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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: IV ZR 65/03
Rechtsgebiete: AVB RR, AVB RA 00


Vorschriften:

AVB RR § 2
AVB RA 00 § 1
AVB RA 00 § 1 Nr. 2
AVB RA 00 § 1 Nr. 3
Verspricht der Versicherer bei einer Reiseabbruchversicherung die Erstattung des Wertes der nicht genutzten Reiseleistung, ist bei einer Pauschalreise für die Berechnung des Wertes des nicht genutzten Teils der Reiseleistung der Pauschalpreis maßgeblich.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 65/03

Verkündet am: 28. Januar 2004

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 20. Februar 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Reiseabbruchversicherung in Anspruch. Die Parteien streiten im wesentlichen darüber, ob der zu erstattende Wert der nicht genutzten Reiseleistung auf der Grundlage des gesamten oder des um die Flugkosten gekürzten Reisepreises zu berechnen ist.

Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau über einen Reiseveranstalter die Naturerlebnisreise "Naturschauspiel N. " gebucht. Der Preis pro Person von 5.488 DM umfaßte die komplette Pauschalreise, wobei die eigentliche Rundreise vom 16. bis zum 30. September 2001 dauern sollte. Der Abflug aus Deutschland erfolgte am späten Abend des 15. September 2001, die Rückkehr nach Deutschland war für den frühen Morgen des 1. Oktober 2001 geplant.

Weiter hatte der Kläger für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten ein Versicherungspaket abgeschlossen, das in der - mit "Traumurlaub - gut versichert" überschriebenen - Werbeanzeige der Beklagten im Katalog des Reiseveranstalters als "Komplettschutz" bezeichnet war. Darin enthalten waren unter anderem eine Reiserücktrittskostenversicherung und eine "Feriengarantie" genannte Reiseabbruchversicherung. Nach ihren Bedingungen für die Reiseversicherungen gewährte die Beklagte in der Reiserücktrittskostenversicherung Versicherungsschutz bei Nichtantritt oder verspätetem Reiseantritt (§ 1 AVB RR 00) bei bestimmten, in § 2 aufgezählten Ereignissen. Die Reiseabbruchversicherung sollte laut ihren Bedingungen (AVB RA 00) hierzu ergänzend für den Fall des Reiseabbruchs Versicherungsschutz bieten. Die maßgeblichen Klauseln lauten:

"§ 1 ...

1. Bei nicht planmäßiger Beendigung der Reise aus einem der unter § 2 AVB RR genannten Gründe erstattet die (Beklagte) die nachweislich entstandenen zusätzlichen Rückreisekosten... .

2. Bei Abbruch der Reise aus einem der unter § 2 AVB RR genannten Gründe erstattet die (Beklagte) außerdem den Wert der nicht genutzten Reiseleistung.

3. Die während der Reise unerwartet schwer erkrankte oder schwer verletzte Person kann auf Wunsch anstelle der Leistung nach Nr. 2 einen Reisegutschein über den vollen Reisepreis der abgebrochenen Reise abzüglich Selbstbehalt wählen. ..."

Während der Reise erkrankte die Ehefrau des Klägers an einer durch Malariaprophylaxe hervorgerufenen Psychose. Das zwang den Kläger und seine Frau zum Reiseabbruch. Der für den 1. Oktober 2001 vorgesehene Rückflug wurde auf den 23. September 2001 umgebucht. In den beiden Vorinstanzen war zwischen den Parteien unstreitig, daß elf Reisetage entfallen sind.

Während die Ehefrau - als die unerwartet schwer erkrankte Person - den Gutschein über den vollen Reisepreis wählte, begehrte der Kläger Erstattung des Wertes der nicht genutzten Reiseleistung. Diesen berechnete er auf 3.773 DM, indem er von insgesamt 16 Reisetagen ausging, den auf ihn entfallenden Reisepreis (5.488 DM) durch die 16 Reisetage dividierte und die sich so ergebenden 343 DM mit den 11 entfallenen Reisetagen multiplizierte. Die Beklagte erstattete jedoch nur 2.420 DM (11 x 220 DM) und damit 1.353 DM (oder 691,78 €) weniger. Dabei bezog sie sich zur Begründung der um den Wert der Flüge bereinigten "Tagessatzhöhe" auf eine Bestätigung des Veranstalters und legte außerdem 17 Reisetage zugrunde.

Das Amtsgericht, dessen Urteil veröffentlicht ist in NVersZ 2002, 565 f., hat die u.a. auf Zahlung des Differenzbetrages von 691,78 € gerichtete Klage insoweit abgewiesen, das Landgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers in vollem Umfang stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I. Das Landgericht hat ausgeführt, bei den AVB RA 00 der Beklagten handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, bei denen etwaige Unklarheiten zu Lasten des Verwenders gingen. Dem Kläger sei es nur sehr schwer möglich, die Kosten für die Flüge zu ermitteln. Im übrigen sei es gerechtfertigt, vom Pauschalgesamtpreis auszugehen, stelle sich doch bei einem Abbruch z. B. am ersten Tag der Flug nicht als "Reiseleistung" dar. Das zeige auch die von der Beklagten vorgenommene, am Reisepreis orientierte Prämienkalkulation der Reiserücktrittskostenversicherung. Im übrigen sei von 16 Reisetagen auszugehen, da es bei einer spätabends beginnenden und frühmorgens endenden Reise nicht gerechtfertigt sei, An- und Abreisetag voll mit einzurechnen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Erstattungsberechnung nach § 1 Nr. 2 AVB RA 00 der gesamte Pauschalpreis einschließlich des Wertes der Flüge zugrunde zu legen ist.

a) Das ergibt eine Auslegung von § 1 AVB RA 00. Sie muß sich - weil es sich um Allgemeine Versicherungsbedingungen handelt - davon leiten lassen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83, 85).

b) Schon der Wortlaut von § 1 Nr. 2 AVB RA 00 legt dem Versicherungsnehmer nahe, daß für den Wert der nicht genutzten Reiseleistung - hat er eine Pauschalreise gebucht - auch der Pauschalpreis maßgeblich ist. Versprochen wird nicht die Erstattung einzelner Aufwendungen, sondern die des Wertes der nicht genutzten Reiseleistung, nicht einzelner Reiseteilleistungen. Eine Pauschalreise mag sich zwar aus Teilleistungen zusammensetzen, ihr besonderes Merkmal ist aber, daß diese vom Veranstalter zu einer Gesamtheit, zu einer einzigen Reiseleistung zusammengefaßt werden. Reiseleistung ist demgemäß für den Versicherungsnehmer, der eine Pauschalreise bucht, diese Gesamtleistung, nicht die jeweilige Teilleistung. Der Wert der nicht genutzten Reiseleistung ist deshalb vor diesem Hintergrund als Teil des Gesamtpreises zu bestimmen, in dem der Wert der Reise insgesamt seinen Ausdruck gefunden hat.

c) In diesem Verständnis der Klausel kann sich der Versicherungsnehmer auch dadurch bestätigt sehen, daß gemäß § 1 Nr. 3 AVB RA 00 dem Versicherten, in dessen Person sich ein Abbruchgrund verwirklicht, wahlweise ein Reisegutschein über den vollen Reisepreis versprochen wird, selbst wenn dieser etwa Flugleistungen beansprucht hatte. Es ist für den Versicherungsnehmer aber nicht ohne weiteres einsichtig, daß für die Wahlleistung auf den vollen Reisepreis abgestellt wird, bei der Leistung gemäß § 1 Nr. 2 AVB RA 00 dagegen nur die tatsächlich nicht in Anspruch genommene Teilleistung - unter Ausklammerung etwa der Flugleistungen - den Ausgangspunkt für die Berechnung der Ersatzleistung bilden könnte.

d) Schließlich spricht auch der dem Versicherungsnehmer erkennbare Zweck der Reiseabbruchversicherung für dieses Klauselverständnis. Sie soll den Versicherungsnehmer gegen den Schaden in Gestalt nutzloser Aufwendungen absichern, der ihm entsteht, wenn er die Reise (aus in seiner oder einer Risikoperson liegenden Gründen im Sinne des § 2 AVB RR 00) abbrechen muß. Dabei geht es nicht um die Absicherung eines immateriellen, sondern eines Vermögensschadens. Bei einer Flugpauschalreise aber ist der Flug untrennbarer Bestandteil der Reise und damit auch des Reisepreises. Muß diese Reise abgebrochen werden, stellen die in den Pauschalpreis eingerechneten Flugkosten ganz oder teilweise nutzlose Aufwendungen dar. Das wird besonders deutlich, wenn der Versicherungsfall gleich nach der Ankunft am Urlaubsort eintritt und der Versicherte alsbald zurückfliegen muß. Würde ihm bei Eintritt des Versicherungsfalles nach Ankunft am Urlaubsort (Flugziel) nur der Wert der dort zu erbringenden Reiseleistung erstattet, bliebe sein Schaden in Höhe der in den Pauschalpreis eingerechneten Flugkosten stets ungedeckt. Ein solches Ergebnis stünde nicht nur dem Zweck der Reiseabbruchversicherung entgegen, es widerspräche auch den werbenden Erklärungen der Beklagten im Zusammenhang mit ihrem Angebot zum Abschluß einer kombinierten Reiserücktrittskosten- und Reiseabbruchversicherung. Denn mit der Verwendung der Begriffe "Vollschutz" und "Feriengarantie" wird ein Verständnis des Angebots nahegelegt, der Versicherungsnehmer erwerbe mit dem Abschluß der Versicherung auch im Hinblick auf den für ihn beim Reiseabbruch eintretenden Schaden lückenlosen Versicherungsschutz.

2. Die konkrete Erstattungsberechnung des Berufungsgerichts ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Anzahl der Ausfalltage war in beiden Vorinstanzen unstreitig. Darüber geht die Revision ohne Begründung hinweg. Richtig ist auch, daß eine Reisedauer von 16 Tagen zugrunde zu legen ist. Für den Zeitraum vor dem Abflug am späten Abend des 15. September 2001 und den Zeitraum nach der Ankunft am frühen Morgen des 1. Oktober 2001 waren Reiseleistungen nicht geschuldet und nicht bezahlt. Diese Zeiträume sind deshalb für den Wert der nicht genutzten Reiseleistung ohne Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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