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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.11.1998
Aktenzeichen: IV ZR 327/97
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 2352 | |
BGB § 2346 | |
BGB § 812 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. | |
BGB § 242 D |
IV ZR 327/97
Verkündet am: 4. November 1998
Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
BGB §§ 2352, 2346, 812 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt., 242 D
Einem Erb- oder Zuwendungsverzicht kann nach Eintritt des Erbfalles nicht mehr entgegengehalten werden, die Geschäftsgrundlage fehle oder der mit ihm bezweckte Erfolg sei nicht eingetreten (Abgrenzung zu BGHZ 134, 152).
BGH, Urteil vom 4. November 1998 - IV ZR 327/97 - OLG Düsseldorf LG Krefeld
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz und die Richter Römer, Dr. Schlichting, Terno und Seiffert auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 1998
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Februar 1997 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seines Zahlungsantrags durch das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 30. Januar 1996 zurückgewiesen worden ist.
Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den beklagten Notar auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch.
Im gemeinschaftlichen Testament seiner Eltern vom 17. Oktober 1959 war der Kläger als Alleinerbe nach dem Längstlebenden eingesetzt worden. Seiner Schwester hatten die Eltern lediglich ein Vermächtnis in Höhe ihres Pflichtteils zugedacht. Die Kinder des Klägers waren ausdrücklich als dessen Ersatzerben berufen worden. Der Vater starb 1971. Die Mutter errichtete am 17. Oktober 1989 zur Niederschrift des Beklagten ein Testament, in dem sie unter Widerruf aller bisherigen Verfügungen den Kläger nur zur Hälfte als Erben bestimmte; die andere Hälfte sollten die fünf Kinder der inzwischen verstorbenen Schwester des Klägers erben. Die Mutter behielt sich jede beliebige Änderung des Testaments ohne Zustimmung des Klägers oder ihrer Enkelkinder in der Niederschrift vor. An deren Ende beurkundete der Notar die Erklärung des Klägers, er befreie seine Mutter von den Bindungen des gemeinschaftlichen Testaments der Eltern, verzichte auf die ihm darin zugedachte Erbschaft und stimme den vorstehenden Verfügungen seiner Mutter in allen Teilen zu. Diesen Verzicht nahm die Mutter an. Sie starb am 20. November 1992.
Im Erbscheinsverfahren nach der Mutter vertrat das Nachlaßgericht die Ansicht, der Zuwendungsverzicht des Klägers sei wirksam, aber aufgrund des bindenden gemeinschaftlichen Testaments der Eltern seien seine Kinder im Wege der Ersatzerbfolge Erben der Mutter geworden. Daraufhin nahm der Kläger seinen Erbscheinsantrag zurück. Er macht geltend, der Beklagte habe die Ersatzerbenklausel des gemeinschaftlichen Testaments übersehen, an der die von der Mutter gewünschte Testierfreiheit scheitere. Nachdem seine Kinder den Nachlaß, der im wesentlichen aus zwei Grundstücken besteht, verwertet und teilweise verbraucht hätten, müsse er damit rechnen, daß er jedenfalls Ansprüche gegen sie in Höhe von 100.000 DM nicht durchsetzen könne. Diesen Schaden habe der Beklagte zu ersetzen.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. 1. a) Das Berufungsgericht entnimmt der Verzichtserklärung im Unterschied zum Landgericht keine rechtsgeschäftliche Bedingung etwa des Inhalts, daß der Kläger nur zugunsten der Kinder seiner Schwester auf die ihm im Testament der Eltern zugedachte Stellung als Alleinerbe verzichte (vgl. § 2350 Abs. 1 BGB). Vielmehr legt das Berufungsgericht den Zuwendungsverzicht dahin aus, daß für den Kläger offen, ungewiß und ungesichert gewesen sei, ob und in welchem Umfang er Erbe nach seiner Mutter werde. Denn er habe die Klausel am Ende des Testaments seiner Mutter gekannt, wonach sie das Testament jederzeit ohne Zustimmung des Klägers oder der Enkelkinder aufheben oder beliebig ändern könne. Diese tatrichterliche Auslegung ist naheliegend; sie wird auch von der Revision für richtig gehalten.
b) Soweit das Landgericht gemeint hatte, der Kläger habe den Verzicht nur unter der Bedingung erklärt, daß die Mutter die Testierfreiheit wiedererlange, weist das Berufungsgericht mit Recht darauf hin, dies sei aus der Sicht der Urkundsbeteiligten die Rechtsfolge des Verzichts gewesen, nicht aber ein ungewisses zukünftiges Ereignis i.S.v. §§ 158 ff. BGB. Der Zuwendungsverzicht des Klägers und die testamentarischen Anordnungen der Mutter vom 17. Oktober 1989 bilden nach Ansicht des Berufungsgerichts auch kein einheitliches Rechtsgeschäft, dessen einer Teil mit der Wirksamkeit des anderen steht und fällt (§ 139 BGB). Hierzu führt das Berufungsgericht aus, wenn die Beteiligten erkannt hätten, daß das Testament vom 17. Oktober 1989 wegen der bindend gewordenen Ersatzerbenberufung im Ehegattentestament vom 17. Oktober 1959 nicht wirksam werden konnte, wäre die Verzichtserklärung des Klägers gleichwohl aufrecht erhalten worden, um durch weitere Verzichtserklärungen seiner Kinder, der Ersatzerben, schließlich doch noch die Testierfreiheit der Mutter wiederherzustellen. Auch diese, von der Revision ausdrücklich gebilligte tatrichterliche Würdigung ist nicht zu beanstanden. Für sie spricht insbesondere, daß der Kläger zum Verzicht auch im Hinblick darauf bereit war, daß er infolge einer Änderung des Testaments vom 17. Oktober 1989, die sich die Mutter ausdrücklich vorbehalten hatte, leer ausgehen konnte.
2. Das Berufungsgericht hält die Verzichtserklärung des Klägers mit Recht nicht für anfechtbar wegen seines Irrtums, daß sich die Erbfolge nach der Mutter schon aufgrund seines Verzichts nunmehr aus ihrem Testament vom 17. Oktober 1989 ergebe. Dieser Irrtum betraf nicht den vom Kläger gewollten und irrtumsfrei erklärten Zuwendungsverzicht selbst, sondern lediglich eine Nebenfolge (dazu vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - IX ZR 252/93 - NJW 1995, 1484, 1485 unter II. 2. c); BGHZ 134, 152, 156).
3. Das Berufungsgericht hält den Zuwendungsverzicht des Klägers jedoch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage für unwirksam. Seiner Verzichtserklärung habe die gemeinsame Vorstellung des Klägers und seiner Mutter zugrunde gelegen, deren Testierfreiheit sei schon durch die Verzichtserklärung des Klägers wiederhergestellt worden. Da dies nicht zutraf, müsse das Rechtsgeschäft an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden. Damit sich eine Anpassung nicht zu Lasten Dritter, nämlich der Ersatzerben, auswirke, müsse der Zuwendungsverzicht als von vornherein unwirksam angesehen werden, so daß die Kinder des Klägers nie Erben geworden seien, sondern an ihrer Stelle der Kläger allein.
a) Dem hält die Revision mit Recht entgegen, im Zusammenhang seiner Ausführungen zu § 139 BGB habe das Berufungsgericht im Gegenteil festgestellt, daß der Kläger den Verzicht auch dann aufrecht erhalten hätte, wenn ihm die bindende Wirkung der Ersatzerbenberufung im Ehegattentestament vom 17. Oktober 1959 bekannt gewesen wäre. Daß es weiterer Zuwendungsverzichte dieser Ersatzerben bedurft hätte, um die Testierfreiheit der Mutter wiederherzustellen, berühre also die Geschäftsgrundlage des vom Kläger erklärten Zuwendungsverzichts nicht.
b) Jedenfalls kann die mit dem Erbfall eingetretene, durch den Zuwendungsverzicht des Klägers mitbestimmte Erbfolge nachträglich nicht mehr mit der Behauptung außer Kraft gesetzt werden, die Geschäftsgrundlage für den Verzicht habe gefehlt oder sei entfallen.
Eine Aufhebung des Verzichts entsprechend § 2351 BGB wäre nach dem Tod der Erblasserin nicht mehr möglich gewesen (§§ 2352 Satz 3, 2347 Abs. 2 Satz 1 BGB). Das gleiche Ziel kann nicht durch eine Rückabwicklung des Verzichtsvertrages auf der Grundlage von § 242 BGB erreicht werden, wenn das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage erst nach Eintritt des Erbfalls geltend gemacht werden. Dem stehen gewichtige Belange der Rechtssicherheit entgegen. Die Erbfolge muß mit dem Tod des Erblassers auf einer festen Grundlage stehen und darf grundsätzlich nicht noch nach beliebig langer Zeit wieder umgestoßen werden können (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1977 - IV ZR 20/76 - NJW 1978, 1159 unter 2. a); BGHZ 134, 60, 63). Insbesondere im Interesse der Nachlaßgläubiger und aller an der Erbauseinandersetzung Beteiligten bedarf es einer verläßlichen Beurteilungsgrundlage für die mit dem Erbfall eintretende Erbfolge.
Die genannten Gesichtspunkte der Rechtssicherheit würden auch einem erst nach dem Erbfall erhobenen Begehren entgegenstehen, einen Erb- oder Zuwendungsverzicht wegen Verfehlung des mit diesem Rechtsgeschäft bezweckten Erfolges gemäß § 812 BGB aufzuheben (so aber H.P. Westermann, Störungen bei vorweggenommener Erbfolge, Festschrift Kellermann 1991, 505, 524 ff.). Ob auch eine Anfechtung eines Erb- oder Zuwendungsverzichts aus Gründen der Rechtssicherheit nach Eintritt des Erbfalls ausgeschlossen ist, wie das Berufungsgericht im Hinblick auf § 119 Abs. 1 BGB angenommen hat und wie es auch für § 123 BGB vertreten wird (OLG Koblenz NJW-RR 1993, 708, 709 unter 4.; Schleswig-Holsteinisches OLG ZEV 1998, 28, 30 unter 2. a), bb); beide m.w.N.), bedarf hier nicht der Entscheidung.
Die Interessen der Rechtssicherheit stehen der Vertragsanpassung allerdings nicht entgegen, soweit es nicht um die Erbfolge selbst geht, sondern um den etwa als Rechtsgrund eines Erb- oder Zuwendungsverzichts abgeschlossenen Abfindungsvertrag (dazu BGHZ 134, 152 = ZEV 1997, 69 m.Anm. Edenfeld = JZ 1998, 141 m.Anm. Kuchinke; ferner BGHZ 113, 310, 314). Dem durch das Rechtsgeschäft mit dem Erblasser übervorteilten Vertragspartner können also zum Ausgleich seiner Vermögensnachteile Ansprüche gegen den Nachlaß zuzubilligen sein. Dem unbestrittenen Vortrag des Klägers folgend stellt das Berufungsgericht im vorliegenden Fall indessen fest, daß der Kläger für seinen Zuwendungsverzicht keinen anderen Anlaß hatte als die von seiner Mutter gewünschte Wiederherstellung ihrer Testierfreiheit. Insbesondere wurde ihm für diesen Verzicht keine Abfindung zugewandt oder versprochen. Auf seine Erbaussichten legte der Kläger demnach keinen Wert. Dann aber kommt ein materieller Ausgleich nicht in Betracht.
II. 1. Danach ist der Zuwendungsverzicht des Klägers nach wie vor wirksam, wie auch die Nachlaßgerichte im Erbscheinsverfahren angenommen haben. Mithin ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ein Schadensersatzanspruch des Klägers nicht etwa deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil der Zuwendungsverzicht des Klägers ohnehin für die Erbfolge unbeachtlich wäre.
Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, daß er das Ergebnis des Erbscheinsverfahrens nicht durch Gebrauch eines Rechtsmittels zu korrigieren versucht hat (§§ 19 Abs. 1 Satz 3 BNotO, 839 Abs. 3 BGB). Ebensowenig ist eine anderweite Ersatzmöglichkeit (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO) gegenüber dem Rechtsanwalt gegeben, der den Kläger im Erbscheinsverfahren vertreten hat. Da der Zuwendungsverzicht auch nicht aufgrund eines Abfindungsvertrages erklärt worden ist, der einer Anpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zugänglich wäre, kommt auch keine anderweite Ersatzmöglichkeit gegenüber dem Nachlaß in Betracht.
2. Fraglich erscheint indessen, ob der unterbliebene Hinweis des Beklagten auf die Ersatzerbenklausel überhaupt für die Erklärung des Zuwendungsverzichts ursächlich geworden ist. Das Berufungsgericht nimmt im Zusammenhang seiner Ausführungen zu § 139 BGB an, daß der Kläger den Zuwendungsverzicht auch dann erklärt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß das Testament seiner Mutter vom 17. Oktober 1989 wegen der bindend gewordenen Ersatzerbenberufung noch keine Wirkung entfalten konnte. Ferner stellt das Berufungsgericht bei seiner Auslegung des Zuwendungsverzichts im Hinblick auf eine rechtsgeschäftliche Bedingung fest, daß der Kläger den uneingeschränkten Verzicht erklärt hat, obwohl er wußte, daß sich die Mutter jede beliebige Änderung ihres Testaments vom 17. Oktober 1989 auch ohne seine Zustimmung und die ihrer Enkelkinder ausdrücklich vorbehalten hatte. Der Beklagte hat schon in der Berufungserwiderung die Auffassung vertreten, der Kläger habe in jedem Falle auf die Zuwendung aus dem Ehegattentestament seiner Eltern verzichten wollen. Das wird das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß grundsätzlich der Geschädigte zu beweisen hat, daß ihm durch die Amtspflichtverletzung ein Schaden entstanden ist (BGH, Urteil vom 3. März 1983 - III ZR 34/82 - NJW 1983, 2241, 2242).
Ende der Entscheidung
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