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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.10.2009
Aktenzeichen: IV ZR 138/08
Rechtsgebiete: BGB, VVG


Vorschriften:

BGB § 123 Abs. 1
BGB § 142 Abs. 1
VVG § 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

durch

den Vorsitzenden Richter Terno,

die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und

die Richterin Harsdorf-Gebhardt

auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Mai 2008 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rentenleistungen aus einer bei dem Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Die Klägerin beantragte am 7. Februar 2001 bei dem Beklagten den Abschluss einer Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Im Antragsformular verneinte die Klägerin insbesondere Fragen nach Krankheiten, Unfallfolgen, körperlichen Schäden, Gesundheitsstörungen oder Beschwerden der Wirbelsäule, der Gelenke oder der Haut sowie nach Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte, Heilpraktiker oder Psychologen innerhalb der letzten fünf Jahre. Ebenso verneinte sie die Fragen nach der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten innerhalb der letzten 15 Jahre sowie nach Behinderungen. Zu den Fragen nach Krankheiten der Harnwege innerhalb der letzten fünf Jahre und Operationen innerhalb der letzten 15 Jahre gab die Klägerin lediglich eine Nephrektomie rechtsseitig infolge einer Schrumpfniere im Jahr 1991 und eine Resturetherentnahme im Jahr 1996 an. Tatsächlich war die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum mehrfach in ärztlicher Behandlung, insbesondere wegen rezidivierender Harnwegsinfekte, die mit medikamentöser Dauertherapie behandelt wurden, Beschwerden des Verdauungsapparats, allergischer Beschwerden, eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen BWS-Syndroms sowie einer Bandruptur im Sprunggelenk.

Im Oktober 2004 beantragte die Klägerin unter Beifügung einer generellen Schweigepflichtentbindungserklärung Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, da sie wegen eines Fibromyalgiesyndroms ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als kaufmännische Sachbearbeiterin im Servicecenter eines Energieversorgers dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Unter Hinweis auf unrichtige Angaben zu den Gesundheitsfragen bei Stellung des Versicherungsantrags trat der Beklagte im Juni 2005 vom Vertrag zurück und focht diesen wegen arglistiger Täuschung an.

Die Klägerin behauptet, bei den unterbliebenen Angaben handele es sich um Bagatellen bzw. um folgenlos ausgeheilte Vorgänge. Sie habe angenommen, der Beklagte werde sich insoweit über den angegebenen Hausarzt über ihren Gesundheitszustand informieren. Zudem ist die Klägerin der Ansicht, wegen der Unwirksamkeit der erteilten Schweigepflichtentbindung habe der Beklagte die von den behandelnden Ärzten erlangten Erkenntnisse nicht verwerten dürfen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat den Versicherungsvertrag aufgrund der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB, § 22 VVG a.F.) als insgesamt nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB) angesehen, weshalb der Beklagte leistungsfrei sei.

Die im Antrag gestellten Gesundheitsfragen habe die Klägerin unstreitig in verschiedener Hinsicht unzutreffend verneint. Bei pflichtgemäßen Angaben hätte der Beklagte den Versicherungsvertrag nicht in dieser Form, sondern nur mit Ausschlussklauseln wenigstens hinsichtlich der Rückenbeschwerden, der Harnwegsinfekte und der Gelenkbeschwerden abgeschlossen.

Die Klägerin habe arglistig gehandelt, da ihr die nicht angegebenen Behandlungen bekannt gewesen seien und sie es zumindest für möglich gehalten und damit gerechnet habe, dass der Beklagte die nicht offenbarten Umstände in die Risikoprüfung einbeziehen würde und dies zu einer Einschränkung des Versicherungsschutzes habe führen können. Die Häufigkeit, Dauer und Intensität der verschwiegenen Krankheiten, Beschwerden und Behandlungen ließen keine andere vernünftige Erklärung zu, als dass die Klägerin in dem Bewusstsein gehandelt habe, sie werde bei einer pflichtgemäßen Angabe die Abschlussbereitschaft des Beklagten gefährden. Unglaubhaft sei die Angabe der Klägerin, sie habe darauf vertraut, der Beklagte werde die fehlenden Angaben beim angegebenen Hausarzt einholen, zumal die Beklagte auch bei weiteren Ärzten in Behandlung gewesen sei.

Ein Verwertungsverbot in Bezug auf die durch Nachfrage bei den behandelnden Ärzten gewonnenen Informationen bestehe nicht. Zwar sei die Schweigepflichtentbindungserklärung unwirksam, dies ziehe jedoch kein Verwertungsverbot nach sich. Weder sehe die Zivilprozessordnung ein Verwertungsverbot vor, noch ergebe sich ein solches aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Beklagte sei nicht heimlich, sondern unter Offenlegung seiner Ermächtigungsgrundlage vorgegangen, und sei zudem nach dem Versicherungsvertrag für die Prüfung seiner Leistungspflicht zur umfassenden Aufklärung der Krankheitsgeschichte der Klägerin berechtigt gewesen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem gegen eine Verwertung streitenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin einerseits und dem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse des Versicherers andererseits müsse daher hier zu Gunsten des Beklagten ausfallen.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

Die Revision macht ohne Erfolg geltend, mangels wirksamer Schweigepflichtentbindungserklärung sei der Beklagte an der Verwertung der durch die Befragung der behandelnden Ärzte erlangten Informationen gehindert gewesen und es bestehe insoweit ein Verwertungsverbot. Zwar ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass die erteilte umfassende Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht und die Ermächtigung des Beklagten, bei diesen selbständig Informationen über den Gesundheitszustand der Klägerin einzuholen, unwirksam war (vgl. BVerfG VersR 2006, 1669). Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Beklagte daran gehindert wäre, seine Arglistanfechtung materiell-rechtlich auf die erlangten Informationen zu stützen und sich im Prozess darauf zu berufen. Dabei kann dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - die Erhebung der Gesundheitsdaten durch den Beklagten wegen des Fehlens einer wirksamen Einwilligung der Klägerin als rechtswidrig anzusehen ist. Denn selbst in diesem Falle wäre der Beklagte hier nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich im Rahmen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auf die mittels der zu weit gefassten Schweigepflichtentbindung gewonnenen Erkenntnisse über verschwiegene Vorerkrankungen zu berufen. Die Anfechtung wäre auch dann keine unzulässige Rechtsausübung.

Nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten führt stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Treuwidriges Verhalten eines Vertragspartners kann zwar dazu führen, ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige Verhalten verschafft hat (vgl. BGHZ 57, 108, 111). Entsprechendes gilt, wenn das treuwidrige Verhalten darauf gerichtet war, die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsausübung zu schaffen, etwa die zur Ausübung eines Rücktritts- oder Anfechtungsrechts erforderliche Tatsachenkenntnis zu erlangen. Lässt sich - wie hier - ein solches zielgerichtet treuwidriges Verhalten nicht feststellen, so muss durch eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt sein soll (vgl. BGHZ 68, 299, 304; 55, 274, 279 f.; Looschelders/Olzen in Staudinger, BGB [2005] § 242 Rdn. 220, 251). Dies muss umso mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt.

Die danach im Streitfall gebotene Abwägung der Parteiinteressen und sonstigen Fallumstände ergibt, dass das Interesse der Klägerin, den Beklagten an der Verwendung der rechtswidrig erhobenen Gesundheitsdaten zu ihrem Nachteil zu hindern, hinter dem Interesse des Beklagten zurückstehen muss, sich von dem nur mittels arglistiger Täuschung zustande gekommen Vertrag zu lösen.

Im Senatsurteil vom heutigen Tage im Verfahren IV ZR 140/08 (zur Veröffentlichung bestimmt) hatte der Senat in einer vergleichbaren Fallgestaltung das Geheimhaltungsinteresse des arglistig täuschenden Versicherungsnehmers an seinen Gesundheitsdaten gegenüber dem Interesse des getäuschten Berufsunfähigkeitsversicherers an der Verwendung von Gesundheitsdaten, die dieser im Vertrauen auf eine wegen ihrer Reichweite unwirksame Einwilligungserklärung erhoben hatte, abzuwägen. Die dortige Abwägung hat ergeben, dass das Geheimhaltungsinteresse des arglistig Täuschenden in solchen Fällen zurücktreten muss. Zu den Einzelheiten wird auf das genannte Senatsurteil verwiesen. Auch im Streitfall kann die gebotene Abwägung zu keinem anderen Ergebnis führen. Auch hier erweist sich der Rechtsverstoß des Beklagten bei der Erhebung der Daten angesichts des vorangegangenen Rechtsverstoßes der Klägerin als nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm deswegen die Arglistanfechtung verwehrt wäre.

Aus denselben Erwägungen besteht kein Anlass, dem Beklagten im Prozess die Berufung auf die gewonnenen Erkenntnisse zu verwehren oder für das Gericht ein Verwertungsverbot zu begründen (vgl. dazu OLG Saarbrücken, Urteil vom 9. September 2009 - 5 U 510/08-93). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Urteilen des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 162, 1; 166, 283; BGH, Urteil vom 12. Januar 2005 - XII ZR 60/03 - FamRZ 2005, 342), wonach heimlich eingeholte Abstammungsgutachten im Vaterschaftsanfechtungsverfahren "auch als Parteivortrag ungeeignet [seien], die Schlüssigkeit einer Vaterschaftsanfechtungsklage herbeizuführen" (BGHZ 166, 283 Tz. 10). Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich von den vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fällen bereits dadurch, dass die geschützten Daten nicht heimlich, sondern offen und im Vertrauen auf die Wirksamkeit der erteilten Einwilligung erhoben wurden. Darüber hinaus hat der Parteivortrag im Vaterschaftsanfechtungsverfahren eine besondere verfahrensrechtliche Bedeutung. Um das vom Untersuchungsgrundsatz geprägte Vaterschaftsanfechtungsverfahren in Gang zu bringen, muss der Kläger lediglich Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes von dem als Vater geltenden Kläger zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als nicht ganz fern liegend erscheinen zu lassen (BGHZ 162, 1, 3). Die Beweiserhebung erfolgt sodann von Amts wegen. Diese Besonderheit rechtfertigt es, das Verwertungsverbot dort bereits auf den Parteivortrag zu beziehen. Dem durch den Beibringungsgrundsatz und die Parteienmaxime geprägten regulären Zivilverfahren ist ein bereits am Vortrag ansetzendes Verwertungsverbot dagegen fremd.

Ende der Entscheidung

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