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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.01.1998
Aktenzeichen: III ZR 168/96
Rechtsgebiete: LSASOG


Vorschriften:

LSASOG § 69 Abs. 1
LSASOG § 69 Abs. 1

Zur Frage, ob die von einer Ordnungsbehörde angesichts des durch ein Brandereignis hervorgerufenen Verdachts einer Bodenkontamination gegenüber einem Landwirt ausgesprochene Bitte, von einer Verwertung landwirtschaftlicher Produkte vorläufig abzusehen, als "Maßnahme" im ordnungsrechtlichen Sinne anzusehen ist (Abgrenzung zu dem Senatsurteil vom 11. Juli 1996 - III ZR 133/95 = NJW 1996, 3151).

BGH, Urt. v. 22. Januar 1998 - III ZR 168/96 - OLG Naumburg LG Halle


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 168/96

Verkündet am: 22. Januar 1998

Freitag Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne, die Richter Dr. Werp, Streck, Schlick und die Richterin Ambrosius

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 13. Juni 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger betreibt in dem Gebiet der beklagten Stadt landwirtschaftlichen Gemüseanbau. Am Abend des 15. Mai 1993 geriet eine in der Nähe der Anbauflächen des Klägers befindliche Lagerhalle in Brand, wobei etwa 500 Tonnen Kunststoff entzündet wurden. Am 16. Mai 1993 gab der Magistrat der Beklagten bekannt, daß durch den Brand möglicherweise Schadstoffe freigesetzt worden seien; er forderte die umliegende Wohnbevölkerung dazu auf, keine Gartenprodukte aus diesem Bereich zu verzehren; Kinder sollten intensiven Kontakt mit dem Erdboden und mit Sand vermeiden.

Anläßlich dieser Bekanntmachung setzte sich der Kläger noch am 16. Mai 1993 telefonisch mit der Bürgermeisterin S. in Verbindung. Diese teilte dem Kläger mit, daß derzeit Bodenuntersuchungen durchgeführt würden; sie bat ihn außerdem - wie das Berufungsgericht im unstreitigen Teil des Tatbestands ausgeführt hat -, zunächst von einer Verwertung der Produkte abzusehen.

Mit Ordnungsverfügung vom 18. Mai 1993 untersagte die Beklagte dem Kläger vorläufig - bis zum Abschluß der Bodenuntersuchungen -, die seit dem 16. Mai 1993 in einem räumlich genau umgrenzten Gebiet gewonnenen und zum menschlichen Verzehr bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnisse in den Verkehr zu bringen. Nachdem sich aufgrund der Ergebnisse der vorgenommenen Bodenuntersuchungen der Verdacht einer die maßgeblichen Richtwerte überschreitenden Kontamination des Bodens nicht bestätigt hatte, hob die Beklagte am 24. Mai 1993 die Verbotsverfügung vom 18. Mai 1993 wieder auf.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des erlittenen Ernteausfallschadens. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Landgericht, auf dessen Ausführungen das Berufungsgericht umfassend Bezug genommen hat, ist davon ausgegangen, daß der Kläger sowohl durch die schriftliche Untersagungsverfügung vom 18. Mai 1993 als auch schon durch ein von der Bürgermeisterin ausgesprochenes "Ernte- und Vermarktungsverbot" als Zustandsstörer nach § 8 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) vom 19. Dezember 1991 (GABl. LSA S. 538) in Anspruch genommen worden ist. Da sich im Nachhinein herausgestellt habe, daß entgegen den anfänglichen Befürchtungen der Beklagten von den Erzeugnissen des Klägers zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher ausgegangen sei, sei der Kläger nach § 69 Abs. 1 SOG LSA zu entschädigen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme des Klägers rechtswidrig oder - was naheliege - rechtmäßig gewesen sei, weil die Beklagte im ersten Falle nach § 69 Abs. 1 Satz 2, letzterenfalls analog § 69 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA hafte.

Dies hält den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.

1. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA ist demjenigen, der infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 10 (Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen) einen Schaden erleidet, ein angemessener Ausgleich zu gewähren. Das gleiche gilt nach Satz 2 dieser Bestimmung, wenn jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme der Verwaltungsbehörden oder der Polizei einen Schaden erleidet.

Die Auffassung der Vordergerichte, nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA sei auch der von der Ordnungsbehörde zur Abwehr einer Anscheinsgefahr rechtmäßig als Zustandsstörer in Anspruch genommene Eigentümer einer Sache wie ein Nichtstörer zu entschädigen, wenn er die Gefahr und deren Anschein nicht zu verantworten hat, ist revisionsrechtlich schon deshalb hinzunehmen, weil die Anwendung nicht revisiblen Landesrechts in Rede steht. Diese Meinung steht im übrigen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zu § 39 Abs. 1 Buchst. a OBG NW (BGHZ 117, 303; vgl. auch BGHZ 126, 279; siehe zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bln Senatsurteil vom 11. Juli 1996 - III ZR 133/95 - NJW 1996, 3151).

2. Der Sachverhalt, wie er sich aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien darstellt, bietet indes keine hinreichende Grundlage mehr für den Ausgangspunkt des Landgerichts, die die Haftung der Beklagten nach § 69 Abs. 1 SOG LSA auslösende ordnungsrechtliche Inanspruchnahme des Klägers sei sowohl durch eine fernmündliche Verbotsverfügung vom 16. Mai 1993 als auch durch die schriftliche Verfügung vom 18. Mai 1993 erfolgt. Dies hat das Berufungsgericht verkannt.

a) Das Berufungsgericht stellt ausdrücklich fest, daß sämtliche Anbauflächen des Klägers, auf denen der geltend gemachte Ernteausfallschaden entstanden sein soll, außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der schriftlichen (vorläufigen) Verbotsverfügung gelegen haben. In der Begründung des Bescheids ist ausgeführt, daß aufgrund erster Messungen nur bei solchen landwirtschaftlichen Erzeugnissen die Möglichkeit einer die Richtwerte des Landes Sachsen-Anhalt überschreitenden und die Gesundheit der Verbraucher gefährdenden Schadstoffbelastung bestehe, die auf dem in der Verfügung genau beschriebenen Gebiet zur Aberntung anstehen. Aufgrund dessen hatte der Kläger keine Veranlassung (mehr), im Hinblick auf diese Verfügung von einer Ernte oder von einem Verkauf des auf den streitgegenständlichen Grundstücken angepflanzten Gemüses abzusehen.

Daraus folgt, daß die Verfügung vom 18. Mai 1993 von vornherein als Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Beklagten nach § 69 Abs. 1 SOG LSA ausscheidet. Das Berufungsgericht sieht dies ersichtlich ebenso. Es meint, das Landgericht habe im Betragsverfahren zu berücksichtigen, daß dem Kläger nur für die in der Zeit zwischen der mündlichen Verbotsverfügung vom 16. Mai 1993 und dem Erlaß der schriftlichen Verfügung erlittenen Einkommenseinbußen ein Entschädigungsanspruch zustehen könne.

b) In der Berufungsbegründung hat die Beklagte geltend gemacht, die Bürgermeisterin habe gegen den Kläger am 16. Mai 1993 keineswegs ein fernmündliches Ernte- oder Vermarktungsverbot ausgesprochen; sie habe lediglich die Bitte geäußert, von der Verwertung einstweilen abzusehen.

Dieses Vorbringen legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde. Es ist jedoch der Auffassung, bereits in der Äußerung einer solchen Bitte liege ein Veräußerungsverbot. Hierzu hat es ausgeführt: Die Charakterisierung als Verbotsverfügung ergebe sich nicht aus der Form, in der sie geäußert werde, sondern daraus, daß dem Amtsträger die Mittel zur Verfügung stehen, die Bitte gegebenenfalls zwangsweise durchsetzen; die Bürgermeisterin hätte die Möglichkeit gehabt, dem Kläger auch in anderer Form die Verwertung des Gemüses zu untersagen.

Durch diese Erwägungen wird der Schluß des Berufungsgerichts, es liege ein Verwaltungsakt vor, nicht getragen.

Ob das Verhalten der Bürgermeisterin als ordnungsbehördliche Anordnung zu bewerten ist, beantwortet sich - nach dem zu dem fraglichen Zeitpunkt in Sachsen-Anhalt geltenden Recht (vgl. § 1 Abs. 1 des Vorschaltgesetzes zum Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Sachsen-Anhalt vom 17. Dezember 1992, GABl. LSA S. 868) - nach § 35 VwVfG. Insoweit unterliegt das Berufungsurteil der Nachprüfung durch das Revisionsgericht; unerheblich ist hierbei, daß aus Sicht des Berufungsgerichts die Frage der Rechtsqualität des Verwaltungshandelns vorgreiflich dafür ist, ob dem Kläger ein auf eine irrevisible Rechtsgrundlage gestützter Anspruch zusteht (vgl. Senat, BGHZ 118, 295, 298 ff).

Wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Verwaltungsakts ist, daß dieser nach seinem objektiven Sinngehalt auf eine unmittelbare, für den Adressaten verbindliche Regelung von Rechten oder Pflichten gerichtet sein muß (vgl. § 35 Satz 1 VwVfG). Ob dies der Fall ist, richtet sich maßgeblich nach dem Empfängerhorizont. Im Zweifel ist anzunehmen, daß ein nicht als Verwaltungsakt "deklariertes" und für den Betroffenen nach Treu und Glauben auch nicht ohne weiteres als Verwaltungsakt erkennbares Verhalten einer Behörde nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist (vgl. nur Kopp, VwVfG, 6. Aufl. Rn. 5 a, 6 zu § 35). Eine bloße Bitte ist kein mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzbarer Verwaltungsakt; dies ist auch dann nicht anders, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für den (rechtmäßigen) Erlaß eines Verwaltungsakts gegeben sind und die Behörde deshalb ohne weiteres in der Lage wäre, eine entsprechende Verfügung zu erlassen (Kopp, aaO, Rn. 29).

II.

Das angefochtene Urteil kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Der Rechtsstreit ist aber auch nicht im Sinne einer Abweisung der Klage entscheidungsreif.

1. Ausgehend davon, daß die Bürgermeisterin an den Kläger anläßlich des Telefongesprächs vom 16. Mai 1993 lediglich die Bitte gerichtet hat, vorläufig von einem Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse abzusehen, kann eine Haftung der Beklagten nach § 69 Abs. 1 SOG LSA nicht bejaht werden.

a) Allerdings scheidet eine Haftung der Beklagten nicht schon deshalb von vornherein aus, weil die Bürgermeisterin gegenüber dem Kläger keine mit Vollziehungsfähigkeit bewehrte Verbotsverfügung erlassen hat.

In der Rechtsprechung des Senats, insbesondere zu § 39 Abs. 1 Buchst. b OBG NW, ist anerkannt, daß der ordnungsbehördliche Begriff der "Maßnahme" weit zu fassen ist. Darunter fallen nicht nur den Betroffenen belastende Ge- oder Verbotsverfügungen. Auch ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt - wie etwa eine Baugenehmigung oder ein Bauvorbescheid -, kann gegenüber dem Antragsteller eine Entschädigungspflicht der Behörde auslösen, wenn der Betroffene im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung (vergebliche) Aufwendungen macht (vgl. nur Senat BGHZ 109, 380, 393; 123, 191, 196 f). Des weiteren ist nicht nur ein förmlich erlassener Verwaltungsakt, sondern auch eine Auskunft als Maßnahme im Sinne des § 39 Abs. 1 OBG NW zu werten, wenn und solange der auskunftsuchende Bürger auf ihre Richtigkeit vertrauen durfte (vgl. nur Senat, BGHZ 99, 249, 251 f; Urteil vom 5. Mai 1994 - III ZR 28/93 - NJW 1994, 2087, 2090 f).

In der bereits erwähnten Entscheidung vom 11. Juli 1996 (aaO NJW 1996, 3152) hat der Senat zu § 59 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bln ausgesprochen, daß auch solche mündlichen oder schriftlichen Äußerungen eines Amtsträgers, die zwar keinen mit Vollziehungsfähigkeit bewehrten Verwaltungsakt, wohl aber ein bewußtes und zielgerichtetes Einwirken auf einen (scheinbar) Polizeipflichtigen darstellen, um diesen zu einem bestimmten Verhalten - dort: Rückruf eines scheinbar streptokokkenbefallenen Medikaments - zu veranlassen, als "Maßnahme" im ordnungsrechtlichen Sinne zu bewerten sind.

Nach Auffassung des Senats ist der Begriff der Maßnahme im Sinne des § 69 SOG LSA ebenfalls weit zu verstehen. An dieser Auslegung ist der Senat nicht gehindert, da das Berufungsgericht eine eigene Prüfung der Reichweite dieses Begriffs nicht vorgenommen hat.

b) Jedoch vermag auch unter Zugrundelegung des weiten Maßnahmebegriffs die bloße Bitte, vorläufig von einer Verwertung des angebauten Gemüses abzusehen, eine Haftung der Beklagten nach § 69 Abs. 1 SOG LSA nicht zu begründen.

aa) Das Urteil des Senats vom 11. Juli 1996 ist nicht in dem Sinne verallgemeinerungsfähig, daß jeder, an den eine Ordnungsbehörde eine Bitte richtet und der die Umstände, die zu dieser Bitte geführt haben, nicht zu verantworten hat, ohne weiteres eine Entschädigung für alle Nachteile verlangen kann, die er dadurch erleidet, daß er dieser Bitte nachkommt. Das ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls.

Verwaltungsbehörden und Polizei erfüllen die ihnen obliegende Aufgabe der Gefahrenabwehr, sofern sie die geeigneten und erforderlichem Maßnahmen nicht unmittelbar selbst ausführen können, im allgemeinen durch den Erlaß von Verwaltungsakten. Die Äußerung einer Bitte ist ein zur Gefahrenabwehr wenig taugliches Instrument, weil sie nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzbar ist und es letztlich im Belieben des Adressaten steht, ob er der Bitte nachkommen will oder nicht. Wendet sich daher eine Behörde an jemanden, der möglicherweise als polizeirechtlich Verantwortlicher in Betracht kommt, ausnahmsweise in Form einer Bitte, so wird dies vielfach - für den Betroffenen erkennbar - darauf beruhen, daß aus Sicht der Behörde die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse so ungeklärt sind, daß selbst unter dem Aspekt der Anscheinsgefahr (noch) kein hinreichender Anlaß für den Erlaß einer Ordnungsverfügung besteht; des weiteren mag gerade der Umstand, daß die Behörde die Nachteile, die den Betroffenen bei einer förmlichen Inanspruchnahme treffen könnten - und damit ihre eigenen Haftungsrisiken -, nicht überblicken kann, sie davon abhalten, dem Betroffenen ein bestimmtes Verhalten aufzugeben. Daher geht es nicht an, eine behördliche Ausgleichspflicht nach den einschlägigen gesetzlichen Entschädigungsregelungen ohne weiteres für alle Nachteile zu bejahen, die der Adressat einer Bitte dadurch erleidet, daß er dieser Bitte kritiklos nachkommt.

bb) Für den hier zu beurteilenden Sachverhalt gilt:

Nach § 8 Nr. 2 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) ist es verboten, Stoffe, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot ist strafbewehrt (§ 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 LMBG) und begründet eine deliktische Schadensersatzpflicht (§ 823 BGB) gegenüber denjenigen, die durch den Verzehr dieser Stoffe einen Gesundheitsschaden erleiden. Mit Blick auf diese Gesetzeslage bestand infolge des Brandereignisses für den Kläger Veranlassung zu prüfen, ob das von ihm angebaute Gemüse für den menschlichen Verzehr noch geeignet war (vgl. zu den Sorgfalts- und Prüfungspflichten des Erzeugers oder Herstellers von Lebensmitteln BGHZ 116, 104, 112 f m.w.N.). Er setzte sich deshalb mit der Bürgermeisterin in Verbindung, um weitere Informationen über eine Bodenkontamination zu erhalten. In diesem Gespräch konnte die Frage der Verkehrsfähigkeit des Gemüses nicht geklärt werden, wobei kein Anhalt dafür besteht, daß die Bürgermeisterin den damaligen Erkenntnisstand der Beklagten unzutreffend wiedergegeben hat.

Angesichts dieser völlig ungeklärten Sachlage mußte jedem Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte das Risiko deutlich vor Augen stehen, die Kosten einer Aberntung des Gemüses möglicherweise umsonst aufzuwenden. Außerdem war in dieser Situation die Äußerung einer bloßen Bitte, von einer Verwertung der Produkte vorläufig abzusehen, ersichtlich darauf zurückzuführen, daß auf seiten der Ordnungsbehörde noch völlige Unsicherheit darüber herrschte, ob und gegebenenfalls in welchen zeitlichen und räumlichen Grenzen den möglicherweise durch das Brandereignis betroffenen Landwirten gegenüber verbindliche (vorläufige) Anordnungen erlassen werden sollten bzw. durften. Hier konnte die "Bitte" der Bürgermeisterin nur als Appell an die Eigenverantwortlichkeit des Landwirts, nicht aber als "Maßnahme" im Sinne des § 69 Abs. 1 SOG LSA verstanden werden.

2. Eine Sachentscheidung des Senats ist deshalb nicht möglich, weil - wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht - der Kläger unter Beweisantritt behauptet hat, die Bürgermeisterin habe ihm anläßlich des Telefongesprächs vom 16. Mai 1993 ohne nähere Beschreibung des möglicherweise betroffenen Gebiets "jegliche Ernte von Obst und Gemüse strikt untersagt". Träfe dies zu - was das Berufungsgericht zu klären hat -, so käme ein Anspruch des Klägers aus § 69 Abs. 1 SOG LSA in Betracht.

Diese Gegenrüge ist nicht deshalb unbeachtlich, weil im Tatbestand des Berufungsurteils als unstreitig dargestellt wird, die Bürgermeisterin S. habe den Kläger gebeten, zunächst von einer Verwertung der Produkte abzusehen, und der Kläger keinen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt hat. Bei der Schilderung des Klägervorbringens in der ersten Instanz hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Kläger stehe auf dem Standpunkt, er sei bereits durch das mündliche "Verbot" vom 16. Mai 1993 ordnungsrechtlich in Anspruch genommen worden. Aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt sich weiter, daß das Landgericht, dessen Urteil der Kläger verteidigt hat, diesem Vorbringen gefolgt ist. Angesichts dieser Widersprüchlichkeit des Tatbestands des Berufungsurteils kommt eine Anwendung des § 314 ZPO nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 1996 - III ZR 9/95 - BGHR ZPO 314 - Widersprüchlichkeit 5).

III.

Für die weitere Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Das Berufungsgericht meint, eine Entschädigungspflicht der Beklagten setze ein Sonderopfer des Klägers voraus. Es hat hierzu ausgeführt: Allein aus der kurzen Dauer, die der Kläger dem Verbot der Verwertung des Gemüses unterlegen sei, ergebe sich noch nicht, daß es sich hierbei nicht um ein Sonderopfer gehandelt habe. Auch infolge einer sehr kurzen Inanspruchnahme könne einem Betrieb ein existenzbedrohender Schaden entstehen. Erst dann, wenn feststehe, in welcher Höhe der Kläger tatsächlich einen Schaden erlitten habe, werde zu prüfen sein, ob es sich hierbei um ein Sonderopfer handele oder der Kläger diesen Eingriff entschädigungslos hinzunehmen habe.

Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht die Klärung dieser Frage - wie die Revision zu Recht rügt - nicht dem Betragsverfahren hätte überlassen dürfen, sind diese Erwägungen schon deshalb bedenklich, weil im Anwendungsbereich der gesetzlichen Entschädigungsregelung des § 69 Abs. 1 SOG LSA, um die es vorliegend geht, das Sonderopfer entweder durch die Rechtswidrigkeit der Maßnahme (Satz 2) oder (Satz 1 entsprechend) durch den - den Analogieschluß rechtfertigenden - Umstand begründet wird, daß von dem Eigentum des ordnungsbehördlich in Anspruch genommenen Anscheinsstörers, anders als beim wirklichen Störer, bei objektiver Betrachtungsweise ex post gar keine Gefahr ausgegangen ist. Ein infolge der Inanspruchnahme entstandener Schaden ist nach den gesetzlichen Bestimmungen (vgl. insbesondere § 70 SOG LSA) auszugleichen; auf die Dauer der Maßnahme kommt es grundsätzlich ebensowenig an wie auf das Vorliegen einer Existenzgefährdung.

Der gegenwärtige Sach- und Streitstand gibt dem Senat keine Veranlassung dazu, näher auf die Frage einzugehen, ob die Behörde dem zur Abwehr einer von ihm nicht zu verantwortenden Anscheinsgefahr in Anspruch genommenen Polizeipflichtigen, der entsprechend § 69 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA - oder einer vergleichbaren Bestimmung anderer Bundesländer - eine Entschädigung begehrt, entgegenhalten kann, in der konkreten Situation hätte sich ein verantwortungsbewußter Eigentümer wegen der bereits aufgrund der objektiven Gegebenheiten vorhandenen zivilrechtlichen Haftungsrisiken bzw. der möglicherweise drohenden straf- oder bußgeldrechtlichen Sanktionen nicht anders verhalten, als ihm von der Behörde im Wege einer Ordnungsverfügung aufgegeben worden ist.

Ende der Entscheidung

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