Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.10.2000
Aktenzeichen: IV ZB 17/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 Fd
ZPO § 233 Fd

Wenn ein elektronischer Fristenkalender so geführt wird, daß am Tag des Fristablaufs vorher (versehentlich) als erledigt gekennzeichnete Sachen überhaupt nicht mehr in der Fristenliste erscheinen, genügt dies nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Büroorganisation.

BGH, Beschl. vom 11. Oktober 2000 - IV ZB 17/00 - OLG Koblenz LG Koblenz


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZB 17/00

vom

11. Oktober 2000

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Prof. Römer, Dr. Schlichting, Seiffert und die Richterin Ambrosius am 11. Oktober 2000

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Mai 2000 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 12.000 DM

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt aufgrund eines ihr im Wege eines Vermächtnisses eingeräumten unentgeltlichen Wohnrechts die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in dem vom Beklagten geerbten Haus. Durch Urteil des Landgerichts vom 7. Juli 1999 ist der Beklagte verurteilt worden, die Wohnung zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt, diese aber innerhalb der am 9. September 1999 abgelaufenen Frist nicht begründet.

Hierauf am 20. September 1999 vom Oberlandesgericht aufmerksam gemacht, hat der Beklagte mit einem am 4. Oktober 1999 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten beantragt, ihm wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und zugleich die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte vorgetragen und glaubhaft gemacht: In dem in der Kanzlei seiner Prozeßbevollmächtigten geführten EDV-Fristenkalender seien die Berufungsbegründungsfrist auf den 9. September 1999 und die Vorfrist auf den 2. September 1999 ordnungsgemäß notiert worden. Am 2. September 1999 habe die ausschließlich für die Überwachung der Fristen zuständige Sekretärin des sachbearbeitenden Rechtsanwalts diesem die Sache vorgelegt und von ihm die Anweisung erhalten, am Tag des Fristablaufs unter Verwendung der besonderen Postausgangskontrolle einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht einzureichen. Die Sekretärin habe das Fristverlängerungsgesuch vorbereitet und in einer Klarsichthülle in der Akte abgeheftet mit dem Ziel, es am Tage des Fristablaufs unterzeichnen und bei Gericht einreichen zu lassen, und die Akte im Aktenschrank abhängen lassen. Nach Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 16. September 1999 sei festgestellt worden, daß das Fristverlängerungsgesuch noch in der Akte eingeheftet gewesen sei. In der archivierten Fristenliste vom 9. September 1999 sei die Frist nicht mehr verzeichnet gewesen. Dies könne nur damit erklärt werden, daß sie bereits vor Arbeitsbeginn am 9. September 1999 im EDV-Fristenprogramm mit einem Erledigungsvermerk versehen gewesen sei. In einem solchen Fall tauche die Frist auf der Fristenliste des Tages des Fristablaufs nicht mehr auf. Wahrscheinlich habe die Sekretärin, die seit März 1998 die Fristenkontrolle im Sekretariat des sachbearbeitenden Rechtsanwalts selbstständig und absolut zuverlässig bearbeitet habe, aus Versehen die Berufungsbegründungsfrist als erledigt gekennzeichnet. Nach der für die Behandlung von Fristen maßgeblichen schriftlichen Verfahrensanweisung dürften Fristen nur dann im Fristenprogramm der EDV mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn das Belegexemplar des fristwahrenden Schriftstücks von der Empfangsstelle quittiert und der Handakte zugeordnet worden sei, wenn das fristwahrende Schriftstück ordnungsgemäß per Telefax übermittelt und das Übertragungsprotokoll auf vollständige und ordnungsgemäße Übertragung geprüft worden sei, wenn der Empfänger am Tage des Fristablaufs den Zugang telefonisch bestätigt habe oder wenn eine eindeutige Weisung des Mandanten vorliege, daß keine fristwahrende Handlung erfolgen solle.

Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hat in einer andere Parteien betreffenden Sache ebenfalls eine am 9. September 1999 abgelaufene Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auch hier war die Frist zuvor versehentlich mit einem Erledigungsvermerk gekennzeichnet worden, so daß die Sache in der Fristenliste vom 9. September 1999 nicht mehr erschien. Die gegen die Versagung der Wiedereinsetzung durch das Oberlandesgericht eingelegte sofortige Beschwerde hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 2. März 2000 zurückgewiesen (V ZB 1/00, NJW 2000, 1957).

Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht durch Beschluß vom 26. Mai 2000 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Gegen diesen seinen Prozeßbevollmächtigten am 6. Juni 2000 zugestellten Beschluß wendet sich der Beklagte mit der am 20. Juni 2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf den Beschluß des V. Zivilsenats vom 2. März 2000 (aaO) dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung verworfen.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt gemäß § 233 ZPO voraus, daß die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Organisationsverschulden der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß.

1. a) Im Hinblick auf die Voraussetzungen, unter denen eine im Kalender stehende Frist mit einem Erledigungsvermerk versehen werden darf, sind die Büroanweisungen des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zwar nicht zu beanstanden.

b) Die Organisationspflicht des Rechtsanwalts geht aber darüber hinaus. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört ferner nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Anordnung, durch die gewährleistet wird, daß die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (so unter anderem schon Beschluß vom 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - FamRZ 1991, 423 = BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1 und Beschluß vom 14. März 1996 - III ZB 13/96 - VersR 1996, 1298). Eine solche Kontrolle kann naturgemäß erst am Tag des Fristablaufs erfolgen.

c) Die Frage, wie umfangreich diese ergänzend notwendige abendliche Kontrolle sein muß, wird von den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs allerdings unterschiedlich beantwortet. Nach dem Beschluß des IX. Zivilsenats vom 2. April 1998 (IX ZB 131/97 - NJW-RR 1998, 1604 unter II 2) erstreckt sie sich nicht auf die Akten, sondern bezieht sich nur auf den Fristenkalender, weil sie dazu dient festzustellen, ob dort noch Sachen eingetragen sind, die keinen Erledigungsvermerk tragen. Zuvor hatte der II. Zivilsenat durch Beschluß vom 2. Dezember 1996 entschieden, eine weisungsgemäße abendliche Kontrolle nur des Fristenkalenders, die sich auf die Prüfung beschränke, ob die Fristen im "Häkchen-Verfahren" als erledigt gekennzeichnet seien, aber nicht die Prüfung einschließe, ob die Fristen durch Erstellung und Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes tatsächlich eingehalten worden seien, stelle ein anwaltliches Organisationsverschulden dar (II ZB 19/96 - NJW-RR 1997, 562). Dieser Auffassung hat sich der V. Zivilsenat im Beschluß vom 2. März 2000 angeschlossen. Denn nur so könne festgestellt werden, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch ausstehe.

d) Welcher Ansicht zu folgen ist, kann offen bleiben. Auch wenn man der Beurteilung die für den Anwalt günstigere Ansicht zugrunde legt, sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zu der fehlenden Anordnung einer ergänzenden abendlichen Kontrolle am Tag des Fristablaufs kommt ein weiterer Organisationsmangel hinzu. Dieser besteht darin, daß solche fristgebundenen Sachen, bei denen die Frist vor dem Tag des Fristablaufs mit einem Erledigungsvermerk versehen worden sind, in der Fristenliste des Tages des Fristablaufs nicht mehr erscheinen. Dadurch wird ohne erkennbare und auch nicht dargelegte Notwendigkeit das menschliche Erinnerungsvermögen als häufig sehr wirksames Kontrollinstrument ausgeschaltet. Der von der Rechtsprechung geforderte Sicherheitsstandard, der durch die Beschäftigung gut ausgebildeter und zuverlässiger Mitarbeiter erreicht werden soll und üblicherweise auch erreicht wird, wird so organisationsbedingt herabgesetzt. Einer mit der ergänzenden abendlichen Endkontrolle beauftragten sorgfältigen und mit Fristsachen vertrauten Bürokraft wird die Möglichkeit genommen, sich durch einen Blick in den Kalender daran zu erinnern, daß die Sache trotz eines entsprechenden Vermerks doch nicht erledigt ist. Ein Erinnern liegt insbesondere dann nicht fern, wenn sie die Angelegenheit wenige Tage vorher mit dem Anwalt besprochen und schon Vorbereitungsarbeiten für die Erledigung am letzten Tag der Frist getroffen hat.

2. Wären diese Organisationsmängel vermieden worden, ist nicht auszuschließen, daß der beabsichtigte (erstmalige) Fristverlängerungsantrag rechtzeitig eingereicht worden wäre. Es ist zwar nicht sicher, aber durchaus möglich, daß der Sekretärin aufgefallen wäre, daß die Angelegenheit trotz Vermerks doch nicht erledigt ist. Immerhin hatte sie eine Woche vorher mit dem Anwalt darüber gesprochen und den Verlängerungsantrag danach selbst vorbereitet. Jedenfalls ist es nicht ganz unwahrscheinlich, daß sie zumindest Zweifel bekommen und die Sache anhand der Akte überprüft und dann das Versehen bemerkt hätte, zumal ausweislich der Fristenliste vom 9. September 1999 nur noch drei weitere an diesem Tag ablaufende Berufungsbegründungsfristen zu überwachen waren.

Ist die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt, kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 1992 - VI ZB 9/92 - NJW-RR 1992, 1277 f. und vom 10. April 1991 - XII ZB 28/91 - NJW-RR 1991, 1150 f.).

Ende der Entscheidung

Zurück