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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2004
Aktenzeichen: IV ZR 393/02
Rechtsgebiete: VBLS, ABGB, SGB III


Vorschriften:

VBLS § 41
VBLS § 41 Abs. 2a
VBLS § 41 Abs. 2b
VBLS § 41 Abs. 2c
VBLS § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a
VBLS § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a
VBLS § 42 Abs. 2 Satz 1 Doppelbuchst. aa
VBLS § 55a a.F.
VBLS § 55a Abs. 2 Satz 2
VBLS § 56 a.F.
VBLS § 56 Abs. 1 Satz 4
VBLS § 75 Abs. 1
VBLS § 75 Abs. 2 n.F.
ABGB § 3
ABGB § 9 Abs. 1
SGB III § 117 Abs. 1 Nr. 2
SGB III § 122
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 393/02

Verkündet am: 15. Dezember 2004

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Versorgungsrente.

Er ist am 6. Dezember 1934 geboren und war im öffentlichen Dienst bei einem Dienstherrn beschäftigt, der an der beklagten Versorgungsanstalt beteiligt ist. Seit dem 2. Dezember 1991 bezog er von der Beklagten eine Versorgungsrente. Weil er zu Rentenbeginn geschieden und zu diesem Zeitpunkt auch keine der sonstigen Alternativen des § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a der Satzung der VBL in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (im folgenden: VBLS a.F.) gegeben war, legte die Beklagte im Rahmen der Rentenberechnung zum einen bei der Ermittlung des fiktiven Nettoarbeitsentgelts die (für den Kläger ungünstige) Steuerklasse I/0 zugrunde. Zum anderen berücksichtigte sie vom Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegte Zeiten, die nicht zugleich Umlagemonate sind, gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F. nur zur Hälfte (Halbanrechnung).

Am 25. Mai 1992 heiratete der Kläger wieder, teilte der Beklagten diesen Umstand aber erst mit bei ihr am 2. Mai 2001 eingegangenem Schreiben mit. Die Beklagte paßte daraufhin mit Wirkung ab dem 1. Juni 2001 - dem auf die Mitteilung folgenden Monat - die Versorgungsrente unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0 an.

Die für die Berücksichtigung der Steuerklasse maßgeblichen Satzungsbestimmungen lauteten in ihrer jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt:

§ 55a VBLS a.F.:

"...

(2) § 41 Abs. 2a bis 2c ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß

...

b) die bisher maßgebende Steuerklasse zugrunde zu legen sind. War bisher die Steuerklasse I/0 maßgebend, ist auf vorherigen Antrag vom Beginn der neu berechneten Versorgungsrente an die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen, wenn eine der Voraussetzungen des § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a eingetreten ist. ..."

§ 56 VBLS a.F.:

"(1) Werden nach dem Tag des Beginns der Versorgungsrente ... die Versorgungsbezüge der Versorgungsempfänger des Bundes infolge von Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse ... allgemein erhöht oder vermindert, wird das gesamtversorgungsfähige Entgelt zu demselben Zeitpunkt und in dem gleichen Ausmaß angepaßt ... . Die Versorgungsrente ist, ausgehend von dem nach Satz 1 angepaßten Entgelt, unter Beibehaltung der bisherigen gesamtversorgungsfähigen Zeit und - vorbehaltlich des Absatzes 2 - der bisher zu berücksichtigenden Bezüge, ... - im übrigen nach den für die Erstberechnung geltenden Vorschriften - neu zu errechnen.

§ 41 Abs. 2a bis 2c ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß

...

b) die bisher maßgebende Steuerklasse zugrunde zu legen sind. War bisher die Steuerklasse I/0 maßgebend, ist auf vorherigen Antrag vom Anpassungszeitpunkt an die Steuerklasse III/0 zugrunde zu legen, wenn eine der Voraussetzungen des § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a eingetreten ist. ..."

§ 41 VBLS a.F.:

"(2c) Das fiktive Nettoarbeitsentgelt ist dadurch zu errechnen, daß von dem gesamtversorgungsfähigen Entgelt

a) bei einem am Tag des Beginns der Versorgungsrente ... nicht dauernd getrennt lebenden verheirateten Versorgungsberechtigten sowie bei einem Versorgungsrentenberechtigten, der an diesem Tag Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung für mindestens ein Kind hat, der Betrag, der an diesem Tag als Lohnsteuer nach Steuerklasse III/0 zu zahlen wäre,

b) bei allen übrigen Versorgungsrentenberechtigten der Betrag, der am Tag des Beginns der Versorgungsrente als Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0 zu zahlen wäre,

...

abgezogen werden. ..."

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte müsse der Rentenberechnung ab dem ersten auf die Eheschließung folgenden Anpassungszeitpunkt und damit für den Zeitraum 1. Mai 1993 bis 31. Mai 2001 die günstigere Steuerklasse zugrundelegen und verlangt entsprechende Feststellung. Außerdem hält er in Anlehnung an den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2000 (VersR 2000, 835 = NJW 2000, 3341) die Halbanrechnung ab dem 1. Januar 2001 für unzulässig und begehrt Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ab diesem Zeitpunkt die vollen, nicht im öffentlichen Dienst zurückgelegten Rentenversicherungszeiten zu berücksichtigen, bis eine neue, die Regelung der Vordienstzeiten ändernde Satzung wirksam werde.

Während das Landgericht dem die Vordienstzeiten betreffenden Antrag stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen hat, hat das Berufungsgericht ihr insgesamt den Erfolg versagt. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision beide Feststellungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei nicht verpflichtet, bei der Rentenberechnung ab 1. Januar 2001 die Vordienstzeiten in vollem Umfang zu berücksichtigen. Der Kläger gehöre nicht zu den vom Beschluß des Bundesverfassungsgerichts betroffenen jüngeren Versichertengenerationen.

Ebenfalls ohne Erfolg begehre der Kläger die Berechnung seines fiktiven Arbeitsnettoentgelts rückwirkend ab 1. Mai 1993 unter Zugrundelegung der Steuerklasse III/0. Zwar könne die Beklagte Änderungen der tatsächlichen Voraussetzungen von Steuerklassen nicht auf die Fälle der Neuberechnung und Anpassung beschränken. Vielmehr müsse eine günstigere Steuerklasse ab dem 1. des auf den Eingang der entsprechenden Mitteilung folgenden Monats berücksichtigt werden. Das Erfordernis eines vorherigen Antrags halte aber einer Inhaltskontrolle stand. Das Klageziel sei auch unter schadensrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu erreichen, da eine nebenvertragliche Informations- und Belehrungspflicht der Beklagten insoweit nicht bestehe.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in vollem Umfang stand.

1. Soweit sich die Revision unter Bezug auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 2000 (aaO) gegen die Anrechnung von Vordienstzeiten nur zur Hälfte wendet, hat der Senat in seinem Urteil vom 26. November 2003 (IV ZR 186/02 - VersR 2004, 183 unter 2 c und d) klargestellt, daß die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts nicht diejenigen Rentnergenerationen betreffen, die vor dem 1. Januar 2001 Rentenempfänger geworden sind. Auch für die Generation des Klägers des vorliegenden Verfahrens, der seit Dezember 1991 Rente bezieht, ist nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, daß verfassungsrechtlich etwa bedenkliche Folgen einer Halbanrechnung noch im Rahmen einer bei der Regelung einer komplizierten Materie zulässigen Generalisierung bleiben und deshalb hinzunehmen sind.

Die Beklagte hat die Satzung der Zusatzversorgungskasse mit Wirkung ab 1. Januar 2001 grundlegend geändert (vgl. BAnz. 2003 Nr. 1). Nach der Neuregelung kommt es auf Vordienstzeiten überhaupt nicht mehr an; vielmehr wird eine Betriebsrente auf der Grundlage von Versorgungspunkten gezahlt, für die das zusatzversorgungspflichtige Entgelt, eine soziale Komponente und Bonuspunkte maßgebend sind (§§ 35 ff. VBLS n.F.). Aufgrund der Übergangsregelung des § 75 Abs. 1 und 2 VBLS n.F. werden Versorgungsrenten nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Satzungsrecht für die am 31. Dezember 2001 Versorgungsrentenberechtigten als Besitzstandsrenten weitergezahlt und entsprechend § 39 der Neufassung jährlich um 1% vom Jahr 2002 an erhöht. Der Kläger macht nicht geltend und es ist auch nicht ersichtlich, daß er danach im wirtschaftlichen Ergebnis schlechter stünde als Rentenberechtigte, für die das neue Satzungsrecht gilt. Andererseits fehlt auch nach der Neufassung jede Grundlage für seine weitergehenden Forderungen.

2. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Steuerklasse halten den Angriffen der Revision stand. Das Berufungsgericht hat dem auf Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 bei der Berechnung der Versorgungsrente für den Zeitraum 1. Mai 1993 bis 31. Mai 2001 gerichteten Feststellungsbegehren zu Recht nicht entsprochen.

a) Die Satzung der Beklagten enthält - entgegen den Bedenken der Revision - nach ständiger Rechtsprechung des Senats Allgemeine Geschäftsbedingungen in Form Allgemeiner Versicherungsbedingungen und ist damit einer Überprüfung anhand des AGBG (bzw. der §§ 305 ff. BGB) grundsätzlich zugänglich. Trotz des Vorliegens einer Gruppenversicherung ist der Kläger - anders als die Revisionserwiderung meint - als Versicherter in den Schutzbereich dieser Vorschriften einbezogen (vgl. z.B. BGHZ 142, 106 ff.).

b) Ein den streitentscheidenden Klauseln zur Steuerklasse innewohnender Überrumpelungseffekt im Sinne von § 3 AGBG ist nicht gegeben. Sie enthalten keine Regelung, die von den Erwartungen des Vertragspartners - bzw. des begünstigten Dritten - deutlich abweicht und mit der dieser den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht.

Daß sich die Eheschließung positiv auf die Versorgungsrentenhöhe auswirken kann, ist schon deswegen nicht überraschend, weil sie auch beim Berufstätigen die steuerrechtlich anzusetzende Steuerklasse und damit das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen erheblich (positiv) beeinflußt - was als allgemein bekannt vorauszusetzen ist. Den Rentenberechnungen der Beklagten ist darüber hinaus bei aufmerksamer Durchsicht zu entnehmen, daß ein Steuerabzug berücksichtigt wird, welcher Steuerklasse er entnommen ist und auf welcher Klausel der Satzung das beruht.

Ebenso wenig kann das Antragserfordernis den Versicherten überraschen. Es liegt auf der Hand, daß die Veränderung der familiären Verhältnisse der Beklagten mitgeteilt werden muß, um von ihr berücksichtigt werden zu können. Der Antrag des § 56 Abs. 1 Satz 4 VBLS ist formlos möglich, kann deshalb auch mündlich gestellt werden (Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes § 56 Anm. 6) und ist darum regelmäßig in der Mitteilung zu sehen.

Auch daß die Klauseln einen "vorherigen" Antrag verlangen und dadurch vor dem Antrag liegende Zeiträume von einer Beeinflussung durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ausnehmen, ist nicht gemäß § 3 ABGB unwirksam. Es ist nicht ungewöhnlich, daß Leistungen erst ab einer Antragstellung bzw. einem vergleichbaren Zeitpunkt gewährt werden. Verwiesen sei z.B. auf Pflege- (vgl. KassKomm/Seewald, § 19 SGB IV Rdn. 4) oder Arbeitslosengeld (das gemäß §§ 117 Abs. 1 Nr. 2, 122 SGB III eine "vorherige" Arbeitslosmeldung voraussetzt). Dem durchschnittlichen Versicherten ist das bekannt. Er ist deshalb zumindest gehalten, die entsprechenden Satzungsbestimmungen nachzulesen.

c) Das in §§ 55a Abs. 2 Satz 2, 56 Abs. 1 Satz 4 VBLS a.F. enthaltene Erfordernis eines vorherigen Antrags hält auch einer Inhaltskontrolle gemäß § 9 Abs. 1 AGBG stand. Insbesondere benachteiligt es den Versicherten nicht unangemessen, denn die Beklagte versucht damit nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben durch einseitige Vertragsgestaltung mißbräuchlich eigene Interessen auf Kosten der Versicherten durchzusetzen, ohne von vornherein auch deren Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihnen einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGHZ 141, 137, 147; 147, 279, 282; Senatsurteil vom 21. Februar 2001 - IV ZR 11/00 - VersR 2001, 576 unter 3 b).

Dabei braucht nicht abschließend geklärt zu werden, ob die einen selbständigen Regelungsteil darstellende Bestimmung in §§ 55a, 56 VBLS a.F., daß Änderungen der Voraussetzungen für die Steuerklassen nur bei einer Neuberechnung oder Anpassung berücksichtigt werden können, unwirksam ist - was das Berufungsgericht annimmt und wofür einiges spricht. Denn die Beklagte hat abweichend davon die Rente des Klägers ab dem auf die Mitteilung folgenden Monat nach der günstigeren Steuerklasse berechnet.

Das Erfordernis des vorherigen Antrags kann zwar zu nicht unerheblichen finanziellen Nachteilen auf Seiten der Versicherten führen, wenn der Antrag (aus welchen Gründen auch immer) verspätet gestellt wird. Gerade für die Verheiratung ist ein zumindest zeitnaher Antrag bei der Beklagten regelmäßig möglich. Der daher ohnehin nur in Ausnahmefällen denkbare, vom Versicherten nicht zu vertretende und für ihn nicht unerhebliche Nachteil wird aber jedenfalls dadurch aufgewogen, daß die günstigere Steuerklasse nicht wieder verloren gehen kann. War nämlich die Rente einmal unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 berechnet, wird diese Steuerklasse auch bei späterem Wegfall der tatsächlichen Voraussetzungen hierfür (z.B. Scheidung) weiter zugrunde gelegt. Denn die Satzung sah eine Rückänderung zur Steuerklasse I/0 nicht vor (Gilbert/Hesse, aaO § 55a Anm. 11). Das verkennt die Revision.

d) Schließlich dringt die Revision auch nicht mit dem Einwand durch, die Beklagte habe den Kläger so zu stellen, als ob sie ihn über das Erfordernis des vorherigen Antrags belehrt und er dementsprechend die Wiederverheiratung mitgeteilt habe. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, besteht keine dahingehende Hinweis- und Belehrungspflicht der Beklagten. Die Regelung ist ausreichend klar und verständlich. Der Versicherte, der sich über die Auswirkungen veränderter Familienverhältnisse informieren will, wird durch die Überschriften ("Neuberechnung" bzw. "Anpassung") auf §§ 55a, 56 VBLS a.F. aufmerksam. Beim aufmerksamen Lesen stößt er dann auf deren Abs. 2 Satz 2 bzw. Abs. 1 Satz 4, die das Erfordernis eines vorherigen Antrags eindeutig formulieren. Dem verständigen Versicherten ist es weiter zumutbar, den Verweisungen auf § 41 Abs. 2c Satz 1 Buchst. a VBLS a.F. nachzugehen, wo die die Steuerklasse positiv beeinflussenden Tatbestände nachvollziehbar aufgezählt sind.

Ende der Entscheidung

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