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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2005
Aktenzeichen: III ZR 148/05
Rechtsgebiete: Schl.H. LVwG, BGB


Vorschriften:

Schl.H. LVwG § 220
Schl.H. LVwG § 221
Schl.H. LVwG § 223 Abs. 1 Satz 2
BGB § 278
Zum (hier: vom Tatrichter verneinten) "unmittelbaren Zusammenhang" zwischen der Einweisung eines bisherigen Mieters in die von ihm genutzte Wohnung und von diesem in der Wohnung angerichteten Schäden (im Anschluss an BGHZ 131, 163).

Die Einweisung eines Obdachlosen in eine private Wohnung begründet zwischen der Einweisungsbehörde und dem Eigentümer keine Rechtsbeziehung der Art, dass die Behörde das Verschulden des Eingewiesenen als ihres Erfüllungsgehilfen zu vertreten hätte, wenn dieser durch unsachgemäßen Gebrauch der Wohnung oder mutwillig Schäden anrichtet.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

III ZR 148/05

vom 21. Dezember 2005

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Galke und Dr. Herrmann

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. Juni 2005 - 11 U 154/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Streitwert: 27.966,43 €

Gründe:

I.

Der Kläger hatte seine Eigentumswohnung an die Eheleute D. mit mehreren Kindern vermietet, jedoch Anfang August 2001 wegen Zahlungsrückständen der Mieter die fristlose Kündigung des Mietvertrages erklärt. Daraufhin wies das Ordnungsamt der beklagten Stadt mit Verfügung vom 29. August 2001 im Einvernehmen mit dem Kläger - unter Festsetzung einer vom Ordnungsamt zu tragenden monatlichen Nutzungsvergütung - die Mieter zur Abwendung einer Obdachlosigkeit in ihre bisherige Wohnung ein. Die bis zum 30. November 2001 befristete Einweisung verlängerte die Beklagte durch Bescheid vom 28. November 2001 bis zum 30. Juni 2002 und mit Verfügung vom 27. Juni 2002 nochmals über diesen Zeitpunkt hinaus. Anfang September 2002 zogen die Eheleute D. aus der Wohnung aus.

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Entschädigung für die Schäden, die die früheren Mieter nach ihrer Einweisung durch unsachgemäßen Gebrauch der Wohnung und bei ihrem Auszug angerichtet hätten. Er hat außerdem die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz desjenigen Schadens begehrt, der ihm dadurch entstanden sei, dass ein von ihm mit einem Dritten am 15. Juli 2002 - zu einem erhöhten Mietzins - abgeschlossener Mietvertrag über die Wohnung wegen der (nochmaligen) Einweisung der Eheleute D. nicht habe vollzogen werden können. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen.

II.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

1. Wird, wie im Falle der Einweisung eines Obdachlosen in eine private Wohnung, zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ein Nichtstörer durch die Ordnungsbehörde in Anspruch genommen (in Schleswig-Holstein: nach § 220 des Landesverwaltungsgesetzes - LVwG), so kann der in Anspruch Genommene Entschädigung für den ihm hierdurch entstandenen Schaden verlangen. Für entgangenen Gewinn, der über den Ausfall des gewöhnlichen Verdienstes oder Nutzungsentgelts hinausgeht, und "für Vermögensnachteile, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der zu entschädigenden Maßnahme stehen", ist jedoch nach § 223 Abs. 1 Satz 2 LVwG eine Entschädigung nur zu leisten, wenn und soweit dies zur Abwendung unbilliger Härten geboten erscheint.

a) Zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 2 des Nordrhein-Westfälischen Ordnungsbehördengesetzes hat der Senat (BGHZ 131, 163, 166 ff) ausgesprochen: Der Begriff der "Unmittelbarkeit" hat bei der Bemessung des Umfangs der geschuldeten Entschädigung eine ähnliche Abgrenzungsfunktion für die Zurechnung wie das Erfordernis der Unmittelbarkeit der behördlichen Einwirkungen auf eine Rechtsposition des Betroffenen, wenn es um die Haftung aus enteignendem oder aus enteignungsgleichem Eingriff oder wegen einer rechtswidrigen ordnungsbehördlichen Maßnahme geht. In diesem Zusammenhang wird das Kriterium der Unmittelbarkeit nicht in einem formalen Sinne verstanden, sondern es betrifft die Zurechenbarkeit der hoheitlichen Maßnahme; nötig ist ein innerer Zusammenhang mit dieser Maßnahme, d.h. es muss sich eine besondere Gefahr verwirklichen, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt ist. In diesem Sinne ist das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit ein Kriterium für die wertende Zurechnung der Schadensfolge nach Verantwortlichkeiten und Risikosphären.

In diesem Urteil (BGH aaO S. 167 f) hat der Senat weiter ausgesprochen, bei der Einweisung eines bisherigen Mieters sei das Verhältnis zwischen diesem und dem Eigentümer typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass der bisherige Mieter und Eingewiesene sich als zahlungsunfähig oder -unwillig erwiesen, der Eigentümer deshalb das Mietverhältnis gekündigt, einen Räumungstitel erwirkt, anschließend die Vollstreckung der Räumung in die Wege geleitet habe und erst durch die im letzten Augenblick ergangene Einweisungsverfügung der Ordnungsbehörde daran gehindert worden sei, die Wohnung frei zu bekommen und den bisherigen Mieter "loszuwerden". Es liege auf der Hand, dass derartige Abläufe zu erheblichen Spannungen im Verhältnis (bisheriger) Vermieter/Mieter führten und dass sich mit solchen Spannungen - vor dem Hintergrund des zwischen den bisherigen Mietparteien nunmehr bestehenden vertragslosen Zustandes - situationsbedingt das Risiko eines unsachgemäßen Gebrauchs bis hin zur mutwilligen Beschädigung der Wohnung verbinde. Im Ergebnis ist der Bundesgerichtshof in dem dortigen Fall davon ausgegangen, dass sich mit den an der Wohnung angerichteten Schäden besondere, durch die behördliche Einweisung begründete Gefahren ausgewirkt hätten und die Schäden bei wertender Beurteilung unmittelbare Folgen der Einweisungsmaßnahme der Behörde seien.

b) Wenn demgegenüber das Berufungsgericht im Streitfall unter Feststellung eines von der erwähnten typischen Fallgestaltung abweichenden Sachverhalts - wonach bei Erlass der Einweisungsverfügung zwar eine Kündigung wegen Mietrückständen ausgesprochen war, jedoch weder ein Räumungsprozess stattgefunden hatte noch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Gang gesetzt worden waren und weitere Umstände dafür sprachen, dass das Verhältnis zwischen dem Kläger und den Eheleuten D. insgesamt "in Ordnung" war - in einer sich von BGHZ 131, 163 abgrenzenden wertenden Beurteilung die "Unmittelbarkeit" der nach dem Klägervortrag von den Eingewiesenen angerichteten Schäden verneint hat, so bewegt sich dies in dem dem Tatrichter grundsätzlich gegebenen Beurteilungsspielraum. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde dies angreift, versucht sie vergeblich, einen Revisionszulassungsgrund darzulegen. Ein Anlass, in diesem Zusammenhang über die genannte BGH-Entscheidung hinaus weitere allgemeine Leitlinien für die Beurteilung aufzustellen, besteht nicht.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde führt als klärungsbedürftige Grundsatzfrage an, ob es im vorliegenden Zusammenhang neben dem Entschädigungsanspruch des Nichtstörers (§§ 221, 223 LVwG) noch eine weitere Anspruchsgrundlage für den von der Wohnungseinweisung betroffenen Eigentümer gibt, nämlich eine schuldrechtliche oder schuldrechtsähnliche Sonderbeziehung zwischen der Beklagten (Einweisungsbehörde) und dem Kläger (Eigentümer) unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 278 BGB (Einstandspflicht der Einweisungsbehörde für das Verschulden der Eingewiesenen). Auch hieraus ergibt sich kein Revisionszulassungsgrund. Der Senat hat die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage zwar in BGHZ 131, 163, 165 ausdrücklich offen gelassen, sie ist indessen - und zwar auch und gerade im Hinblick auf die aus diesem Urteil folgende Reichweite des polizeirechtlichen Entschädigungsanspruchs des in Anspruch genommenen Nichtstörers - (eindeutig) zu verneinen. Da im Übrigen die Nichtzulassungsbeschwerde selbst keine in diese Richtung gehenden Stimmen zu benennen vermag und auch keine durchgreifenden Argumente für eine solche Ansicht anführt, fehlt es insgesamt an einer - weiteren - Klärungsbedürftigkeit.

Zwar besteht aufgrund der zwangsweisen Heranziehung des Eigentümers eine polizeirechtliche Sonderbeziehung zwischen Einweisungsbehörde und Eigentümer, die man als verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis bezeichnen kann (März JR 1998, 111, 113; vgl. Senat, BGHZ 130, 332, 337: "Eine Art öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis zwischen der Behörde und dem Eigentümer"). Dies führt insbesondere dazu, dass, falls der Obdachlose nach Ablauf der Einweisungsfrist sich weigerte auszuziehen, die Einweisungsbehörde gegenüber dem Eigentümer verpflichtet ist, die Wohnung frei zu machen (BGHZ 130, 332, 334 ff). Diese Sonderbeziehung kann auch sonst gewisse Obhutspflichten der Behörde in Bezug auf die in Anspruch genommene Wohnung begründen. Keineswegs beinhaltet sie aber die allgemeine Verpflichtung der Ordnungsbehörde zu einer ordnungsgemäßen Nutzung, vergleichbar der Pflicht zum "vertragsgemäßen Gebrauch", wie sie den Mieter beim Mietvertrag trifft. Diese Verpflichtung des Mieters korrespondiert damit, dass ihm vom Vermieter der Gebrauch der vermieteten Sache gewährt wird; aus diesem Zusammenhang ist auch folgerichtig, dass der Mieter für den Fall, dass er den ihm gebührenden Gebrauch der Mietsache einem Dritten überlässt, dem Vermieter gegenüber für den Dritten haftet (vgl. § 540 Abs. 2 BGB). So liegt der Fall bei der Inanspruchnahme einer Wohnung durch die Behörde zwecks Einweisung eines Obdachlosen nicht. Die Behörde erhält hierdurch nicht das Recht, über die Wohnung wie ein Nutzungsberechtigter zu verfügen; die Nutzung der Wohnung durch die von der Behörde eingewiesenen Personen ist auch nicht gleichzeitig Nutzung der Räume durch die Behörde (vgl. aber OVG Münster NVwZ 1991, 905, 906). Die Obdachlosenbehörde beansprucht nicht den Gebrauch für sich und trifft in tatsächlicher Hinsicht auch keine Anstalten zum eigenen Gebrauch oder zum Gebrauch durch einen anderen in ihrem eigenen Interesse. Mithin gibt sie auch nicht etwa den Gebrauch der Wohnung, statt sie selbst zu nutzen, an den Obdachlosen weiter, sie "überlässt" also nicht dem Obdachlosen den Gebrauch in einer einem Untermietverhältnis vergleichbaren Weise. Vielmehr disponiert sie über die Wohnung lediglich dahin, dass sie den Obdachlosen in die Wohnung einweist, d.h. ihm die Wohnung zum Wohnen zur Verfügung stellt und sie dem Eigentümer gegenüber mit der Anordnung, den Eingewiesenen wohnen zu lassen, beschlagnahmt. Diese Disposition der Ordnungsbehörde erschöpft sich also darin, dass sie dem Obdachlosen bzw. dem, dem die Obdachlosigkeit droht, das (Weiter-)Wohnen ermöglicht. Das ist kein (eigener) Gebrauch der Wohnräume, der als Kehrseite eine Verpflichtung der Behörde zum "sachgerechten Gebrauch" hätte. Daher kommt auch keine Schadensersatzpflicht der Obdachlosenbehörde für "Exzessschäden", die auf ein schuldhaftes oder sogar mutwilliges Verhalten des Eingewiesenen zurückgehen, unter Einbeziehung des Rechtsgedankens des § 278 BGB in Betracht.

3. Auch im Übrigen sind Revisionszulassungsgründe nicht gegeben. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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