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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: III ZR 43/05
Rechtsgebiete: HessEnteigG, ZPO
Vorschriften:
HessEnteigG § 52 | |
ZPO § 167 |
Entscheidung wurde am 06.03.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete und Vorschriften wurden geändert
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 1. Dezember 2005
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger waren Eigentümer eines Grundstücks in B. , das die Straßenbauverwaltung für den Neubau einer Ortsumgehung im Zuge der B 62 in Anspruch nahm. Durch notariellen Vertrag vom 25. März 1999 übertrugen die Kläger das Eigentum an dem Grundstück auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland gegen eine vorläufige Entschädigung von 83.212,74 DM. Die endgültige Festsetzung der Entschädigung blieb dem Entschädigungsfestsetzungsverfahren vorbehalten. Das Regierungspräsidium setzte als Enteignungsbehörde mit "Enteignungsbeschluss Teil B" vom 6. Februar 2003 die von der Beklagten - im Rubrum des Beschlusses bezeichnet mit: "Bundesrepublik Deutschland - Bundesstraßenverwaltung -, endvertreten durch das Amt für Straßen- und Verkehrswesen M. ..." - zu leistende weitere Entschädigung auf 1.669,27 € nebst Zinsen fest. Der den Klägern zu Händen des Klägers zu 1 am 11. Februar 2003 zugestellte Beschluss enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Gegen diesen Enteignungsbeschluss Teil B kann Klage ... erhoben werden. ... Die Klage ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu erheben.
Der Rechtsstreit ist zwischen den Entschädigungsberechtigten und der Entschädigungsverpflichteten zu führen ..."
Mit der am 11. März 2003 bei dem Landgericht eingegangenen Klage begehren die Kläger eine höhere Entschädigung. In der Klageschrift ist als Beklagte angegeben: "Bundesrepublik Deutschland - Bundesstraßenverwaltung -, endvertreten durch das Amt für Straßen- und Verkehrswesen M. ". Nach Eingang (7. April 2003) des mit Verfügung vom 19. März 2003 angeforderten Gerichtskostenvorschusses wurde am 10. April 2003 die Zustellung der Klageschrift unter der von den Klägern angegebenen Anschrift angeordnet und erfolgte am 15. April 2003. Mit am 22. April 2003 eingegangenem Schreiben vom 16. April 2003 gab das Amt für Straßen- und Verkehrswesen M. die übersandten Unterlagen an das Gericht zurück und teilte mit, dass nach der maßgeblichen Anordnung über die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Geschäftsbereich des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung nicht es, sondern das Hessische Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen in Wiesbaden für die Prozessvertretung zuständig sei. Hiervon unterrichtet beantragten die Kläger mit am 28. April 2003 eingegangenem Schriftsatz die Zustellung der Klage an das benannte Landesamt. Diese erfolgte am 12. Mai 2003.
Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen werde. Diese Entscheidung bekämpfen die Kläger mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage zu Unrecht als unzulässig (verfristet) abgewiesen. Die ab dem 11. Februar 2003 laufende Klagefrist - von einem Monat (§ 52 Abs. 1 HEG) - ist durch die am 11. März 2003 eingereichte und am 12. Mai 2003 zugestellte Klage gewahrt worden (§ 253 Abs. 1, § 167 ZPO). Denn diese Zustellung ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO erfolgt und wirkt damit auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift bei Gericht zurück.
1. a) Allerdings ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, dass die ursprüngliche Bezeichnung der Vertretungsbehörde der Beklagten in der von den Klägern bei Gericht eingereichten Klage unrichtig war (s. § 2 der Hessischen Anordnung über die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Geschäftsbereich des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18. September 2002, StAnz. 2002, 3882) und eine Zustellung an diese Behörde nicht zu einer wirksamen Klagezustellung führen konnte (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1983 - III ZR 154/81 - LM StrEG Nr. 11; BayObLGZ 1995, 61; Senatsbeschluss vom 19. Dezember 1986 - III ZR 98/84 - juris Rn. 5). Im Ansatz liegt also darin, dass die vorliegende Klage statt am 15. April 2003 erst am 12. Mai 2003 (wirksam) zugestellt worden ist, eine von den Klägern zu vertretende Verzögerung. Denn ihrem Prozessbevollmächtigten ist vorzuwerfen, dass er - unbeschadet dessen, dass im Entschädigungsfestsetzungsverfahren das Amt für Straßen- und Verkehrswesen in M. für die Beklagte aufgetreten war und dass die Fassung des Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses einschließlich der Rechtsmittelbelehrung möglicherweise zu dem Missverständnis führen konnte, auch "der Prozess" sei gegen diese Behörde zu führen (dazu unten zu 2) - bei sorgfältiger Prozessführung sich selbständig aus den maßgeblichen amtlichen Mitteilungsblättern über die richtige Vertretungsbehörde der Beklagten für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens über die Enteignungsentschädigung hätte informieren müssen (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 1986 aaO).
b) Läge die genannte Verzögerung der Zustellung der Klage aufgrund dessen allein im Verantwortungsbereich der Kläger, so könnten sie die Vorschrift des § 167 ZPO, wie das Berufungsgericht annimmt, nicht für sich in Anspruch nehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei vom "Zustellungsbetreiber" verursachten Verzögerungen der Zustellung der Klageschrift im Regelfall nur eine Verzögerung von bis zu zwei Wochen noch als geringfügig anzusehen (BGH, Urteile vom 20. April 2000 - VII ZR 116/99 - NJW 2000, 2282 und vom 24. September 2003 - IV ZR 448/02 - FamRZ 2004, 21).
2. Wie die Revision mit Recht rügt, berücksichtigt das Berufungsgericht jedoch nicht genügend, dass eine andere Beurteilung der Frage, ob die Zustellung "demnächst" erfolgt ist - insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob eine Verzögerung der ordnungsgemäßen Zustellung den Gegner unbillig belastet -, in Betracht kommen kann, wenn die Verzögerung nicht nur auf einem Verschulden der die Zustellung betreibenden Partei beruht, sondern auch auf einem dem Zustellungsempfänger zuzurechnenden Verhalten (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1983 aaO).
a) Dies hat der Senat bei Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für den Fall angenommen, dass der Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung im ablehnenden Bescheid zu einer fehlerhaften Benennung der Vertretungsbehörde im Prozess geführt hat (Urteil vom 17. März 1983 aaO).
b) Ähnlich ist der hier vorliegende Fall zu beurteilen:
aa) Im Ausgangsverfahren (Entschädigungsfestsetzungsverfahren vor der Enteignungsbehörde) war für die Beklagte das Amt für Straßen- und Verkehrswesen M. tätig geworden. Diese Behörde war auch im Rubrum des angefochtenen Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses des Regierungspräsidiums vom 6. Februar 2003 als Vertretungsbehörde der Beklagten (der dortigen Beteiligten zu 1) aufgeführt. Letzteres stand nicht im Einklang mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 der erwähnten Vertretungsanordnung des Hessischen Ministers für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18. September 2002, wonach die Bundesrepublik Deutschland u.a. "beim Erwerb von Grundstücken zum Zwecke des Straßenbaues bei Bundesfernstraßen" durch das Hessische Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen vertreten wird. Wenn es nun in der Rechtsmittelbelehrung hieß, der Rechtsstreit sei zwischen den Entschädigungsberechtigten und "der Entschädigungsverpflichteten" zu führen, so war dies zusammen mit der Parteibezeichnung im Rubrum des Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses geeignet, nicht nur bei den Entschädigungsberechtigten selbst, sondern auch bei einem Rechtsanwalt die Vorstellung zu erwecken, die Entschädigungsberechtigten würden es in dem gegebenenfalls zu führenden Prozess mit genau derselben Behörde auf Seiten der Entschädigungsverpflichteten zu tun haben. (Tatsächlich sind auch im gerichtlichen Verfahren in dem anhängig gemachten Prozess vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht für die Beklagte Mitarbeiter des Amts für Straßen- und Verkehrswesen M. aufgetreten).
bb) Dass ein solches (vermeidbares) Missverständnis nach den besonderen Umständen des Streitfalls aus dem Zusammenspiel der Art der Mitwirkung der Beklagten im Enteignungsentschädigungsverfahren mit der Fassung der Rechtsmittelbelehrung der Enteignungsbehörde entstehen konnte, muss den Klägern jedenfalls im Lichte der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie, wie sie sich für das Enteignungsrecht aus Art. 14 GG (vgl. BVerfGE 35, 348, 361) und allgemein aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt, beziehungsweise des aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Rechts des Bürgers auf ein faires Verfahren und auf einen berechenbaren und gleichmäßigen Zugang zu den Gerichten (vgl. nur BVerfG NJW 1998, 1853; 1995, 3173 jeweils m.w.N.) im Rahmen der erforderlichen wertenden Beurteilung im Rahmen nach § 167 ZPO zugute kommen. Dafür spricht im Streitfall insbesondere auch der Umstand, dass bei einer zutreffenden Bezeichnung der Vertretungsbehörde der Beklagten im Rubrum des Entschädigungsfestsetzungsbeschlusses, wie anzunehmen ist, auch die Klageschrift dementsprechend (richtig) adressiert worden wäre. Mit einer Fehlerhaftigkeit der - nach § 30 Nr. 1 Satz 2 HEG im Beschluss zu erteilenden - Rechtsmittelbelehrung in dem Sinne, dass diese zwingend erforderliche Angaben nicht enthalten hätte oder ihr unrichtige oder irreführende Zusätze beigefügt gewesen wären - was möglicherweise sogar den Fristbeginn für die Klagefrist gehindert hätte (vgl. Senatsurteile vom 7. April 1983 - III ZR 140/81 - WM 1983, 737, 738 und BGHZ 140, 208, 212 ff) -, hat das noch nichts zu tun.
Die für den Gesamtvorgang mitverantwortliche, für das Entschädigungsfestsetzungsverfahren zuständige, Enteignungsbehörde ist zwar keine Behörde der Beklagten und auch keine Landesbehörde, für deren Fehlverhalten die Beklagte einzustehen hätte. Gleichwohl ist es angemessen, bei der Prüfung, ob hier eine der Beklagten noch zumutbare Verzögerung der Zustellung der Klage vorliegt, die Umstände des staatlichen Entschädigungsverfahrens - im Zusammenhang mit dem Zugriff auf das Eigentum der Kläger im Interesse der Beklagten - und die hierbei mit verursachten Missverständnisse über die "richtige" Prozessvertretung der Beklagten zu deren Lasten gehen zu lassen. Dies gilt um so mehr, als die im Auftrag der Beklagten im Entschädigungsfestsetzungsverfahren vor der Enteignungsbehörde tätige Landesbehörde auf eine zutreffende Bezeichnung ihrer Vertretungsverhältnisse in diesem Verfahren nach Maßgabe der Anordnung vom 18. September 2002 hätte hinwirken können. Im Ergebnis gibt es danach keinen durchgreifenden Grund, den vorliegenden Fall anders zu behandeln als denjenigen in dem Senatsurteil vom 17. März 1983 (aaO).
Die von der Revisionserwiderung als Bestätigung für den Standpunkt des Berufungsgerichts herangezogenen Entscheidungen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1986 - III ZR 98/84 - juris Rn. 5; Urteile vom 13. Juli 1972 - III ZR 36/70 - WM 1972, 1129, 1130 und vom 7. April 1983 - III ZR 140/81 - VersR 1983, 661, 662; BayObLGZ 95, 61 f) lagen, soweit ersichtlich, in tatsächlicher Hinsicht anders als der hier vorliegende Fall. Selbst wenn dies nicht so gewesen sein sollte, hält der Senat eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung im Sinne der hier vertretenen Auslegung im Blick auf die genannten verfassungsrechtlichen Garantien für geboten.
II.
Da mithin die Abweisung der Klage als unzulässig durch das Berufungsgericht keinen Bestand haben kann, andererseits eine Prüfung der materiellen Rechtslage im Berufungsverfahren noch nicht stattgefunden hat, ist die Sache zur weiteren Prüfung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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