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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.11.2009
Aktenzeichen: IV ZR 118/07
Rechtsgebiete: VBLS, GG
Vorschriften:
VBLS § 78 Abs. 2 | |
VBLS § 79 Abs. 2 | |
VBLS § 41 Abs. 2 | |
VBLS § 41 Abs. 2b | |
GG Art. 9 Abs. 3 | |
GG Art. 14 Abs. 1 |
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch
den Vorsitzenden Richter Terno,
die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
die Richterin Harsdorf-Gebhardt
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO,
in dem Schriftsätze bis zum 19. Oktober 2009 eingereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 3. Mai 2007 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Streitwert: 10.570 EUR
Tatbestand:
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22. November 2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003, im Folgenden: VBLS) hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1. März 2002 vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4. November 1966 beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
Die neue Satzung der Beklagten enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als so genannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist nur, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen.
Die Klägerin wurde am 31. Mai 1941 geboren und war nach Tätigkeiten im öffentlichen Dienst der DDR seit dem 1. Juli 1991 bei der Beklagten zusatzversichert. Sie ist schwerbehindert. Die Beklagte erteilte ihr gemäß § 79 Abs. 2 VBLS als einer rentennahen Versicherten eine Startgutschrift zum 31. Dezember 2001 in Höhe von 148,81 EUR, die sich als Mindestversorgungsrente nach §§ 40 Abs. 4, 44a VBLS a.F. ergab. Die Klägerin erhält seit dem 1. Mai 2003 neben einer gesetzlichen Rente in Höhe von 1.276,17 EUR eine Zusatzrente von der Beklagten, in die über die Startgutschrift hinaus weitere, im neuen Betriebsrentensystem erworbene Versorgungspunkte eingeflossen sind.
Die Klägerin hält die Umstellung des Versorgungssystems der Beklagten nicht für zulässig. Sie meint, die Beklagte sei dabei von nicht in jeder Hinsicht zutreffenden Tatsachen ausgegangen und greife insbesondere hinsichtlich der Rentendynamik in ihren erdienten Besitzstand ein. Unter Verstoß gegen Verfassungsrecht (vgl. BVerfG VersR 2000, 835) rechne die Beklagte die gesetzliche Rente zwar voll auf die nach ihrem alten Satzungsrecht versprochene Zusatzversorgung an, berücksichtige aber für die gesamtversorgungsfähige Zeit nur die Hälfte der Vordienstzeiten (Halbanrechnungsgrundsatz). Zu beanstanden sei ferner, dass für die Berechnung der Rentenanwartschaft bei Schwerbehinderten, die wie die Klägerin am 31. Dezember 2001 bereits das 60. Lebensjahr vollendet hatten, gemäß § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS als Rentenbeginn nicht pauschal die Vollendung des 63. Lebensjahres maßgeblich sei, sondern das für sie individuell frühest mögliche Eintrittsalter. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse auch für Schwerbehinderte die Vollendung des 63. Lebensjahres zugrunde gelegt werden, wenn sie für den Versicherten günstiger sei. Die Klägerin werde darüber hinaus wegen ihres Alters diskriminiert, weil bei ihr die Pflichtversicherung erst nach Vollendung des 50. Lebensjahres begonnen hat, also die Zeit, in der Umlagen vom Arbeitgeber an die Beklagte gezahlt worden sind, kürzer ist als die Zeit von der Vollendung des 50. Lebensjahres bis zum Eintritt des Versicherungsfalles, und der Nettoversorgungssatz deshalb gemäß § 41 Abs. 2 Satz 5, Abs. 2b Satz 5 VBLS a.F. für jedes Jahr auf nur 1,957% statt wie sonst 2,294% abgesenkt wird.
Die auf Erteilung einer höheren Startgutschrift und die Zahlung einer höheren Rente gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält sowohl den Systemwechsel vom bisherigen Gesamtversorgungssystem zum neuen Betriebsrentensystem als auch die hier zur Anwendung gelangte Übergangsregelung für rentennahe Versicherte (§ 79 Abs. 2 VBLS) für rechtmäßig. Zwar werde jedenfalls in die erdiente Aussicht der Versicherten auf künftige Rentenzuwächse eingegriffen, diese Eingriffe beruhten aber auch hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Annahme tatsächlicher Umstände auf den der neuen Satzung vorausgegangenen tarifvertraglichen Vereinbarungen; sie seien von der Einschätzungsprärogative und dem Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Tarifpartner hätten eine gemeinsame Expertengruppe beauftragt, "die Zahlen einvernehmlich unstreitig zu stellen"; offensichtliche und ergebnisrelevante Fehler seien nicht ersichtlich. Eine Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) liege nicht vor. Bei ergebnisbezogener Betrachtung seien die für rentennahe Versicherte wie die Klägerin vorgenommenen Einschnitte in erdiente Besitzstände hinnehmbar und auch nicht treuwidrig (§ 242 BGB).
Insbesondere könne die Klägerin keine volle Berücksichtigung ihrer Vordienstzeiten verlangen. Die neue Satzung der Beklagten halte nicht an dem vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Halbanrechnungsgrundsatz fest, sondern belasse Versicherten wie der Klägerin lediglich im Rahmen einer zeitlich begrenzten Übergangsregelung zum Schutz ihres Besitzstandes die Vorteile der früheren Regelung.
Soweit nach der Übergangsvorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS für schwerbehinderte Menschen statt einer pauschalen Hochrechnung auf das 63. Lebensjahr auf den nach den konkreten Verhältnissen näher liegenden Zeitpunkt des tatsächlichen Renteneintritts abzustellen sei, bestehe hierfür ein sachlicher Grund. Denn anders als bei rentennahen Versicherten im Allgemeinen gebe es bei Schwerbehinderten konkrete Anhaltspunkte für den voraussichtlichen Rentenbeginn und damit für den Zeitpunkt, auf den es nach dem früheren Gesamtversorgungssystem ankam. Aus Art. 3 Abs. 1 GG lasse sich kein Anspruch auf eine andere Berechnung ableiten, wenn die Hochrechnung auf das 63. Lebensjahr im Einzelfall für den Versicherten günstiger ausfalle.
Auch für die Bestimmungen des § 41 Abs. 2 Satz 5, Abs. 2b Satz 5 VBLS a.F. gebe es, selbst wenn man in dem etwa 15% geringeren Nettoversorgungssatz eine altersbezogene Ungleichbehandlung sehen wolle, einen rechtfertigenden Sachgrund: Denn die betroffenen Versicherten hätten nur verhältnismäßig kurze Zeit im öffentlichen Dienst gearbeitet; für sie seien von den Arbeitgebern entsprechend geringere Beiträge an die Beklagte geleistet worden. Dabei trage die Beklagte für diesen Personenkreis ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf die ohne Beitragszuschlag mitversicherten, im Alter häufigeren Risiken Erwerbsunfähigkeit und Schwerbehinderung. Die Versorgungszusage habe daher, wenn der genannte Personenkreis nicht generell von der Zusatzversorgung ausgenommen worden sei, jedenfalls wie geschehen beschränkt werden können.
II.
Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1.
Die Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte sind wirksam. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 14. November 2007 (BGHZ 174, 127 Tz. 25 ff.) entschieden, dass die Satzung der Beklagten auch ohne Zustimmung der Versicherten und im Wege einer umfassenden Systemumstellung geändert werden konnte. Dies hat der Senat mit Urteil vom 24. September 2008 (BGHZ 178, 101 Tz. 23 ff.) bestätigt und die Berechnung der bis zum Zeitpunkt der Systemumstellung von den rentennahen Versicherten erworbenen Rentenanwartschaften sowie deren Übertragung in das neu geschaffene Betriebsrentensystem gebilligt. Auf die Ausführungen in diesen Entscheidungen wird verwiesen. Insbesondere kommt ein Eingriff in eine von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition nicht in Betracht. Für den Systemwechsel bestand ausreichender Anlass; die Einschätzung der voraussichtlichen Entwicklung war Sache der Tarifvertragsparteien; deren Beurteilung ist von ihrer Einschätzungsprärogative gedeckt. Deshalb kommt es nicht auf den Vortrag der Revision darüber an, wie hoch die stillen Reserven der Beklagten tatsächlich sind, ob sie hätten eingesetzt werden können und müssen sowie ob die Tarifvertragsparteien bei der Prognose der weiteren finanziellen Entwicklung von unrichtigen oder unvollständigen Zahlen ausgegangen sind. Unerheblich ist erst recht, dass ein Angehöriger der Gewerkschaft, auf den sich die Klägerin als Zeugen beziehen will, der Neuregelung zugrunde liegende Tatsachen in wesentlichen Bereichen für unzutreffend hält und meint, dadurch seien die Entscheidungsorgane der Tarifparteien und der Beklagten bewusst in die Irre geführt worden.
2.
Es ist hinzunehmen, dass gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 VBLS für die Berechnung der Anwartschaften der 31. Dezember 2001 als Stichtag maßgebend ist und es deshalb für die Ermittlung des gesamtversorgungsfähigen Entgelts auf die letzten Jahre vor diesem Stichtag und nicht - wie nach § 43 VBLS a.F. - auf die entsprechenden Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalls ankommt (BGHZ 178, 101 Tz. 46 ff.). Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, dass für die Startgutschriften der rentennahen Versicherten die Vordienstzeiten weiterhin nur zur Hälfte auf die gesamtversorgungsfähige Zeit angerechnet werden (a.a.O. Tz. 54 ff.). Damit bleibt den Versicherten der vor der Systemumstellung erworbene Besitzstand erhalten. Ein schützenswertes Vertrauen auf eine Vollanrechnung der Vordienstzeit ist zu keiner Zeit begründet worden.
Die Übergangsregelungen sind für Versicherte, die - wie die Klägerin - bei Systemumstellung schwerbehindert waren, durch § 79 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VBLS insofern abgewandelt worden, als es bei der vorzunehmenden Hochrechnung nicht pauschal auf die Vollendung des 63. Lebensjahres, sondern im Regelfall auf das für den jeweiligen Versicherten frühest mögliche Eintrittsalter in die abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen ankommt. Bei der Klägerin war der Bezug einer abschlagsfreien Altersrente für schwerbehinderte Menschen schon vor dem 31. Dezember 2001 möglich, so dass keine Hochrechnung über diesen Zeitpunkt hinaus vorgenommen worden ist.
Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom 3. Dezember 2008 (IV ZR 251/06 Tz. 26 und IV ZR 319/06 Tz. 34, beide bei [...] abrufbar), auf die für die Einzelheiten verwiesen wird, die Wirksamkeit der Sonderregelung für schwerbehinderte Versicherte in § 79 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VBLS bestätigt. Ihre sachliche Rechtfertigung liegt darin, dass die bei einer pauschalierenden Hochrechnung unvermeidbaren Abweichungen von den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles hier minimiert werden. Zudem wird vermieden, dass der Versicherte infolge der Vorverlegung des Hochrechnungszeitpunkts den Schutz einer Mindestgesamtversorgung nach bisherigem Recht verliert, der der Klägerin hier zugute kommt. Der Auffassung der Revision, ein Versicherter habe Anspruch auf die Hochrechnung auf das 63. Lebensjahr, wenn sie für ihn günstiger sei als die Sonderregelung nach § 79 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VBLS, fehlt jede rechtliche Grundlage; sie ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BGHZ 178, 101 Tz. 60).
4.
Was den geringeren Nettoversorgungssatz angeht, den die Beklagte bei der Ermittlung der Startgutschrift gemäß § 41 Abs. 2 Satz 5, Abs. 2b Satz 5 VBLS a.F. angewandt hat, hat der Senat Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Regelung mit Urteil vom heutigen Tage (IV ZR 57/07 unter II 2), auf das verwiesen wird, zurückgewiesen. Die Leistungspflicht der Beklagten konnte im Hinblick darauf eingeschränkt werden, dass bei Versicherten, die - wie die Klägerin - zu Beginn der Pflichtversicherung das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten und nicht die volle Zeit von der Vollendung des 50. Lebensjahres bis zum Eintritt des Versorgungsfalles einer beitragspflichtigen Tätigkeit im öffentlichen Dienst nachgegangen sind, der Beklagten nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit Beiträge für ein durch das Alter der Versicherten erhöhtes Risiko zufließen; die nach dem sonst üblichen Nettoversorgungssatz berechnete Rente würde zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Beklagten führen. Diese versicherungsmathematisch erheblichen Gesichtspunkte rechtfertigen die angegriffene Regelung auch vor den Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie des europäischen Rechts (Richtlinie 2000/78/EG, ABlEG Nr. 1303, S. 16 ff.; Art. 141 EG/119 EGV; allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2005, Rs C-144/04 [Mangold] Slg. 2005, I-9981-10042 Rdn. 75 f.).
5.
Ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich schließlich nicht daraus, dass in Fällen wie dem vorliegenden mehrere, die Höhe der Rente mindernde Gesichtspunkte zusammentreffen (wie die Anrechnung der Vordienstzeiten nur zur Hälfte und der geringere Nettoversorgungssatz).
Ende der Entscheidung
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