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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: IV ZR 91/01
Rechtsgebiete: VVG, AFB 87
Vorschriften:
VVG § 6 Abs. 2 | |
AFB 87 § 7 Nr. 1 a | |
AFB 87 § 7 Nr. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 17. April 2002
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting und Seiffert, die Richterin Ambrosius und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2002
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird - unter ihrer Zurückweisung im übrigen - das Urteil des 14. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2001 aufgehoben. Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 29. Juni 2000 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits der Kläger 80% und die Beklagte 20% tragen.
Von den Kosten der Rechtsmittelverfahren tragen der Kläger 80%, die Beklagte 20%.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, Eigentümer eines bäuerlichen Anwesens, früher bestehend aus Wohngebäude, Ställen und Scheunen, hatte bei der Beklagten eine gebündelte Gebäudeversicherung gegen Feuerschäden zum gleitenden Neuwert abgeschlossen, welcher Versicherungsbedingungen der Beklagten zugrunde liegen, die inhaltlich den Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversicherung (AFB 87) entsprechen.
Im Juli 1994 wurde dem Kläger die Baugenehmigung erteilt, den mittleren Scheunentrakt abzureißen und statt dessen vier Wohnungen zu errichten. Damit verbunden war die Auflage, den von den Umbaumaßnahmen betroffenen Gebäudeteil durch klassische Brandwände von den angrenzenden Gebäudeteilen abzuschotten.
Am 10. April 1999 - zu dieser Zeit waren zwei Wohnungen fertiggestellt und bewohnt - legte ein unbekannter Täter Feuer im nicht umgebauten ehemaligen Stall-/Scheunenbereich. Dieser Gebäudeteil brannte infolgedessen weitgehend nieder. Weil er unmittelbar an die neu errichteten Wohnungen angrenzte und die dortige Trennwand noch nicht zur Brandschutzmauer ausgebaut worden war, griff das Feuer auch auf den Wohnbereich über und richtete dort Schäden an.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm den gesamten durch den Brand verursachten Schaden zu ersetzen. Die Beklagte, die den Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 5. Mai 1999 gekündigt hatte, hat Versicherungsleistungen abgelehnt, weil der Kläger gegen die behördliche Auflage, eine Brandmauer zu errichten, verstoßen habe. Darin liege zugleich eine Obliegenheitsverletzung und eine nicht angezeigte Gefahrerhöhung.
Das Landgericht hat unter Abweisung der Klage im übrigen festgestellt, die Beklagte sei lediglich zum Ersatz der Schäden am ehemaligen Stall-/Scheunengebäude verpflichtet. Hinsichtlich der Neuwertspitze hat es diese Ersatzpflicht unter den Vorbehalt der Sicherstellung der Wiedererrichtung eines Scheunengebäudes gleicher Art und Zweckbestimmung bis zum 10. April 2002 gestellt. Nach Berufungen beider Parteien hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat nur teilweise Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger dadurch, daß er zwischen dem ehemaligen Stallgebäude und dem Wohnkomplex noch keine Brandmauer errichtet hatte, gegen die Auflage aus der Baugenehmigung verstoßen und zugleich eine gefahrvorbeugende Obliegenheit im Sinne von § 6 Abs. 2 VVG verletzt. Er könne sich nicht darauf berufen, die Brandmauer habe erst zu einem späteren Zeitpunkt errichtet sein müssen.
Infolge der Obliegenheitsverletzung sei die Beklagte gemäß § 7 Nr. 1 a und 2 AFB 87 von der Leistung frei. Der Kläger habe jedenfalls nicht auszuräumen vermocht, daß die Verletzung auf grober Fahrlässigkeit beruht.
Auch der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VVG sei dem Kläger nicht gelungen. Für den Schaden am Wohnkomplex scheitere er schon daran, daß das Feuer gerade durch die (auflagewidrigen) Öffnungen der nicht zur Brandschutzmauer ausgebauten Trennwand auf die Wohnungen übergegriffen habe. Aber auch für das ehemalige Stallgebäude gelte nichts anderes. Denn obgleich der Brand dort von einem Unbekannten gelegt, die fehlende Brandmauer mithin nicht für die Brandentstehung ursächlich geworden sei, habe sich der Auflagenverstoß jedenfalls auf die Schadenshöhe ausgewirkt. Ein Vergleich der Absätze 2 und 3 des § 6 VVG zeige, daß die erstgenannte Vorschrift eine teilweise Leistungsfreiheit des Versicherers nicht vorsehe. Stehe - wie hier - fest, daß sich die Obliegenheitsverletzung auf die Versicherungsleistung auswirke, befreie dies den Versicherer umfassend von seiner Leistungspflicht. Die nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG erforderliche Kündigung des Versicherungsvertrages habe die Beklagte rechtzeitig ausgesprochen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur insoweit Stand, als das Berufungsgericht dem Kläger Versicherungsleistungen für Schäden am Wohnkomplex versagt hat.
Nach § 7 Nr. 1 a der vereinbarten Versicherungsbedingungen hat der Versicherungsnehmer unter anderem alle behördlichen Sicherheitsvorschriften zu beachten. Verletzt er diese Obliegenheit, so ist der Versicherer nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 und Abs. 2 VVG zur Kündigung berechtigt, aber auch leistungsfrei. Dabei tritt Leistungsfreiheit nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 7 Nr. 2 der Bedingungen).
1. Der Kläger hat die Obliegenheit, alle behördlichen Sicherheitsvorschriften zu beachten (§ 7 Nr. 1 a AFB 87), verletzt. Die Auflage in der Baugenehmigung, den zu errichtenden Wohnkomplex durch Brandmauern von den übrigen Gebäudeteilen abzuschotten, ist eine behördliche Sicherheitsvorschrift. Sie hätte, wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, schon zur Zeit des Brandes erfüllt sein müssen.
Erfolglos beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, vom Kläger angebotene Beweise zu erheben. Diese Beweisangebote waren darauf gerichtet, daß eine dritte Wohnung im Wohnkomplex noch nicht fertiggestellt gewesen sei. Darauf kam es hier aber nicht an. Denn das Berufungsgericht ist ohnehin davon ausgegangen, daß diese Wohnung - wie unter Beweis gestellt - nicht fertiggestellt war. Es hat auch nicht verkannt, daß die Baugenehmigung nicht exakt festgelegt hatte, wann die Brandmauer im Rahmen der gesamten Umbaumaßnahmen fertigzustellen war, und daß ihr Fehlen jedenfalls im Herbst 1997 noch nicht zu Beanstandungen durch die zuständige Baubehörde geführt hatte. Das Berufungsgericht hat die Auflage in der Baugenehmigung aber ohne Rechtsfehler nach ihrem Zweck ausgelegt und darauf abgestellt, daß zur Zeit des Brandes die beiden unmittelbar an die vorgesehene Brandmauer angrenzenden Wohnungen bereits fertiggestellt und bewohnt waren. Damit war, auch für den Kläger erkennbar, die Gefahrenlage eingetreten, der die Auflage der Baugenehmigung gefahrmindernd entgegentreten sollte. Deshalb war der Zeitpunkt, zu dem diese Brandwand spätestens zu errichten war, zur Zeit des Brandes jedenfalls überschritten, ohne daß es noch auf eine genaue Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts oder den Bauzustand der dritten Wohnung angekommen wäre.
Nichts anderes besagt die Bewertung des Berufungsgerichts, die dritte Wohnung habe mit der geforderten Brandwand "nichts zu tun". Entgegen der Auffassung der Revision ist damit keine brandschutztechnische Frage angesprochen, die ohne sachverständige Hilfe nicht hätte beantwortet werden dürfen.
2. Ohne Rechtsfehler sieht das Berufungsurteil den Entschuldigungsbeweis des Klägers nach § 7 Nr. 2, letzter Satz AFB 87 als gescheitert an. Die zur Darlegung grober Fahrlässigkeit erforderliche Gesamtabwägung aller Umstände (vgl. dazu z.B. BGHZ 119, 147, 149) kann dem Inbegriff der Urteilsgründe ausreichend sicher entnommen werden. Ob dem Kläger der Entlastungsbeweis gelungen ist, erörtert das Berufungsgericht im unmittelbaren Anschluß an die Frage der Obliegenheitsverletzung. Daß es die dazu angestellten Erwägungen bei der Frage nach dem Verschuldensmaßstab aus dem Auge verloren oder im übrigen den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt haben könnte, ist nicht zu besorgen.
Für leichte Fahrlässigkeit des Klägers könnte allenfalls sprechen, daß die zuständige Baubehörde anläßlich der Bauzustandsbesichtigungen im Herbst 1997 auf die fehlende Brandwand noch nicht hingewiesen hatte. Damit setzt sich das Berufungsurteil aber auseinander und legt dar, der Kläger habe nicht davon ausgehen können, daß die Behörde ohne ersichtlichen Grund auf die Einhaltung der Auflage habe verzichten wollen. Das bewegt sich angesichts der drohenden, erheblichen Gefahr für Leib, Leben und Sachwerte, ferner des dargelegten Zeitablaufs im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Bewertung.
3. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsurteils sind die (auflagewidrigen) Öffnungen in der Trennwand zwischen dem ehemaligen Stallgebäude und dem Wohnbereich für das Übergreifen des Feuers auf die Wohnungen ursächlich geworden. Damit hat sich einerseits gerade die Gefahr verwirklicht, der die Auflage aus der Baugenehmigung entgegentreten wollte, zum anderen scheidet für die im Wohnbereich eingetretenen Schäden ein Kausalitätsgegenbeweis des Klägers im Sinne von § 6 Abs. 2 VVG aus.
4. Anders liegt es aber beim Schaden am ehemaligen Stall-/Scheunengebäude.
a) Das Berufungsgericht hat seine Zurechnung der Obliegenheitsverletzung zum eingetretenen Schaden lediglich auf die Kausalitätsprüfung nach § 6 Abs. 2 VVG beschränkt, das Brandgeschehen an beiden Gebäudeteilen insoweit als einheitlichen Vorgang bewertet. Aus einem Vergleich der Regelung in § 6 Abs. 2 VVG einerseits und Abs. 3 der Vorschrift andererseits hat das Berufungsgericht unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 1963 (II ZR 36/61 - VersR 1964, 156 unter 2 a und b) eine nur teilweise Leistungsfreiheit abgelehnt ("Alles-oder-Nichts-Prinzip"), weil das Fehlen der Brandschutzmauer jedenfalls für den Umfang des Gesamtschadens verantwortlich sei.
b) Damit hat das Berufungsgericht die bei den objektiven Voraussetzungen der Leistungsfreiheit generell zu beantwortende Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift und dem Schaden, also die Frage nach dem Schutzbereich der verletzten Sicherheitsvorschrift, nicht hinreichend von der - allein geprüften - Frage der Kausalität im konkreten Fall unterschieden (vgl. dazu Senatsurteile vom 13. Dezember 1972 - IV ZR 156/71 - VersR 1973, 172 unter III; 3. Dezember 1975 - IV ZR 34/74 - VersR 1976, 134 unter I 2; 13. November 1996 - IV ZR 226/95 - VersR 1997, 485 unter I 2, jeweils m.w.N.).
Ebenso wie bei Rechtspflichtverletzungen (dazu BGHZ 57, 137, 142) muß auch bei Verletzungen gefahrvorbeugender Obliegenheiten ein innerer Zusammenhang zwischen der mit der Verletzung geschaffenen Gefahrenlage und der eingetretenen Schadenfolge bestehen. Fehlt er deshalb, weil die Schadenfolge nicht zu denjenigen gehört, denen die Schutzvorschrift vorbeugen will (oder kann), so kann sich der Versicherer nicht auf Leistungsfreiheit berufen; seine Leistungsverweigerung liegt dann nicht im Schutzbereich der Norm (Senatsurteil vom 3. Dezember 1975 aaO). Denn die Vereinbarung der Leistungsfreiheit hat für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar nur den Sinn, den Versicherer vor dem erhöhten Risiko zu schützen, das im allgemeinen mit der Mißachtung einer gefahrvorbeugenden Obliegenheit einhergeht (Senatsurteil vom 13. November 1996 aaO m.w.N.).
c) Das hat das Berufungsgericht nicht bedacht. Die Auflage, den neu entstandenen Wohnbereich nach beiden Seiten durch Brandmauern gegen die übrigen Gebäudeteile abzuschotten, sollte zwar das Übergreifen eines einmal entstandenen Brandes auf den jeweils anderen Gebäudeteil verhindern helfen und insbesondere die Wohnungen vor in den Wirtschaftsgebäuden ausgebrochenem Feuer schützen. Die Entstehung des Brandes - zumal eines vorsätzlich gelegten - im Stallgebäude und dessen Ausbreitung in diesem konnte und sollte damit nicht verhindert werden. Soweit das ehemalige Stallgebäude niedergebrannt ist, steht dies mithin nicht im erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang zu der mit der Obliegenheitsverletzung geschaffenen Gefahr. Deshalb kann sich die Beklagte insoweit nicht auf Leistungsfreiheit berufen.
5. Für eine Leistungsbefreiung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt einer vom Kläger nicht angezeigten Gefahr oder Gefahrerhöhung ergibt sich im Ergebnis nichts anderes.
a) Auf der Grundlage des zwischen den Parteien vor Abschluß des Änderungsvertrages vom 22. April 1999 bestehenden Versicherungsvertrages kommt Leistungsfreiheit gemäß §§ 23, 25 VVG schon deshalb nicht in Betracht, weil der Zustand der als Brandmauer auszugestaltenden Mauer zwischen Wohnbereich und Wirtschaftsgebäude unverändert geblieben ist. Bereits das Landgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, daß insbesondere die Öffnungen in der Wand bereits vorhanden waren. Schon eine Erhöhung der Gefahr liegt danach jedenfalls insoweit nicht vor.
b) Wenn die Beklagte schließlich mit Blick auf den Änderungsantrag vom 2. März 1999 eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit darin erkennen will, daß der Kläger die Nichterfüllung der Brandschutzauflage verschwiegen habe, führt auch das nicht zu ihrer Leistungsfreiheit, denn eine etwaige Verletzung der Anzeigeobliegenheit hätte lediglich ein Rücktrittsrecht des Versicherers begründet, §§ 16, 20 VVG. Den Rücktritt vom Vertrag hat die Beklagte nicht erklärt. Eine Umdeutung der Kündigung in einen Rücktritt kommt nicht in Betracht (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 20 Rdn. 7; BK-Voit, VVG § 20 Rdn. 17).
Ende der Entscheidung
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