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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 01.12.2004
Aktenzeichen: IV ZR 291/03
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 1 Satz 3
VVG § 15a
VVG § 187
In der Frachtführerhaftpflichtversicherung kann das Kündigungserfordernis des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG in Versicherungsbedingungen wirksam abbedungen werden.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 291/03

Verkündet am: 1. Dezember 2004

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 18. Juni 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Verlustes von Transportgut aus einer Frachtführerhaftpflichtversicherung in Anspruch.

Deren Versicherungsschutz erstreckt sich auf die vertragliche Haftung der Klägerin aus Verträgen über entgeltliche Transporte von Schrott- und Schüttgut mit betriebseigenen Fahrzeugen im innerdeutschen Güterverkehr nach den Bestimmungen der §§ 407 - 450 HGB und im grenzüberschreitenden Verkehr nach dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR). In den Versicherungsbedingungen (im folgenden: VB) ist u.a. bestimmt:

"9 OBLIEGENHEITEN

9.1 Vor Eintritt des Schadenfalles

...

9.1.2 SICHERUNG BELADENER FAHRZEUGE

Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, für eine ordnungsgemäße Sicherung beladener Fahrzeuge zu sorgen. Insbesondere nachts oder während Ruhepausen ist eine ausreichende, angemessene Bewachung sicherzustellen.

...

9.1.4 VEREINBARUNGEN FÜR INTERNATIONALE TRANSPORTE

Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, daß folgende Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden.

Motorfahrzeuge und/oder Anhänger bzw. Auflieger mit Ladung dürfen länger als 45 Minuten nur verlassen werden, wenn sie auf bewachten Parkplätzen abgestellt sind.

...

10 RECHTSFOLGEN EINER OBLIEGENHEITSVERLETZUNG

10.1 Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzlich vorge-schriebene oder vertraglich vereinbarte Obliegenheiten, so ist der Versicherer nach Maßgabe der §§ 6 ff und 61 ff des Versicherungsvertragsgesetzes zur Kündigung berechtigt und in diesem Fall leistungsfrei, auch wenn er von dem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht."

Am 28. August 2001 übernahm die Klägerin in H. (Deutschland) 24,68 t Kupferschrott, um diesen im eigenen Lastzug nach B. (Österreich) zu transportieren. In der darauf folgenden Nacht stellte der Fahrer der Klägerin den Lastzug auf dem unbewachten Parkplatz des Rasthofs L. bei G. ab, schlief zunächst im Fahrzeug und begab sich danach zum Duschen und Frühstücken in die Raststätte. Als er ungefähr 90 Minuten später wieder zurückkehrte, war das Fahrzeug samt Ladung verschwunden. Anfang September 2001 wurde der Lastzug ohne die Ladung in der Nähe von S. wieder aufgefunden.

Die Klägerin, die von der Beklagten wegen des Verlustes der Ladung 46.689,13 € fordert, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I. Das Berufungsgericht (OLG Saarbrücken OLGR 2003, 456 ff.) hält die Beklagte für leistungsfrei. Entgegen der Obliegenheit aus Ziff. 9.1.2 VB habe die Klägerin ihren Fahrer weder auf die spezifischen Sicherheitsstandards für internationale Transporte gemäß Ziff. 9.1.4 VB hingewiesen noch ihm überhaupt Anweisungen für eine Sicherung des Transportgutes bei Fahrtunterbrechungen gegeben. Damit habe sie elementare Sorgfaltsanforderungen grob fahrlässig mißachtet.

Nach Ziff. 9.1.4 VB dürften beladene Fahrzeuge bei internationalen Transporten nur auf bewachten Parkplätzen länger als 45 Minuten verlassen werden. Die Regelung sei nicht lediglich auf den im Ausland zurückzulegenden Teil der Fahrstrecke beschränkt, weil eine derart zergliederte Betrachtungsweise im Wortlaut der Klausel keine Stütze finde und auch der Systematik der korrespondierenden Haftungsordnung nicht gerecht werde, nach der der grenzüberschreitende Straßengüterverkehr auf der gesamten Fahrstrecke dem Haftungsregime der CMR unterliege. Sowohl Ziff. 9.1.2 VB als auch Ziff. 9.1.4 VB hielten einer Inhaltskontrolle stand, weil die Definition klarer Sicherheitsstandards im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien liege und an den Versicherungsnehmer keine unzumutbaren Anforderungen stelle.

Die Beklagte könne sich hier auch ohne Kündigung des Versicherungsvertrages auf Leistungsfreiheit berufen, da das Kündigungserfordernis des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG in Ziff. 10.1 VB wirksam abbedungen sei. § 15a VVG stehe dem wegen der Ausnahmeregelung für Großrisiken in § 187 VVG und Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EGVVG (in Verbindung mit Nr. 10 b der Anlage Teil A zum Versicherungsaufsichtsgesetz) nicht entgegen. Der Ausschluß des Kündigungserfordernisses benachteilige die Versicherungsnehmerin hier nicht unangemessen im Sinne von § 9 AGBG.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Gegen Wirksamkeit und Anwendung der unter den Ziffern 9.1.2 und 9.1.4 der VB geregelten Sicherungs- und Bewachungsklauseln bestehen keine Bedenken.

a) Bei Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen, die in Versicherungsverträgen über Großrisiken (im Sinne des § 187 VVG i.V. mit Art. 10 Abs. 1 EGVVG) Verwendung finden, ist auf die maßgebliche Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen (BGHZ 84, 268, 272; 123, 83, 85) und dabei zu berücksichtigen, daß der Versicherungsnehmer hier in der Regel Kaufmann, zumindest aber geschäftserfahren ist und ständig selbst mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu arbeiten pflegt (BGH, Urteil vom 9. Mai 1984 - IVa ZR 176/82 - VersR 1984, 830 unter I 2; BGHZ 118, 275, 280; Römer in Römer/Langheid VVG 2. Aufl. § 129 Rdn. 5).

b) Ein solcher durchschnittlicher geschäftskundiger Versicherungsnehmer wird bei aufmerksamer Durchsicht der Versicherungsbedingungen erkennen, daß Ziff. 9.1.2 VB ihm aufgibt, für eine ordnungsgemäße Sicherung beladener Fahrzeuge zu sorgen und insbesondere nachts oder während Ruhepausen eine ausreichende, angemessene Bewachung sicherzustellen. Aus der Formulierung "zu sorgen" wird er schließen, daß er den Fahrer mit der Ladung nicht einfach sich selbst überlassen darf, sondern Anweisungen für das Verhalten bei Fahrtunterbrechungen erteilen muß (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 41/02 - VersR 2003, 445 unter II 3). Er wird weiter erkennen, daß Ziff. 9.1.4 VB es bei internationalen Transporten nicht gestattet, Motorfahrzeuge und/oder Anhänger bzw. Auflieger mit Ladung auf unbewachten Parkplätzen länger als 45 Minuten zu verlassen (sog. Bewachungsklausel), und er gehalten ist, einen mit einem solchen internationalen Transport betrauten Fahrer entsprechend zu belehren und ihm die Einhaltung auch dieser Verhaltensbestimmung zur Pflicht zu machen.

c) Die so verstandenen Sicherheitsanforderungen halten einer AGB-rechtlichen Überprüfung stand, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (OLG Saarbrücken OLGR 2003, 456, 457).

Danach ist bei der am Maßstab des § 9 AGBG ausgerichteten Interessenabwägung zu berücksichtigen, daß die Frage nach den für die Sicherung des Transportguts erforderlichen Vorkehrungen nicht allgemein gültig beantwortet werden kann, sondern diese Sicherheitsvorkehrungen von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Insbesondere sei darauf abzustellen, inwieweit das Transportgut aufgrund seines Wertes oder seiner Verwertbarkeit einer besonderen Diebstahlsgefahr ausgesetzt sei. In Anbetracht der daraus erwachsenden Schwierigkeiten diene der Versuch der Beklagten, für den Versicherungsvertrag klare Sicherheitsstandards zu beschreiben, dem Interesse beider Vertragsparteien. Daß dabei unzumutbare Anforderungen an den Versicherungsnehmer gestellt würden, sei nicht ersichtlich. Insbesondere gestehe Ziff. 9.1.4 der Versicherungsbedingungen dem Fahrer eines Transports das Verlassen des Fahrzeugs für 45 Minuten zu. Diese Zeitspanne trage im Regelfall auch möglichen Unwägbarkeiten angemessen Rechnung, aufgrund derer ein Fahrer zum Verlassen des Fahrzeugs veranlaßt werde.

Dem stimmt der Senat zu. Anders als die Revision meint, ist die Frist von höchstens 45 Minuten, während derer ein Fahrzeug auf einem unbewachten Parkplatz verlassen werden darf, nicht willkürlich und ohne erkennbaren sachlichen Grund gewählt. Vielmehr ist die Frist das Ergebnis einer Abwägung des Interesses des Versicherers an einer möglichst lückenlosen Beaufsichtigung des Transports mit dem Interesse des Versicherungsnehmers, seinem Personal angemessene Zeiten für den üblichen Aufenthalt in einer Raststätte mit Einnahme eines Essens zu ermöglichen.

d) Entgegen der Ansicht der Revision ist die in Ziff. 9.1.4 VB enthaltene Bewachungsklausel für internationale Transporte hier anzuwenden, obwohl Fahrzeug und Ladung bereits vor dem Grenzübertritt nach Österreich auf einem in Deutschland belegenen Parkplatz entwendet wurden.

aa) Von internationalem Straßengüterverkehr wird der Versicherungsnehmer schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch dann ausgehen, wenn die Orte der Übernahme und der Ablieferung des Transportgutes in zwei verschiedenen Staaten liegen (vgl. dazu auch Art. 1 Abs. 1 CMR).

Der Versicherungsvertrag differenziert zwischen der vertraglichen Haftung des Versicherungsnehmers aus Verträgen über entgeltliche Güterbeförderungen im innerdeutschen Güterverkehr nach den Bestimmungen der §§ 407 - 450 HGB (Ziff. 1.1 VB) einerseits und der vertraglichen Haftung des Versicherungsnehmers aus Verträgen über entgeltliche Güterbeförderungen im grenzüberschreitenden Verkehr nach dem "Übereinkommen über den [Beförderungsvertrag im] internationalen Straßengüterverkehr (CMR)" (Ziff. 1.2 VB) andererseits. Dabei erkennt ein durchschnittlicher geschäftskundiger Versicherungsnehmer, daß der Versicherungsvertrag zwei tatsächlich und rechtlich unterschiedliche Risiken erfaßt. Diese unterschiedlichen Risiken sind deshalb auch unterschiedlichen Regelungen unterworfen, die jeweils Geltung für den gesamten Transport - und mithin auch für die gesamte Transportstrecke - beanspruchen. Das zeigt sich gerade auch daran, daß die in den Versicherungsbedingungen für den internationalen Straßengüterverkehr aufgestellten Sicherheitsregeln schon nach ihrem Wortlaut nicht danach unterscheiden, ob sich der Transport auf einem inländischen oder ausländischen Streckenabschnitt befindet. Das dient - für den Versicherungsnehmer erkennbar - dem Zweck, zum einen das Risiko auf der gesamten Transportstrecke gleichmäßig gering zu halten und zum anderen Auseinandersetzungen darüber zu vermeiden, ob - je nach Einreise- oder Bestimmungsland - mit einem Grenzübertritt im konkreten Fall eine Erhöhung des Verlustrisikos einhergeht. So ließe sich beispielsweise im vorliegenden Fall kaum darlegen, daß das Verlustrisiko in Österreich höher gewesen wäre als in Deutschland.

bb) In diesem Verständnis wird der Versicherungsnehmer dadurch bestärkt, daß parallel dazu auf entsprechende Beförderungsverträge die Vorschriften der CMR vom Vertragsschluß bis zur Beendigung des internationalen Transports anzuwenden sind, somit auch während des gesamten innerdeutschen Beförderungsabschnitts (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 1982 - I ZR 33/80 - VersR 1982, 669 unter I; Koller, Transportrecht 5. Aufl. vor Art. 1 CMR Rdn. 2 und Art. 1 CMR Rdn. 1), so daß sich die vertragliche Haftung, auf die sich der Versicherungsschutz erstreckt, auch im Inland nach den für den internationalen Straßengüterverkehr geltenden Bestimmungen richtet.

2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei dargelegt, daß die Klägerin es grob fahrlässig unterlassen hat, den von ihr mit der Ausführung des Transports betrauten Fahrer auf die besonderen Sicherheitsstandards aus Ziff. 9.1.4 VB aufmerksam zu machen. Die hiergegen erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

3. Das Kündigungserfordernis des § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG ist in Ziff. 10.1 VB wirksam abbedungen. Der Leistungsfreiheit der Beklagten steht deshalb nicht entgegen, daß die Beklagte den Versicherungsvertrag nicht gekündigt hat.

a) Grundsätzlich soll dem Versicherer durch die in § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG geregelte Verknüpfung von Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung und (fristgebundener) Kündigung des Versicherungsvertrages die Möglichkeit genommen werden, nach Kenntnisnahme von einer Obliegenheitsverletzung über einen längeren Zeitraum weiter Prämien zu erheben und sich schließlich dennoch bei Eintritt eines späteren Versicherungsfalls seiner Leistungspflicht zu entziehen. Er soll sich auf Leistungsfreiheit nur dann berufen können, wenn der Verstoß für ihn so schwer wiegt, daß er sich zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses entschließt. Das hilft dem Versicherungsnehmer Klarheit darüber zu gewinnen, ob der Versicherer aus der Obliegenheitsverletzung Rechte herleiten will oder nicht (BGHZ 4, 369, 373 ff.; Senatsurteil vom 29. Januar 2003 aaO unter II 1).

b) § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG gehört gemäß § 15a VVG zu den halbzwingenden und damit den die Vertragsfreiheit beschränkenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes. Solche Vorschriften hat der Gesetzgeber zum Schutz besonders wichtiger Interessen des Versicherungsnehmers in das Gesetz aufgenommen. Der Versicherungsnehmer ist beim Versicherungsvertrag im allgemeinen der schwächere Teil; er steht an Geschäftserfahrung dem Versicherer regelmäßig nach. Das Bedürfnis für solche Vorschriften erstreckt sich jedoch nicht auf alle Versicherungszweige. Bei den in § 187 VVG genannten Großrisiken sind die Versicherungsnehmer im allgemeinen hinreichend geschäftskundig, um selbst für die Wahrung ihrer Interessen zu sorgen. Deshalb finden die Beschränkungen der Vertragsfreiheit bei diesen Versicherungsarten keine Anwendung; jedenfalls die halbzwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes sind in den Versicherungszweigen des § 187 VVG abdingbar (BGHZ 118, 275, 278 f.)

Die hier in Rede stehende Frachtführerhaftpflichtversicherung gehört zu diesen Großrisiken (§ 187 VVG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EGVVG, Nr. 10 b der Anlage Teil A zum Versicherungsaufsichtsgesetz). Auf das in § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG an die Leistungsfreiheit geknüpfte Kündigungserfordernis konnten die Parteien in Ziff. 10.1 VB insoweit wirksam verzichten.

c) Die Klausel hält auch im übrigen einer Inhaltskontrolle stand.

Für die Kontrolle nach §§ 9 AGBG, 307 Abs. 1 und 2 BGB ist die § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG abbedingende Vertragsbedingung am gesetzlichen Leitbild des § 6 VVG zu messen (BGHZ 120, 290, 295).

Bei der Prüfung der Frage, inwieweit Regelungen des dispositiven Rechts Leitbildfunktion beanspruchen, ist zunächst davon auszugehen, daß gesetzliche Regelungen grundsätzlich auf einen angemessenen Interessenausgleich der Vertragsparteien ausgerichtet sind. Allerdings stellen sie zumeist nicht den einzig denkbaren Interessenausgleich dar, sondern nur eine von mehreren vertretbaren Ausgleichsmöglichkeiten. Aus diesem Grunde ist dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht jede Abweichung vom Gesetz untersagt, vielmehr hat er lediglich von grundlegenden Veränderungen der vom Gesetz als gerecht vorgegebenen Ausgleichsstruktur zum Nachteil der Interessen seines Vertragspartners Abstand zu nehmen (vgl. Staudinger/Coester, 13. Bearb. § 9 AGBG Rdn. 168).

Im Hinblick auf den von § 6 VVG geschaffenen Interessenausgleich bedeutet dies, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht vom Verschulden des Versicherungsnehmers gelöst werden kann (BGH, aaO; BGH, Urteil vom 2. Dezember 1999 - III ZR 132/98 - VersR 2000, 494 unter II 2 c). Daß die Leistungsfreiheit des Versicherers an ein Verschulden des Versicherungsnehmers geknüpft sein muß, ist Kerngehalt der Vorschrift des § 6 VVG, dem jedenfalls insoweit Leitbildfunktion zukommt. Ein solcher alle Versicherungsverträge gleichermaßen beherrschender Rechtsgrundsatz ist § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG - wie das Berufungsgericht überzeugend darlegt - nicht zu entnehmen.

Eine Kündigung des Versicherungsvertrages entspricht nicht stets den berechtigten Schutzinteressen des Versicherungsnehmers (vgl. Abschlußbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19. April 2004 S. 315 f.). Das trifft insbesondere bei einer Frachtführerhaftpflichtversicherung zu, wie sie hier in Rede steht. In Anbetracht der hohen mit dem Transport von Gütern verbundenen Risiken und des Umstandes, daß in die Frachtführerhaftpflichtversicherung in der Regel der gesamte Fahrzeugbestand des Versicherungsnehmers eingeschlossen ist, besteht regelmäßig ein existentielles Interesse des Transportunternehmers am Fortbestand eines den Betrieb des Unternehmens sichernden, lückenlosen Versicherungsschutzes. Dieser wäre aber erheblich gefährdet, wenn der Versicherer gezwungen würde, bei Obliegenheitsverletzungen stets das gesamte Versicherungsverhältnis zu kündigen, um im Einzelfall leistungsfrei zu werden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein Transportunternehmer im Kündigungsfalle ohne weiteres zu zumutbaren Bedingungen sofort anderweitig Versicherungsschutz erlangen kann. Eine Regelung zur Entkoppelung von Leistungsfreiheit und Kündigung, die - wie hier Ziff. 10.1 VB - das Verschuldenserfordernis und die Möglichkeit zur Führung des Kausalitätsgegenbeweises unberührt läßt, liegt somit typischerweise auch im Interesse des Versicherungsnehmers einer Frachtführerhaftpflichtversicherung. Demgegenüber wiegen die mit ihr für den Versicherungsnehmer verbundenen Nachteile nicht allzu schwer. Zwar eröffnet sie dem Versicherer die Möglichkeit, in Kenntnis einer Obliegenheitsverletzung weiter Prämien zu erheben und sich erst nach einem längeren Zeitraum auf Leistungsfreiheit zu berufen. Auch wird ihm die Berufung auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung in weniger schweren Fällen erleichtert, in denen er sonst möglicherweise von einer Kündigung des gesamten Vertragsverhältnisses Abstand nehmen würde. Dem steht jedoch gegenüber, daß der Versicherungsnehmer aufgrund seiner - hier regelmäßig gegebenen - Geschäftserfahrung die möglichen Folgen einer Obliegenheitsverletzung selbst erkennen und sich auch ohne den Ausspruch einer Kündigung darauf einstellen kann. Im übrigen muß der Versicherer auch damit rechnen, daß der geschäftskundige Versicherungsnehmer Ziff. 12.1 VB bzw. § 158 VVG kennt und im Falle einer Ablehnung der Versicherungsleistung seinerseits den Versicherungsvertrag kündigt. Im Ergebnis bewirkt Ziff. 10.1 VB somit keine grundlegende Veränderung einer vom Gesetz als gerecht vorgegebenen Ausgleichsstruktur zum Nachteil des Versicherungsnehmers und ist deswegen mit dem gesetzlichen Leitbild des § 6 VVG vereinbar (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Dezember 2001 - 3 U 41/01; OLG Koblenz VersR 1998, 1505 f.; OLG Frankfurt/M. VersR 1998, 362 ff.; OLG Köln VersR 1994, 977 f.; Römer, aaO § 129 Rdn. 4; BK/Schwintowski, § 6 Rdn. 91; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 6 Rdn. 133; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, (aaO) § 129 Rdn. 3 und 8; Kollhosser in Prölss/Martin, aaO § 187 Rdn. 5; Martin, VersR 1984, 1107, 1117; Wittchen, VersR 1993, 530, 532; a.A. BK/Dallmayr, Vorbem. §§ 129 - 148 Rdn. 27).

d) Der Ausschluß des Kündigungserfordernisses (§ 6 Abs. 1 Satz 3 VVG) in Ziff. 10.1 VB ist schließlich auch nicht überraschend im Sinne der §§ 3 AGBG, 305 c Abs. 1 BGB. Ein Überraschungsmoment fehlt schon deshalb, weil Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung in Nr. 10.1 VB in einem einzigen Satz geklärt werden. Von einem durchschnittlichen geschäftskundigen Versicherungsnehmer darf erwartet werden, daß er die Klausel bis zu Ende liest und dabei erkennt, daß sie von der gesetzlichen Regelung des § 6 VVG abweicht, zumal bei Versicherungsverträgen über Großrisiken (§ 187 VVG i.V. mit Art. 10 Abs. 1 EGVVG) die Frage, ob die Voraussetzungen des § 6 VVG ganz oder teilweise abbedungen werden sollen, typischerweise Gegenstand besonderer Vertragsbestimmungen ist (dazu Römer, aaO Rdn. 2).

Ende der Entscheidung

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