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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.09.1998
Aktenzeichen: IV ZR 1/98
Rechtsgebiete: AUB 88
Vorschriften:
AUB 88 § 2 I (2) |
Handelt es sich bei der vom Versicherten ausgeführten oder versuchten vorsätzlichen Straftat um eine gefährliche Körperverletzung, besteht die typische, vom Zweck des Risikoausschlusses mit umfaßte Gefahrerhöhung darin, daß der Angegriffene sich wehrt und dadurch den Angreifer verletzt oder auch tötet.
BGH, Urteil vom 23. September 1998 - IV ZR 1/98 - OLG Frankfurt am Main LG Wiesbaden
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 23. September 1998
Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, den Richter Dr. Zopfs, die Richterin Dr. Ritter und die Richter Terno und Seiffert auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 1998
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. November 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Todesfallentschädigung in Höhe von 80.000 DM aus einer Unfallversicherung ihres Ehemannes H. T.. Dem Vertrag, den sein Arbeitgeber für ihn abgeschlossen hatte, lagen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen von 1988 (AUB 88) zugrunde.
H. T. hielt sich am frühen Morgen des 25. Mai 1995 mit Freunden in einer Pizzeria in O. auf. An einem Nebentisch saß der angetrunkene, zu agressivem Verhalten neigende V. V.. Dieser fühlte sich durch Blicke von H. T. gereizt und warf ihm einen Glasaschenbecher an den Kopf. Der Ehemann der Klägerin erhob sich. Ehe er etwas unternehmen konnte, hatte V. ihm mit dem Knauf seiner Pistole auf den Kopf geschlagen. Durch den Schlag sackte H. T. zusammen und erlitt eine stark blutende Wunde am Hinterkopf. Dem Gaststättenpersonal gelang es, V. zum Verlassen des Lokals zu bewegen. Von draußen hatte er durch ein Fenster Blickkontakt mit dem Ehemann der Klägerin, bedrohte ihn mit der Pistole, schoß auf einen PKW und schien sich dann zu entfernen. Nach fünf bis zehn Minuten verließ auch H. T. das Lokal. Er erblickte in einiger Entfernung V. , nahm sich von einer Baustelle ein schmales, einen Meter langes Holzbrett und verfolgte den flüchtenden V. . Inzwischen waren auch zwei Polizeibeamte eingetroffen. Da der Ehemann der Klägerin näherkam, drehte V. sich um, drohte den Gebrauch der Schußwaffe an und gab einen Warnschuß in den Boden ab. H. T. setzte die Verfolgung fort, holte V. ein, schlug mit dem Holzbrett nach ihm und traf ihn damit leicht am Rücken. Beim Weiterlaufen schoß V. nach hinten und traf den Ehemann der Klägerin tödlich. V. wurde wegen Totschlags rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Die Beklagte hat die Leistung zunächst mit der Begründung abgelehnt, es liege kein Unfall vor. Da der Schußwaffengebrauch vorhersehbar gewesen sei, fehle es am Merkmal der Plötzlichkeit.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte nur noch auf den Leistungsausschluß in § 2 I (2) AUB 88 berufen. Nach dieser Bestimmung fallen Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, daß er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht, nicht unter den Versicherungsschutz. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Die Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, daß der Ehemann der Klägerin einen Unfall im Sinne von § 1 III AUB 88 erlitten hat. Dagegen wendet auch die Beklagte nichts mehr ein. Es geht im Revisionsverfahren noch darum, ob die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 2 I (2) AUB 88 gegeben sind. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht dies verneint, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht führt zunächst aus, der von H. T. geführte Schlag mit der Dachlatte (dem schmalen Holzbrett) sei strafrechtlich als versuchte gefährliche Körperverletzung nach § 223a StGB zu werten, die weder durch Notwehr noch durch ein Festnahmerecht nach § 127 StPO gerechtfertigt sei. Dies alles könne letztlich aber auf sich beruhen. Auch wenn H. T. der Versuch einer vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung hätte zur Last gelegt werden können, würde es an dem erforderlichen adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen dieser strafbaren Handlung und dem Unfall, dem tödlichen Schuß, fehlen. Daß es ohne die Verfolgung des V. zu dem tödlichen Unfall nicht gekommen wäre, reiche nicht aus, den für den Leistungsausschluß erforderlichen Ursachenzusammenhang im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. November 1962 (II ZR 193/60 - VersR 1963, 133) herzustellen. Zum einen sei das Schlagen mit der Dachlatte für sich gesehen nicht geeignet, einen für den Schlagenden tödlichen Unfall herbeizuführen. Zum anderen sei die adäquate Kausalität schon deshalb zu verneinen, weil der tödliche Unfall allein auf das bewußte und gewollte Verhalten eines Dritten, hier des V. , zurückzuführen sei. Nach den von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen des Strafurteils habe V. den tödlichen Schuß vorsätzlich, und zwar mit bedingtem Tötungsvorsatz auf H. T. abgefeuert. Daß er diesen Tötungsvorsatz gefaßt und unter Überwindung der bestehenden erheblichen Hemmschwelle in die Tat umgesetzt habe, könne somit nicht als adäquate Folge der Handlungsweise des H. T., sondern nur als ein von V. begangenes, durch nichts zu rechtfertigendes und deshalb auch schwer bestraftes Verbrechen angesehen werden.
2. Dieser Kausalitätsbeurteilung liegt ein fehlerhaftes Verständnis vom Zweck des Leistungsausschlusses nach § 2 I (2) AUB 88 und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu gleichartigen Ausschlußklauseln zugrunde.
a) Der Ausschluß des Versicherungsschutzes wegen Unfällen, die dem Versicherten dadurch zustoßen, daß er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht, ist rechtlich unbedenklich (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 1990 - IV ZR 13/90 - VersR 1991, 289 unter III a.E., IV). Er dient der Ausschaltung des selbstverschuldeten besonderen Unfallrisikos, das mit der Ausführung einer strafbaren Handlung gewöhnlich verbunden ist und durch die Erregung und Furcht vor Entdeckung noch gesteigert wird (BGHZ 23, 76, 82). Die Adäquanz einer nicht hinwegzudenkenden Erfolgsbedingung zwischen der Ausführung der Straftat und dem Unfall ist grundsätzlich schon dann gegeben, wenn durch die Ausführung der Straftat eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen worden ist, die generell geeignet ist, Unfälle der eingetretenen Art herbeizuführen (vgl. Senatsurteile vom 26. September 1990 - IV ZR 176/89 - VersR 1990, 1268 re.Sp. unter 2 und vom 10. Februar 1982 - IVa ZR 243/80 - VersR 1982, 465 f.). Handelt es sich bei der Straftat um eine gefährliche Körperverletzung, also um einen tätlichen Angriff gegen die körperliche Integrität einer anderen Person, besteht die typische, vom Zweck des Risikoausschlusses mit umfaßte Gefahrerhöhung darin, daß der Angegriffene sich wehrt und dadurch den Angreifer verletzt oder - vorsätzlich oder fahrlässig - auch tötet. Das Risiko eines tödlichen Ausgangs ist erfahrungsgemäß besonders hoch, wenn der Angegriffene eine Schußwaffe bei sich führt. Es ist naheliegend, daß er davon berechtigt oder auch die Grenzen des Notwehrrechts überschreitend Gebrauch macht.
An der Adäquanz des Ursachenzusammenhangs und damit an einem billigenswerten, vom Zweck des Risikoausschlusses nicht umfaßten Grund für die Versagung des Versicherungsschutzes fehlt es lediglich in solchen Fällen, in denen der Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Unfall nur ein rein zufälliger ist und der dem Delikt eigentümliche Gefahrenbereich für den Schaden gar nicht ursächlich gewesen sein kann (BGHZ 23, 76, 82; vgl. ferner BGH, Urteile vom 26. September 1990 und vom 10. Februar 1982, aaO). Das ist unter anderem der Fall, wenn der Unfall unabhängig von der Straftat allein auf das Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist und dessen Handeln durch die Rechtsverletzung des Versicherten weder ausgelöst noch veranlaßt oder auch nur mitveranlaßt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1962, aaO).
b) Im vorliegenden Fall hat sich das typische, mit der Ausführung oder dem Versuch einer gefährlichen Körperverletzung verbundene erhöhte Unfallrisiko verwirklicht. V. hat, auch wenn es ihm vorrangig um das Entkommen vor seinem Verfolger gegangen sein sollte, gemäß der vorausgegangenen Androhung von der Schußwaffe Gebrauch gemacht, um zu verhindern, daß er durch weitere Hiebe mit dem Holzbrett niedergeschlagen oder zu Fall gebracht und dadurch an der Flucht gehindert wird (vgl. Strafurteil des LG Darmstadt vom 30. Mai 1997 S. 23-25, 27-31, 37-40). Der Ehemann der Klägerin hat durch sein Verhalten den (nach den Feststellungen im Strafverfahren ungezielten, Strafurteil S. 17, 29, 30 oben) Schuß des V. mitveranlaßt und sich dadurch, sofern er nicht ohne Schuld im Sinne von § 20 StGB gehandelt hat, bewußt einem tödlichen Unfallrisiko ausgesetzt, das nach dem Zweck des § 2 I (2) AUB 88 vom Deckungsschutz ausgeschlossen ist.
II. Für eine abschließende Entscheidung sind weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich. Nach den bisherigen Feststellungen kann zwar angenommen werden, daß der Unfall adäquat kausal durch die Ausführung oder den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung nach § 223a StGB in der damaligen Fassung verursacht worden ist. Es kann aber nach dem derzeitigen Sachstand nicht ausgeschlossen werden, daß der Ehemann der Klägerin ohne Schuld gehandelt hat, § 20 StGB. Dies hat die Klägerin im Berufungsverfahren unter Beweisantritt geltend gemacht und sich dabei auf die vorausgegangenen Kopfverletzungen und die vernünftigerweise nicht zu erklärende Selbstgefährdung bezogen.
Ob diese oder weitere Umstände seelischer Art beim Ehemann der Klägerin zu einem Affektzustand im Sinne einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung geführt haben können, läßt sich nur mit Hilfe eines Sachverständigen beurteilen. Kann dies nicht ausgeschlossen werden, hat die Beklagte Deckungsschutz zu gewähren. Da § 2 I (2) AUB 88 den Leistungsausschluß an die Ausführung einer Straftat anknüpft, richtet sich auch die zivilrechtliche Beurteilung nach den Grundsätzen des Strafrechts einschließlich der Beweislast (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 1990, aaO unter II 2; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 2 AUB 88 Rdn. 23; Wussow/Pürckhauer, AUB 6. Aufl. § 2 Rdn. 31; Grimm, AUB 2. Aufl. § 2 Rdn. 28). Bleiben nicht behebbare Zweifel an der Schuldfähigkeit des Täters, ist zu seinen Gunsten zu entscheiden (Tröndle, StGB 48. Aufl. § 20 Rdn. 28 m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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