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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 14.09.2005
Aktenzeichen: IV ZR 198/04
Rechtsgebiete: VBLS i.d.F. vom 1. Januar 2001
Vorschriften:
VBLS i.d.F. vom 1. Januar 2001 § 85 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 14. September 2005
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2005
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 14. Mai 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Satzungsänderung der beklagten Zusatzversorgungseinrichtung, mit der der bisher gewährte Anspruch der Versicherten auf Sterbegeld stufenweise abgeschafft wird.
Der 1935 geborene, verheiratete Kläger war als Arbeitnehmer 43,5 Jahre bei der Beklagten pflichtversichert. Seit 1999 bezieht er neben einer Sozialversicherungsrente von der Beklagten eine Zusatzversorgungsrente. Mit seiner Klage hat er u. a. die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm und seinen Erben bzw. berechtigten Familienmitgliedern ein Sterbegeld gemäß § 58 der Satzung der Beklagten (VBLS) in der Fassung vom 31. Dezember 2000 zu gewähren.
In dieser Fassung sah § 58 VBLS ein Sterbegeld in Höhe der im Zeitpunkt des Todes maßgeblichen Gesamtversorgung vor, das beim Tode eines Versorgungsrentenberechtigten und beim Tode seines Ehegatten zu zahlen ist (§ 58 Abs. 4). § 85 VBLS in der seit 1. Januar 2001 geltenden Neufassung (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003) lautet hingegen wie folgt:
"Sterbegeld wird bei Fortgeltung des bisherigen Rechts (§ 58 Abs. 1 bis 3 und 8 d.S. a.F.) Anspruchsberechtigten unter Berücksichtigung des am 31. Dezember 2001 maßgebenden Gesamtbeschäftigungsquotienten in folgender Höhe gezahlt für Sterbefälle
im Jahr 2002 1.535 Euro,
im Jahr 2003 1.500 Euro,
im Jahr 2004 1.200 Euro,
im Jahr 2005 900 Euro,
im Jahr 2006 600 Euro,
im Jahr 2007 300 Euro.
Ab 2008 entfällt das Sterbegeld."
Amtsgericht und Berufungsgericht haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision insoweit zugelassen, "als sich der Kläger gegen die - stufenweise - Abschaffung des Sterbegeldes wendet". Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen darauf bezogenen Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte gemäß § 14 VBLS a.F. befugt, die Leistungsbestimmungen für die Zusatzversorgung derart zu ändern, dass ein Sterbegeld nur noch im Rahmen einer Übergangsregelung (§ 85 VBLS) bis zum Jahr 2007 in jährlich sinkender Höhe und ab dem Jahr 2008 nicht mehr gezahlt wird. Diese stufenweise Abschaffung des Sterbegeldes wirke unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft ein, beinhalte somit eine unechte Rückwirkung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich zulässig sei. Zwar habe der Versicherte seine Arbeitsleistung bereits in vollem Umfang erbracht; sein Vertrauen auf die Gegenleistung müsse jedoch im Rahmen einer Abwägung hinter dem Ziel der Satzungsänderung - der Umstellung von einem umlagefinanzierten auf ein kapitalgedecktes Zusatzversorgungssystem - zurücktreten. Die Beklagte könne sich deshalb auf die Satzungsänderung berufen, ohne treuwidrig (§ 242 BGB) zu handeln.
II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Beschränkung der Revisionszulassung durch das Berufungsgericht auf den Sterbegeldanspruch ist zulässig, da dieser gegenüber dem ursprünglich vom Kläger noch zusätzlich geltend gemachten Anspruch auf Dynamisierung seiner Zusatzversorgungsrente nach § 56 VBLS a.F. einen tatsächlich und rechtlich selbständigen, abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs darstellt, der Gegenstand eines Teilurteils sein könnte (st. Rspr. BGH, Urteile vom 26. Oktober 2004 - XI ZR 255/03 - ZIP 2005, 69 unter A I, zur Veröffentlichung in BGHZ 161, 15 vorgesehen; vom 5. November 2003 - VIII ZR 320/02 - BGH-Report 2004, 262 unter II).
2. Die Satzungsbestimmungen der Beklagten finden als Allgemeine Versicherungsbedingungen auf die Gruppenversicherungsverträge Anwendung, die von den beteiligten Arbeitgebern als Versicherungsnehmern mit der Beklagten als Versicherer zugunsten der bezugsberechtigten Versicherten, der Arbeitnehmer, abgeschlossen sind (st. Rspr.; Senatsbeschluss vom 9. Juli 2003 - IV ZR 100/02 - VersR 2004, 364 unter II 2 a; BGHZ 142, 103, 105 ff.; BVerfG VersR 2000, 835 unter 2 a, c). Rechtliche Grundlage für die von der Beklagten vorgenommene Satzungsänderung ist demnach der Änderungsvorbehalt des § 14 VBLS a.F./n.F., der auch zum Eingriff in bestehende Versicherungsverhältnisse berechtigt (vgl. BGHZ 103, 370, 381 f.; Senatsurteil vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 217/02 - VersR 2004, 319 unter II 2 a).
3. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB verweist für die Inhaltskontrolle auf §§ 305 ff. BGB, also auch auf die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1, 3 BGB, die für Tarifverträge eine Inhaltskontrolle generell ausschließt. Der Senat kann allerdings offenlassen, ob dies auch für den vorliegenden Fall gilt, in dem die Bestimmung eines Tarifvertrages - hier: § 35 Tarifvertrag Altersversorgung in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 2 vom 12. März 2003 (ATV) - nahezu wortgleich in Allgemeine Versicherungsbedingungen übernommen wurde. Die nach §§ 305 ff. BGB gebotene umfassende Abwägung der beiderseitigen In-teressen unter Berücksichtigung der objektiven Wertentscheidungen des Grundgesetzes und der Grundrechte (vgl. dazu BVerfG aaO; BGHZ 103, 370, 383) ergibt, dass § 85 VBLS n.F. unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten der Inhaltskontrolle standhält.
a) Ein Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Eigentumsposition liegt nicht vor. Der Sterbegeldanspruch fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Der Sterbegeldanspruch könnte, insoweit mit einer sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition vergleichbar, nur dann Eigentumsschutz beanspruchen, wenn er auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhte und zudem seiner Existenzsicherung diente (vgl. BVerfGE 72, 9, 18 f.; BSGE 69, 76, 77 f.). Ob ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch eine wichtige Grundlage der Daseinssicherung darstellt und damit die freiheitssichernde Funktion der Eigentumsgarantie wesentlich berührt, ist nicht nach den individuellen Verhältnissen des Klägers, sondern objektiv aus der Sicht einer großen Mehrzahl Betroffener festzustellen (BVerfGE aaO 21).
Gemessen daran hat das Sterbegeld keine nachhaltige Bedeutung für den Versicherten und seine Angehörigen (vgl. BVerfGE 60, 113, 119). Die Zahlung des Sterbegelds macht unstreitig weniger als 1% der ausgezahlten Leistungen der Beklagten aus. Es soll die mit dem Begräbnis verbundenen wirtschaftlichen Belastungen mindern (Kiefer/Langenbrinck, Betriebliche Altersversorgung im öffentlichen Dienst Stand: Oktober 2004 § 35 ATV Rdn. 1; vgl. auch BSGE aaO 78; BVerwGE 23, 52, 53) und den Hinterbliebenen die Umstellung auf die nach dem Tod des Unterhaltspflichtigen geänderten Verhältnisse erleichtern (SG Dresden, Urteil vom 15. Dezember 2004 - S 25 KR 1229/04 - zitiert nach juris unter Rdn. 18; Kiefer/Langenbrinck, aaO). Damit dient das Sterbegeld nicht der existentiellen Sicherung des Anspruchsberechtigten; Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht berührt (BVerfG SozR 3 - 2500 § 59 Nr. 3; BSGE aaO 76 ff.; BSG NJW 1992, 260; SG Chemnitz, Gerichtsbescheid vom 24. November 2004 - S 13 KR 684/04 - zitiert nach juris unter Rdn. 27; SG Dresden aaO Rdn. 29). Dies gilt nicht nur bei einer Kürzung, sondern auch der vollständigen Streichung des Sterbegeldes (SG Chemnitz aaO; SG Dresden aaO; vgl. auch BSGE aaO 79).
b) Entgegen der Auffassung der Revision ist eine andere rechtliche Beurteilung auch nicht unter Berücksichtigung des Gewährleistungsgehaltes von Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 20. März 1952 (BGBl. II 1956 S. 1880; Bekanntmachung der Neufassung vom 17. Mai 2002, BGBl. II S. 1072; im folgenden: 1. ZP) geboten. Als Bestandteil des Bundesrechts ohne Verfassungsrang ist es bei der Anwendung und Auslegung innerstaatlichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 74, 358, 370).
(1) Art. 1 1. ZP gewährleistet jeder natürlichen Person die Achtung ihres Eigentums. Vom Eigentumsbegriff umfasst sind alle von Privaten erworbenen Rechte mit Vermögenswert unter Einschluss von Forderungen, sofern für diese eine berechtigte Erwartung der Realisierung geltend gemacht werden kann (EGMR - Lenz/Deutschland - NJW 2003, 2441; BVerfG WM 2004, 2497, 2503). Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche müssen ferner durch Eigenleistung erdient sein, wobei Art. 1 1. ZP auch dann keinen Anspruch auf Auszahlung eines bestimmten Betrages verbürgt (EGMR - Lenz/Deutschland - aaO; EKMR - Müller/Österreich - DR 3 1975, 25 unter Rdn. 30). Schließlich muss es sich um einen identifizierbaren Anspruch am Versicherungsfonds handeln, d.h. es muss eine direkte Beziehung zwischen Beitrags- und Anspruchshöhe bestehen (EKMR, EuGRZ 1979, 2; EKMR - Kleine Staarman/Niederlande - DR 42 1985, 162, 166). Ob diese Voraussetzungen hier allesamt erfüllt sind, ist schon zweifelhaft, muss hier aber auch nicht entschieden werden. Jedenfalls ist die Streichung des Sterbegeldes unter Berücksichtigung des damit von der Beklagten verfolgten Ziels gerechtfertigt, insbesondere nicht unverhältnismäßig, und genügt damit den Anforderungen an eine Einschränkung des durch Art. 1 1. ZP garantierten Eigentumsschutzes (vgl. dazu EGMR - Lenz/Deutschland - aaO; EGMR, Urteil vom 23. November 2000 - König von Griechenland - NJW 2002, 45 unter Rdn. 89; EGMR, Urteil vom 24. Oktober 1986 - AGOSI/UK - EuGRZ 1988, 513 unter Rdn. 52).
(2) Ziel der durch die Entscheidung des BVerfG vom 22. März 2000 (VersR 2000, 835) mitveranlassten Satzungsänderung ist (u.a.) - wie Satz 1 der Präambel zum ATV zu entnehmen ist - die Stabilisierung der finanziellen Lage der Beklagten im Interesse der Zukunftsfähigkeit der Zusatzversorgung insgesamt. Dem dient auch die Abschaffung des Sterbegeldes, das deshalb nicht nur als isolierter Rechnungsposten betrachtet werden darf (BSGE aaO 80; SG Chemnitz aaO unter Rdn. 29; vgl. auch BVerfGE 72, 175, 198). Zwar wiegt der Eingriff in eine erworbene Rechtsposition, die mittelfristig deren vollständige Abschaffung bewirkt, grundsätzlich schwer. Der reale finanzielle Schaden eines Versicherten fällt dagegen wegen der untergeordneten wirtschaftlichen Bedeutung des Anspruchs nicht beträchtlich ins Gewicht.
Hinzu kommt, dass § 85 VBLS n.F. eine Übergangsregelung schafft, die eine stufenweise Rückführung über fünf Jahre bewirkt. Damit wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angemessen Rechnung getragen (BVerfGE 95, 64, 88; 43, 242, 288). Art. 1 1. ZP eröffnet damit jedenfalls hier keinen über Art. 14 GG hinausgehenden Eigentumsschutz (vgl. Hartwig, RabelsZ 1999, 561, 579).
c) Schließlich liegt auch der von der Revision gerügte Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nicht vor.
(1) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der vorliegende Sachverhalt nach den Maßstäben der "unechten" Rückwirkung zu beurteilen ist. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (st. Rspr. BVerfGE 101, 239, 263; 95, 64, 86). Hier liegt ein solcher abgeschlossener Sachverhalt nicht schon mit dem Ende der Beitragszahlung durch Beginn des Bezugs von Versorgungsrente vor. Maßgeblich sind vielmehr die Voraussetzungen des Anspruchs auf Sterbegeld. Dieser Anspruch entsteht aber erst mit dem Tod des Berechtigten (Kiefer/Langenbrinck, aaO § 35 ATV Rdn. 2).
(2) Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig und (u.a.) nur dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der bisherigen Sterbegeldregelung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände billigerweise berücksichtigt werden muss, es also im Rahmen einer Interessenabwägung zwischen dem Ausmaß seines Vertrauensschadens und der Bedeutung des von der Beklagten mit der Regelungsänderung verfolgten Anliegens überwiegt (BVerfGE 101, 239, 263; 72, 175, 196). Wie bereits dargelegt, muss das Vertrauen des Klägers hier aber hinter den Interessen der Beklagten zurücktreten. Die Satzung der Beklagten stand schon nach § 14 VBLS a. F. unter dem Vorbehalt der Änderung. Deshalb konnte der Kläger nicht die Erwartung hegen, dass die satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen während der gesamten Dauer seines Versicherungsverhältnisses gänzlich unverändert bleiben würden. Von der Möglichkeit einer Änderung ihrer Satzung hat die Beklagte hier Gebrauch gemacht, um sich veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Die damit beabsichtigte Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Zusatzversorgung insgesamt liegt im besonderen Interesse der Versichertengemeinschaft, zu der auch der Kläger gehört. Wie alle anderen Versicherten erwirbt auch er nicht nur die Chancen auf hohe Leistungen, sondern trägt auch die mit einer Verschlechterung der finanziellen Lage verbundenen Risiken. Der Wegfall des Sterbegeldes ist zudem Teil eines mit der geänderten Satzung verwirklichten und langfristig angelegten Gesamtkonzepts, weshalb sich im Hinblick auf das Einsparpotenzial eine isolierte Betrachtungsweise verbietet. Die in § 85 VBLS n.F. vorgesehene mehrjährige, abgestufte Übergangsregelung lässt dem einzelnen Versicherten darüber hinaus den erforderlichen Raum für eine ergänzende private Vorsorge.
(3) Das Senatsurteil vom 27. September 2000 (IV ZR 140/99 - VersR 2000, 1530) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Schon die zugrunde liegenden Ausgangssachverhalte lassen sich nicht vergleichen.
Ende der Entscheidung
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