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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.2000
Aktenzeichen: II ZR 64/99
Rechtsgebiete: AktG 1965
Vorschriften:
AktG 1965 § 302 | |
AktG 1965 § 303 |
Zur Möglichkeit des Einzelausgleichs einer Nachteilszufügung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern, wenn eine abhängige Gesellschaft im Stadium der Unterbilanz gegenüber einem anderen Konzernunternehmen auf einen Befreiungs- oder Aufwendungsersatzanspruch hinsichtlich einer eigenen Verbindlichkeit im Konzerninteresse verzichtet und dadurch ihren Gläubiger nicht mehr befriedigen kann.
BGH, Urteil vom 2. Oktober 2000 - II ZR 64/99 - OLG München LG Kempten (Allgäu)
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 2. Oktober 2000
Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenat in Augsburg, vom 28. Januar 1999 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 21. Juli 1998 teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der I. GmbH (nachfolgend: I. GmbH) und war dies ab Dezember 1992 auch bei der N. Gesellschaft für M. mbH (nachfolgend: N. GmbH). Da die I. GmbH beabsichtigte, als Bauträger ein Wohn-, Gesundheits- und Operationszentrum zu errichten, beauftragte sie die N. GmbH mit der Erstellung eines Vertriebskonzepts. Diese beauftragte ihrerseits in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 den Kläger, die vertraglichen Grundlagen für einen Vertrieb durch einen geschlossenen Immobilienfond zu erstellen. Der Kläger verlangte für den Entwurf mehrerer Verträge und die Teilnahme an Finanzierungsgesprächen von der N. GmbH - unter Berücksichtigung einer Abschlagszahlung von 13.800,-- DM - ein Resthonorar von 143.719,64 DM und erwirkte hierüber ein Urteil des Oberlandesgerichts M. vom 26. April 1996, das - infolge der Verwerfung der Revision der N. GmbH - seit dem 20. März 1997 rechtskräftig ist. Vollstreckungsversuche des Klägers in das Vermögen der N. GmbH blieben bereits im Jahre 1996 erfolglos. Am 15. März 1997 beschloß der Beklagte die Liquidation der N. GmbH. Auf Betreiben des Klägers gab er am 27. März 1997 für diese die eidesstattliche Versicherung ab; dabei erklärte er u.a., daß die N. GmbH ihren Geschäftsbetrieb seit Anfang 1996 vollständig eingestellt habe, vermögenslos sei und keine Außenstände habe. Ein Antrag der N. GmbH vom 3. April 1997 auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde durch Beschluß des Amtsgerichts K. vom 14. Mai 1997 mangels Masse abgelehnt. Einen am 17. Juli 1997 erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, durch den ein angeblicher Aufwendungsersatzanspruch der N. GmbH gegen die I. GmbH hinsichtlich des Anwaltshonorars gepfändet worden war, hat der Kläger nicht mehr weiterverfolgt, nachdem beide Gesellschaften erklärt hatten, die Forderung sei bei ihnen nicht verbucht und existiere nicht. Mit der Klage hat der Kläger den Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern auf Zahlung des im Vorprozeß mit der N. GmbH ausgeurteilten Anwaltshonorars von 143.719,64 DM und der festgesetzten Prozeßkosten von 11.572,22 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage wegen des Anwaltshonorars stattgegeben, sie jedoch hinsichtlich der Prozeßkosten abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage insgesamt.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß der Beklagte dem Kläger nach den Grundsätzen der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern für die Begleichung seiner Anwaltshonorarforderung gegen die N. GmbH einzustehen habe. Der Beklagte sei im Zeitpunkt des Fälligwerdens des Honoraranspruchs aufgrund seiner Rechtsstellung als Alleingesellschafter und Geschäftsführer sowohl der I. GmbH als auch der N. GmbH Konzernherr beider Gesellschaften gewesen. Er habe seine Herrschaftsmacht dadurch mißbraucht, daß er zugunsten der I. GmbH auf einen der N. GmbH gegen diese zustehenden Anspruch auf Aufwendungsersatz im Umfang des Anwaltshonorars verzichtet und dadurch bewirkt habe, daß die N. GmbH ihren Verbindlichkeiten gegenüber dem Kläger nicht mehr habe nachkommen können. Der der N. GmbH zugefügte Nachteil könne durch Einzelausgleichsmaßnahmen nicht mehr behoben werden; infolge des Erlasses habe die N. GmbH keine Möglichkeit mehr, den Aufwendungsersatzanspruch gegen die I. GmbH geltend zu machen. Diese Beurteilung hält nicht in allen Punkten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
II. 1. Im Ansatz zutreffend legt allerdings das Berufungsgericht seiner Würdigung die vom Senat entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern zugrunde. Danach haftet der eine GmbH beherrschende Gesellschafter, der sich auch außerhalb dieser Gesellschaft unternehmerisch betätigt, entsprechend den §§ 302, 303 AktG, wenn er die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt, ohne daß sich der ihr insgesamt zugefügte Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren ließe (vgl. Sen.Urt. v. 25. November 1996 - II ZR 352/95, ZIP 1997, 416 im Anschluß an BGHZ 122, 123 - TBB - m.w.N.).
Rechtsbedenkenfrei bejaht das Oberlandesgericht die Unternehmereigenschaft des Beklagten im Sinne der §§ 15 ff. AktG, da dieser auf der Grundlage seiner Stellung als Alleingesellschafter und Geschäftsführer der N. GmbH und der I. GmbH konzernrechtliche Leitungsmacht über diese Gesellschaften ausübte (vgl. Senat aaO, ZIP 1997, 416, 417). Dem Berufungsgericht kann auch noch darin gefolgt werden, daß es einen objektiven Mißbrauch von Konzernleitungsmacht, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der beherrschten Gesellschaft nimmt, darin sieht, daß der Beklagte - als Geschäftsführer für beide Gesellschaften handelnd - der I. GmbH den ihr gegenüber bestehenden Befreiungs- bzw. Aufwendungsersatzanspruch der N. GmbH (§§ 670, 257 BGB) hinsichtlich des Anwaltshonorars des Klägers erlassen hat; die Feststellungen des Tatrichters zum Zustandekommen eines Erlaßvertrages im Sinne des § 397 BGB, die sich auf den wesentlichen Inhalt der vom Beklagten für die N. GmbH abgegebenen eidesstattlichen Offenbarungsversicherung, sein Verhalten anläßlich der vergeblichen Vollstreckungsversuche des Klägers sowie die Erklärungen bei der Zurückweisung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses stützen, sind frei von revisiblen Rechtsfehlern. Gleiches gilt für die Feststellung des Nachteils, der darin liegt, daß die N. GmbH infolge des im Konzerninteresse ausgeübten Verzichts auf den Befreiungs- und Aufwendungsersatzanspruch gegenüber der I. GmbH ihre Verbindlichkeiten in Form der Resthonorarschuld gegenüber dem Kläger nicht erfüllen kann.
2. Gleichwohl hat die Annahme einer Haftung des Beklagten aus qualifiziert faktischem Konzern keinen Bestand, weil sich der der N. GmbH zugefügte Nachteil - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren läßt. Der N. GmbH steht nämlich insoweit wegen Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot des § 30 GmbHG ein Anspruch gemäß § 31 GmbHG gegen die I. GmbH auf Wiederbegründung der erlassenen Verbindlichkeit zu (BGHZ 95, 188, 193). Da die N. GmbH nicht nur durch Vorschußzahlung an den Kläger schon teilweise Aufwendungen getätigt hat, sondern darüber hinaus der Vollstreckung der im übrigen titulierten Resthonorarschuld ausgesetzt ist, kann sie insgesamt unmittelbar Zahlung von der I. GmbH verlangen (vgl. BGHZ 95, 188, 193). Das Bestehen einer Unterbilanz im Sinne der §§ 30, 31 GmbHG in dem für den verbotenen Verzicht nach Aktenlage in Betracht kommenden Zeitraum zwischen dem 26. April 1996 (Erlaß des Berufungsurteils im Vorprozeß) und dem 27. März 1997 (Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) ergibt sich zweifelsfrei aus den Gesamtumständen: Nach eigenem Vorbringen des Beklagten war die N. GmbH aufgrund ihrer sonstigen geschäftlichen Inaktivität bereits bei Beauftragung des Klägers nicht in der Lage, dessen erhebliche Honorarforderung - mit Ausnahme der relativ geringen Anzahlung - aus eigenen Mitteln aufzubringen; schon im Jahre 1991 bestand bei einem Jahresverlust von 2.461,-- DM eine Unterbilanz; dementsprechend blieben sämtliche Vollstreckungsversuche des Klägers im Jahre 1996 erfolglos, so daß der Beklagte anläßlich der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erklären mußte, daß das Stammkapital nicht mehr vorhanden sei, und schließlich die Eröffnung des Konkurses mangels Masse abgelehnt werden mußte. Die I. GmbH ist als abhängiges Unternehmen in dem vom Beklagten beherrschten faktischen Konzern (§ 18 AktG) wegen der relevanten Nähe zum Gesellschafter nicht nur als Empfänger der Vorteilsgewährung im Sinne des § 30 GmbHG anzusehen, sondern auch Schuldner des Rückgewähranspruchs der N. GmbH gemäß § 31 GmbHG (Sen.Urt. v. 13. November 1995 - II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 m.w.N.). Dieser Rückgewähranspruch der N. GmbH kann als Einzelforderung vom Kläger nach Pfändung und Überweisung verfolgt werden.
3. Da die nur auf die Grundsätze der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern gestützte Klage endgültig abweisungsreif ist, kann der Senat diese Entscheidung in der Sache selbst treffen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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