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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.2005
Aktenzeichen: II ZR 329/03
Rechtsgebiete: BGB, Brüssel I-VO


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
Brüssel I-VO Art. 5 Nr. 3
a) Für Unterlassungsklagen wegen einer Eigentumsbeeinträchtigung gemäß § 1004 BGB (hier: Eigentumsberühmung), die ein im EU-Ausland wohnender Beklagter im Inland begangen hat und deren Wiederholung droht, sind die deutschen Gerichte international zuständig gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO.

b) Berühmt sich jemand nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern gegenüber außen stehenden Dritten, er sei Eigentümer einer Sache, kann sich der dadurch in seinem Eigentum Betroffene mit der Unterlassungsklage gemäß § 1004 BGB wehren.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 329/03

Verkündet am: 24. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Strohn und Caliebe

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. September 2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, der im Besitz einer bedeutenden Kunstsammlung ist, erwarb im Jahr 1983 das von O. S. im Jahr 1931 gemalte Bild "Rote Mitte" von einer deutschen Galerie, die das Werk im Jahr 1959 im Rahmen einer Auktion in den Vereinigten Staaten ersteigert hatte. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass der Kläger - zumindest durch Ersitzung nach § 937 BGB - Eigentümer des Bildes ist, selbst wenn das Werk dem Künstler während der Zeit des Nationalsozialismus widerrechtlich entzogen worden sein sollte.

Die Mutter des Beklagten gehört zusammen mit der Streithelferin des Klägers zur Erbengemeinschaft O. S. . Der Beklagte, der in Belangen der Erbschaft die Interessen seiner Mutter vertritt, hat in einem als "vertraulich" gekennzeichneten, an einen Kunstverlag gerichteten Schreiben, das den Briefkopf "O. S. Sekretariat und Archiv ..." trägt, geäußert, der "Familiennachlass O. S. " sei Eigentümer des Bildes "Rote Mitte". Der hiervon durch den Kunstverlag unterrichtete Kläger verlangt von dem Beklagten, diese Behauptung zu unterlassen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Vergeblich rügt die Revision im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten in Italien die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die Zuständigkeit für den Unterlassungsanspruch des Klägers folgt aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, der seit dem 1. März 2002 in Kraft ist und daher auf die im August 2002 erhobene Klage Anwendung findet.

a) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) legt den Begriff der "unerlaubten Handlung" und der "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", autonom und sehr weit aus. In diesem Gerichtsstand sind alle Klagen zulässig, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag i.S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (EuGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 - C 167/00, NJW 2002, 3617, 3618, Tz. 36 m.w.Nachw.). Abzugrenzen ist die unerlaubte Handlung ebenso wie die ihr gleichgestellte Handlung von einem Vertrag, d.h. von einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Hierunter fallen daher neben quasi-negatorischen Ansprüchen im Wettbewerbs- und im Immaterialgüterrecht gerade auch Ansprüche aus § 1004 BGB, die eine Schadensentstehung durch Eigentumsbeeinträchtigungen verhindern bzw. zu deren Beseitigung dienen sollen (Rauscher, Europäisches Zivilrecht Art. 5 Brüssel I VO Rdn. 79, 80 m.w.Nachw.).

b) Durch die Formulierung "einzutreten droht" am Ende von § 5 Nr. 3 EuGVVO wird klargestellt, dass die Anwendung der Norm nicht von dem Vorliegen eines Schadens abhängt und daher auch eine vorbeugende Unterlassungsklage unter die Norm fällt (Zöller/Geimer, ZPO 25. Aufl. Anh. I Art. 5 EuGVVO Rdn. 25 m.w.Nachw.). Der EuGH (aaO Tz. 48, 49) hat bereits die Vorgängernorm (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) dahin ausgelegt, dass deren Anwendbarkeit nicht von dem tatsächlichen Vorliegen eines Schadens abhängig sei, obwohl im Text des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ein erst drohender Schadenseintritt nicht aufgeführt war. Der EuGH hat dabei zur Begründung seiner Entscheidung auf den nunmehr geltenden Art. 5 Nr. 3 EuGVVO verwiesen (aaO Tz. 49).

c) Der Senat ist nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG verpflichtet.

Der Vorlage bedarf es dann nicht, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage für den betreffenden Streitfall kein Raum bleibt, wobei das innerstaatliche Gericht einen Fall der Offenkundigkeit nur annehmen darf, wenn es überzeugt ist, dass auch für Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit besteht (EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982 - C-283/81, NJW 1983, 1257, 1258). So liegt es hier. Angesichts der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 1. Oktober 2002 (aaO) ist die erforderliche Offenkundigkeit der Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Unterlassungsklage gegeben.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht in dem Schreiben des Beklagten an den Kunstverlag W. GmbH nicht nur ein schlichtes Bestreiten des Eigentums, das einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB im Allgemeinen nicht auslösen kann (zu weitgehend MünchKomm-BGB/Medicus 4. Aufl. § 1004 Rdn. 29), sondern eine den Kläger beeinträchtigende Eigentumsanmaßung gesehen, der dieser mit einer gegen den Beklagten als Störer gerichteten Unterlassungsklage gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB begegnen kann.

a) In der Äußerung des Beklagten, der Familiennachlass O. S. sei Eigentümer des Bildes, die der Beklagte in seiner Eigenschaft als Interessenvertreter seiner Mutter in der Nachlassangelegenheit unter dem Briefkopf "O. S. Sekretariat und Archiv ..." gegenüber dem Kunstverlag W. GmbH gemacht hat, liegt eine das Eigentum des Klägers beeinträchtigende Eigentumsberühmung. Gerade in Kunstkreisen ist eine derartige Äußerung geeignet, den Kläger in seinen Rechten gemäß § 903 BGB, mit dem Bild nach seinem Belieben zu verfahren, nachhaltig zu beeinträchtigen.

Entgegen der Ansicht der Revision steht der Annahme einer Eigentumsberühmung nicht entgegen, dass der Beklagte nicht geltend macht, selbst Eigentümer des Bildes zu sein, sondern diese Rechtsberühmung zugunsten des Nachlasses ausgesprochen hat, an dem er nicht beteiligt ist. Nimmt der Handelnde, wie hier, das Eigentum zugunsten konkreter, namentlich benannter Personen in Anspruch, mit denen er nicht nur familiär eng verbunden ist, sondern deren Eigentumsrechte er zudem nach Außen vertritt, beeinträchtigt dies das Recht des wahren Eigentümers ebenso, als wenn er sich das Eigentum selbst angemaßt hätte.

b) Zu Unrecht meint die Revision, eine derartige Rechtsberühmung begründe keinen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB. Zwar kann sie sich hierfür auf Stimmen im Schrifttum berufen (Soergel/Mühl, BGB 12. Aufl. § 1004 Rdn. 30; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB § 1004 Rdn. 38; Palandt-Bassenge, BGB 64. Aufl. § 1004 Rdn. 11 jeweils m.w.Nachw.). Diesen ist das Berufungsgericht aber mit Recht nicht gefolgt. Nach dessen zutreffender Ansicht löst nicht jede Berühmung einen Abwehranspruch aus; wohl aber kann der Eigentümer derartige die dingliche Rechtslage falsch darstellende Äußerungen verbieten lassen, die gegenüber Dritten fallen (s. hierzu Staudinger/Gursky, BGB [1999] § 1004 Rdn. 31; Bauer/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. § 12 Rdn. 6). Denn dadurch wird er nicht nur unmittelbar in seiner Eigentümerstellung betroffen, er kann die Beeinträchtigung auch nicht anders als durch eine Unterlassungsklage verhindern. Mit einer gegenüber dem Störer erhobenen Feststellungsklage könnte er weiteren Rechtsberühmungen nicht wirksam entgegenwirken.

c) Unentschieden bleiben kann entgegen der Ansicht der Revision, ob es sich bei der Äußerung des Beklagten um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt. Angesichts des Eigentums des Klägers wäre, wie aus Art. 5 Abs. 2 GG folgt, eine das Eigentum beeinträchtigende Äußerung auch vom Recht auf Meinungsfreiheit nicht umfasst.

Ende der Entscheidung

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