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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: IV ZB 24/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 16. Juli 2008
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 16. Juli 2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden - unter ihrer Zurückweisung im Übrigen - der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Oktober 2007 und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Ulm vom 28. August 2007 aufgehoben.
Die von den Beklagten an die Kläger laut gerichtlich protokolliertem Vergleich vom 4. Juni 2007 (2 O 512/06 LG Ulm) zu erstattenden Kosten werden auf 7.232,85 € festgesetzt.
Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel tragen die Kläger zu 85% und die Beklagten zu 15%.
Wert: 1.345,89 €
Gründe:
I. Die Kläger haben beide Beklagten vor dem Landgericht auf Rückzahlung eines Darlehens und die Beklagte zu 2 darüber hinaus auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus zwei zur Sicherung des Darlehens bestellten Grundschulden in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit ist durch einen gerichtlich protokollierten Vergleich beendet worden. Danach haben die Beklagten die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Einigungsgebühr, die von den Parteien jeweils selbst zu übernehmen ist. Der Wert des Rechtsstreits und des Vergleichs ist auf 127.822,97 € festgesetzt worden. Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat auf Antrag der Kläger die von den Beklagten zu erstattenden Kosten auf 8.399,29 € einschließlich Mehrwertsteuer festgesetzt. In diesem Betrag ist eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 2.332,88 € (1.960,40 € zuzüglich Mehrwertsteuer) enthalten.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde haben die Beklagten eine Herabsetzung dieser Verfahrensgebühr auf eine 0,55 Verfahrensgebühr angestrebt; die rechnerische Ermittlung des nach ihrer Auffassung festzusetzenden Betrages beruht auf einem offensichtlichen Rechenfehler. Die Beklagten sind der Meinung, aufgrund der Bestimmung in Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG sei eine 0,75 Geschäftsgebühr auf die 1,3 Verfahrensgebühr anzurechnen, weil die Prozessbevollmächtigten die Kläger schon vorgerichtlich vertreten hätten. Damit sind sie vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihr Begehren weiter.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie führt auch in der Sache zum Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Eine Pflicht der Rechtspflegerin zur Anrechnung einer Geschäftsgebühr, die aufgrund der vorgerichtlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten der Kläger entstanden sei, auf die gerichtliche Verfahrensgebühr bestehe nicht, da die Kläger diese Geschäftsgebühr nicht als Nebenforderung auf Grundlage eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs eingeklagt hätten. Nur dann aber sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren geboten. Die Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG gelte überdies nur im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten. Der Prozessgegner hafte auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten ausschließlich nach materiellem Recht. Nur wenn der Anfall der Geschäftsgebühr und die Pflicht des Gegners, sie zu tragen, oder jedenfalls die für die Berücksichtigung maßgebenden Tatsachen unstreitig seien, müsse diese als materiell-rechtlicher Anspruch einer Partei im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden; davon sei im gegebenen Fall nicht auszugehen.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG ist unter der - hier gegebenen - Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, eine bereits entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung ist die gerichtliche Verfahrensgebühr zu mindern, nicht hingegen die vorgerichtliche Geschäftsgebühr. Die Geschäftsgebühr bleibt also unangetastet; durch die Anrechnung verringert sich lediglich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (vgl. BGH, Urteile vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - NJW 2007, 2049 Tz. 11; vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 - NJW 2007, 2050 Tz. 19). Dieser Umstand ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Auf Weiteres kommt es - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nach den angeführten Entscheidungen nicht an.
b) Der VIII. Zivilsenat hat mittlerweile auch ausdrücklich ausgesprochen, dass es für die kostenrechtliche Anrechnung ohne Bedeutung ist, ob die Geschäftsgebühr vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstatten und ob sie insoweit zwischen den Parteien unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist. Maßgebend ist, dass § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO, auf den es in diesem Zusammenhang allein ankommt, für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG anknüpft. Entsteht die Verfahrensgebühr wegen der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG von vornherein nur in gekürzter Höhe, kommt im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht. Für die Anrechnung und damit die von selbst einsetzende Kürzung ist entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - NJW 2008, 1323 Tz. 6, 10).
Das ist hier zu bejahen. Der spätere Prozessbevollmächtigte ist für die Kläger bereits vorgerichtlich tätig geworden, wie sich aus dem von den Klägern vorgelegten Schriftverkehr ergibt. Damit liegen die Voraussetzungen gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG vor. Die Anrechnungsvorschrift findet ihren Grund darin, dass der Gebührenanspruch unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt gekürzt wird, weil nämlich der Rechtsanwalt aufgrund seiner vorprozessualen Befassung mit der Sache in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat (BGH aaO, Tz. 11).
c) Der III. Zivilsenat hat sich der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats angeschlossen und sich dessen Ausführungen ausdrücklich zu Eigen gemacht (Beschluss vom 30. April 2008 - III ZB 8/08 - bei juris abrufbar Tz. 4); auch der erkennende Senat tritt dieser Rechtsprechung bei.
Mithin hätte die Rechtspflegerin bei der von den Beklagten angegriffenen Kostenfestsetzung die 1,3 Verfahrensgebühr unter Teilanrechnung der wegen desselben Gegenstandes entstandenen Geschäftsgebühr vermindern müssen. Nach Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG ist eine nach den Nr. 2300 - 2303 VV RVG entstandene Geschäftsgebühr "zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75" zur Anrechnung zu bringen. Das bedeutet, dass die Geschäftsgebühr den Satz von 1,5 erreichen oder überschreiten muss, um sie - wie von den Beklagten angestrebt - mit einem Satz von 0,75 anrechnen zu können (vgl. Riedel/Sußbauer/Keller, RVG 9. Aufl. VV Teil 3 Vorbem. 3 Rdn. 65).
Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, dem hier einschlägigen Gebührentatbestand, sieht einen Gebührensatzrahmen von 0,5 bis 2,5 vor. Jedoch kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die vorgerichtliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dafür ist nichts ersichtlich, so dass die von den Beklagten mit ihrem Antrag begehrte Reduzierung um 0,75 auf eine 0,55 Verfahrensgebühr nicht in Betracht kommt. Es wäre Sache der Beklagten als den Festsetzungsgegnern gewesen, Umstände darzulegen, die eine Abweichung von der 1,3 Verfahrensgebühr rechtfertigen könnten, denn insoweit beziehen sie sich auf eine Ausnahme zum gebührengesetzlichen Regelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 aaO Tz. 12).
Ende der Entscheidung
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