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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.03.2004
Aktenzeichen: II ZR 415/02
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 415/02

Verkündet am: 22. März 2004

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Gehrlein

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte, ein Architekt, war Geschäftsführer der im Jahre 1999 in Insolvenz gefallenen A. G. mbH (A. GmbH), die sich mit der Errichtung und dem Verkauf von Wohnungen befaßte. Zu dem Aufgabenbereich des Beklagten gehörte nach seinem Geschäftsführervertrag die Überwachung der Leistungen der Fachingenieure.

Die Klägerin ist Verwalterin einer Wohnungsanlage, die von der A. GmbH als Bauträgerin in den Jahren 1994/95 erbaut worden war. Nach Behauptung der Klägerin haften dem Gebäude Mängel an, die auf einer Verletzung der Bauaufsicht durch den Beklagten beruhen. Die A. GmbH stellte den Beklagten durch Schreiben vom 30. August 1994 von jeglichen Schadensersatzansprüchen aus seiner Geschäftsführertätigkeit frei, die über den Höchstbetrag der von ihm abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherung hinausgehen. Am 29. Mai/18. Juni 2001 trat der Insolvenzverwalter der A. GmbH die aus dem Bauvorhaben gegen den Beklagten begründeten Ansprüche, für die bei dessen Haftpflichtversicherer Deckungsschutz besteht, an die Klägerin ab.

Die auf Zahlung von 137.789,56 € (269.492,67 DM) gerichtete Klage blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Der Berufung der Klägerin steht nicht die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung geforderte Zulässigkeitsvoraussetzung entgegen, daß der in erster Instanz erhobene Klageanspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt wird, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klageabweisung also in Frage gestellt und nicht nur im Wege der Klageänderung ein neuer, bisher nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird (BGHZ 140, 335, 338; BGH, Urt. v. 11. Oktober 2000 - VIII ZR 321/99, NJW 2001, 226; BGH, Beschl. v. 21. September 1994 - VIII ZB 22/94, NJW 1994, 3358 f. jeweils m.w.N.). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin, was die Revisionserwiderung zu Unrecht in Abrede stellt, auch die Beseitigung der in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt.

Die Klägerin hat eingangs der Berufungsbegründung gerügt, das Landgericht habe die zwischen ihr und der A. GmbH am 8. Januar 1999 geschlossene Abtretungsvereinbarung, durch die sie die Klageforderung erworben habe, unrichtig ausgelegt. Tatsächlich erstrecke sich die Abtretung auch auf Ansprüche gegen den Beklagten wegen fehlerhafter Bauleitertätigkeit. Falls die Abtretungsvereinbarung vom 8. Januar 1999 ins Leere gehe, stehe ihr der geltend gemachte Anspruch nach Maßgabe der mit dem Insolvenzverwalter am 29. Mai/18. Juni 2001 ausbedungenen Abtretung zu. Damit hat die Klägerin den erstinstanzlich geltend gemachten, auf die Abtretungsvereinbarung vom 8. Januar 1999 gegründeten Anspruch auch im Berufungsrechtszug verfolgt. Die Klägerin war prozessual nicht gehindert, den Anspruch hilfsweise auf die mit dem Insolvenzverwalter am 29. Mai/18. Juni 2001 getroffene Abtretungsvereinbarung zu stützen.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat die Klage daran scheitern lassen, daß der Beklagte nach der ihm erteilten Haftungsfreistellung vom 30. August 1994 nur insoweit hafte, als die Architektenhaftpflichtversicherung für den Schaden eintrete, im übrigen nicht. Nachdem die Versicherung aber im gegebenen Fall zu Recht oder zu Unrecht nicht eintrete, könne die A. GmbH von dem Beklagten keinen Schadensersatz verlangen und demgemäß auch die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch gegen ihn erwerben. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

2. a) Wie die Revision zu Recht geltend macht, ergeben sich aus dem Wortlaut der Erklärung keine Anhaltspunkte, die die Auslegung des Berufungsgerichts tragen könnten. Nach dem Wortlaut der Haftungsfreistellung sollte die Haftung des Beklagten lediglich für solche Ansprüche ausgeschlossen sein, die über den Höchstbetrag seiner Haftpflichtversicherung hinausgehen. Wenn das Berufungsgericht seine vom Wortlaut nicht gestützte Auslegung auf die übereinstimmenden Bekundungen der Parteien des Rechtsstreits über die Bedeutung der Freistellungserklärung stützt, so verkennt es, daß solche Bekundungen ungeeignet sind, den Inhalt einer nicht zwischen den Parteien des Rechtsstreits, sondern dem Beklagten und einem Dritten (der A. GmbH) getroffenen Vereinbarung zu ermitteln.

b) Dies schließt allerdings die Möglichkeit nicht aus, daß die Klägerin einem entsprechenden Vortrag des Beklagten zu einem übereinstimmenden Verständnis der vertragsschließenden Parteien zugestimmt und damit für den zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit unstreitig gestellt haben kann.

Eine solche den Vertragsinhalt im Sinne des Verständnisses des Beklagten unstreitig stellende übereinstimmende Erklärung der Prozeßparteien hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Es beruft sich lediglich auf eine übereinstimmende Bekundung der Prozeßparteien, wonach der Beklagte nur insoweit haften sollte, als die Architektenhaftpflicht eintritt. Dies aber läßt die entscheidende Frage, ob die Haftungsbefreiung auch schon bei einer unberechtigten Weigerung der Versicherung entfallen sollte, gerade offen. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, durch Nachfrage an die Parteien den der Haftungsbefreiung übereinstimmend beigemessenen Inhalt festzustellen.

3. Auch wenn der Beklagte nach dem Ergebnis der erneuten Berufungsverhandlung schon im Falle einer unberechtigten Deckungsverweigerung in den Genuß einer Haftungsfreistellung kommen sollte, bedürfte es weiterer Prüfung, ob die Haftpflichtversicherung des Beklagten tatsächlich eine Regulierung ablehnt. Das Berufungsgericht ist in dem angefochtenen Urteil verfahrensfehlerhaft zur Annahme einer Deckungsverweigerung gelangt.

a) Der Beklagte hat sich erstmals mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2001 darauf berufen, daß seine Haftpflichtversicherung eine Übernahme des Vergleichsbetrages unter Hinweis auf die im Innenverhältnis zu der bauausführenden Firma in aller Regel mit 0 anzusetzenden Haftung des überwachenden Architekten abgelehnt habe. Aus dieser Sachdarstellung hat das Berufungsgericht eine fehlende Deckungsbereitschaft des Haftpflichtversicherers hergeleitet. Der Schriftsatz durfte aber, weil die mündliche Verhandlung bereits am 5. Dezember 2001 geschlossen und dem Beklagten kein Schriftsatznachlaß eingeräumt worden war, bei der Urteilsfindung - wie die Revision zutreffend beanstandet - nicht berücksichtigt werden (§ 296 a ZPO). Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nach der letzten mündlichen Verhandlung vorgebracht werden, gehören nicht zu dem im jeweiligen Rechtszug beachtlichen Prozeßstoff, wenn das Gericht von einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung absieht (BGH, Urt. v. 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134; BGH, Urt. v. 10. Juli 1979 - VI ZR 223/78, NJW 1979, 2109 f.).

b) Ferner hat es das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft versäumt, dem durch Zeugenbeweis unterlegten Vorbringen der Klägerin, wonach zugunsten des Beklagten bei der G. bank tatsächlich Versicherungsschutz besteht, nachzugehen. Die Zurückverweisung der Sache gibt der Klägerin Gelegenheit zur Präzisierung, ob der Zeuge benannt wurde, (nur) um einen den konkreten Schadensfall objektiv abdeckenden, rechtswirksamen Versicherungsschutz, eine (auch) tatsächlich bestehende Regulierungsbereitschaft des Versicherers oder beide Tatsachen unter Beweis zu stellen.

3. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die nach den obigen Ausführungen notwendigen Feststellungen treffen und, falls es erforderlich werden sollte, auch den dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen nachgehen kann.



Ende der Entscheidung

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