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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 25.09.2002
Aktenzeichen: IV ZR 212/01
Rechtsgebiete: VVG
Vorschriften:
VVG § 61 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 25. September 2002
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter Seiffert als Vorsitzenden, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin Ambrosius und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2002
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 18. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Nach einem Verkehrsunfall verlangt der Kläger Versicherungsleistungen in Höhe von 30.700 DM für den Totalschaden seines bei der Beklagten vollkaskoversicherten Pkw Honda Accord.
Er verlor am 7. Februar 1997 um 4.20 Uhr innerorts ausgangs einer Linkskurve die Gewalt über das Fahrzeug, welches infolgedessen von der Fahrbahn abkam, zunächst einen Straßenbaum streifte und sodann frontal gegen einen weiteren Baum prallte.
Der Kläger wurde bewußtlos in ein Krankenhaus eingeliefert. Ihm war ein Unterschenkel abgerissen worden. Zur Vorbereitung der erforderlichen sofortigen Beinamputation veranlaßte der zuständige Anästhesist eine Blutalkoholbestimmung, die alsbald im Labor des Krankenhauses mittels eines automatischen Meßgeräts, das nach der Alkoholhydrogenase-Methode (ADH-Methode) arbeitet, vorgenommen wurde. Es wurde lediglich eine Messung durchgeführt, welche für 5.30 Uhr, den Zeitpunkt der Blutprobenentnahme, einen Alkoholgehalt von 1,12 g/l Blutserum ergab. Für weitere Blutuntersuchungen zu Ermittlungszwecken blieb keine Zeit mehr.
Die Beklagte hält sich unter Berufung auf § 61 VVG für leistungsfrei, weil der Kläger den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Er sei infolge Alkoholkonsums jedenfalls relativ fahruntauglich gewesen. Der Unfall sei die Folge typischer alkoholbedingter Fahrfehler, insbesondere überhöhter Geschwindigkeit.
Der Kläger bestreitet, vor der Fahrt Alkohol getrunken zu haben. Er meint, die nur einmalige Bestimmung des BAK-Wertes nach der ADH-Methode erlaube keine ausreichend sicheren Rückschlüsse auf eine Alkoholisierung und deren Grad und sei deshalb kein verwertbares Beweismittel.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist zulässig. Seine Zulassung durch das Berufungsgericht ist bindend (vgl. BGH, Beschluß vom 20. September 1999 - II ZB 12/99 - BGHR ZPO § 546 Abs. 1, Nichtzulassungsbeschwerde 2 m.w.N.). Es hat in der Sache hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat dem Kläger Versicherungsleistungen nach § 61 VVG versagt, weil es davon überzeugt ist, der Kläger habe sein Fahrzeug im Zustand alkoholbedingter relativer Fahruntauglichkeit gesteuert und den Unfall durch alkoholbedingte Fahrfehler herbeigeführt. Darin liege ein grober Verstoß gegen die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt.
Die im Krankenhaus vorgenommene Blutalkoholbestimmung, die einen Wert von "1,12Promille" ergeben habe, sei verwertbar. Nach den Zeugenaussagen der mit der Analyse betrauten medizinisch-technischen Assistentin und eines Diplom-Chemikers sei erwiesen, daß das Analysegerät vor der Blutuntersuchung ordnungsgemäß kalibriert worden sei. Das lediglich auf eine einzige ADH-Bestimmung gestützte Meßergebnis lasse zwar nicht den sicheren Schluß zu, der Kläger habe sein Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1Promille - und damit im Zustand absoluter Fahruntauglichkeit - geführt. Es sei andererseits aber für die richterliche Überzeugungsbildung nicht schlechthin unverwertbar. Dabei könne offen bleiben, ob es nur indizielle Wirkung für eine Alkoholisierung des Klägers in der Gesamtschau mit weiteren Indizien entfalte oder nach einem in freier Beweiswürdigung zu bestimmenden großzügigen Sicherheitsabschlag unmittelbar auf die Blutalkoholkonzentration des Klägers schließen lasse. Denn beide Wege führten hier zu dem Ergebnis, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt alkoholbedingt relativ fahruntauglich gewesen sei.
Der vom Berufungsgericht herangezogene Sachverständige habe sich eingehend mit der Verwertbarkeit der Blutalkoholbestimmung befaßt und ausgeführt, der zugunsten des Klägers zu gewährende Sicherheitsabschlag ergebe auch ohne eine auf den Unfallzeitpunkt bezogene Rückrechnung eine Blutalkoholkonzentration von jedenfalls 0,74Promille. Ob davon ein weiterer Sicherheitsabschlag von 0,1Promille zum Ausschluß aller theoretischen Bedenken vorgenommen werden müsse, brauche nicht entschieden zu werden. Denn auch die Gesamtschau der übrigen Indizien ergebe eine alkoholbedingte relative Fahruntauglichkeit des Klägers. Der Kläger sei ein langjährig erfahrener Kraftfahrer. Er habe ohne erkennbaren äußeren Grund die Gewalt über sein Fahrzeug in einer Verkehrssituation verloren, die einem nüchternen Fahrer keine Probleme bereitet hätte. Der Kläger habe den Straßenverlauf ausgangs der von ihm durchfahrenen Linkskurve falsch eingeschätzt und damit einen alkoholtypischen Fahrfehler begangen. Es komme hinzu, daß der Pkw des Klägers nach dem vom Gericht veranlaßten Unfall-Rekonstruktionsgutachten mit einer Geschwindigkeit von 77 bis 89 km/h gegen den Baum geprallt sei, mithin der Kläger die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten habe. Auch das weise jedenfalls in der Gesamtschau aller Umstände auf ein alkoholbedingtes Versagen des Klägers hin.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Zu Unrecht wendet sich die Revision gegen die Verwertung der nur auf einem einzigen ADH-Test beruhenden BAK-Bestimmung und gegen die durch das Berufungsgericht im übrigen vorgenommene Bewertung der Fahrfehler des Klägers.
1. Das Berufungsgericht durfte die Blutalkoholbestimmung für seine Überzeugungsbildung heranziehen.
Ob ein Fahrzeugführer infolge Alkoholgenusses nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, ist eine Tatfrage, die der Tatrichter grundsätzlich in freier richterlicher Beweiswürdigung klären muß.
a) Allerdings unterliegt er dabei Einschränkungen, die die Rechtsprechung unter Heranziehung medizinisch gesicherter Erfahrungssätze entwickelt hat. So ist - ungeachtet aller individuellen Unterschiede in der Alkoholtoleranz - ab einer ordnungsgemäß festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,1Promille von dem zwingenden medizinischen Erfahrungssatz auszugehen, daß der Kraftfahrer nicht mehr in der Lage war, sein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen (absolute Fahruntauglichkeit, dazu BGHSt 37, 89 ff.; Schoknecht, NZV 1990, 104). Insoweit unterliegt die Beweiswürdigung des Tatrichters auch der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - IVa ZR 8/87 - VersR 1988, 950 unter I 2 a m.w.N.).
Bindungswirkung in diesem Sinne entfaltet die BAK-Bestimmung aber nur dann, wenn sie nach standardisierten Regeln getroffen worden ist, die einen hinreichend sicheren Ausschluß möglicher Meß- und Berechnungsfehler gewährleisten. Bei der Analyse einer Blutprobe muß deshalb das Meßergebnis dem arithmetischen Mittelwert aus einer Mindestzahl voneinander unabhängiger Einzelmeßwerte entnommen werden. Werden diese nach dem Widmark- und dem ADH-Verfahren ermittelt, so sind insgesamt fünf Einzeluntersuchungen erforderlich. Wird das Widmark-Verfahren durch eine automatische gaschromatographische Analyse (GC) ersetzt, genügen je zwei Einzeluntersuchungen nach der ADH-Methode und der Gaschromatographie (BGHSt 28, 1, 2; vgl. auch BGHSt 21, 157, 167; BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 aaO unter I 2 b). Das dient dem Zweck, mittels wechselseitiger Kontrolle der gewonnen Meßergebnisse eine möglichst weitgehende Annäherung des Meßergebnisses an den wahren BAK-Wert zu erreichen.
b) Eine solche mehrfach abgesicherte Blutalkoholbestimmung liegt hier nicht vor. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß es ihm damit verwehrt war, aus dem vermeintlichen Meßergebnis von "1,12Promille" BAK unter Rückgriff auf den anerkannten Grenzwert von 1,1Promille zu folgern, der Kläger sei absolut fahruntauglich gewesen.
Im Ergebnis wirkt es sich deshalb auch nicht aus, daß - was das Berufungsgericht übersieht - das Analysegerät des Krankenhauses eine Serumprobe analysiert und den ermittelten Wert nicht in Promille, sondern in Gramm Alkohol pro Liter Blutserum (g/l) ausgegeben hat. BAK-Werte beziehen sich hingegen üblicherweise auf Vollblut, sie werden in Milligramm Alkohol pro Gramm Vollblut (Promille) angegeben. Das Berufungsgericht hätte deshalb eine Umrechnung vornehmen müssen, bei der das Ergebnis der Serummessung durch den Divisor 1,2 (der dem Quotienten der Wassergehalte von Serum - 91% - und Blut - 76% - entspricht) geteilt wird (vgl. dazu Schoknecht NZV 1990, 104, 106). Die Messung hat in Wahrheit also nur 1,12 g/l oder 0,93Promille BAK ergeben.
c) Inwieweit eine auf zu wenigen Analysewerten beruhende BAK-Bestimmung für die Ermittlung der Alkoholisierung überhaupt herangezogen werden kann, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu die Übersicht bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. StGB § 316 Rdn. 53). Teilweise wird eine Unverwertbarkeit des Meßwerts angenommen (so wohl OLG Nürnberg NJW-RR 1994, 97 = VersR 1994, 167). Vielfach wird demgegenüber lediglich die Feststellung eines bestimmten Promillewertes aufgrund solcher Messungen für unmöglich erachtet und statt dessen dem Meßergebnis lediglich eine Indizwirkung zugebilligt, die erst im Zusammenspiel mit anderen Umständen den Schluß auf eine relative Fahruntauglichkeit des Betroffenen zulasse (OLG Stuttgart VRS 66, 450; BayObLG NJW 1982, 2131). Schließlich wird eine nicht richtlinienkonforme BAK-Messung im Rahmen freier richterlicher Überzeugungsbildung dann als voll verwertbar angesehen, wenn das Gericht das Ergebnis einer Einzelanalyse unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ihres Zustandekommens und unter Beachtung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur BAK-Bestimmung ausreichend würdige und insbesondere mit sachverständiger Hilfe einen Sicherheitsabschlag bestimme, der den Unzulänglichkeiten der Messung ausreichend Rechnung trage (OLG Hamm r+s 1995, 238; vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 aaO unter I 2 e, wo die Frage der Verwertbarkeit von BAK-Bestimmungen auf der Basis zu weniger Einzeluntersuchungen aber offengelassen worden ist).
d) Die genannten Lösungsansätze stimmen darin überein, daß das Meßergebnis einer nicht den Richtlinien des Gutachtens des Bundesgesundheitsamtes vom 1966 (dazu BGHSt 28, 1, 2) entsprechenden BAK-Bestimmung für sich genommen keine verläßliche Aussage über den Grad der Alkoholisierung erlaubt. Ein darüber hinausgehendes generelles Beweisverwertungsverbot für solche Einzelmeßwerte, welches den Tatrichter von vornherein zwänge, die Augen davor zu verschließen, daß - wenngleich auf statistisch zu schmaler Basis - Alkohol im Blut des Betroffenen nachgewiesen worden ist, läßt sich rechtlich nicht begründen.
Vielmehr ist der Tatrichter zunächst lediglich an der Anwendung der von Medizin und Rechtsprechung erarbeiteten festen Beweisregeln für bestimmte Alkoholisierungsgrade (insbesondere des Grenzwertes von 1,1Promille) gehindert. Das hat aber nur zur Folge, daß er die Frage der Alkoholisierung und der dadurch hervorgerufenen Ausfallerscheinungen unter Heranziehung aller Indizien in freier Beweiswürdigung klären muß. Das setzt voraus, daß er - zumeist mit sachverständiger Hilfe - danach fragen muß, welche Aussagekraft dem jeweiligen Meßwert konkret zukommt. Im Regelfall wird es sich anbieten, danach zu fragen, in welcher Höhe und in welchem Umfang das zugrundeliegende Analyseverfahren Abweichungen erwarten läßt, um so eine statistisch abgesicherte Aussage über die Meßgenauigkeit und den maximal erforderlichen Sicherheitsabschlag zu gewinnen (dazu Grüner/Ludwig, Blutalkohol Vol 27/1990, 316 ff.).
e) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht - dem Sachverständigen folgend - statt dessen die in Rede stehende ADH-Messung mit vorangegangenen Messungen desselben Meßgeräts verglichen. Dieses ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unmittelbar vor der Messung ordnungsgemäß kalibriert worden. Dabei werden zweimal hintereinander Serumproben, deren Alkoholgehalt bekannt ist, analysiert, um festzustellen, ob sich das Meßergebnis innerhalb der vom Gerätehersteller vorgegebenen Bandbreiten - hier plus/minus 20,1% - bewegt. Der Sicherheitsabschlag, den der Sachverständige vorgenommen hat, orientiert sich erkennbar an diesen bei der Kalibrierung nicht überschrittenen Bandbreiten. Beim Kläger waren 1,12 Gramm Alkohol pro Liter Blutserum gemessen worden, das entspricht einem BAK-Wert von 0,93Promille (vgl. oben). Der vom Sachverständigen ermittelte Mindest-BAK-Wert von 0,74Promille, von dem auch das Berufungsgericht im weiteren ausgeht, bleibt dahinter um 19Promille-Punkte oder 20,43% zurück.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung stand. Sie beruhen auf dem möglichen Schluß, daß nach beanstandungsfreier Kalibrierung des Meßgeräts sich auch die unmittelbar anschließende Analyse der Serumprobe des Klägers in den vorgegebenen Meßtoleranzen bewegt hat und lassen damit - entgegen dem Vorwurf der Revision - ausreichend erkennen, welchen Sicherheitsabschlag das Berufungsgericht zugrundegelegt hat. Auf den weiteren, vom Sachverständigen erwogenen Sicherheitsabschlag von 0,1Promille kommt es, wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, in diesem Bereich der Blutalkoholkonzentration nicht an.
2. Soweit das Berufungsgericht in den Fahrfehlern des Klägers (überhöhte Geschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft, Kontrollverlust über das Fahrzeug ohne erkennbaren äußeren Anlaß und trotz langjähriger Fahrpraxis) einen Beleg für seine relative Fahruntauglichkeit zum Unfallzeitpunkt sieht, erschöpft die Revision sich in dem unbeachtlichen Versuch, diese Beweiswürdigung durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Das Berufungsgericht hat im Rahmen der gebotenen Gesamtschau des Unfallgeschehens rechtlich mögliche Schlüsse gezogen. Daß einzelne Fahrfehler, insbesondere die überhöhte Geschwindigkeit, für sich genommen noch nicht den Schluß auf eine alkoholbedingte relative Fahruntauglichkeit erlaubt hätten (dazu BGH, Urteil vom 3. April 1985 - IVa ZR 111/83 - VersR 1985, 779 unter I 3), hat es ausreichend bedacht.
Ende der Entscheidung
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