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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 13.10.2005
Aktenzeichen: III ZR 346/04
Rechtsgebiete: HaftpflG 1978


Vorschriften:

HaftpflG 1978 § 2
Der Anlagenbetreiber haftet nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG Dritten für alle (physikalischen und chemischen) Wirkungen der von einer Rohrleitungsanlage ausgegangenen Flüssigkeiten, auch soweit der Schaden auf der Beschaffenheit des Transportguts beruht (hier: Schäden durch Aushärten eines dem Wasser beigefügten Spezialbindemittels).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 346/04

Verkündet am: 13. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dr. Kapsa und Dörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. Juli 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, ein privatrechtlich organisiertes Abwasserentsorgungsunternehmen, betreibt in G. die Abwasserbeseitigung. Der beklagte Zweckverband versorgt die Stadt mit Brauch- und Trinkwasser.

Anfang des Jahres 2001 ließ der Beklagte auf der Grundlage einer vom Streithelfer der Klägerin durchgeführten Planung durch einen privaten Unternehmer einige von ihm nicht mehr benötigte Brauchwasserleitungen in G. mit "Doroflow" verfüllen. Dabei handelt es siich um ein Spezialbindemittel für Hohlraumverfüllungen. Zur Verarbeitung wird unter Zusatz von Wasser eine Suspension hergestellt, die bei dem im Streitfall gewählten Mischungsverhältnis die Eigenschaft einer sehr gut fließfähigen wässrigen Lösung und eine Erstarrungszeit von über 47 Stunden aufwies. Im Zuge der Verdämmungsmaßnahmen drang über eine Verbindung der Leitungen eine nicht unerhebliche Menge der Flüssigkeit auch in das Kanalnetz der Klägerin ein. Der Beklagte ließ daraufhin Reinigungsarbeiten vornehmen. Die Kosten der von ihr nachträglich durchgeführten weiteren Reinigungs- und Erneuerungsmaßnahmen sowie weiter notwendig werdender Aufwendungen in behaupteter Höhe von insgesamt 174.266,82 € verlangt die Klägerin von dem Beklagten erstattet.

Das Landgericht hat der Klage in diesem Umfang stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihre Ersatzansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stünden schon dem Grunde nach keine Zahlungsansprüche zu. Ein Anspruch aus § 2 Abs. 1 HPflG (Wirkungshaftung) bestehe nicht. Zwar unterfielen die Rohrleitungen sowohl des Beklagten als auch der Klägerin dem Anlagenbegriff. Es fehle jedoch an einem Zusammenhang zwischen der typischen Funktion der Anlage, nämlich dem konzentrierten Transport von Wasser, und dem eingetretenen Schaden. Nach herrschender Meinung scheide mangels Zusammenhangs mit dem Transport oder der Abgabe von Wasser eine Haftung aus, wenn der Schaden dadurch eintrete, dass die zu befördernden Stoffe Mängel hätten, z.B. Trinkwasser verunreinigt oder vergiftet sei oder sich Rostteilchen aus Rohren lösten. Denn hier habe zwar der Transport den Schaden mit verursacht, die entscheidende Ursache liege jedoch in der Beschaffenheit des Stoffes. Anderes könne nicht gelten, wenn der Schaden wie hier auf eine Zugabe von Flüssigbeton im Wasser zurückzuführen sei.

Darüber hinaus verneint das Berufungsgericht im Einzelnen auch Ansprüche der Klägerin aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis oder einem privatrechtlichen (Versorgungs-)Vertrag sowie Amtshaftungsansprüche, Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff, § 831 BGB und analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Schließlich scheide auch ein Ersatzanspruch aufgrund öffentlich-rechtlicher oder bürgerlichrechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag aus. Mangels Zurechenbarkeit des Verhaltens des Nebenintervenienten habe schon keine Reinigungspflicht des Beklagten bestanden. Damit habe die Klägerin möglicherweise ein Geschäft des Streithelfers, nicht aber des Beklagten geführt.

II.

1. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis schon deshalb nicht stand, weil das Berufungsgericht eine Anlagenhaftung des Beklagten (§ 2 Abs. 1 HPflG) zu Unrecht verneint hat.

a) Ein Schadensersatzanspruch nach § 2 Abs. 1 HPflG setzt voraus, dass der Schaden entweder durch die Wirkung von Flüssigkeiten entstanden ist, die von einer Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe von Flüssigkeiten ausgehen (Satz 1, so genannte Wirkungshaftung), oder dass der Schaden, ohne auf den Wirkungen der Flüssigkeit zu beruhen, auf das Vorhandensein der Anlage zurückzuführen ist, es sei denn, dass sich diese in ordnungsgemäßem Zustand befand (Satz 2, so genannte Zustandshaftung). Im vorliegenden Fall geht es allein um die Wirkungshaftung.

b) Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Beklagte ungeachtet dessen, dass er die in Rede stehenden Leitungsabschnitte - erst - durch die Verfüllung mit Doroflow endgültig stilllegen wollte (zur Außerbetriebnahme von Anlagen vgl. Filthaut, HPflG, 6. Aufl. 2003, § 2 Rn. 20; Geigel/Kunschert, Der Haftpflichtprozeß, 24. Aufl. 2004, 22. Kap. Rn. 69), auch insoweit noch Inhaber einer Rohrleitungsanlage war. Auch der Umstand, dass die Klägerin mit ihrem Abwasserkanalnetz gleichfalls eine Rohrleitungsanlage betreibt (vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 109, 8, 12; 115, 141, 142; 158, 263, 265; 159, 19, 21 f.), ist hier ohne Belang, da beide Systeme äußerlich getrennt sind und je eine eigene Anlage bilden.

c) Für die Wirkungshaftung ist nicht erforderlich, dass die betreffende Anlage einen Defekt (etwa durch Korrosion oder Rohrbruch) aufwies. Es reicht aus, dass sich die mit dem konzentrierten Transport von Wasser oder anderen Flüssigkeiten in einer Rohrleitung typischerweise verbundene besondere Betriebsgefahr verwirklicht hat, die den gesetzgeberischen Grund für die Einführung der strengen Haftung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG bildete (Senatsurteile BGHZ 109, 8, 13; 114, 380, 381; Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95, NJW 1996, 3208). Daran mag es zwar - was der Senat nicht zu entscheiden hat - im Verhältnis zum Abnehmer fehlen, wenn der Schaden dadurch eintritt, dass die beförderten Stoffe Mängel haben, z.B. Trinkwasser verunreinigt oder vergiftet ist, oder dass sich beim Strömungsvorgang von den Innenwänden der Wasserrohre Rostteilchen gelöst haben und auf diese Weise zum Verbraucher gelangt sind (so Filthaut, aaO, Rn. 24, im letzten Punkt gegen Geigel/Kunschert, aaO Rn. 70). Ein entsprechender Grund zur Haftungseinschränkung besteht dagegen nicht, wenn außenstehende Dritte durch ein Austreten der beförderten Flüssigkeit aus der Rohrleitungsanlage geschädigt werden. Dritte werden nicht allein durch den Transport, sondern typischerweise auch durch die Art des Transportguts gefährdet (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 8/108 S. 11). Der Anlagenbetreiber haftet daher ihnen gegenüber nach dem weit gefassten Wortlaut der Norm und ihrem Schutzzweck im Grundsatz für jede Wirkung des von der Anlage ausgehenden Stoffes, sei sie physikalischer oder chemischer Natur. Das ist bisher - soweit ersichtlich - beispielsweise weder für auslaufendes Öl noch für mit Fremdstoffen verunreinigtes Abwasser in Zweifel gezogen worden und wäre etwa bei mit Chemikalien gefüllten Leitungen eines Chemieunternehmens nicht anders zu beurteilen. Das von Filthaut (aaO) in diesem Zusammenhang angeführte Senatsurteil vom 17. Oktober 1985 (III ZR 99/84, NJW 1986, 2312, 2314 f.) betrifft eine für den damaligen Schadenshergang (Fischereischäden infolge Abschwemmung von Bestandteilen eines Misthaufens sowie von Öl) unerhebliche kurze Verrohrung eines Bachs und damit einen wesentlich anders gelagerten Sachverhalt. Der Schaden war in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall vielmehr unabhängig davon eingetreten, dass das Wasser zuvor durch eine Rohrleitung geflossen war. Entsprechendes gilt für den Sachverhalt, über den der Senat durch Urteil vom 12. September 2002 (III ZR 214/01, VersR 2002, 1555) entschieden hat. Soweit damals der Senat eine Haftung nach § 2 Abs. 1 HPflG unter Hinweis auf die Beschaffenheit der in der Anlage transportierten Flüssigkeit verneint hat (aaO S. 1557), hält er an dieser zu allgemein gehaltenen Aussage nicht fest. Im Gegensatz hierzu hat in der vorliegenden Fallgestaltung der Beklagte selbst die Suspension, bei der es sich entgegen dem Berufungsgericht nicht um fehlerhaftes Wasser, sondern um eine zur Verdämmung der Rohre bestimmte andere Art von Flüssigkeit handelte, in die Rohrleitungsanlage eingeleitet. Auch aus anderen Gründen liegt der Schaden hier nicht außerhalb des Schutzbereichs der Norm. Es war einer der gesetzgeberischen Gründe für die Einbeziehung von Rohrleitungsanlagen in die Gefährdungshaftung, dass ein solches System in seiner Ausdehnung schwer zu überwachen und ein rasches Eingreifen erschwert ist (BT-Drucks. 8/108 S. 11). Gerade eine solche Gefahr hat sich mit dem unbemerkten Übertritt der Flüssigkeit in das Rohrleitungssystem der Klägerin an einer dem Beklagten unbekannten Verbindungsstelle hier verwirklicht.

d) Aus den genannten Gründen hat der Beklagte - vorbehaltlich eines von ihm geltend gemachten, seitens des Berufungsgerichts nicht geprüften Mitverschuldens (§ 4 HPflG) - nach § 2 Abs. 1 HPflG für alle durch Verstopfungen mit dem ausgehärteten Bindemittel Doroflow eingetretenen Schäden am Kanalnetz der Klägerin einzutreten, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um unmittelbare oder mittelbare Schäden (Folgeschäden) handelt. Das gilt nur insoweit nicht, als dabei beschädigte Hausanschlüsse nicht im Eigentum der Klägerin, sondern des jeweiligen Grundstückeigentümers stehen und es sich deswegen um Schäden an Sachen Dritter handelt. In diesem Umfang können der Klägerin allerdings Ansprüche aus anderen Rechtsgründen zustehen (unten Ziff. 2).

e) Die für den Schadensfall noch maßgebende (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB) Haftungsbeschränkung auf einen Höchstbetrag von 100.000 DM gemäß § 10 Abs. 1 HPflG a.F. steht der Klage nicht entgegen. Diese Begrenzung der Ersatzpflicht gilt nicht für eine Beschädigung von Grundstücken (§ 10 Abs. 3 HPflG). Hierzu zählen auch Grundstücksbestandteile, selbst wenn sie nur zu einem vorübergehenden Zweck oder in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück mit dem Grund und Boden verbunden sind wie in der Regel Versorgungsleitungen (Filthaut, aaO, § 10 Rn. 3). Auf die sachenrechtliche Trennung vom Grundstück nach § 95 Abs. 1 BGB als sogenannte Scheinbestandteile kommt es insofern nicht an.

2. Der Senat sieht im gegenwärtigen Stadium des Rechtsstreits keinen Anlass, auf alle der vom Berufungsgericht darüber hinaus geprüften Anspruchsgrundlagen einzugehen, insbesondere sich mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Beklagten bei seinen grundsätzlich in den Bereich schlicht-hoheitlicher Verwaltung fallenden Maßnahmen (vgl. Senatsurteil BGHZ 55, 229, 230) Pflichtverletzungen der von ihm beauftragten privaten Unternehmer zuzurechnen sind. Soweit der Klägerin Aufwendungen durch die Reinigung nicht in ihrem Eigentum stehender privater Hausanschlüsse an ihrem Kanalnetz entstanden sind oder noch entstehen werden, kann sie dem Grunde nach Ersatz, wenn nicht schon im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 Abs. 1 BGB, so doch jedenfalls als Geschäftsführerin ohne Auftrag verlangen (§§ 683, 670 BGB). Nicht anders als im Verhältnis zur Klägerin ist der Beklagte auch den privaten Anschlussinhabern gemäß § 2 Abs. 1 HPflG für Schäden an deren Hausanschlussleitungen durch die aus seiner Anlage ausgetretene und in die Abwasserkanalisation der Klägerin gelangte Suspension ersatzpflichtig (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 125, 19, 25 f.). Die Klägerin hat deswegen, selbst wenn sie zugleich ihrerseits den Grundstückseigentümern nach derselben Vorschrift oder aus den mit diesen bestehenden Versorgungsverträgen zum Schadensersatz verpflichtet sein sollte, zumindest auch ein objektiv fremdes Geschäft des Beklagten in dessen Interesse geführt (§ 677 BGB). Das reicht zur Anwendung der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag aus; der Wille, ein fremdes Geschäft mit zu besorgen, wird unter solchen Umständen vermutet (st. Rspr., vgl. Senatsurteil BGHZ 143, 9, 14 f.; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 - X ZR 66/01, NJW-RR 2004, 81, 82; Urteil vom 26. Januar 2005 - VIII ZR 66/04, NJW-RR 2005, 639, 641; jeweils m.w.N.).

III.

Das Berufungsurteil kann nach alledem nicht bestehen bleiben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil das Berufungsgericht zu dem behaupteten Schaden keinerlei Feststellungen getroffen hat. Die darum notwendige Zurückverweisung gibt ihm Gelegenheit, dies nachzuholen.

Ende der Entscheidung

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