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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.03.2006
Aktenzeichen: IV ZR 409/02
Rechtsgebiete: SGB VI, VBLS, BGB, AGBG


Vorschriften:

SGB VI § 36
VBLS § 26 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c a.F.
VBLS § 38 Abs. 1
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. g
VBLS § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. h
VBLS § 44 Abs. 1 a.F.
VBLS § 83 n.F.
VBLS § 105b a.F.
VBLS § 105b Abs. 1 a.F.
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1
AGBG § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 409/02

Verkündet am: 8. März 2006

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der beklagten Versorgungseinrichtung für den Öffentlichen Dienst eine Zusatzrente gemäß der in der Satzung getroffenen Sonderregelung für Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet (§ 105b VBLS a.F., § 83 VBLS n.F. i.V. mit § 44 Abs. 1 VBLS a.F.).

Der am 1. Mai 1938 geborene Kläger war seit dem 5. Oktober 1992 im Öffentlichen Dienst im Beitrittsgebiet (Tarifgebiet Ost) beschäftigt. Aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses war er seit dem 1. Januar 1997 - dem Zeitpunkt der Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost - bei der Beklagten zur Pflichtversicherung angemeldet. Im Rahmen dieser Versicherung hat er 54 Umlagemonate erreicht. Sein Arbeitsverhältnis endete mit der Inanspruchnahme einer Rente für langjährig Versicherte nach § 36 SGB VI zum 1. Juli 2001. Seinen Antrag auf eine Zusatzrente nach § 105b VBLS a.F. hat die Beklagte mit Schreiben vom 18. Juli 2001 abgelehnt, weil sein Arbeitsverhältnis erst nach dem 1. Januar 1992 begonnen hatte.

Diese Bestimmung, die durch die 29. Satzungsänderung vom 1. Februar 1996 eingefügt wurde, lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 105b Sonderregelung für Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet

(1) Der im Beitrittsgebiet Pflichtversicherte, bei dem der Versicherungsfall vor Erfüllung der Wartezeit (§ 38 Abs. 1) eingetreten ist und der vom 1. Januar 1992 an ununterbrochen bei einem Beteiligten, bei dessen Rechts- oder Funktionsvorgänger ... in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, das - bei Geltung der Satzung - zur Pflichtversicherung geführt hätte, und der

a) vom 1. Januar 1997 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles ununterbrochen pflichtversichert gewesen ist ..., erhält eine Leistung in der Höhe, wie sie ihm als Versicherungsrente (§ 44 Abs. 1) zustehen würde, wenn er in den dem Eintritt des Versicherungsfalles bzw. dem Ende des Arbeitsverhältnisses vorangegangenen 60 Kalendermonaten pflichtversichert gewesen wäre ... ."

Die Wartezeit beträgt nach § 38 Abs. 1 VBLS a.F. 60 Umlagemonate. Voraussetzung für die Pflichtversicherung war nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c VBLS a.F., dass der Arbeitnehmer des Beteiligten vom Beginn der Pflichtversicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit erfüllen konnte.

Der Kläger verkennt nicht, dass dem geltend gemachten Rentenanspruch nach § 105b VBLS a.F. entgegensteht, dass er nicht schon vom 1. Januar 1992 an in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, das bei Geltung der Satzung zu einer Pflichtversicherung bei der Beklagten geführt hätte. Er hält diese Stichtagsregelung jedoch nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam, weil sie ihn unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unbillig benachteilige. Er begehrt deshalb festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm ab 1. Juli 2001 eine Versicherungsrente gemäß § 105b VBLS a.F. zu gewähren, deren Höhe 106,73 DM (54,57 €) monatlich betragen würde.

Diesen in den Vorinstanzen abgewiesenen Anspruch verfolgt der Kläger mit der Revision weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die beanstandete Stichtagsregelung nicht nach § 9 AGBG (jetzt § 307 BGB) unwirksam, weil sie den Kläger nicht unangemessen benachteilige und ihn insbesondere nicht in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Früher nur im Tarifgebiet Ost beschäftigt gewesene Arbeitnehmer hätten nach Einführung der Zusatzversorgung zum 1. Januar 1997 wegen der Wartezeit von fünf Jahren grundsätzlich erst nach Ende des Jahres 2001 einen Anspruch auf Rente erwerben können. Abweichend von dem seit 1967 für alle Versicherten geltenden Grundsatz der Erfüllung der Wartezeit gewähre § 105b VBLS a.F. unter den darin genannten Voraussetzungen den Versicherten im Beitrittsgebiet Leistungen, wenn der Versicherungsfall schon vor Erfüllung der Wartezeit eingetreten sei. Diese Vergünstigung habe nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nur einem engen Kreis der neu aufzunehmenden Versicherten gewährt werden sollen. Ein Gebot, solche Ausnahmeregelungen auszuweiten, sei weder dem Grundgesetz noch § 9 AGBG oder dem Grundsatz von Treu und Glauben zu entnehmen. Dem Kläger habe es auch freigestanden, erst sechs Monate später in Rente zu gehen und so einen Anspruch auf Versorgungsrente nach Erreichen der Wartezeit zu erwerben.

II. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zusatzrente nach § 105b VBLS a.F., § 83 VBLS n.F. i.V. mit § 44 Abs. 1 VBLS a.F., weil die dem entgegenstehende Stichtagsregelung wirksam ist. Ob sie, wie die Beklagte meint, als maßgebende Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB entzogen ist, kann offen bleiben. Die Stichtagsregelung verstößt jedenfalls nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG und benachteiligt den Kläger nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

1. Auf die in den Vorinstanzen geltend gemachte gleichheitswidrige Behandlung von Beschäftigten im Beitrittsgebiet gegenüber denen in den alten Bundesländern kommt die Revision zu Recht nicht mehr zurück. Der Senat hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden, dass der allgemeine Gleichheitssatz eine solche Gleichstellung nicht verlangt (Urteile vom 14. Mai 2003 - IV ZR 72/02 - VersR 2003, 893 unter II 2 b bb; vom 14. Mai 2003 - IV ZR 76/02 - VersR 2003, 895 unter II 2 a; vom 11. Februar 2004 - IV ZR 52/02 - VersR 2004, 499 unter 2 d).

2. Es geht allein darum, ob der Kläger gegenüber solchen Beschäftigten im Beitrittsgebiet im Sinne von § 105b Abs. 1 VBLS a.F. unangemessen benachteiligt ist, die vom 1. Januar 1992 an bis zum Beginn der Pflichtversicherung am 1. Januar 1997 ununterbrochen im Beitrittsgebiet in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, das zu einer Pflichtversicherung bei der Beklagten geführt hätte, wenn die Satzung bereits am 1. Januar 1992 gegolten hätte. Durch diese auf einer gemeinsamen Entscheidung der Tarifvertragsparteien beruhende Regelung (vgl. dazu Kiefer ZTR 1996, 97 ff.) werden der Kläger und alle anderen Beschäftigten, die eine ununterbrochene Tätigkeit im Sinne der Satzung nicht aufzuweisen haben, nicht gleichheitswidrig benachteiligt.

Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfG NJW 2002, 1103 f.). Stichtagsregelungen für die Schaffung von Ansprüchen oder für das Inkrafttreten belastender Regelungen sind grundsätzlich zulässig, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten und Ungleichheiten mit sich bringt (vgl. BVerfGE 87, 1, 43 ff.; 101, 239, 269 ff.).

a) § 105b VBLS a.F. hat für Beschäftigte im Beitrittsgebiet eine außergewöhnliche Sonderbegünstigung geschaffen, die die Beklagte wirtschaftlich erheblich belastet. Dadurch können Beschäftigte im Beitrittsgebiet schon eine Zusatzrente erhalten, wenn sie von der fünfjährigen, für alle sonstigen Versicherten geltenden Wartezeit nur einen Tag erfüllt haben. Bei einer solchen Begünstigung ist Art. 3 Abs. 1 GG nur verletzt, wenn die Regelung willkürlich ist. Das ist nur dann der Fall, wenn es keinen sachlichen Grund dafür gibt, dass Voraussetzung für den Verzicht auf die Erfüllung der Wartefrist eine ununterbrochene Beschäftigung im Öffentlichen Dienst im Sinne der Satzungsbestimmung seit 1. Januar 1992 ist.

b) Solche sachlichen Gründe bestehen. Die Beschäftigungsdauer vor dem 1. Januar 1997 umfasst einen Zeitraum von fünf Jahren, also genau die ansonsten geforderte Wartezeit. Daraus ist zu entnehmen, dass die vor Beginn der Pflichtversicherung im Öffentlichen Dienst im Sinne der Satzung der Beklagten erwiesene Betriebstreue ein maßgebender Gesichtspunkt war. Außerdem hat, wie den Erläuterungen von Kiefer (aaO S. 98 f.) zu entnehmen ist, die finanzielle Lage der Arbeitgeber und der Beklagten bei der Beschränkung des Kreises der Rentenberechtigten eine Rolle gespielt. Auch dies ist ein sachlicher Grund (vgl. BVerfG VersR 2000, 835, 837; BVerfGE 98, 365, 402). Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes waren nicht zu berücksichtigen, erworbene Rechte wurden nicht geschmälert, vielmehr wurden Ansprüche erstmals gewährt.

c) Die Stichtagsregelung 1. Januar 1992 führt allerdings dazu, dass Beschäftigte, die erst nach diesem Stichtag im Öffentlichen Dienst des Beitrittsgebiets tätig waren, von der Vergünstigung des § 105b VBLS a.F. ausgeschlossen sind, auch wenn sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalls ebenso lange im Öffentlichen Dienst und sogar mit höheren Umlagezeiten beschäftigt waren wie Arbeitnehmer, die die Stichtagsregelung erfüllen. So ist es z.B. möglich, dass ein Beschäftigter, der (nur) die Stichtagsregelung erfüllt und bei dem der Versicherungsfall Anfang 1997 eingetreten ist, eine Zusatzrente erhält, nicht aber ein Beschäftigter wie der Kläger, der über acht Jahre im Öffentlichen Dienst beschäftigt war und 54 Umlagemonate erreicht hatte.

Die vom Kläger als ungerecht empfundene außergewöhnliche Begünstigung bei alsbaldigem Eintritt des Versicherungsfalls nach dem 1. Januar 1997 betrifft aber längst nicht alle Beschäftigten, die die Stichtagsvoraussetzungen erfüllen. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass zum 1. Januar 1997 nur Beschäftigte in die Zusatzversorgung aufgenommen worden sind, die von diesem Tag an noch 60 Umlagemonate zurücklegen konnten, also frühestens am 2. Dezember 1936 geboren sind (vgl. Kiefer, aaO S. 100). Das bedeutet, dass diejenigen, die die Regelaltersrente mit 65 Jahren beziehen, nicht mehr unter § 105b VBLS a.F. fallen, weil sie dann die Wartezeit erfüllt und Anspruch auf Versorgungsrente haben. Der Versicherungsfall des Beginns der Altersrente für langjährig Versicherte (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b VBLS a.F.) konnte frühestens drei Jahre nach dem 1. Januar 1997 eintreten, weil Voraussetzung hierfür zumindest die Vollendung des 63. Lebensjahres war (§ 36 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung, jetzt § 236 SGB VI). Die vom Kläger angeführte außergewöhnliche Begünstigung betrifft demnach nur solche Arbeitnehmer, bei denen der Versicherungsfall nach § 39 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c bis h vor Vollendung des 65. Lebensjahres eintrat. Dabei handelt es sich um die Altersrente für Frauen ab dem 60. Lebensjahr (vgl. Kiefer, aaO S. 100), ferner im Wesentlichen um Beschäftigte, die wegen Schwerbehinderung, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit - zumeist unfreiwillig - vor Erreichen der Wartezeit aus dem Öffentlichen Dienst ausscheiden. Dass diese Personen im Vergleich zum Kläger, der freiwillig vor Erreichen der Wartezeit in Rente gegangen ist und bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses um weitere sechs Monate sogar einen Anspruch auf Versorgungsrente hätte erwerben können, begünstigt werden, ist nicht sachwidrig.

Ende der Entscheidung

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