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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.05.2001
Aktenzeichen: IV ZR 94/00
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 94/00

Verkündet am: 23. Mai 2001

Heinekamp Justizsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin Ambrosius, den Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. Februar 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem beklagten Versicherer eine Berufsunfähigkeitsrente ab Februar 1997 in Höhe von monatlich 2.000 DM.

Der Kläger ist gelernter Koch. Unter dem 1. März 1993 beantragte er bei der Beklagten eine Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Bei der im Antragsformular gestellten Gesundheitsfrage "Bestehen oder bestanden Krankheiten, Störungen, Beschwerden oder Vergiftungen?" kreuzte der Versicherungsagent, der das Formular für den Kläger ausfüllte, die Antwort "nein" an. Tatsächlich litt der Kläger von Jugend an unter Heuschnupfen. Streitig ist, ob er dies dem Versicherungsagenten mitgeteilt hatte. Die Beklagte nahm den Versicherungsantrag des Klägers an.

Der Kläger war von 1989 bis Februar 1998 mit geringfügigen Unterbrechungen als Koch tätig. Mit Schreiben vom 23. Januar 1997 teilte er der Beklagten mit, daß er nach Auskunft seines Hausarztes aufgrund verschiedener Allergien berufsunfähig sei. Nachdem die Beklagte Arztauskünfte eingeholt hatte, erklärt sie unter dem 14. April 1997 ihren Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit der Begründung, daß ihr gefahrerhebliche Umstände nicht angezeigt worden seien. Mit Schreiben vom 1. oder 19. Dezember 1997 erläuterte sie, sie müsse ihre Rücktrittserklärung aufrechterhalten, weil der Kläger von Kindheit an bestehende Allergien sowie Magenprobleme nicht angegeben habe; bei Kenntnis des erhöhten Risikos hätte sie den Versicherungsschutz nicht oder jedenfalls nicht zu normalen Bedingungen anbieten können.

Das Landgericht hat die Klage wegen des Rücktritts der Beklagten abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage im wesentlichen stattgegeben, sie aber für den Zeitraum Februar 1997 bis März 1998 abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat den Rentenanspruch des Klägers bejaht und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers von mindestens 50% in seinem Beruf als Koch sei bewiesen. Zwar nicht wegen seiner Mehlstauballergie, die er durch Tragen einer Papieratemschutzmaske ausgleichen könne, wohl aber wegen seiner Kontaktallergie gegen verschiedene Lebensmittel sowie Nässe, Detergentien und Desinfektionsmittel könne der Kläger nicht mehr als Koch tätig sein. Die Prognose einer dauerhaft verbleibenden Gesundheitsbeeinträchtigung durch die Kontaktdermatitis sei allerdings nicht, wie vom Kläger geltend gemacht, ab Februar 1997, sondern erst ab März 1998, nämlich ab dem Zeitpunkt der von der Sachverständigen Dr. R. durchgeführten Untersuchung, gerechtfertigt. Der Kläger müsse sich auch nicht auf eine andere berufliche Tätigkeit verweisen lassen.

Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund ihres Rücktritts sei nicht gegeben. Der vom Landgericht für wirksam erachtete Rücktritt der Beklagten berühre gemäß § 21 VVG den Leistungsanspruch des Klägers nicht, weil der verschwiegene Umstand (Pollenallergie, Heuschnupfen) keinen Einfluß auf die Entstehung der Kontaktallergie gehabt habe, welche die Berufsunfähigkeit des Klägers ausgelöst habe. Soweit der Heuschnupfen als indizierender Umstand für eine allgemeine allergische Disposition des Klägers in Betracht komme, stehe dem die eigene Einschätzung der Beklagten entgegen, die bei Kenntnis des Heuschnupfens eben keinen allgemeinen Ausschluß von Allergieerkrankungen, sondern lediglich von Atemwegserkrankungen verlangt haben würde.

II. Die Revision ist begründet, weil die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine durch Rücktritt vom Vertrag begründete Leistungsfreiheit der Beklagten ausgeschlossen hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten. Wie die Revision zu Recht rügt, hätte das Berufungsgericht § 21 VVG, der unter bestimmten Voraussetzungen die Leistungspflicht des Versicherers trotz Rücktritts aufrechterhält, nicht anwenden dürfen, weil diese Ausnahmeregelung nur für vor dem Rücktritt eingetretene Versicherungsfälle gilt, während hier die Berufsunfähigkeit des Klägers erst nach dem Rücktritt der Beklagten eingetreten ist.

1. Der Rücktritt des Versicherers wegen Verletzung der Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers (§ 16 Abs. 2 VVG) führt dazu, daß grundsätzlich der Versicherer nicht nur für alle zukünftigen, sondern auch für alle in der Vergangenheit eingetretenen Versicherungsfälle leistungsfrei wird. § 21 VVG enthält eine Ausnahmeregelung dahin, daß die Leistungspflicht des Versicherers trotz seines Rücktritts bestehen bleibt, wenn der verschwiegene Umstand keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Versicherungsleistung gehabt hat (sog. Kausalitätsgegenbeweis). Die Ausnahmeregelung ist jedoch auf vor dem Rücktritt eingetretene Versicherungsfälle beschränkt. Denn durch den Rücktritt wird das Versicherungsverhältnis beendet. Für nach dem Wirksamwerden der Rücktrittserklärung eintretende Versicherungsfälle ist der Versicherer also in jedem Falle leistungsfrei, unabhängig davon, ob diese auf dem nicht angezeigten Umstand beruhen oder nicht (BK/Voit, VVG § 21 Rdn. 2).

2. Im vorliegenden Fall geht es um einen erst nach dem Rücktritt eingetretenen Versicherungsfall. Die Beklagte hat ihren Rücktritt mit Schreiben vom 14. April 1997 und erneut mit Schreiben vom 1. oder 19. Dezember 1997 erklärt. Die Berufsunfähigkeit des Klägers ist nach den Feststellungen im Berufungsurteil erst im März 1998 eingetreten. Das Berufungsgericht hat die medizinische Prognose der fehlenden Besserungsfähigkeit der Erkrankung, welche eine Voraussetzung für den Eintritt der Berufsunfähigkeit darstellt (BGH, Urteil vom 27. September 1995 - IV ZR 319/94 - VersR 1995, 1431 unter 2 a), erst ab dem Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers durch die Sachverständige Dr. R. für gerechtfertigt gehalten.

Das Berufungsgericht hätte demnach § 21 VVG nicht anwenden dürfen.

3. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Berufungsurteil auch. Denn wenn man von einem erst nach dem Rücktritt eingetretenen Versicherungsfall ausgeht, so ist für die Frage der Leistungsfreiheit der Beklagten der Kausalitätsgegenbeweis unerheblich und kommt es statt dessen allein darauf an, ob der Rücktritt der Beklagten berechtigt, d.h. ob der Heuschnupfen des Klägers ein gefahrerheblicher Umstand war und der Kläger ihn verschwiegen hat (§ 16 VVG). Hierzu hat aber das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, noch keine Feststellungen getroffen.

Deshalb kann das angefochtene Urteil, soweit es die Leistungspflicht der Beklagten bejaht, keinen Bestand haben.



Ende der Entscheidung

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