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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.01.1999
Aktenzeichen: II ZR 247/97
Rechtsgebiete: GmbHG, DMBilG, EinigVtr, GesO


Vorschriften:

GmbHG § 30
GmbHG § 31
GmbHG § 32 a und b
DMBilG § 25 Abs. 1
DMBilG § 56 e
EinigVtr Art. 25 Abs. 7
GesO § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c
GesO § 17 Abs. 3 Nr. 4
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am: 11. Januar 1999

Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

II ZR 247/97

in dem Rechtsstreit

GmbHG §§ 30, 31, 32 a, b; DMBilG §§ 25 Abs. 1, 56 e; EinigVtr Art. 25 Abs. 7

Forderungen der Treuhandanstalt aus sogenannten Ausgleichsverbindlichkeiten des Treuhandunternehmens gemäß § 25 Abs. 1 DMBilG und Rückgriffsansprüche wegen verauslagter Zinsen für Altkredite nach Art. 25 Abs. 7 EinigVtr unterliegen auch dann nicht der Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz, wenn sie in der Krise des Unternehmens über den Zeitpunkt der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse hinaus "stehengelassen" werden (§ 56 e DMBilG).

GesO § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c, Nr. 4

Ansprüche aus Sozialplänen und auf außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen sind nur dann in die privilegierte Rangklasse des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO einzustufen, wenn sie durch Vereinbarung mit dem Gesamtvollstreckungsverwalter begründet wurden; andernfalls haben sie den Rang "aller übrigen Forderungen" gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO.

BGH, Urt. v. 11. Januar 1999 - II ZR 247/97 - Thüringer OLG LG Meiningen


Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer

für Recht erkannt:

I. Auf die Revisionen der Parteien wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 26. August 1997 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 17. Juni 1996 dahin abgeändert, daß zur Gesamtvollstreckungstabelle der F. 3 Nr. 4 GesO über die vom Landgericht eingestellte Forderung von 548.329,-- DM hinaus Forderungen in Höhe von 1.736.629,11 DM (Ausgleichsverbindlichkeit nach § 25 DMBilG von 1.481.959,99 DM; Altkreditzinsen von 254.669,12 DM) festgestellt werden.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Klägerin 90 % und der Beklagte 10 %, von denen des Berufungsverfahrens die Klägerin 92 % und der Beklagte 8 % zu tragen.

II. Die Kosten der Revisionsinstanz werden der Klägerin zu 86,5 % und dem Beklagten zu 13,5 % auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin (die Rechtsnachfolgerin der früheren Treuhandanstalt) macht in dem am 1. November 1994 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der F. Handelsgesellschaft mbH (im folgenden: Gemeinschuldnerin), deren Alleingesellschafterin sie ist, gegen den Beklagten als Gesamtvollstreckungsverwalter die Feststellung von - zumeist aus Krediten und Kreditsicherheiten stammenden - Forderungen in Höhe von insgesamt 17.216.974,-- DM zum Gesamtvollstreckungsverzeichnis geltend. Zu diesen Forderungen gehören u.a. ein Anspruch der Klägerin wegen einer zu ihren Gunsten in der DM-Eröffnungsbilanz der Gemeinschuldnerin ausgewiesenen Ausgleichsverbindlichkeit gemäß § 25 Abs. 1 DMBilG in Höhe von 1.481.959,99 DM sowie eine Forderung auf Erstattung der von der Klägerin gemäß Art. 25 Abs. 7 des Einigungsvertrages (EV) an die D. AG verauslagten Zinsen von 254.669,12 DM aus Altkreditverbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin. Ferner beansprucht die Klägerin in Höhe von 548.329,-- DM aus ihr abgetretenen Abfindungsansprüchen von Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin gemäß § 8 des Tarifvertrags über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung vom 28. Januar 1991 (GPH-TV), die sie diesen innerhalb der letzten drei Monate vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens durch Ausreichung von Krediten "vorfinanziert" hatte, die Feststellung in der Rangklasse 1 des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c GesO, hilfsweise in der Rangklasse 4 des § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO. Das Landgericht hat die Abfindungsansprüche auf den - vom Beklagten anerkannten - Hilfsantrag zur Rangklasse 4 festgestellt, im übrigen jedoch die Klage abgewiesen, weil die anderen Forderungen den Eigenkapitalersatzregeln unterfielen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht lediglich die Abfindungsansprüche in die bevorrechtigte Rangklasse eingestellt, im übrigen hingegen das Rechtsmittel zurückgewiesen. Von den beiderseits eingelegten Revisionen hat der Senat das Rechtsmittel des Beklagten im Rangklassenstreit, die Revision der Klägerin jedoch nur wegen der Ausgleichsverbindlichkeit von 1.481.959,99 DM und der Altkreditzinsen von 254.669,12 DM angenommen.

Entscheidungsgründe:

Die Rechtsmittel der Parteien sind im Umfang der Annahme begründet.

Auf die Revision der Klägerin sind unter Teilabänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen (weitere) Forderungen in Höhe von 1.736.629,11 DM zur Gesamtvollstreckungstabelle festzustellen (nachfolgend unter Nr. I), während das Rechtsmittel des Beklagten in dem Rangstreit zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils führt (nachfolgend unter Nr. II), § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts sind sowohl die Ausgleichsverbindlichkeit der Gemeinschuldnerin gegenüber der Klägerin in Höhe von 1.481.959,99 DM als auch der Anspruch auf Erstattung von Altkreditzinsen in Höhe von 254.669,12 DM nicht in die Gesamtvollstreckungstabelle aufzunehmen, weil die Treuhandanstalt der kreditunwürdigen Gemeinschuldnerin beide Forderungen auch nach der im Mai 1993 erfolgten Eintragung der Kapitalneufestsetzung in das Handelsregister in eigenkapitalersetzender Weise belassen hat. Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Einer Feststellung der Ausgleichsverbindlichkeit des Treuhandunternehmens gemäß § 25 Abs. 1 DMBilG (= Ausgleichsforderung der Klägerin) zur Tabelle stehen weder die Novellenregeln der §§ 32 a und b GmbHG noch die in Analogie zu den §§ 30, 31 GmbHG entwickelten Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz entgegen. Ob das Eigenkapitalersatzrecht auf Ausgleichsverbindlichkeiten des Treuhandunternehmens gemäß § 25 Abs. 1 DMBilG bereits grundsätzlich keine Anwendung finden kann, weil der Gesellschaft im Zeitpunkt ihrer Entstehung keine Fremdmittel zugeführt werden, sondern im Gegenteil eine pauschalierte Abschöpfung kraft Gesetzes vorgenommen wird (vgl. hierzu OLG Brandenburg, VIZ 1996, 603, 604), kann der Senat offenlassen. Selbst wenn die trotz sofortiger Fälligkeit von der Treuhandanstalt nicht eingeforderte Ausgleichsverbindlichkeit als Darlehen anzusehen oder einem solchen gleichzustellen wäre, handelte es sich im Hinblick auf die Forderungsentstehung bereits zum 1. Juli 1990 allenfalls um einen vor der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse gewährten Kredit, für den die Anwendung der Eigenkapitalersatzvorschriften der §§ 32 a und b GmbHG gemäß § 56 e Abs. 1 DMBilG ausgeschlossen ist. Eine Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz kommt vorliegend auch nicht durch ein "Stehenlassen" der Forderung in der Krise über den Zeitpunkt der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse hinaus in Betracht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch § 56 e Abs. 1 DMBilG gerade auch diese Möglichkeit einer Anwendung der §§ 32 a und b GmbHG auf die Treuhandanstalt ausgeschlossen werden (vgl. BT-Drucks. 12/2944, S. 66). Dies gilt nach dem Sinnzusammenhang der Vorschrift auch für die Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz analog §§ 30, 31 GmbHG.

2. Die Eigenkapitalersatzregeln stehen auch der Feststellung der Forderung der Klägerin auf Erstattung der an die D. AG verauslagten Zinsen für deren Altkreditansprüche gemäß Art. 25 Abs. 7 EV gegen die Gemeinschuldnerin nicht entgegen, da § 56 e Abs. 1 Satz 1 DMBilG sie für unanwendbar auf solche Kredite erklärt. Da für die Zinsen als Nebenforderungen keine abweichende Regelung getroffen wurde, teilen sie das rechtliche Schicksal der Hauptforderung; dementsprechend unterliegen die Altkredite auch nicht der Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz, wenn sie über den Zeitpunkt der Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse hinaus "stehengelassen" werden und damit auch die Verzinsungspflicht weiterläuft. Nichts anderes gilt für den Rückgriffsanspruch der Treuhandanstalt gegen das Treuhandunternehmen, der - wie vorliegend - daraus resultiert, daß sie infolge der kraft Gesetzes ausgesetzten Zins- und Tilgungsleistungen bei den Altkrediten der D. AG die anfallenden Zinszahlungen gemäß Art. 25 Abs. 7 Satz 2 EV erstattet hat (vgl. zum Rückgriffsanspruch allgemein: BGH, Beschluß v. 2. Dezember 1997 - XI ZR 64/97, ZIP 1998, 528 f.). Auch für diesen Ersatzanspruch bezüglich der Nebenforderungen hat der Gesetzgeber in § 56 e DMBilG keine abweichende, die Treuhandanstalt etwa belastende Regelung hinsichtlich des Eigenkapitalersatzes getroffen.

II.

Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die - nicht näher begründete - Ansicht des Berufungsgerichts, die von der Klägerin aus abgetretenem Recht geltend gemachten Abfindungsansprüche nach § 8 GPH-TV seien der Rangklasse 1 gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 1 c GesO zuzuordnen.

Nach der eindeutigen Regelung des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c, 1. Altern. GesO gehören in die bevorrechtigte Rangklasse nur Forderungen aus einem vom Gesamtvollstreckungsverwalter vereinbarten Sozialplan. Sofern man - was naheliegt - die tarifvertraglichen Abfindungsansprüche nach § 8 GPH-TV als "sozialplanähnlich" den Forderungen aus "echten" Sozialplänen gleichstellt (vgl. hierzu BAG, Urteile v. 10. November 1993 - IV AZR 184/93, NZA 1994, 892, 895: ... Tarifvertrag, der ähnlich einem Sozialplan Regelungen trifft ...; IV AZR 198/93, aaO, S. 896, 897), sind sie bereits deshalb nicht bevorrechtigt, sondern der Rangklasse 4 zuzuordnen, weil sie ersichtlich nicht auf einer durch den Beklagten als Verwalter begründeten Verpflichtung beruhen. Selbst wenn man - wie offenbar das Berufungsgericht - tarifvertragliche sozialplanähnliche Abfindungsansprüche grundsätzlich als "außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen" definieren würde, wären die vorliegenden Forderungen nicht in die Vorrangklasse des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c, 2. Altern. GesO einzustufen. Wie dem Zusammenhang der Regelung zu entnehmen ist, bezieht sich auch die 2. Altern. des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c GesO nur auf Leistungen, die auf vom Verwalter durchgeführte Betriebsänderungen zurückzuführen sind. Dazu gehören die auf § 8 GPH-TV beruhenden Abfindungsforderungen selbst dann nicht, wenn sie - wie hier - im wesentlichen Zeiträume betreffen, die innerhalb von drei Monaten vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens liegen. Soweit im Schrifttum vereinzelt (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 14. Aufl., § 17 Rdn. 105 ff.) gefordert wird, in Anlehnung an § 3 Sozialplangesetz (SozPlanG) oder im Vorgriff auf § 124 InsO auch ohne Mitwirkung des Verwalters begründete "alte" Sozialpläne oder ihnen gleichgestellte Forderungen aus einer Zeit von bis zu drei Monaten vor Verfahrenseröffnung in die privilegierte erste Rangklasse einzubeziehen, kann dem nicht gefolgt werden. Die auf der GesamtvollstreckungsVO des Ministerrats der DDR vom 1. Juli 1990 beruhende Gesamtvollstreckungsordnung wurde durch den Einigungsvertrag in den Rang eines Bundesgesetzes erhoben, ohne daß eine Erstreckung der privilegierten Forderungen auf Zeiträume vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens vorgenommen worden wäre; vielmehr wurde die Geltung des Sozialplangesetzes für den Bereich der neuen Bundesländer ausdrücklich ausgeschlossen (Anlage II Kap. III A Abschn. 1 Nr. 5 EV). Eine Rechtsfortbildung durch Ausdehnung des fest umschriebenen Anwendungsbereichs des § 17 Abs. 3 Nr. 1 c GesO im Vorgriff auf § 124 InsO - der überdies u.a. dem Insolvenzverwalter ein Widerrufsrecht einräumt - kommt nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 65, 182 zu § 61 KO vor Schaffung des SozPlanG). Den Forderungen aus nicht vom Gesamtvollstreckungsverwalter vereinbarten Sozialplänen und den Ansprüchen auf nicht von ihm vereinbarte, außerhalb eines Sozialplans zu gewährende Leistungen verbleibt demnach nur der Rang "aller übrigen Forderungen" gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO (herrschende Meinung in der Literatur: vgl. Berscheid, Konkurs/Gesamtvollstreckung/Sanierung, Gesamtvollstreckung Rdn. 178, 189; Gottwald/Eickmann, Nachtrag GesO, III, 9 B Rdn. 6, 7; Hess/Binz, GesO, 2. Aufl., § 17 Rdn. 63 a; Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzarbeitsrecht, Rdn. 1502, 1514; K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 17 GesO Anm. 4 a; Klöver, Der Sozialplan im Konkurs, S. 152 f.; Smid/Rattunde, GesO, § 17 Rdn. 51 ff.; im Ansatz auch: Haarmeyer/Wutzke/Förster aaO, § 17 Rdn. 104, 110, 111, anders allerdings Rdn. 105 ff. - de lege ferenda). Sollte noch ein Sozialplan unter Beteiligung des Beklagten als Verwalter neu aufzustellen sein, kann dessen Ergebnis nicht allein im Feststellungsverfahren gemäß §§ 11, 14, 17 Abs. 2 GesO vorweggenommen werden.



Ende der Entscheidung

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