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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: III ZB 26/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 233 Fc | |
ZPO § 233 Fd |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 13. September 2007
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm, Dörr und Wöstmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 6. März 2007 - 12 U 252/06 - wird auf ihre Kosten verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 118.721,96 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat mit dem am 22. November 2006 verkündeten Urteil die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 118.721,96 € nebst Zinsen sowie außergerichtliche Kosten zu zahlen. Gegen das ihr am 24. November 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt, diese aber nicht innerhalb der am 24. Januar 2007 abgelaufenen Frist begründet.
Vom Oberlandesgericht auf den Fristablauf aufmerksam gemacht, hat die Beklagte mit einem am 2. Februar 2007 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und zugleich die Berufung begründet.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte vorgetragen und glaubhaft gemacht:
Die in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten zuständige Mitarbeiterin K. habe im Fristenkalender den Fristablauf für die Berufungsbegründung auf den 24. Januar 2007 und die Vorfristen auf den 16. sowie den 23. Januar 2007 notiert. Die Fristenkontrolle sei so ausgestaltet, dass jeden Morgen jede Sekretärin für die Rechtsanwälte, für die sie zuständig sei, eine Kopie aus dem Fristenbuch erhalte, in dem die jeweiligen Fristen mit gelbem Marker hervorgehoben seien. Am Abend sammle Frau K. diese Fristenzettel wieder ein und kontrolliere, dass die jeweils zuständige Sekretärin die entsprechenden Fristen als "bearbeitet" gekennzeichnet habe. Für den sachbearbeitenden Rechtsanwalt sei die ausgebildete Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte B. zuständig. Dieser würden gemäß dem in der Kanzlei üblichen Arbeitsablauf die Fristakten vorgelegt; sie prüfe die jeweilige Frist, veranlasse erforderlichenfalls Nachfragen und lege die zu bearbeitende Akte dem Rechtsanwalt unter Hinweis auf die jeweilige Frist vor. Frau B. habe weder die Akten dieses Rechtsstreits zum Ablauf der Vorfristen dem Rechtsanwalt vorgelegt noch diesen am 24. Januar 2007 auf den drohenden Fristablauf hingewiesen. Das sei nur damit zu erklären, dass sie bereits am 16. Januar 2007 die Akte geprüft, dabei die "Berufungslasche" übersehen habe und daher davon ausgegangen sei, dass in diesem Fall keine Berufung eingelegt worden sei und damit die Frist gegenstandslos geworden sei.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGHZ 161, 86, 87 m.w.N.), nicht erfüllt sind.
1. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
a) Dieser Zulassungsgrund ist zunächst in den Fällen einer Divergenz gegeben, wenn also die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung eines höheren oder gleichrangigen Gerichts abweicht. Eine solche Abweichung liegt vor, wenn die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage in den tragenden Gründen anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Vergleichsentscheidung tragenden Rechtssatz abweicht (BGHZ 154, 288, 292 f; BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - NJW-RR 2003, 1366, 1367 unter II 1; jew. m.w.N.).
Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht einen von einer Vergleichsentscheidung abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Insbesondere ist es nicht von dem anerkannten Grundsatz abgewichen, dass der Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen darf (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2002 - III ZB 23/02 - NJW-RR 2003, 276 unter II 2 b; BGH, Beschlüsse vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - NJW-RR 2001, 1072, 1073 unter II; vom 2. April 2003 - VIII ZB 117/02 - NJW-RR 2003, 1211 unter II 2 a; jew. m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt, dass die Partei das Verschulden einer Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten hat, wenn die einzelnen Schritte der Fristenkontrolle eindeutig zugewiesen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2006 - II ZB 1/05 - NJW 2006, 1520, 1521 unter II 2 a Rn. 5; vom 17. Januar 2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 unter II 1 Rn. 12 f). Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten der Beklagten angelastet, bei der Organisation ihrer Fristenkontrolle keine ausreichenden Vorkehrungen gegen das versehentliche Streichen von unerledigten Fristen getroffen zu haben.
b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann erforderlich, wenn das Beschwerdegericht bei der Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verfahrensgrundrechte verletzt hat (BGHZ 151, 221, 226 m.w.N.).
aa) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG, NJW-RR 2002, 1004 unter B I 1; BGHZ 151, 221, 227; BGH, Beschluss vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192; jew. m.w.N.). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (BVerfG, NJW-RR 2002 aaO; NJW 2004, 2583, 2584 unter III 2 a; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 77/05 - NJW 2006, 2638 unter II Rn. 3; jew. m.w.N.).
bb) Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Organisationspflicht in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.
(1) Es hat die von der Beklagten begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt, dass nicht ersichtlich sei, welche Vorkehrungen in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten getroffen worden seien, um zu verhindern, dass die zuständige Angestellte eine Frist irrtümlich als erledigt kennzeichne. Die Mitarbeiterin K. nehme keine eigenständige Fristenkontrolle vor. Wie die jeweils zuständige Sekretärin die Einhaltung der Fristen kontrolliere, habe die Beklagte nicht dargelegt. Die Rechtsanwaltsangestellte B. habe offensichtlich sowohl am 23. Januar 2007 als auch am Tag des Fristablaufs am 24. Januar 2007 die jeweiligen Fristen im Fristenkalender gestrichen, ohne sich die Akte nochmals anzusehen.
(2) Damit hat das Berufungsgericht die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltenden Maßstäbe der Ausgangskontrolle eingehalten.
(a) Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschluss vom 14. März 1996 - III ZB 13/96 - VersR 1996, 1298; Senatsurteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577, 1578 unter II 1; BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2000 - XI ZB 9/00 - BGHR ZPO Ausgangskontrolle 14; vom 9. November 2005 aaO unter 2; vom 23. Mai 2006 aaO Rn. 5; jeweils m.w.N.). Die Ausgangskontrolle setzt, wie bereits dem Begriff Kontrolle zu entnehmen ist, eine nochmalige, selbständige Prüfung voraus (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413 unter II 2 b Rn. 13 m.w.N.).
(b) Dass eine solche selbständige und abschließende Prüfung der Fristen im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten durchgeführt wird, hat die Beklagte nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Die für den Fristenkalender zuständige Mitarbeiterin K. nimmt am Abend eines jeden Tages keine eigenständige Kontrolle der Fristsachen vor, sondern verlässt sich auf die Bearbeitungsvermerke der für die einzelnen Rechtsanwälte zuständigen Sekretärinnen. Wie diese die Einhaltung der Fristen zu überprüfen haben, hat die Beklagte nicht dargetan. Die allgemeine Anweisung, dass die Fristakten dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt schon zu den Vorfristen vorgelegt werden sollen und die Sekretärin am Tag des Fristablaufs nochmals darauf hinweisen soll, genügt nicht für eine wirksame Fristenkontrolle. Vielmehr muss, wie bereits dargelegt, sichergestellt sein, dass eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet wird, wenn der fristwahrende Schriftsatz gefertigt und abgesandt oder zumindest dafür Sorge getroffen worden ist, dass das Schriftstück tatsächlich hinausgeht. Eine darauf bezogene organisatorische Anweisung lässt sich weder der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs noch der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten B. entnehmen.
2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderlich. Diese kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungerhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind (BGHZ 151, 221, 223; 154, 288, 291; jew. m.w.N.).
Keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung hat die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob ein Rechtsanwalt es als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn ihm eine Akte trotz ordnungsgemäß im Fristenkalender eingetragener Berufungsbegründungsfrist und zwei ordnungsgemäß eingetragener Vorfristen an keinem dieser Fristtage vorgelegt wird, weil die zuständige Fachkraft versehentlich davon ausgeht, dass eine Berufung in dieser Sache überhaupt nicht eingelegt worden sei. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht allein die rechtzeitige Vorlage von Fristakten an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt nicht aus. Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob ein anwaltliches Organisationsverschulden vorliegt, wenn die Fristenkontrolle dergestalt organisiert ist, dass am Morgen eines jeden Tages jede Sekretärin für die Rechtsanwälte, für die sie zuständig ist, eine Kopie aus dem Fristenbuch erhält und am Abend eine weitere Mitarbeiterin die Fristenzettel wieder einsammelt und darauf kontrolliert, dass die jeweilige Sekretärin die entsprechenden Fristen als "bearbeitet" gekennzeichnet hat.
Unabhängig von der Ausgestaltung der Fristenkontrolle im Einzelnen ist entscheidend die - hier fehlende - Prüfung, ob fristwahrende Schriftsätze gefertigt und zuverlässig auf den Postweg gebracht worden sind.
Ende der Entscheidung
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