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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.07.2008
Aktenzeichen: IV ZB 5/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 180
Zur Geschäftsraumeigenschaft im Sinne der Zustellungsvorschriften der §§ 178 Abs. 1 Nr. 2, 180 ZPO nach Inhaftierung des Geschäftsführers einer GmbH.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZB 5/08

vom 2. Juli 2008

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch

am 2. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Januar 2008 wird auf Kosten der Beklagten verworfen.

Streitwert: 825,14 €

Gründe:

I. Die erstinstanzlich anwaltlich nicht vertretene beklagte GmbH ist vom Amtsgericht zur Zahlung von 825,14 € verurteilt worden. Gegen das ausweislich der Zustellungsurkunde am 6. August 2007 durch Einlegung in den zu ihrem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellten Urteil hat ihr danach beauftragter Prozessbevollmächtigter am 30. November 2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung der zugleich wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat sie darauf verwiesen, dass ihr Geschäftsführer vom 14. Juni bis 26. November 2007 in Untersuchungshaft gewesen sei und sie deswegen nicht für eine regelmäßige Leerung des Briefkastens habe sorgen können.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Beklagte sei als ein am Wirtschaftsleben beteiligtes Unternehmen gehalten gewesen, für die Leerung des Briefkastens Vorsorge zu treffen, zumal sie mit einer Entscheidung des Gerichts habe rechnen müssen. Sie habe nicht einmal ansatzweise dargelegt, welche Anstrengungen sie diesbezüglich unternommen habe.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

II. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung unter Divergenzgesichtspunkten eine Entscheidung des Beschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

1. Die Beschwerde misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob die Inhaftierung des Geschäftsführers einer GmbH dazu führt, dass deren Räumlichkeiten die Eigenschaft als Geschäftsräume im Sinne der Zustellungsvorschriften der §§ 178 Abs. 1 Nr. 2, 180 ZPO verlieren entsprechend den für die Inhaftierung eines Wohnungsinhabers und seine Wohnung von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätzen.

a) Grundsatzbedeutung hat eine Rechtssache indes nur, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288, 291 und ständig). Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde mit ihrer Fragestellung nicht darlegen können. Insoweit fehlt es bereits an den notwendigen Ausführungen, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die betreffende Rechtsfrage umstritten ist (vgl. BGH aaO).

b) Der von ihr allein in Bezug genommene Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1998 (7 W 6/98 - OLGR Düsseldorf 1998, 273 f. = juris Tz. 5) gibt dafür nichts her. Er befasst sich insbesondere nicht damit, inwieweit die Anerkennung einer Räumlichkeit als Geschäftslokal einer GmbH voraussetzt, dass - wie die Beschwerde annehmen möchte - ihr Geschäftsführer dort auch (stets) erreichbar sein muss. Vielmehr ist darin lediglich in Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung ausgeführt, dass ein besonderes Geschäftslokal vorhanden ist, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und damit die GmbH dort erreichbar ist (OLG Düsseldorf aaO; vgl. ferner nur BGH, Urteil vom 19. März 1998 - VII ZR 172/97 - VersR 1999, 381 f.; MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl. § 178 Rdn. 21; Zöller/Stöber, 26. Aufl. § 178 Rdn. 15, jeweils m.w.N.). Welcher Einfluss allein der zwischenzeitigen Inhaftierung eines Geschäftsführers auf die bis dahin von seiner Gesellschaft benutzten Geschäftsräume als Geschäftslokal im Sinne der Zustellungsvorschriften zukommen kann, wird vom Oberlandesgericht Düsseldorf und auch sonst - soweit ersichtlich - nicht behandelt. Diese Fragestellung dürfte auch einer näheren abstrakt-generellen Beantwortung kaum zugänglich sein. Sie betrifft eine weitgehend vom Tatrichter anhand der Einzelfallumstände vorzunehmende Abklärung nach den vorgenannten in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht umstrittenen Voraussetzungen für ein Geschäftslokal.

Die von der Beschwerde herangezogenen Grundsätze zur Aufhebung der Wohnungseigenschaft, wenn der Wohnungsinhaber in Untersuchungshaft genommen wird (vgl. nur MünchKomm-ZPO/Häublein aaO Rdn. 8 m.N.), betreffen eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Der Verlust der Wohnungseigenschaft ist Folge einer Verlagerung des räumlichen Lebensmittelpunktes an einen anderen Ort (so bereits BGH, Urteil vom 24. November 1977 - II ZR 1/76 - NJW 1978, 1858 f. und ständig; vgl. MünchKomm-ZPO/Häublein aaO Rdn. 6 ff. m.w.N.), die mit dem Haftantritt - je nach Dauer - verbunden sein kann. Die Inhaftierung eines Geschäftsführers allein kann indes eine Verlagerung des Geschäftsortes seiner Gesellschaft nicht bewirken.

Dass hier die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit in den von ihr bis zur Verhaftung ihres Geschäftsführers genutzten Räumen vollständig eingestellt oder sie gar an einen anderen Ort verlagert haben könnte, um sie nach dessen Entlassung an alter Stelle wieder aufzunehmen, wird zudem nicht einmal von ihr selbst behauptet; dafür besteht auch sonst kein Anhalt.

Mit der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage ist mithin ein Zulassungsgrund insgesamt nicht dargetan.

2. Die Annahme des BG, die Beklagte habe für eine Leerung des Briefkastens Vorsorge treffen müssen, begründet keine Divergenzzulassung.

Vorkehrungen zu Fristwahrungen werden grundsätzlich auch verlangt, wenn die Abwesenheit nicht vorhersehbar war. Das gilt zumal für juristische Personen, die als Unternehmen - etwa bei Unglücksfällen oder gefährlichen Erkrankungen vertretungsberechtigter Personen - grundsätzlich Sorge tragen müssen, dass Posteingänge weiter bearbeitet werden, anderenfalls ihnen ein grobes Organisationsverschulden anzulasten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1986 - VII ZB 11/86 - VersR 1987, 561; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl. § 233 Rdn. 37).

Der von der Beschwerde herangezogenen Rechtsprechung, die Erkrankungen von Prozessparteien betrifft, lässt sich - worauf bereits die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist - ein Rechtssatz nicht entnehmen, dass bei unvorhersehbarer Abwesenheit keine entsprechenden Vorkehrungen verlangt werden können. Allenfalls in Ausnahmefällen ist bei nicht aus eigener Kraft behebbaren Erschwernissen im Verkehr mit der Außenwelt unverschuldete Behinderung denkbar (vgl. MünchKomm-ZPO/Gehrlein aaO Rdn. 39). Dass die Beklagte durch die Inhaftierung ihres Geschäftsführers bei äußerster, nach Lage der Dinge zuzumutender Sorgfalt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 1976 - VIII ZB 34/76 - VersR 1977, 257 f.) außerstande gewesen sein sollte, fristwahrende Vorkehrungen zu treffen, hat der Tatrichter indes in nicht zu beanstandender Weise verneint.

Ende der Entscheidung

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