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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: III ZR 269/05
Rechtsgebiete: BGB, NRW WassG, NRW 2. ModernG


Vorschriften:

BGB § 839 A
BGB § 839 Ca
NRW WassG § 115
NRW 2. ModernG Art. 3

Entscheidung wurde am 02.10.2006 korrigiert: im Rubrum muß es statt "am 29. Juni 2005" richtig "am 29. Juni 2006" heißen
a) Errichtet der Straßenbaulastpflichtige einen den natürlichen Wasserablauf hindernden Lärmschutzwall, so hat er bei der Planung der Straßenentwässerung auch das gesamte weitere Einzugsgebiet mit Vorflut zur Straße zu berücksichtigen und die notwendigen Durchlässe unter Wall und Straße entsprechend zu dimensionieren.

b) Die Verantwortlichkeit für Amtspflichtverletzungen der Landschaftsverbände beim Bau von Landesstraßen trifft nach der Überleitung dieser Aufgaben in die Trägerschaft des Landes gemäß Art. 3 des Zweiten Modernisierungsgesetzes vom 9. Mai 2000 (GV. NRW. S. 462) jetzt das Land Nordrhein-Westfalen.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

III ZR 269/05

vom 29. Juni 2006

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Galke und Dr. Herrmann

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des beklagten Landes gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Grundurteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. November 2005 - 11 U 128/02 - wird zurückgewiesen.

Das beklagte Land hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegenstandswert: 106.291,40 €

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt das beklagte Land wegen der Überschwemmung seines Hausgrundstücks durch Niederschlagswasser auf Schadensersatz in Anspruch. Er ist Inhaber eines 1995 erworbenen Erbbaurechts an einem Grundstück in H. . Im Jahre 1996 bebaute der Kläger das Grundstück mit einem Dreifamilienhaus. Die Fläche liegt am Rande eines Baugebiets und grenzt an die 1979 durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe auf der Grundlage eines Planfeststellungsverfahrens ausgebaute L 612 (B. Damm). Zwischen den Baugrundstücken und der Straße befindet sich ein ohne besondere Planfeststellung errichteter Lärmschutzwall mit einem seitlichen Wassergraben. Das diesseits anfallende Oberflächenwasser wird durch ein Kanalrohr mit einem Durchmesser von damals 40 cm unter dem Lärmschutzwall auf die andere Straßenseite abgeleitet.

Am 2. Mai 1998 kam es in H. zu ergiebigen Regenfällen und in deren Folge zu einer Überflutung des vom Kläger bewohnten Grundstücks. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Berufungsgerichts ist das Niederschlagswasser von den benachbarten landwirtschaftlichen Flächen mit Vorflut in nördlicher Richtung zunächst auf den Lärmschutzwall zugeflossen, hat sich an diesem gesammelt und ist daran entlang nordöstlich zu dem Wohnhaus des Klägers geflossen und in die dortige Souterrainwohnung eingedrungen. Der Rohrdurchlass unter dem Wall und der Straße war nicht in der Lage, die anfallenden Wassermassen abzuführen. Hierin sieht der Kläger einen Planungsfehler.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 207.887,92 DM (106.291,40 €) nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit seiner Beschwerde erstrebt das beklagte Land die Zulassung der Revision.

II.

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erscheint zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO).

1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet das beklagte Land für Verbindlichkeiten aus Amtspflichtverletzungen (§ 839 BGB, Art. 34 GG), die Beamten der früher in Nordrhein-Westfalen für den Straßenbau zuständigen Landschaftsverbände im Zusammenhang mit der Verwaltung von Landesstraßen zur Last fielen. Das trifft zu und wird auch von der Beschwerde nicht angegriffen. Das Landesgesetz zur Überleitung der bisher von den Landschaftsverbänden wahrgenommenen Aufgaben im Bereich der Straßenbauverwaltung hat die insoweit früher von den Landschaftsverbänden wahrgenommenen Aufgaben in die Trägerschaft des Landes übergeleitet und zugleich bestimmt, dass das Eigentum an den Landesstraßen "sowie alle Rechte und Pflichten, die mit der Straße im Zusammenhang stehen", auf das Land übergehen (Art. 3 § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Satz 2 des Zweiten Modernisierungsgesetzes vom 9. Mai 2000, GV. NRW. S. 462). Angesichts dieser nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes jedenfalls für Landesstraßen umfassend gewollten Rechts- und Funktionsnachfolge ist die Auslegung des Berufungsgerichts, hiervon seien auch etwaige Schadensersatzpflichten der Landschaftsverbände aufgrund ihrer Verwaltungstätigkeit erfasst, nicht zu beanstanden.

2. a) Das Berufungsgericht wirft - sachverständig beraten - den Beamten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vor, bei dem Ausbau der L 612 die wasserbautechnischen Regeln nicht beachtet zu haben. Bei der Planung und Errichtung von Straße und Wall seien die benachbarten Grundflächen mit Vorflut zur Straße insgesamt nicht berücksichtigt worden. Weiter sei der Wasserdurchlass durch die L 612 amtspflichtwidrig nicht wassertechnisch bemessen worden. Richtigerweise hätte er nach den Berechnungen des Sachverständigen einen Querschnitt von 0,75 m x 0,75 m als Rechteckprofil aufweisen müssen. Ohne dass es für die Entscheidung darauf ankomme, habe schließlich der Sachverständige überzeugend bestätigt, dass die Berechnung des Rückhalteraums für das aus der Straßenentwässerung anfallende Oberflächenwasser wegen eines zu hoch angesetzten Werts für den Abfluss sowie infolge regelwidriger Außerachtlassung der oberhalb liegenden Geländeflächen fehlerhaft gewesen sei. Ohne Erfolg verweise das beklagte Land darauf, dem neben dem Lärmschutzwall verlaufenden Straßengraben komme aufgrund der topographischen Verhältnisse und wegen des von seitlichen Flächen wild zuströmenden Wassers Vorflutfunktion zu mit der Konsequenz, dass hierfür die zuständige Gemeinde unterhaltungspflichtig sei. Auf die Anwendung der entsprechenden Vorschriften des Landeswassergesetzes komme es nicht an.

b) Diese Erwägungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats und geben keinen Anlass zu weiterer Klärung oder Rechtsfortbildung innerhalb eines Revisionsverfahrens. Fragen der Unterhaltung von Straßenseitengräben stellen sich entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde hier nicht.

Bei der - dem hoheitlichen Tätigkeitsbereich angehörenden (Senatsurteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - NJW 1996, 3208, 3209) - Planung und dem Bau von Straßen hat der Träger der Straßenbaulast die anerkannten Regeln der Straßenbautechnik und der Wasserwirtschaft zu beachten. Zu diesen gehören, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, auch die landesrechtlichen Vorschriften des Wasser- und Nachbarrechts über Veränderungen des Ablaufs wild abfließenden Wassers (Urteile vom 6. Dezember 1973 - III ZR 49/71 - VersR 1974, 365, 367 zu § 81 Abs. 2 des Wassergesetzes für Baden-Württemberg; vom 29. April 1976 - III ZR 185/73 - VersR 1976, 985 f. zu § 78 Abs. 1 des früheren Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 1962, GV. NW. S. 235; vom 13. Mai 1982 - III ZR 180/80 - VersR 1982, 772, 773 zu § 21 Abs. 2 des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes). Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 des hier einschlägigen Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juni 1995 (GV. NW. S. 926) darf der Eigentümer eines Grundstücks den Ablauf wild abfließenden Wasser nicht künstlich so ändern, dass tiefer liegende Grundstücke belästigt werden. Unter dieses Verbot fällt zwar eine Veränderung des Wasserabflusses infolge veränderter wirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks nicht (Absatz 1 Satz 2). Das rechtfertigt jedoch keine Straßenbaumaßnahme, die für tiefer liegende Grundstücke die Gefahr einer Überschwemmung mit erheblichen Schadensfolgen begründet (Senatsurteil vom 29. April 1976 aaO). Aus dieser Rechtslage ergibt sich ohne weiteres, dass der Straßenbaulastpflichtige, der - wie im Streitfall - mit dem Ausbau einer Straße und der Errichtung eines Lärmschutzwalls einen den natürlichen Wasserabfluss verhindernden Damm errichtet, bei der Planung der Straßenentwässerung das gesamte weitere Einzugsgebiet mit Vorflut zur Straße berücksichtigen und die notwendigen Durchlässe unter der Straße entsprechend dimensionieren muss. Der zu geringe Querschnitt des Rohrdurchlasses war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier die eigentliche Ursache der Überschwemmung. Mit der Frage, wen die Unterhaltungspflicht für den Seitengraben entlang des Lärmschutzwalls trifft und ob es sich dabei um ein Gewässer im Sinne des § 1 WHG handelt, hat dies nichts zu tun. Davon abgesehen wäre, falls insoweit auch der Gemeinde H. eine Pflichtverletzung anzulasten wäre, das beklagte Land lediglich neben dieser gesamtschuldnerisch zum Schadensersatz verpflichtet.

3. Im Anschluss an mehrere im Berufungsverfahren eingeholte schriftliche Gutachten sowie wiederholte mündliche Anhörungen des beauftragten Sachverständigen hat das Oberlandesgericht ferner einen Ursachenzusammenhang zwischen den festgestellten Pflichtverletzungen des Landschaftsverbands und den dem Kläger entstandenen Schäden bejaht und insbesondere die auf ein Privatgutachten gestützten Einwände des Beklagten, das schadensbringende Niederschlagswasser hätte als Jahrhundertereignis auch bei der vom gerichtlichen Sachverständigen für richtig gehaltenen Dimensionierung des Rohrdurchlasses unter der L 612 das Hausgrundstück des Klägers überflutet, nicht durchgreifen lassen.

Auch dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg. Rechtsfehler, die eine Zulassung der Revision erforderten, vermag sie nicht aufzuzeigen. Insbesondere liegt der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vor, so dass eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der Angriffe des Beklagten gegen die Beurteilungsgrundlagen des gerichtlichen Sachverständigen in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13. Oktober 2005 nicht geboten war. Das Berufungsgericht hat sich, wie unter Gehörsgesichtspunkten erforderlich, mit den Einwendungen des beklagten Landes befasst und diese im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen vor allem mit Rücksicht auf die durch Fotografien und Videoaufnahmen dokumentierten Aufstauhöhen in tatrichterlicher Würdigung teils für widerlegt, teils für unerheblich gehalten. Das gilt auch für die von der Beschwerde hervorgehobenen, im Berufungsverfahren erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Beweisanträge zum Fließverhalten einer erhebliche Mengen von Schwemmmaterial mit sich führenden Suspension. Eine Verpflichtung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand insoweit nicht. Inwieweit sich der Tatrichter ferner zur Aufklärung von Ursachen und Folgen einer Überschwemmung beim Vorhandensein von Videoaufzeichnungen zusätzlicher Beweismittel wie Modellberechnungen bedienen muss, lässt sich nur nach Lage des Einzelfalls beurteilen und entzieht sich einer verallgemeinernden Beurteilung des Revisionsgerichts.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung sieht der Senat gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO ab.

Ende der Entscheidung

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