zu sichern. Mit ihrem sonstigen Vorbringen stehe dies nicht in Widerspruch, da die Klägerin unstreitig erhebliche Zahlungen an den Beklagten geleistet habe.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision schon deshalb nicht stand, weil die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft ist. Die Beweiswürdigung des Tatrichters kann vom Revisionsgericht zwar nur darauf überprüft werden, ob dieser sich mit dem Prozeßstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- oder Naturgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 937 m.w.N.). An einer solchen umfassenden und widerspruchsfreien Gesamtwürdigung fehlt es hier aber aus mehreren Gründen:

1. Die Aussagen des Zeugen S. auf der einen Seite und die der Eheleute W. und Sch. sowie der Zeugin Wo. auf der anderen Seite sind entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts mindestens in bezug auf das Datum der angeblichen Telefonate zwischen dem Beklagten und dem Zeugen S. unvereinbar. Der Zeuge S. hat zwar kein Datum genannt. Er hat aber ausweislich des Protokolls auch bei seiner zweiten Vernehmung am 23. Juni 1997 daran festgehalten, die Gespräche hätten an dem Wochenende stattgefunden, "an dem der Beklagte sein Arbeitsverhältnis in Si. beendet hatte", nicht, wie das Berufungsgericht es abschwächend formuliert, "unmittelbar nachdem er (scil. der Zeuge) von der Beendigung des dortigen Arbeitsverhältnisses erfahren habe". Unstreitig handelt es sich dabei um das Wochenende vom 29. November bis zum 1. Dezember 1991. Während dieses Zeitraums hat sich der Beklagte aber nach den Bekundungen der übrigen Zeugen, an deren Wahrheit das Berufungsgericht ebenfalls nicht zweifeln will, nicht bei seinen Eltern in H. aufgehalten, wo ihn der Zeuge S. angeblich angerufen hat, sondern in B.. Mit diesem offensichtlichen Widerspruch hätte sich das Berufungsgericht daher auseinandersetzen müssen. Seine Hilfsbegründung, ein Irrtum des Zeugen S. allein in diesem Nebenpunkt lasse nicht den Schluß auf die Unrichtigkeit der Zeugenaussage im übrigen zu, trägt die Entscheidung ebensowenig, weil das Berufungsgericht noch weitere Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der von dem Zeugen S. gegebenen Sachdarstellung übergangen hat.

2. Insofern rügt die Revision mit Recht, daß sich das Berufungsgericht über die Frage, ob die Ausstellung eines Schuldscheins in Höhe von 250.000,-- DM den Umständen nach plausibel ist, weitgehend hinweggesetzt hat. Der Hinweis, unstreitig habe die Klägerin erhebliche Zahlungen an den Beklagten geleistet, erschöpft den Sachverhalt keineswegs. Der Schuldbetrag soll den Angaben der Klägerin zufolge aus ihren Unterlagen errechnet worden sein. Damit stimmt überein, daß der Schuldschein nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nur zu ihrer Sicherung bestimmt war. Die Klägerin selbst hat jedoch in ihrer Berufungsbegründung vom 27. Dezember 1994, auf die sie sich auch in dem von der Revisionserwiderung angeführten Schriftsatz vom 29. Mai 1997 bezieht, für den maßgeblichen Zeitpunkt Ostern 1991 lediglich Forderungen in einem Betrag von 203.500,-- DM behauptet, da ihre weitere Zahlung in Höhe von 20.000,-- DM an die Sparkasse Si. erst im Februar 1992 erfolgt sein soll. Warum der Beklagte dann eine seine Schuld um fast 50.000,-- DM übersteigende Verpflichtung eingegangen sein sollte, läßt sich aus dem Parteivortrag nicht entnehmen und hätte bei der Beweiswürdigung zumindest einer mehr als nur formelhaften Begründung bedurft.

3. Nicht einbezogen in seine Bewertung hat schließlich das Berufungsgericht den Umstand, daß die Klägerin sich erstmals nach mehr als zwei Jahren Prozeßdauer auf den angeblichen Schuldschein berufen hat, wie auch ihr Hauptzeuge S. in seiner zweiseitigen ersten eidesstattlichen Versicherung vom 2. April 1993, in der er die Beziehungen zwischen den Prozeßparteien im einzelnen darstellt und nicht zuletzt auch die Geldschulden des Beklagten gegenüber der Klägerin hervorhebt, die Ausstellung einer solchen Urkunde nicht einmal andeutet. Die Prozeßparteien sind zwar - innerhalb der Grenzen prozessualer Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) - grundsätzlich berechtigt, im Laufe des Verfahrens ihr Vorbringen zu ändern oder zu ergänzen (BGH, Urt. v. 5. Juli 1995 - KZR 15/94, WM 1995, 1775, 1776). Wenn aber eine so wichtige Tatsache, deren Bedeutung für die Klage auf der Hand lag, erst mit großer Verzögerung in den Prozeß eingeführt wird, kann dies Mißtrauen gegen die Richtigkeit dieser neuen Behauptung wecken und muß deswegen seinen Niederschlag auch in der gerichtlichen Beweiswürdigung finden.

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil nicht bestehenbleiben. Damit das Berufungsgericht nun verfahrensfehlerfrei die erforderlichen Feststellungen treffen kann, muß der Rechtsstreit an das Kammergericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO). Für das künftige Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Sollte das Berufungsgericht erneut die Ausstellung der behaupteten Schuldurkunde als bewiesen ansehen, wäre deren Auslegung als abstraktes Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB), anders als die Revision meint, rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 18. Mai 1995 - VII ZR 11/94, NJW-RR 1995, 1391 f.; Urt. v. 14. Oktober 1998 - XII ZR 66/97, Umdruck S. 6 f.; zur Veröffentlichung bestimmt). Damit ist indessen nicht gesagt, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, daß es auf die zugrundeliegenden Forderungen nicht mehr ankäme. Ein abstraktes Schuldanerkenntnis, gerade wenn es - wie hier - zu Sicherungszwecken erteilt ist, enthält grundsätzlich nur eine zusätzliche Forderung des Gläubigers, der gemäß §§ 812 Abs. 2, 821 BGB die Einrede ungerechtfertigter Bereicherung entgegengehalten werden kann, falls die gesicherte Schuld nicht oder nicht mehr besteht (vgl. nur BGH, Urt. v. 16. April 1991 - XI ZR 68/90, NJW 1991, 2140 f.). Lediglich die Beweislast kehrt sich um. Da der Beklagte jegliche eigene Zahlungspflicht geleugnet und damit eine Bereicherungseinrede zumindest konkludent erhoben hat, wird das Berufungsgericht selbst dann, wenn es wiederum ein abstraktes Schuldanerkenntnis bejaht, nicht ohne Klärung dieses Einwands - ggf. auch unter Beachtung der Senatsrechtsprechung zu Ausgleichsansprüchen nach Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. Sen.Urt. v. 25. September 1997 - II ZR 269/96, NJW 1997, 3371 = ZIP 1997, 1962 m.w.N.) - der Klage auch nur teilweise stattgeben dürfen.



Ende der Entscheidung

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