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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.03.2004
Aktenzeichen: IV ZR 75/03
Rechtsgebiete: VVG
Vorschriften:
VVG § 5 Abs. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 10. März 2004
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting und Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2004
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. November 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Versicherungsprämien.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der früheren Klägerin (im folgenden: Schuldnerin), nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluß des Amtsgerichts Augsburg vom 30. Mai 2001. Er begehrt von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsprämien, welche die Schuldnerin über den Zeitraum des Bestehens einer Bauträger-Betriebshaftpflichtversicherung vom 1. April 1988 bis 31. Dezember 1996 an die Beklagte entrichtet hat. Zwischen den Parteien besteht Streit über die Bemessungsgrundlage der Versicherungsprämien. Der Kläger trägt vor, die geschuldete Jahresprämie habe 0,2 Promille der Jahresbausumme zuzüglich gesetzlicher Versicherungssteuer betragen, eine Mindestprämie sei nicht vereinbart worden. Nach dem Vortrag der Beklagten habe die geschuldete Jahresprämie sich hingegen auf 0,2 Promille der Jahresumsatzsumme - mindestens aber auf 30.000 DM - zuzüglich gesetzlicher Versicherungssteuer belaufen. Die Schuldnerin hat an die Beklagte Versicherungsprämien in Höhe von 323.664,36 DM entrichtet. Bei einer Prämienberechnung nach der Jahresbausumme hätte die Schuldnerin nach Ansicht des Klägers jedoch lediglich Prämien in Höhe von 160.599,41 DM an die Beklagte entrichten müssen. Den Differenzbetrag in Höhe von 163.064,95 DM = 83.373,78 € (zuzüglich Zinsen) fordert er mit der Klage zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr in Höhe von 70.709,15 DM = 36.153,01 € (zuzüglich Zinsen) stattgegeben; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Soweit das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, erhebt die Beklagte Anschlußrevision und wendet sich gegen ihre Verurteilung insgesamt.
Entscheidungsgründe:
Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 (1. Alt.) BGB für das erste Versicherungsjahr 1988/89 sowie für die Versicherungsjahre 1991/92, 1995 und 1996 in - unstreitiger - Höhe von insgesamt 70.709,15 DM für begründet erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Dabei ist es davon ausgegangen, daß dem Versicherungsvertrag die vertraglichen Vereinbarungen zugrunde zu legen seien, wie sie die Klägerseite vorgelegt hat. Danach ist unter Ziffer 9.1 bestimmt, daß die Prämienberechnung nach der Jahresbausumme - ohne Mindestprämie - zu erfolgen habe. Diese Prämienbemessungsgrundlage habe für die vorgenannten Jahre keine Änderung erfahren. Eine gegenüber dieser schriftlichen Vereinbarung vorrangige Individualabrede dahin, daß von der Jahresumsatzsumme auszugehen sei, habe die Beklagte nicht hinreichend vorgetragen.
Für die Versicherungsjahre 1989/90, 1990/91, 1992, 1993 und 1994 hat das Berufungsgericht das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs hingegen mit der Begründung verneint, daß die Beitragszahlungen für diese Zeit ihre Rechtsgrundlage fänden in entsprechenden Nachträgen zum Versicherungsschein, durch welche die Prämienbemessungsgrundlage für das jeweilige Versicherungsjahr wirksam gemäß § 5 Abs. 1 und 2 VVG auf den Jahresumsatz und für das Versicherungsjahr 1994 auf eine Mindestprämie umgestellt worden sei. Die vorgenommenen Beitragsänderungen seien wirksam, weil die Schuldnerin in den Nachträgen jeweils eine den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 VVG genügende Belehrung erhalten habe, auf die Änderungen besonders aufmerksam gemacht worden sei und ihnen nicht widersprochen habe.
II. Dagegen wenden sich beide Parteien mit Recht.
1. a) Die Beklagte rügt mit ihrer Anschlußrevision einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts: Der Vortrag der Beklagten, zwischen den Parteien sei bereits vor Übersendung eines Versicherungsscheins als Grundlage für die Prämienberechnung die Jahresumsatzsumme vereinbart worden, habe dem Landgericht für eine Beweiserhebung ausgereicht. Auf der Grundlage einer Vernehmung des von der Beklagten als Zeugen benannten Versicherungsangestellten und einer Würdigung der mit dem Zeugen erörterten schriftlichen Vertragsunterlagen sei es in seinem Urteil zu dem Ergebnis gelangt, die Parteien hätten als Prämienberechnungsgrundlage die Jahresumsatzsumme sowie eine jährliche Mindestprämie von 30.000 DM vereinbart; soweit der ursprüngliche Versicherungsschein davon abweiche, ergäben die dortigen Angaben keinen Sinn. Danach habe das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung dieses Zeugen die Auffassung vertreten dürfen, eine vertragliche Vereinbarung, der Prämienberechnung die Jahresumsatzsumme zugrunde zu legen, sei der landgerichtlichen Aussage des Zeugen nicht zu entnehmen.
b) Dem ist zuzustimmen.
Zwar weist das Berufungsgericht darauf hin, daß die Schuldnerin dem ihr übersandten Versicherungsschein und den beigefügten Bedingungen nicht widersprochen habe; darin ist unter 9.1 vorgesehen, daß die Prämienberechnung nach der Jahresbausumme erfolge. Diese wird unter 9.2 mit 150.000 DM angegeben; die Jahresprämie sollte dem Wortlaut nach 0,2 Promille davon betragen. Als Nettobetrag der Prämie wird an dieser Stelle aber nicht der sich danach rechnerisch ergebende Betrag von 30 DM, sondern ein Beitrag von 30.000 DM angegeben. Das sind 0,2 Promille der von der Schuldnerin unstreitig als Jahresumsatz angegebenen 150.000.000 DM. Im Hinblick auf diesen in sich widersprüchlichen Text ist trotz des Schweigens der Schuldnerin auf die Übersendung des Versicherungsscheins mit diesen Bedingungen nicht ausgeschlossen, daß die Parteien bei den Vertragsverhandlungen tatsächlich übereinstimmend von einer Bemessung der Prämie auf 0,2 Promille der Jahresumsatzsumme ausgegangen sind. Wenn dies der Fall war, konnte die Schuldnerin auch die ihr zugesandten Vertragsunterlagen nicht anders verstehen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist - unabhängig von der Regelung des § 5 VVG - der wahre Wille der Erklärenden maßgebend, wenn der Erklärungsempfänger erkannt hat, was der irrtümlich Erklärende in Wahrheit gewollt hat (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - IV ZR 58/94 - VersR 1995, 648 unter 2).
Da das Landgericht nach Vernehmung des Versicherungsangestellten die Überzeugung gewonnen hat, daß ungeachtet unzutreffender Angaben in den schriftlichen Unterlagen eine Prämienberechnung auf der Grundlage der Jahresumsatzsumme vereinbart worden sei, hätte das Berufungsgericht die protokollierte Aussage des Zeugen nicht anders verstehen oder ihr ein anderes Gewicht beimessen dürfen, ohne den Zeugen noch einmal zu vernehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2003 - V ZR 47/02 - BGH-Report 2003, 1109 m.w.N.).
2. Gelangt das Berufungsgericht nach Vernehmung des Zeugen und erneuter Beweiswürdigung wiederum zu dem Ergebnis, daß für die Prämienberechnung nach den ursprünglichen Vertragsgrundlagen die Jahresbausumme maßgebend sein sollte, bleibt zu prüfen, ob aufgrund späterer Nachträge zum Versicherungsschein jedenfalls für diejenigen Jahre von der Jahrsumsatzsumme bzw. einer Mindestprämie auszugehen ist, für die das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat. Auch insoweit kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.
Nachträge fallen ebenso wie die ursprüngliche Police unter den Begriff des Versicherungsscheins im Sinne von § 5 Abs. 1 VVG (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1965 - II ZR 165/63 - VersR 1966, 129 unter II; OLG Hamm VersR 1993, 169 f.; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 5 Rdn. 2; Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 5 Rdn. 1; BK/Schwintowski, § 5 VVG Rdn. 5; Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 5 Anm. 4). Die Revision macht mit Recht geltend, daß den Anforderungen des § 5 Abs. 2 VVG in den Nachträgen hier nicht genügt sei, so daß trotz fehlenden Widerspruchs der Schuldnerin Abweichungen vom ursprünglichen Vertrag nicht als genehmigt gelten.
Die von der Beklagten übersandten Nachträge enthalten im wesentlichen eine Prämienabrechnung sowie folgende Belehrung:
Dieser Nachtrag ist ergänzender Bestandteil des Versicherungsscheins. Für ihn gelten die gleichen allgemeinen und besonderen Bedingungen, sofern sie durch Vorstehendes nicht geändert sind. Falls innerhalb eines Monats nach Empfang dieses Nachtrages Einwendungen gegen dessen Inhalt nicht erhoben werden, gilt er als vom Versicherungsnehmer genehmigt.
Aus den Nachträgen zum Versicherungsschein geht aber weder hervor, ob überhaupt vom ursprünglichen Vertragsinhalt abgewichen werden sollte, noch ist erkennbar, welche Abweichungen im einzelnen als genehmigt gelten sollten. § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VVG fordert jedoch ausdrücklich, daß auf die einzelnen Abweichungen besonders aufmerksam zu machen ist. Hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf Abweichungen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit hingewiesen, kann schon deshalb nicht von einer fiktiven Genehmigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 VVG ausgegangen werden.
Zwar ist in den dem jeweiligen Nachtrag zum Versicherungsschein beigefügten Prämienrechnungen unter anderem von der (Jahres-)Umsatzsumme oder von einer Mindestprämie die Rede. Die Beklagte hat aber nicht zum Ausdruck gebracht, daß auf diesem Wege dem Versicherungsnehmer nachteilige Abweichungen von dem früher geltenden Berechnungsmodus vereinbart werden sollten. Sie hat auch nicht an anderer Stelle klargestellt, daß mit der Verwendung neuer Begriffe aus Anlaß der Inrechnungstellung von Versicherungsprämien eine Änderung der Prämienbemessungsgrundlage zum Nachteil der Schuldnerin verbunden sein sollte. Mithin kommt hier eine Genehmigung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte in den Nachträgen zum Versicherungsschein auf Änderungen der vereinbarten Grundlagen für die Prämienberechnung nicht hinreichend aufmerksam gemacht hat.
3. Weitergehende Ansprüche des Klägers, sofern sie überhaupt bestehen, sind jedenfalls nicht wegen Leistung in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) noch wegen Verjährung (§ 12 Abs. 1 VVG) ausgeschlossen.
a) Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewußt hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe etwa BGHZ 113, 62, 70; Senatsurteil vom 7. Mai 1997 - IV ZR 35/96 - NJW 1997, 2381 unter II 4 a) schließt diese Vorschrift eine Kondiktion erst aus, wenn der Leistende im Zeitpunkt der Leistung nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, daß er nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, daß er nach der Rechtslage nichts schuldet. Hierzu hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt, daß sich eine Kenntnis der Schuldnerin von der wahren Rechtslage nicht feststellen lasse. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß die Schuldnerin wissentlich überhöhte Versicherungsprämien an die Beklagte entrichtet hat.
b) Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG verjähren die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren, bei der Lebensversicherung in fünf Jahren. Ob Ansprüche auf Rückzahlung zuviel gezahlter Versicherungsprämien unter § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG fallen, ist umstritten. Teilweise werden Ansprüche auf Rückzahlung unverdienter Prämie zu den Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag gerechnet (RG JW 1938, 876; Prölss in Prölss/Martin, aaO § 12 Rdn. 6). Teilweise werden sie aber auch dem gesetzlichen Schuldverhältnis der ungerechtfertigten Bereicherung zugeordnet (OLG Düsseldorf VersR 1992, 557), auf welches die kurze Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 Satz 1 VVG keine Anwendung findet (BGHZ 32, 13, 15 ff.; Senatsurteil vom 26. Februar 1992 - IV ZR 339/90 - VersR 1992, 479 unter II 3 a). Die Entscheidung ist danach zu treffen, ob der Rückzahlungsanspruch im Versicherungsvertrag - insbesondere in einer Satzung, in Allgemeinen Versicherungsbedingungen oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung - eine vertragliche Ausgestaltung erfahren hat oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1989 - IVa ZR 221/88 - aaO; Senatsurteile vom 18. September 1991 - IV ZR 233/90 - VersR 1991, 1357 unter II 4 und vom 26. Februar 1992 - IV ZR 339/90 - aaO unter II 3 a und b). Im erstgenannten Fall handelt es sich um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, der nach § 12 Abs. 1 VVG verjährt, im zuletzt genannten Fall liegt ein gesetzlicher Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vor, auf den die Verjährungsvorschriften des BGB Anwendung finden.
Hier haben die in Rede stehenden Rückzahlungsansprüche keine vertragliche Ausgestaltung erfahren. Auch in § 8 AHB, der Vertragsbestandteil geworden ist, findet sich keine Regelung eines Rückzahlungsanspruchs wegen zuviel gezahlter Versicherungsprämien, obschon diese Bestimmung (u.a.) mit dem Wort "Prämienrückerstattung" überschrieben ist. Die Ansprüche des Klägers unterliegen deshalb der Regelverjährung des § 195 BGB a.F. und sind noch nicht verjährt.
4. Soweit das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangen sollte, daß die Prämie nach der Jahresbausumme zu berechnen war, wird es sich mit dem von der Beklagten geltend gemachten Einwand der Verwirkung auseinanderzusetzen und, falls dieser Einwand nicht durchgreift, auch Feststellungen zur Höhe der Jahresbausumme und der danach geschuldeten Prämien zu treffen haben.
Ende der Entscheidung
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