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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.02.2007
Aktenzeichen: II ZR 308/05
Rechtsgebiete: BGB, GenG


Vorschriften:

BGB § 626
GenG § 98
GenG § 99
a) Erklärt der Vorstand einer Genossenschaft, er werde einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung stellen, und kündigt die Genossenschaft daraufhin dessen Anstellungsvertrag, muss sie im Prozess über die Wirksamkeit der Kündigung darlegen und beweisen, dass sie tatsächlich nicht überschuldet war.

b) Laufende und erfolgversprechende Sanierungsbemühungen ändern nichts daran, dass der Vorstand einer insolventen Genossenschaft spätestens drei Wochen nach Eintritt der Insolvenzreife die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen muss.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 308/05

Verkündet am: 12. Februar 2007

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Strohn und Caliebe

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 27. Oktober 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin und W. O. bildeten den Vorstand der Beklagten, einer in B. und Wo. tätigen Wohnungsgenossenschaft. Die Beklagte befand sich in einer wirtschaftlichen Schieflage. Ob sie überschuldet war, hing von dem - streitigen - Umfang der erforderlichen Wertberichtigungen auf das Anlage-(Grundstücks-)vermögen ab. In einer gemeinsamen Sitzung vom 24. September 2003 erörterten der Vorstand und der Aufsichtsrat, dem ein Mitarbeiter der Hausbank "A. Bank AG" angehörte, einen Sanierungsplan, an dem sich auch die Bank beteiligen sollte. Die Maßnahmen sollten den Genossen in einer Generalversammlung am 29. September 2003 bekannt gegeben werden. Unter dem 26. September 2003 baten die beiden Vorstandsmitglieder die Bank um eine schriftliche Bestätigung ihrer Sanierungsbereitschaft "vor der Mitgliederversammlung". Da die Bank bis zum 29. September 2003 die erwartete Erklärung nicht abgegeben hatte, informierten die Klägerin und O. den Aufsichtsrat kurz vor dem Beginn der Generalversammlung von ihrer Absicht, am nächsten Tag Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Daraufhin enthob sie der Aufsichtsrat vorläufig ihrer Ämter und informierte die zu der Generalversammlung erschienenen Genossen von dieser Maßnahme. Beschlüsse der Generalversammlung wurden an diesem Tage nicht gefasst. Erst in einer am 10. Oktober 2003 auf den 28. Oktober 2003 einberufenen Generalversammlung widerriefen die Genossen die Bestellung der Klägerin und ihres Kollegen zu Vorstandsmitgliedern und beschlossen, deren Anstellungsverträge fristlos zu kündigen, was durch Erklärungen des Aufsichtsratsvorsitzenden sodann geschah.

Die Klägerin hält - ebenso wie O. in einem Parallelverfahren - die Kündigung für unwirksam und hat - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt festzustellen, dass ihr Anstellungsvertrag nicht durch die Kündigung aufgelöst worden sei, sondern unverändert fortbestehe. Auf den Einspruch der Beklagten hat das Landgericht ein dem Klageantrag stattgebendes Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die ultimative Ankündigung der Klägerin und ihres Mitvorstands unmittelbar vor der Generalversammlung, am nächsten Tag Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, sei ein gravierender Loyalitätsverstoß gegenüber der Genossenschaft, aufgrund dessen die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages gerechtfertigt sei. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

a) Die Frist beginnt bei der Genossenschaft mit der Kenntnis der Generalversammlung von dem Kündigungsgrund (Sen.Urt. v. 18. Juni 1984 - II ZR 221/83, ZIP 1984, 947, 949 f.; ebenso BGHZ 139, 89, 92 für die GmbH). Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Revision nicht darauf an, ob die Zusammenkunft am 29. September 2003 eine Generalversammlung war oder ob den Genossen nur mitgeteilt worden ist, dass keine Generalversammlung stattfinde. Da die Genossen die Möglichkeit haben sollen, sich ein eigenes Urteil über die Abberufung und Kündigung der Vorstandsmitglieder zu bilden, muss ihnen dieser Beschlussgegenstand mit der Einladung gemäß § 46 Abs. 2 GenG bekannt gegeben werden (Schaffland in Lang/Weidmüller, GenG 34. Aufl. § 24 Rdn. 82; Müller, GenG 2. Aufl. § 24 Rdn. 73 a; Beuthien, GenG 14. Aufl. § 24 Rdn. 26; ebenso bezüglich der Anfechtbarkeit eines entsprechenden Beschlusses Sen.Urt. v. 30. November 1961 - II ZR 136/60, WM 1962, 202, 203 für die GmbH und v. 29. Mai 2000 - II ZR 47/99, ZIP 2000, 1336 für eine Sparkasse). Andernfalls würde die Gefahr bestehen, dass einzelne Genossen zu der Generalversammlung nicht erscheinen, wohl aber erschienen wären, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass über das Schicksal des Vorstands entschieden werden soll. Hier war der Beschlussgegenstand "Kündigung des Anstellungsvertrages der Klägerin" in der Einladung nicht aufgeführt. Folglich hat die Generalversammlung erst in der Sitzung vom 28. Oktober 2003 Kenntnis von dem Kündigungsgrund erlangt. Von da an gerechnet ist die Zwei-Wochen-Frist mit der Kündigungserklärung vom 29. Oktober 2003 eingehalten.

b) Die Beklagte muss sich auch nicht ausnahmsweise so behandeln lassen, als ob die Generalversammlung schon vor dem 28. Oktober 2003 Kenntnis von dem Kündigungsgrund hatte. Eine solche Vorverlegung des für die Fristwahrung maßgeblichen Zeitpunkts kommt allerdings in Betracht, wenn der Aufsichtsrat die Versammlung nicht in angemessen kurzer Zeit einberuft, nachdem er selbst Kenntnis von dem Kündigungsgrund erlangt hat (Sen.Urt. v. 18. Juni 1984 aaO; ebenso BGHZ 139, 89, 92 f. für die GmbH). Dem Aufsichtsrat steht aber eine Überlegungsfrist zu. Eine geringfügige Verzögerung der Einberufung der Versammlung ist zudem gerade dann unschädlich, wenn das Vorstandsmitglied schon vorläufig seines Amtes enthoben worden ist und daher nicht darüber im Zweifel sein kann, dass er mit einer endgültigen Abberufung und einer - im Zweifel fristlosen - Kündigung seines Anstellungsvertrages rechnen muss (Sen.Urt. v. 18. Juni 1984 aaO).

Danach ist hier weder zu beanstanden, dass die Generalversammlung am 29. September 2003 keinen neuen Termin für eine außerordentliche Versammlung beschlossen noch dass der Aufsichtsrat die neue Generalversammlung nicht schon am 29. September 2003, sondern erst am 10. Oktober 2003 zum 28. Oktober 2003 einberufen hat. Der Aufsichtsrat durfte den Sachverhalt zunächst nochmals überprüfen, bevor er sich wieder an die Generalversammlung wandte, und die Klägerin war vorläufig des Amtes enthoben und musste deshalb nicht nur mit einer endgültigen Amtsenthebung, sondern auch mit einer fristlosen Kündigung ihres Anstellungsvertrages rechnen.

2. Mit Erfolg wehrt sich die Revision aber dagegen, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen angenommen hat, es liege ein wichtiger Grund i.S. des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages der Klägerin vor.

a) Das Berufungsgericht wirft der Klägerin und dem Mitvorstand O. vor, am 29. September 2003 einen Insolvenzantrag für den kommenden Tag angekündigt zu haben, obwohl noch fünf Tage zuvor in der gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstands ein Sanierungskonzept entwickelt und zudem festgestellt worden sei, dass eine Überschuldung nicht vorliege, und obwohl auch nicht ersichtlich sei, dass eine Überschuldungssituation bereits bestanden habe. Dabei hat das Berufungsgericht möglicherweise die Darlegungs- und Beweislast verkannt, jedenfalls aber an den Vortrag der Beklagten zum Nichtvorliegen einer Überschuldung - wie die Revision zu Recht rügt - zu geringe Anforderungen gestellt.

Darlegungs- und beweisbelastet für das Nichtvorliegen einer Überschuldung ist nach den allgemeinen Regeln die Genossenschaft, wenn sie daraus Rechte herleiten will (zum umgekehrten Fall, dass aus dem Vorliegen einer Insolvenzreife Rechte hergeleitet werden, s. BGHZ 126, 181, 200). Danach ist es hier Sache der Beklagten, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass am 29. September 2003 und längstens drei Wochen zuvor keine Überschuldung vorlag. Auf die Erklärungen in der gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstands kommt es dabei nicht an. Der Vorstand einer Genossenschaft ist nämlich gemäß § 99 Abs. 1 GenG verpflichtet, im Falle der von ihm erkannten Insolvenzreife - hier kam mangels bestehender Nachschusspflicht als Insolvenzgrund die Überschuldung in Betracht (§ 99 Abs. 1 Satz 2, § 98 Nr. 2 GenG) - unverzüglich, spätestens aber nach Ablauf von drei Wochen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Von der Insolvenzantragspflicht kann der Vorstand weder durch den Aufsichtsrat noch durch die Generalversammlung entbunden werden (Schaffland aaO § 99 Rdn. 6; Müller aaO § 99 Rdn. 6, 6 b).

An substanziiertem Vortrag der Beklagten zum Nichtvorliegen einer Überschuldung fehlt es. Die Beklagte hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Überschuldung nur pauschal in Abrede zu stellen. Zu dem Abwertungsbedarf bezüglich des Anlagevermögens "K. ", der nach dem Vortrag der Klägerin wesentlich zu der Überschuldung geführt haben soll, hat sich die Beklagte nicht geäußert. Angesichts dessen ist die Feststellung des Berufungsgerichts, es sei nicht ersichtlich, dass eine Überschuldungssituation bereits bestanden habe, nicht durch Tatsachenvortrag unterlegt.

b) Dass die Klägerin in der gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstands vom 24. September 2003 keinen Widerspruch gegen die Feststellung erhoben hat, es liege keine Überschuldung vor, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ebenfalls nicht die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages. Zum einen haben sich die Klägerin und ihr Mitvorstand O. nach dieser Sitzung von dem ehemaligen Mitglied des Aufsichtsrats, Rechtsanwalt Wo. , über die Rechtslage beraten lassen. Zum anderen hatte der Prüfungsverband - ebenfalls nach der Sitzung - in einem Schreiben vom 26. September 2003 den Zusammenhang zwischen dem zu erwartenden Verkaufserlös für die "K. " und der Überschuldung dargestellt und die Klägerin und ihren Mitvorstand aufgefordert, sich die Bereitschaft der Bank zur Mitwirkung an der Sanierung vor der Mitgliederversammlung schriftlich bestätigen zu lassen. Wenn die beiden Vorstände dann diesem Rat gefolgt sind und erst, als die erwartete Reaktion der Bank ausblieb, eine Überschuldung festgestellt und einen Insolvenzantrag angekündigt haben, kann in dem Schweigen bei der vorangegangenen gemeinsamen Sitzung keine bewusste, eine fristlose Kündigung rechtfertigende Täuschung des Aufsichtsrats gesehen werden.

III. 1. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, damit, ggf. nach ergänzendem Vortrag der Beklagten, die noch erforderlichen Feststellungen zur Überschuldung getroffen werden können. Zwar hat bereits das Landgericht in seinem Beschluss vom 9. Juni 2004 die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie für die tatsächlichen Voraussetzungen der Kündigung darlegungs- und beweispflichtig sei. Es hat dann aber im Widerspruch dazu die Klage abgewiesen, ohne festgestellt zu haben, dass keine Überschuldung vorgelegen hat.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Im Hinblick auf die gravierenden Sanktionen - Strafbarkeit einer, auch nur fahrlässigen, Insolvenzverschleppung gemäß § 148 GenG und Schadensersatzpflicht aus § 34 Abs. 2 GenG und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 99 Abs. 1 GenG - und die Unsicherheit prognostischer Einschätzungen ist dem Vorstand bei der Feststellung der Überschuldung ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen (Senat, BGHZ 126, 181, 199 f. zu § 64 GmbHG; s. auch Sen.Urt. v. 20. Juni 2005 - II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365, 1367 zum umgekehrten Fall der Kündigung des Anstellungsvertrages wegen Nicht-Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens). Keinesfalls darf die Vermögenssituation der Genossenschaft aus der Rückschau beurteilt werden, sondern es ist auf die Erkenntnismöglichkeiten des Vorstands in der konkreten Situation abzustellen.

b) Nach dem Vortrag beider Parteien spricht viel dafür, dass die Beklagte überschuldet war. Zwar wies die von der Klägerin und ihrem Mitvorstand im September 2003 vorgelegte Bilanz keinen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aus. Darin war aber der Grundbesitz "K. " mit einem Buchwert i.H.v. 7,4 Mio. € erfasst. Dieser Grundbesitz sollte nach dem Sanierungskonzept veräußert werden. Der dabei zu erzielende Erlös ist in einem Vermerk des zuständigen Prüfungsverbandes vom 18. August 2003 unter Hinweis auf die Feststellungen der in die Sanierungsplanung eingeschalteten M. GmbH auf 3,0 Mio. € veranschlagt worden. Weiter wird in dem Vermerk ein Abwertungsbedarf für die übrigen zu veräußernden Einzelobjekte i.H.v. 2,2 Mio. € und für den verbleibenden Kernbestand i.H.v. 0,8 Mio. € angegeben, zusammen also 7,4 Mio. €. Daraus wird ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag i.H.v. rund 3,0 Mio. € errechnet und festgestellt: "Es liegt somit eine bilanzielle Überschuldung vor." Ob der Vermerk, wie die als Zeugin vernommene Mitarbeiterin des Prüfungsverbandes Be. ausgesagt hat, nur eine interne Diskussionsgrundlage sein sollte, ist ohne Bedeutung. Denn in der gemeinsamen Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstands der Beklagten vom 24. September 2003, an der auch der Mitarbeiter Ke. der A. Bank teilgenommen hat, ist auf der Grundlage dieser Zahlen das Sanierungskonzept entwickelt worden, nach dem die Bank auf Forderungen i.H.v. 3,0 Mio. € verzichten sollte.

Ob die Zustimmung der A. Bank angesichts vorangegangener Erklärungen wahrscheinlich war, wie die Klägerin selbst vorgetragen hat, spielt für ihre Insolvenzantragspflicht keine Rolle. Spätestens nach Ablauf der dreiwöchigen Antragsfrist muss der Vorstand auch dann Insolvenzantrag stellen, wenn noch erfolgversprechende Sanierungsgespräche geführt werden. Die Dreiwochenfrist ist eine Höchstfrist, die auf keinen Fall überschritten werden darf (Beuthien, GenG 14. Aufl. § 99 Rdn. 4; ebenso Senat, BGHZ 75, 96, 108 zu § 92 AktG).

Ende der Entscheidung

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