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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 03.07.2002
Aktenzeichen: IV ZR 227/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1191
BGB § 262
Der Sicherungsnehmer hat das Wahlrecht (§ 262 BGB), welche von mehreren selbständigen Sicherheiten er im Falle teilweiser Übersicherung an den Sicherungsgeber zurückgibt. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich für die Freigabe einer nachrangigen Sicherheit zu entscheiden.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 227/01

Verkündet am: 3. Juli 2002

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 29. August 2001 aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 22. November 2000 - unter ihrer Zurückweisung im übrigen - teilweise geändert.

Die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars H. S. in P. vom 31. August 1977 (Urkundenrolle Nr. 412/77) wird für zur Zeit unzulässig erklärt, soweit sie einen rangersten Betrag in Höhe von 60.093,81 DM nebst 4% Zinsen seit dem 31. August 2000 übersteigt.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60% und die Beklagte 40%.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde als zur Zeit unzulässig.

Seine Mutter übertrug ihm im Jahre 1986 ein Grundstück in L.-S.. Dieses war zugunsten der Beklagten in Abteilung III mit vier Grundschulden über 60.000 DM (lfd. Nr. 8), 100.000 DM (lfd. Nr. 9), 50.000 DM (lfd. Nr. 10) und 100.000 DM (lfd. Nr. 11) belastet. Hinsichtlich der Grundschuld III Nr. 9 hatte sich die Mutter mit Wirkung gegen den jeweiligen Eigentümer der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.

Die Grundschulden dienten als Sicherheit für zwei verzinsliche Darlehen über 186.000 DM und 70.000 DM, die die Beklagte den Eltern des Klägers gewährt hatte. Am 12. Juni 1987 unterzeichnete auch der Kläger eine Zweckerklärung, wonach die Grundschulden III Nr. 8-11 alle bestehenden und künftigen Forderungen der Beklagten gegen den Vater und/oder die Mutter des Klägers besichern sollten. Im Jahre 1989 gerieten die Eltern des Klägers mit den monatlich geschuldeten Darlehensraten in Verzug. Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 20. Oktober 1989 ihre Geschäftsbeziehung zu den Darlehensnehmern. Gegenüber dem Kläger erklärte sie mit Schreiben vom selben Tage die Kündigung der Grundschulden. Im Juni 1990 bestätigte die Beklagte den Darlehensnehmern eine Vereinbarung über die Darlehensrückführung zu neu festgesetzten Bedingungen; im Falle regelmäßiger Ratenzahlung sollte von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden. Bis August 1994 gelang es den Eltern des Klägers, das Darlehen über 70.000 DM vollständig abzulösen. Für die Grundschuld III Nr. 11 erteilte die Beklagte eine Löschungsbewilligung. Hinsichtlich des verbleibenden Darlehens kam es wiederum zu Rückständen; per 30. August 2000 bestand ein Negativsaldo in Höhe von 60.093,81 DM. Im Hinblick darauf betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld III Nr. 9.

Das Landgericht hat der Vollstreckungsgegenklage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sie sich mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel ist teilweise begründet. Es führt unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zur Klagabweisung, soweit die Beklagte wegen eines Betrages von 60.093,81 DM nebst Zinsen in das belastete Grundstück vollstreckt.

I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Zweckerklärung vom 12. Juni 1987 gegen § 3 AGB-Gesetz verstößt. Jedenfalls habe die Vollstreckungsgegenklage aus anderen Gründen Erfolg. Die Beklagte, der Grundpfandrechte über 210.000 DM zur Verfügung stünden, sei endgültig übersichert. Schon die Grundschuld III Nr. 8 reiche unter Berücksichtigung der dinglichen Zinsen aus, die Restschuld von 60.093,81 DM abzudecken. Die Beklagte wäre daher auf Aufforderung verpflichtet, die Grundschulden III Nr. 9 und 10 freizugeben. Sie handele rechtswidrig, wenn sie gerade aus der Grundschuld vorgehe, die schuldrechtlich zurückzugewähren sei. Sie habe kein Wahlrecht, welche Sicherheit sie für sich beanspruchen könne, zumal ihr mit der Grundschuld III Nr. 8 die bestrangige Grundschuld verbleibe. Daß sie bei der Grundschuld III Nr. 9 nicht erst auf Duldung der Zwangsvollstreckung klagen müsse, sondern sofort vollstrecken könne, führe zu keiner anderen Beurteilung.

Die Darlehensforderung über 60.093,81 DM und die dingliche Grundschuld seien zudem nicht fällig. Auf die Kündigungen vom 20. Oktober 1989 könne sich die Beklagte angesichts der im Juni 1990 erfolgten Darlehensprolongation nicht mehr berufen. Eine in der Berufungsbegründung enthaltene erneute Kündigung der Grundschuld sei der Beklagten wegen des für den Kläger gegebenen Rückgewähranspruches verwehrt gewesen.

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Die Grundschuld III Nr. 9 haftet für die vom Berufungsgericht in Höhe von 60.093,81 DM festgestellte Forderung der Beklagten. Das folgt aus der vom Kläger am 12. Juni 1987 unterzeichneten Zweckerklärung. Entgegen der vom Berufungsgericht geäußerten Zweifel ist ihr Inhalt in dem hier entscheidenden Teil nicht überraschend im Sinne des § 3 AGBG und daher in den Sicherungsvertrag der Parteien einbezogen.

a) Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen darf allerdings nicht so ungewöhnlich sein, daß der Vertragspartner mit ihr nicht zu rechnen braucht. Das ist der Fall, wenn die Regelung von seinen berechtigten Erwartungen, wie sie sich nach den allgemeinen und individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses ergeben, deutlich abweicht. Danach kann bei Bestellung einer Grundschuld durch einen Sicherungsgeber, der nicht zugleich persönlicher Schuldner ist, die formularmäßige Ausdehnung der Haftung auch auf bestehende und künftige Verbindlichkeiten eines Dritten, die nicht Anlaß für die Hingabe der Sicherheit sind, überraschend sein, zumal die Aufnahme und Erweiterung solcher Drittkredite außerhalb seines Einflußbereichs liegt (Senatsurteil vom 20. März 2002 - IV ZR 93/01 - unter II 1 b m.w.N.; WM 2002, 1117).

b) Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben. Konkreter Anlaß für die Sicherungsabrede vom 12. Juni 1987 waren die von den Eltern des Klägers gemeinsam aufgenommenen Kredite. Allein aus diesen beiden Darlehensverträgen hat die Beklagte ihre Ansprüche hergeleitet. Wegen der Verbindlichkeiten, die aus dem in Höhe von 186.000 DM gewährten Kredit noch bestehen, betreibt sie gegen den Kläger als dem Eigentümer des belasteten Grundstücks die Zwangsvollstreckung. Das entspricht dem vereinbarten, auf bestimmte Kreditaufnahmen bezogenen Sicherungszweck und geht daher über die Vorstellungen, die der Kläger im Juni 1987 hatte und haben mußte, nicht hinaus.

2. Die Beklagte ist auch nicht gehindert, gerade aus der Grundschuld III Nr. 9 in das Grundstück des Klägers zu vollstrecken.

a) Mit den Grundschulden III Nr. 8-10 sind der Beklagten seitens des Klägers mehrere selbständige Sicherheiten begeben worden, die nominal einen Betrag vom 210.000 DM ausmachen. Dem steht eine Forderung der Beklagten von 60.093,81 DM nebst Zinsen gegenüber. Nur in dieser Höhe darf sie sich aus den ihr zur Verfügung stehenden Sicherheiten befriedigen (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1989 - IX ZR 281/88 - WM 1990, 305 unter II 2 a). Wegen des überschießenden Teils der Sicherheiten besteht ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch des Klägers, den er der Beklagten einredeweise entgegenhalten kann. Die Beklagte als Schuldnerin des Rückgewähranspruchs hat aber gemäß § 262 BGB die Wahl, welche Sicherheiten sie freigeben und welche sie zur Befriedigung ihrer Forderung verwenden möchte. Dieses Recht steht in seiner Ausübung allein unter dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB (BGH, Urteil vom 9. Juni 1983 - III ZR 105/82 - WM 1983, 926 unter II 5 e). Daß die Beklagte zur Wahrung ihrer Interessen als Sicherungsgeberin berechtigt ist, nachrangige Sicherheiten freizugeben und ihre Forderung über die rangerste Sicherheit abzudecken (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1986 - IX ZR 104/85 - NJW 1986, 2108 unter I 2), bedeutet entgegen der Auffassung des Klägers nicht, daß sie auch verpflichtet wäre, ausschließlich die vorrangige Sicherheit zu ihren Gunsten einzusetzen. Die Vorschrift des § 1176 BGB i.V. mit § 1192 Abs. 1 BGB kann an dieser Stelle schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sie nur in Ansehung eines grundpfandrechtlichen Teilbetrages gilt und auf das Verhältnis verschiedener Grundpfandrechte zueinander keine Anwendung findet (Staudinger/Wolfsteiner, 13. Bearb. [1996] § 1176 BGB Rdn. 3; vgl. MünchKomm/Eickmann, 3. Aufl. § 1176 BGB Rdn. 2).

b) Die Beklagte war daher nicht gehalten, aus der Grundschuld III Nr. 8 vorzugehen, bei der sich nominaler und valutierender Grundschuldbetrag weitgehend entsprochen hätten. Die Entscheidung, die Zwangsvollstreckung statt dessen aus der Grundschuld III Nr. 9 zu betreiben, ist durch ihre schützenswerten Belange als Sicherungsnehmerin gerechtfertigt. Diese sind darin begründet, daß sich die Mutter der Klägerin in der Grundschuldbestellungsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung mit Wirkung gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks unterworfen hatte (§§ 800 Abs. 1, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Die Beklagte war also der unter Umständen zeit- und kostenträchtigen Aufgabe enthoben, sich zunächst einen Duldungstitel gegen den Kläger zu verschaffen, wie es für die Grundschuld III Nr. 8 erforderlich gewesen wäre. Sie brauchte dem Kläger zuvor keine Gelegenheit zu geben, wegen der Grundschuld III Nr. 8 den Duldungsanspruch anzuerkennen. Es genügte, daß hinsichtlich einer anderen Sicherheit - der Grundschuld III Nr. 9 - ein solches Anerkenntnis in Form einer titulierten Unterwerfungserklärung bereits vorlag. Vorrangige Interessen des Klägers werden dadurch nicht verletzt.

3. Die Beklagte hat die Grundschuld III Nr. 9 und das Darlehen über 186.000 DM im Oktober 1989 wirksam gekündigt. Sicherungsrecht (§ 1193 Abs. 1 BGB) und besicherte Forderung (§ 609 Abs. 1, 2 BGB) sind fällig.

a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist zwischen den Eltern des Klägers und der Beklagten kein weiteres - bislang ungekündigtes - Darlehensverhältnis begründet worden. Ein solcher vertraglicher Neuabschluß liegt insbesondere nicht in der mit Schreiben der Beklagten vom 22. Juni 1990 bestätigten Vereinbarung. Da das Berufungsgericht eine eigenständige Auslegung des Schreibens unterlassen hat, konnte der Senat sie selbst vornehmen (BGH, Urteil vom 3. April 2000 - II ZR 194/98 - NJW 2000, 2099 unter B I 2 c).

Mit der Kündigung vom 20. Oktober 1989 war das Kapitalnutzungsrecht der beiden Darlehensnehmer entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1997 - XI ZR 233/96 - WM 1997, 2353 unter II 2 a; Nichtannahmebeschluß vom 6. Dezember 1994 - XI ZR 99/94 - WM 1995, 103, jeweils zum Verbraucherkreditgesetz). Ein neues Kapitalnutzungsrecht ist den Eltern des Klägers bereits nach dem Wortlaut des Schreibens vom 22. Juni 1990 nicht eingeräumt worden; der Abschluß eines zweiten Kreditvertrages kommt somit nicht in Betracht. Die Parteien des gekündigten Darlehensvertrages haben sich statt dessen auf ein Abwicklungs- und Stillhalteabkommen verständigt, das im Falle regelmäßiger und ratenweiser Rückführung der Darlehensschuld die Zurückstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seitens der Darlehensgeberin zum Ziele hatte. Daß die Schuldner dafür einen höheren Zinssatz als den ursprünglichen Vertragszins zu erbringen hatten, ergibt die Vereinbarung nicht. Im Gegenteil ist in dem Schreiben vom 22. Juni 1990 von einer Herabsetzung des Zinssatzes die Rede. Eine Entgeltlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 VerbrKrG scheidet daher aus; im übrigen übersieht der Kläger, daß das Verbraucherkreditgesetz erst zum 1. Januar 1991 - mithin nach der im Juni 1990 getroffenen Vereinbarung - in Kraft getreten ist. Ob die Beklagte ihrer Berechnung zu einem späteren Zeitpunkt einen höheren (Verzugs-)Zins zugrunde gelegt hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da nicht vorgetragen ist, daß dies auf einer wechselseitigen Vereinbarung beruhte. Selbst wenn dies unterstellt wird, kann der Kläger nicht auf die besonderen Kündigungsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 VerbrKrG verweisen. Die Kredite waren über den 22. Juni 1990 hinaus unter anderem durch die streitbefangene Grundschuld besichert. Dann aber geht es um Realkredite im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG, für die die Vorschrift des § 12 Abs. 1 VerbrKrG keine Geltung hat.

b) Die Beklagte hat auch nach den Kündigungen vom 20. Oktober 1989 in einer Vielzahl von Schreiben, die an die Darlehensnehmer und den Kläger gerichtet waren, keinen Zweifel daran gelassen, an ihrer Darlehensforderung festzuhalten und, sollten die Kreditschuldner ihren Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkommen, die ihr gegebenen Sicherheiten zu verwerten. Der Kläger und seine Eltern durften daher nicht darauf vertrauen, es werde nicht zur Zwangsversteigerung des Grundstücks kommen. Ihre aus den Kündigungen folgenden Rechte hat die Beklagte daher - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht verwirkt (§ 242 BGB).

4. Aus der Grundschuld III Nr. 9 darf die Beklagte die Zwangsvollstreckung nur in Höhe erstrangiger 60.093,81 DM betreiben. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages der Grundschuld, die nominal auf 100.000 DM lautet, ist sie - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts endgültig - übersichert. Sie hat diesen Teil des Grundpfandrechts an den Kläger zurückzugewähren, dem insoweit eine Einwendung im Sinne der §§ 1192, 1169 BGB zusteht, durch welche die Geltendmachung der Grundschuld in dem betreffenden Teil dauernd ausgeschlossen ist. Er muß daher die Zwangsvollstreckung daraus nicht dulden (BGH, Urteil vom 19. Februar 1991 - XI ZR 202/89 - ZIP 1991, 432 unter II 3; Urteil vom 7. Dezember 1989 - IX ZR 281/88 - WM 1990, 305 unter II 2 a).

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