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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: II ZR 30/05
Rechtsgebiete: AktG
Vorschriften:
AktG F. ab 01.04.1998 § 20 Abs. 1 | |
AktG F. ab 01.04.1998 § 20 Abs. 7 | |
AktG § 243 Abs. 1 | |
AktG § 245 Nr. 1 | |
AktG § 245 Nr. 2 |
b) Die Sanktion eines temporären Rechtsverlustes nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG für den Zeitraum der Nichterfüllung der Mitteilungspflicht erfasst - abgesehen von der Ausnahme in Satz 2 der Norm - alle aus der Aktie folgenden Mitgliedschaftsrechte. Darunter fällt insbesondere auch die Anfechtungsbefugnis des Aktionärs nach § 245 Nr. 1, Nr. 2 AktG.
c) Ein Hauptversammlungsbeschluss, der unter Mitwirkung eines nach § 20 Abs. 7 AktG nicht stimmberechtigten Aktionärs gefasst wurde, ist nicht nichtig, sondern lediglich wegen Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.
d) Ein vom Versammlungsleiter festgestellter Hauptversammlungsbeschluss ist auch dann nicht nichtig, wenn er - weil sämtliche Aktionäre nach § 20 Abs. 7 AktG kein Stimmrecht hatten - "stimmlos" gefasst wurde.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 24. April 2006
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Dr. Strohn und Dr. Reichart
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Januar 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20. August 2003 zu TOP 4 und TOP 5 sowie der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30. September 2003 hinsichtlich der Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten auf 5,5 Mio. € nebst entsprechender Änderung des § 5 der Satzung für nichtig erklärt worden sind.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Leipzig vom 8. September 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die beklagte - nicht börsennotierte - Aktiengesellschaft wurde von ihren Gründungsgesellschaftern, der L.bank S. (im Folgenden: S. LB), und der Klägerin im Mai 2000 errichtet und im Juli 2000 in das Handelsregister eingetragen. Am Grundkapital der Beklagten von 500.000,00 € waren die S. LB zu 51 % und die Klägerin zu 49 % beteiligt.
Auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 20. August 2003 wurde mit den 5.100 Stimmen der S. LB gegen die 4.900 Stimmen der Klägerin zu TOP 4 dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes H. für das Geschäftsjahr 2002 die Entlastung verweigert und mit demselben Stimmenverhältnis zu TOP 5 dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates F. für dasselbe Geschäftsjahr Entlastung erteilt. Gegen beide Beschlüsse legte die Klägerin zur Niederschrift des Versammlungsleiters Widerspruch ein.
Auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 30. September 2003 erklärte der Versammlungsleiter die gegen den Beschlussantrag auf Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten um 5 Mio. € auf 5,5 Mio. € abgegebenen Stimmen der Klägerin wegen angeblichen Verstoßes gegen die gesellschafterliche Treuepflicht zur Mitwirkung bei der als notwendig angesehenen sanierenden Kapitalerhöhung für nichtig, berücksichtigte sie bei der Auszählung nicht und stellte das Zustandekommen des Kapitalerhöhungsbeschlusses, der nach der Satzung einer Mehrheit von mindestens 3/4 der abgegebenen Stimmen bedurfte, fest. Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch zur Niederschrift des Versammlungsleiters.
Mit ihrer am 19. September 2003 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Nichtigerklärung der beiden Hauptversammlungsbeschlüsse vom 20. August 2003 über die Verweigerung der Entlastung des ehemaligen Vorstands H. und über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden F. sowie die positive Feststellung der Entlastung des ehemaligen Vorstandes beantragt. In einer weiteren, am 28. Oktober 2003 bei Gericht eingegangenen Klage, die mit dem ersten Prozess verbunden wurde, hat die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise die Nichtigerklärung des auf der außerordentlichen Hauptversammlung vom 30. September 2003 festgestellten Beschlusses über die Kapitalerhöhung um 5 Mio. € begehrt.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2003 hat die Beklagte die Anfechtungsbefugnis der Klägerin bestritten, weil diese ihrer Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 AktG über eine Beteiligung von mehr als 25 % am Grundkapital der Beklagten nicht nachgekommen sei. Daraufhin machte die Klägerin "vorsorglich" mit Schreiben vom 12. Februar 2004 der Beklagten eine entsprechende Mitteilung. Nachdem die Klägerin mit nachfolgendem Schriftsatz vom 17. Mai 2004 erstmals behauptet hatte, auch die S. LB habe ihrer Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG nicht genügt, hat die Beklagte erstmals unter dem 29. Juni 2004 vorgetragen, die S. LB habe ihr eine auf den 15. April 2003 datierte Erklärung über ihre Mehrheitsbeteiligung von 51 % zukommen lassen, deren Bekanntmachung im Bundesanzeiger sie, die Beklagte, unter dem 5. Mai 2004 veranlasst hatte.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin - mit Ausnahme des positiven Feststellungsantrags zur Entlastung des ehemaligen Vorstandsmitglieds H. - ihre Klageanträge mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass in erster Linie die Nichtigkeitsfeststellung und hilfsweise die Nichtigerklärung der auf den Hauptversammlungen vom 20. August 2003 (Entlastung) und vom 30. September 2003 (Kapitalerhöhung) gefassten Beschlüsse beantragt werde. Das Berufungsgericht hat nach Beweisaufnahme zum Zeitpunkt der Beteiligungsanzeige der S. LB den hilfsweise gestellten Anfechtungsanträgen stattgegeben. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin und damit zur vollständigen Abweisung der Klage (§ 563 Abs. 3 ZPO).
I.
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner - gegenteiligen - Entscheidung ausgeführt:
Die Anfechtungsklage gegen sämtliche angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüsse vom 20. August und vom 30. September 2003 sei begründet, weil diese wegen Verletzung von sowohl der Klägerin als auch der S. LB obliegenden Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 AktG stimmlos gefasst und unter solchen besonderen Umständen durch die Klägerin trotz des in § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG angeordneten (zeitweiligen) Verlustes der Rechte aus ihren Aktien anfechtbar seien. Sowohl die Klägerin als auch die S. LB seien - auch als Gründungsaktionäre - dem persönlichen Anwendungsbereich des § 20 AktG unterworfen gewesen. Die angefochtenen Beschlüsse seien entgegen den vom Versammlungsleiter festgestellten Abstimmungsergebnissen als stimmlos gefasst anzusehen, weil beide Aktionäre im Zeitpunkt der Beschlussfassungen die ihnen obliegenden Mitteilungspflichten zu ihren jeweils 25 % der gesamten Aktien der Beklagten übersteigenden Beteiligungen nicht erfüllt gehabt hätten und deshalb gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG nicht stimmberechtigt gewesen seien. Die Klägerin habe ihre Mitteilungspflicht unstreitig erst während des Anfechtungsprozesses mit Schreiben vom 12. Februar 2004 erfüllt. Auch hinsichtlich der S. LB deuteten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alle relevanten Umstände darauf hin, dass sie ebenfalls erst nach dem 30. September 2003 ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen sei; zumindest habe die - angesichts der Veröffentlichung der ihr angezeigten Mehrheitsbeteiligung erst am 5. Mai 2004 - beweispflichtige Beklagte nicht den Nachweis einer früheren Anzeige durch die S. LB geführt. Die solchermaßen wegen Verstoßes beider Aktionäre gegen die Mitteilungspflichten nach § 20 Abs. 1 AktG stimmlos gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse seien - da sie nicht § 241 AktG unterfielen - nicht nichtig und wegen der Sanktion des Nichtbestehens der Aktionärsrechte gemäß § 20 Abs. 7 AktG an sich nicht einmal durch die betroffenen Aktionäre anfechtbar. Gleichwohl müsse der Klägerin trotz der von ihr selbst versäumten Mitteilung die Anfechtungsbefugnis - beschränkt auf den besonderen Mangel der Stimmlosigkeit - eröffnet werden, weil in einer solchen außergewöhnlichen Situation ein Ausschluss der Anfechtungsbefugnis aus §§ 243 Abs. 1, 245 Nr. 1 AktG unverhältnismäßig in das Mitgliedschafts- und Eigentumsrecht der Klägerin als Aktionärin eingreifen würde.
II.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im entscheidenden Punkt einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Zubilligung der Anfechtungsbefugnis i.S. von § 245 AktG jedenfalls deshalb nicht stand, weil die Klägerin den auf der Verletzung der Anzeigepflicht auch der S. LB beruhenden Anfechtungsgrund der vollständigen Stimmlosigkeit hinsichtlich der angefochtenen Beschlüsse nicht rechtzeitig i.S. des § 246 Abs. 1 AktG geltend gemacht hat.
1. Die Klägerin unterfiel - wovon das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist - sowohl hinsichtlich der mit der Klage vom 19. September 2003 angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse (zu TOP 4 und 5) vom 20. August 2003 als auch bezüglich des mit Klage vom 28. Oktober 2003 angegriffenen Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 30. September 2003 wegen Nichterfüllung der ihr - auch als Gründungsaktionärin - obliegenden Mitteilungspflicht über eine Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % (§ 20 Abs. 1 AktG) dem (temporären) Verlust der Rechte aus Aktien der Beklagten gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG und damit gerade auch der Anfechtungsbefugnis (§§ 243 Abs. 1, 245 Nr. 1 AktG).
a) Unstreitig hat die Klägerin erst am 12. Februar 2004 - und damit geraume Zeit nach Erhebung der miteinander verbundenen Klagen gegen die drei Hauptversammlungsbeschlüsse - der Beklagten ihre Unternehmensbeteiligung von 49 % in einer den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AktG genügenden Form (vgl. dazu BGHZ 114, 203, 213) mitgeteilt.
Die Klägerin war - auch in ihrer Eigenschaft als Gründungsaktionärin - dem persönlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 AktG unterworfen (vgl. nur: Bayer in MünchKomm.z.AktG 2. Aufl. § 20 Rdn. 10 m.w.Nachw.). Die Vorschriften über die Mitteilung und Veröffentlichung von qualifizierten Beteiligungen von Unternehmens-Aktionären sind zwingendes Recht; sie dienen dem Zweck, Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren und zugleich Rechtssicherheit über die Beteiligungsquoten zu schaffen (BGHZ aaO S. 215). Auch der Gründer einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft ist zu einer solchen Mitteilung verpflichtet, selbst wenn sich seine Beteiligung aus dem notariellen Gründungsprotokoll ergibt; denn erst wenn der Gesellschaft die Beteiligung schriftlich mitgeteilt worden ist, ist sie gemäß § 20 Abs. 6 AktG verpflichtet, diese in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen (vgl. Bayer aaO § 20 Rdn. 10; Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG 2. Aufl. § 20 Rdn. 15; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht 4. Aufl. § 20 AktG Rdn. 20; Dieckmann, DZWiR 1994, 13, 15; Hüffer, AktG 6. Aufl. § 20 Rdn. 2; Mulert in Happ, Aktienrecht 2. Aufl. 2.01 Rdn. 68; Stucken in Happ aaO 7.01 Rdn. 5; a.A. Priester, AG 1974, 212, 214). Dem steht nicht entgegen, dass Aktionären börsennotierter Aktiengesellschaften nunmehr gemäß § 21 Abs. 2 WpHG i.V.m. § 20 Abs. 8 AktG nur noch die kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten nach § 21 WpHG, hingegen nicht mehr - zusätzlich - die aktienrechtlichen Mitteilungspflichten nach § 20 AktG obliegen. Denn unabhängig davon, ob danach etwa Gründungsaktionäre börsennotierter Aktiengesellschaften noch nicht einmal der - teilweise an andere Voraussetzungen anknüpfenden - kapitalmarktrechtlichen Meldepflicht nach § 21 WpHG unterlägen (so offenbar: Emmerich aaO § 20 AktG Rdn. 20; anders Stucken aaO 7.03 Rdn. 3), könnte aus einer solchen, anlässlich der Umsetzung der Transparenzrichtlinie 88/627/EWG vom 12. Dezember 1988 (ABl. Nr. L 348 vom 17. Dezember 1988, S. 62 ff.) entstandenen Divergenz - schon angesichts der unterschiedlichen Regelungszwecke - nicht abgeleitet werden, dass mit dem Inkrafttreten der kapitalmarktrechtlichen Norm des § 21 Abs. 1 WpHG bei den nicht börsennotierten Aktiengesellschaften - wie hier der Beklagten - die unverändert bestehen gebliebene aktienrechtliche Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG für deren Gründungsaktionäre entfallen wäre.
b) Die Verletzung der Mitteilungspflicht hatte zur Folge, dass für die Zeit bis zu ihrer Erfüllung am 12. Februar 2004 die Rechte der Klägerin aus ihren Aktien "nicht bestanden" (§ 20 Abs. 7 Satz 1 AktG). Von dieser Sanktion eines temporären Rechtsverlustes sind - abgesehen von den hier nicht vorliegenden Ausnahmen des § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG - alle Rechte betroffen, die dem Aktionär aus seinen Aktien zustehen, d.h. sowohl die Herrschafts- als auch die Vermögensrechte. Der Verlust der Verwaltungsrechte erfasst damit auch die Rechte, die der Aktionär im Rahmen der Hauptversammlung wahrnehmen kann, namentlich das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung und das Stimmrecht (vgl. Bayer aaO § 20 Rdn. 51 ff.; Hüffer, AktG 6. Aufl. § 20 Rdn. 12, 14; Koppensteiner aaO § 20 Rdn. 42 ff.; Windbichler in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 20 Rdn. 75 ff. - jeweils m.w.Nachw.). Dementsprechend entfällt auch die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1 oder Nr. 2 AktG, weil mitgliedschaftliche Verwaltungsrechte insoweit nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG überhaupt nicht bestehen (vgl. Hüffer aaO § 20 Rdn. 14; ders. in MünchKomm.z.AktG 2. Aufl. § 245 Rdn. 20 m.w.Nachw.). Hier war die Klägerin zwar in den betreffenden Hauptversammlungen erschienen und hatte gegen die angefochtenen Beschlüsse Widerspruch zur Niederschrift erklärt, sie hatte jedoch weder ein Teilnahme- noch ein Stimmrecht und auch kein Recht zur Erhebung des Widerspruchs.
c) Die Rechtsfolge der fehlenden Anfechtungsbefugnis als eines subjektiven, nur in den Grenzen des § 245 AktG bestehenden Rechts ist - wovon das Berufungsgericht ebenfalls noch zutreffend ausgegangen ist - die Unbegründetheit der Anfechtungsklage der Klägerin in Bezug auf sämtliche geltend gemachten - grundsätzlich der Anfechtbarkeit unterliegenden - Inhalts- und Verfahrensmängel der angegriffenen Beschlüsse.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch - entgegen § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG - ausnahmsweise eine Anfechtungsbefugnis der Klägerin wegen des besonderen Mangels der sog. Stimmlosigkeit bejaht, der den angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüssen aufgrund des - von ihr erst nachträglich in den Prozess eingeführten - Umstandes anhaften soll, dass auch die S. LB wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Mitteilung ihrer Mehrheitsbeteiligung von 51 % gemäß § 20 Abs. 1 AktG trotz Nichtbestehens der Rechte aus § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG ihre Verwaltungsrechte, insbesondere Teilnahme- und Stimmrechte in den betreffenden Hauptversammlungen unzulässig ausgeübt habe.
Ob - wie das Oberlandesgericht gemeint hat - in der besonderen Fallkonstellation der "stimmlos" gefassten Beschlüsse überhaupt Raum für eine derartige Ausnahme von dem eindeutig gefassten, strikten Normbefehl des § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG zugunsten eines der säumigen, sich normpflichtwidrig verhaltenden Aktionäre zuzulassen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung.
Denn die Klägerin hat - was das Berufungsgericht offenbar nicht bedacht hat - diesen potentiellen Anfechtungsgrund, aus dem sich zugleich ausnahmsweise ihre Anfechtungsbefugnis ergeben soll, in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern nicht innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG in den Rechtsstreit eingeführt. Nach § 246 Abs. 1 AktG ist nicht nur die nachträgliche Erhebung der Anfechtungsklage, sondern auch das Nachschieben von neuen Anfechtungsgründen ausgeschlossen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. BGHZ 15, 177, 180 f.; 32, 318, 323; 120, 141, 156 f. sowie zuletzt Sen.Urt. v. 12. Dezember 2005 - II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, 229 m.w.Nachw.). Aus der Senatsentscheidung vom 22. Juli 2002 (BGHZ 152, 1), in der es allein um den Umfang der Darlegung der Berufungsgründe ging, ergibt sich nicht, dass der Anfechtungskläger jederzeit neue Anfechtungsgründe in den Rechtsstreit einführen und damit die vom Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen geschaffene Vorschrift des § 246 Abs. 1 AktG funktionslos machen dürfte; vielmehr muss bei der Anfechtungsklage innerhalb der Anfechtungsfrist der nach der genannten Entscheidung einen Teil des Klagegrundes dieser Klage bildende maßgebliche Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die Anfechtbarkeit des Beschlusses herleiten will, vorgetragen werden.
Im vorliegenden Fall ist demgegenüber der potentielle Anfechtungsgrund einer Nichterfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG auch seitens der S. LB, aus dem sich zugleich ausnahmsweise die Anfechtungsbefugnis der Klägerin nach § 245 Nr. 1 AktG ergeben soll, erstmals mit Schriftsatz vom 17. Mai 2004 - also erst rund sechs Monate nach der letzten Klageerhebung vom 28. Oktober 2003 und damit verspätet i.S. des § 246 Abs. 1 AktG - in den Rechtsstreit eingeführt worden.
Entgegen der Ansicht der Klägerin reichte zur Einhaltung der Frist nicht aus, dass sie in beiden Klageschriften die Beteiligungsverhältnisse der beiden Aktionäre, also auch der S. LB, im Zusammenhang mit der Darstellung des Ablaufs des Zustandekommens der angefochtenen Beschlüsse dargelegt hat. Denn daraus ergab sich in keiner Weise, dass auch die Rechte der Beklagten nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG wegen Verletzung der Mitteilungspflicht nach Abs. 1 dieser Vorschrift suspendiert waren und erst dadurch die behauptete Sondersituation der Stimmlosigkeit herbeigeführt wurde.
Soweit die Klägerin meint, nicht sie, sondern die Beklagte sei in Bezug auf den Ausnahmefall einer Anfechtungsbefugnis bzw. des Anfechtungsgrundes wegen stimmloser Beschlüsse darlegungs- und beweisbelastet, beruht dies auf Rechtsirrtum. Nach allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts trägt zunächst der Kläger die Darlegungslast sowohl hinsichtlich der Anfechtungsbefugnis als auch hinsichtlich des Anfechtungsgrundes, auf den er seine Klage stützen will, und damit zugleich bezüglich der Rechtzeitigkeit der prozessualen Geltendmachung innerhalb der Frist des § 246 AktG. Gerade in der vorliegenden Fallkonstellation ergab sich der grundsätzliche Ausschluss der Anfechtungsbefugnis der Klägerin bereits aus dem unstreitigen Umstand ihres eigenen Verstoßes gegen § 20 Abs. 1, Abs. 7 AktG. Deshalb oblag es zunächst ihr, die Umstände fristgerecht darzulegen, welche die Rechtsfolge der Stimmlosigkeit und eine daraus abgeleitete Anfechtungsbefugnis ausnahmsweise zu begründen vermochten. Dies hat die Klägerin versäumt. Angesichts dessen stellte sich hier nicht mehr die Frage, ob im Falle rechtzeitigen Primärvortrags der Klägerin etwa aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände des konkreten Einzelfalls die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast hätte treffen können.
Bei dem nachgeschobenen Vortrag bezüglich eines die Stimmlosigkeit der angefochtenen Beschlüsse und die eigene Anfechtungsbefugnis gegebenenfalls begründenden Umstands des Verstoßes auch der S. LB gegen § 20 Abs. 1, 7 AktG handelt es sich im Verhältnis zu dem in der Klageschrift geltend gemachten Klagegrund unzweifelhaft um einen anderen (neuen) Lebenssachverhalt.
III.
Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
1. Allerdings hätte die nachträgliche Erfüllung der Mitteilungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 AktG am 12. Februar 2004 zur Folge, dass die Klägerin - wegen der damit verbundenen Beendigung des bis dahin andauernden Verlustes ihrer Rechte aus den Aktien der Beklagten (§ 20 Abs. 7 AktG) - die Befugnis wieder erlangt hätte, bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen innerhalb der Frist des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG die von ihr beanstandeten, mehr als fünf Monate zurückliegenden Hauptversammlungsbeschlüsse im Wege der Nichtigkeitsklage anzugreifen.
2. Diese Beschlüsse sind jedoch - entgegen der von der Klägerin in der Revisionserwiderung erneut vorgetragenen Ansicht - nicht im Hinblick auf die vom Berufungsgericht angenommene Stimmlosigkeit - über eine bloße Anfechtbarkeit hinaus - als nichtig anzusehen, so dass der Klage auch unter dem Blickwinkel des Nichtigkeitsfeststellungsbegehrens der Erfolg versagt bleiben musste.
Ein Hauptversammlungsbeschluss, bei dem entgegen § 20 Abs. 7 AktG vom Stimmrecht ausgeschlossene Stimmen mitgezählt wurden und bei dem der Beschluss darauf beruht, ist nach herrschender Meinung lediglich wegen Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar (vgl. Hüffer, AktG aaO § 20 Rdn. 17 m.w.Nachw.; Bayer aaO § 20 Rdn. 55). Dies entspricht der ständigen Senatsrechtsprechung, die in vergleichbaren Fällen, in denen einem Stimmrechtsverbot unterliegende Aktionäre an Hauptversammlungsbeschlüssen mitwirken und ihre Stimmen in einer das Abstimmungsergebnis beeinflussenden Weise vom Versammlungsleiter mitgezählt werden, von bloßer Anfechtbarkeit ausgeht (vgl. nur Sen.Urt. v. 12. Dezember 2005 - II ZR 253/03 aaO S. 228 m.w.Nachw.). Werden in derartigen Fällen die einem Abstimmungsverbot unterliegenden Stimmen mitgezählt und wirkt sich das auf das Ergebnis aus, so ist zwar die davon beeinflusste Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter unrichtig. Gleichwohl handelt es sich nicht um einen (nichtigen) Scheinbeschluss; vielmehr bewirken die Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Leiter der Hauptversammlung und deren Aufnahme in die notarielle Niederschrift gemäß § 130 Abs. 2 AktG, dass ein Beschluss mit dem verkündeten und in der Niederschrift fixierten Inhalt existiert, solange und soweit er nicht wirksam angefochten ist. An diesem Befund ändert sich nichts dadurch, dass in einem Extremfall wie dem vorliegenden von einer völligen "Stimmlosigkeit" der Beschlüsse auszugehen ist (so im Ergebnis BayOblG NZG 2001, 128; OLG München NZG 1999, 1173; a.A. insbesondere Semler/Asmus, NZG 2004, 881, 887). In § 241 AktG sind die Nichtigkeitsgründe abschließend aufgezählt, ohne dass etwa die Stimmlosigkeit festgestellter Hauptversammlungsbeschlüsse darunter fällt. Derartige Beschlüsse sind - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auch nicht etwa unter Normzweckaspekten dem Verdikt der Nichtigkeit zu unterwerfen, da eine Stimmlosigkeit der Beschlussfassung im materiellen Unrechtsgehalt den in § 241 AktG aufgeführten Gesetzes- und Satzungsverstößen keineswegs gleichzustellen ist.
3. Sonstige Beschlussmängel, die die Nichtigkeit zur Folge hätten, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler nicht festzustellen vermocht.
Ende der Entscheidung
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