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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: IX ZB 129/05
Rechtsgebiete: InsO, InsVV


Vorschriften:

InsO § 8 Abs. 3
InsVV § 4 Abs. 2
InsVV § 8 Abs. 3 n.F.
a) Nach Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 können die sächlichen Kosten, die dem Insolvenzverwalter infolge der Übertragung des Zustellungswesens durch das Insolvenzgericht entstanden sind, neben der allgemeinen Auslagenpauschale geltend gemacht werden.

b) Die durch die Besorgung der Zustellungen angefallenen Personalkosten können dem Insolvenzverwalter nicht im Wege des Auslagenersatzes erstattet werden.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 129/05

vom 21. Dezember 2006

in dem Insolvenzverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Vill und Dr. Detlev Fischer

am 21. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 18. März 2005 aufgehoben und die Sache - auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 585,68 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der weitere Beteiligte zu 1 ist Insolvenzverwalter in dem - unter Stundung der Verfahrenskosten (§ 4a InsO) - am 15. April 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Insolvenzverwalter wurde gemäß § 8 Abs. 3 InsO beauftragt, die Zustellungen durchzuführen.

Am 5. Januar 2005 hat er die Festsetzung seiner Vergütung und des Auslagenersatzes beantragt. Als Nettovergütung hat er 2.600,-- € verlangt. Als Auslagenersatz hat er pauschal 390,-- € begehrt und daneben für 187 Zustellungen zu je 2,70 € den Betrag von 504,90 €. Zusätzlich hat er die jeweilige Umsatzsteuer geltend gemacht.

Das Insolvenzgericht hat die Vergütung und den pauschalen Auslagenersatz in der beantragten Höhe festgesetzt. Die Festsetzung des Auslagenersatzes für die Zustellungen hat es abgelehnt. Das Landgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen (sein Beschluss ist in Rpfleger 2005, 626 veröffentlicht). Insoweit verfolgt der Insolvenzverwalter den Antrag mit seiner Rechtsbeschwerde weiter.

II.

Das statthafte (§§ 7, 64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zulässige (§ 574 Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 1 führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Allerdings kann der Insolvenzverwalter nicht verlangen, dass zu seinen Gunsten weitere Auslagen für die gemäß § 8 Abs. 3 InsO ausgeführten Zustellungen in Höhe von 504,90 € zuzüglich Umsatzsteuer (80,78 €) festgesetzt werden.

a) Auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt findet die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) in ihrer nach Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2569) geltenden Fassung Anwendung, weil das Insolvenzverfahren nach dem 1. Januar 2004 eröffnet worden ist (§ 19 InsVV).

b) Die Frage, ob der Insolvenzverwalter die ihm auf Grund der Übertragung der Zustellungen nach § 8 Abs. 3 InsO entstandenen Zustellungskosten neben der Auslagenpauschale (§ 8 Abs. 3 InsVV) geltend machen kann, ist für das frühere wie auch das neuere Recht in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (bejahend: LG Leipzig ZInsO 2003, 514; LG Chemnitz ZInsO 2004, 200; LG Bamberg ZInsO 2004, 1196, 1197; AG Göttingen ZInsO 2004, 1351, 1352; AG Marburg ZInsO 2005, 706; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 3. Aufl. § 4 Rn. 6; Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, InsO § 4 InsVV Rn. 6; FK-InsO/Lorenz, 4. Aufl. § 4 InsVV Rn. 12; HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl. § 4 InsVV Rn. 8; HmbKomm-InsO/Büttner, § 8 InsVV Rn. 30; Keller NZI 2004, 465, 476; Voß EWiR 2004, 1045, 1046; verneinend LG Aschaffenburg, Beschl. v. 26. April 2006 - 4 T 15/06; AG Köln NZI 2006, 47, 48; Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 4 InsVV Rn. 28; Graeber, Vergütung in Insolvenzverfahren von A - Z [2005] Rn. 542; Rellermeyer Rpfleger 2006, 115, 117).

c) Für das seit Inkrafttreten der Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 geltende Recht (zum früheren Recht vgl. die Senatsentscheidung vom heutigen Tage IX ZB 81/06, z.V.b.) hält es der Senat für zutreffend, dass die sächlichen Kosten, die dem Insolvenzverwalter infolge der Übertragung des Zustellungswesens durch das Insolvenzgericht (§ 8 Abs. 3 InsO) entstanden sind, neben der Auslagenpauschale (§ 8 Abs. 3 InsVV) geltend gemacht werden können.

aa) Sachkosten des Insolvenzverwalters, die ihm dadurch entstehen, dass er die ihm gemäß § 8 Abs. 3 InsO übertragenen Zustellungen besorgt, sind Auslagen im Sinne des § 4 Abs. 2 InsVV (LG Chemnitz aaO; LG Bamberg aaO; LG Fulda aaO; Haarmeyer/Wutzke/Förster aaO; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 8 Rn. 18; FK-InsO/Lorenz aaO; HK-InsO/Irschlinger aaO; HmbKomm-InsO/Büttner, § 4 InsVV Rn. 9; Keller aaO). Es handelt sich nicht um Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (so jedoch LG Leipzig aaO; MünchKomm-InsO/Nowak, § 4 InsVV Rn. 20; Voß aaO). Die Kosten des Insolvenzverfahrens, zu denen insbesondere die Auslagen des Insolvenzverwalters gehören (§ 54 Nr. 2 InsO), sind dort ausgenommen.

bb) Zustellungskosten, die auf Grund einer Anordnung gemäß § 8 Abs. 3 InsO entstanden sind, stellen zusätzliche Kosten für die Erledigung einer gesondert übertragenen Aufgabe außerhalb der Regeltätigkeit des Insolvenzverwalters dar (so auch LG Chemnitz aaO; Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, aaO). Selbst wenn dafür ein Zuschlag gemäß § 3 InsVV gewährt wird, hat dies auf die allgemeine Auslagenpauschale keinen Einfluss mehr. Damit ist der zum früheren Recht zu erhebende Einwand (vgl. die Senatsentscheidung vom heutigen Tage IX ZB 81/06, z.V.b.) nicht mehr berechtigt, dass sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten ergäben, ferner Auslagen doppelt erstattet werden könnten, wenn es möglich wäre, die Zustellungskosten neben der allgemeinen Auslagenpauschale geltend zu machen. Zustellungskosten lassen sich ohne weiteres von den unter die allgemeine Pauschale fallenden Auslagen abgrenzen.

Ließe man die gesonderte Geltendmachung der Zustellungskosten neben der Inanspruchnahme der allgemeinen Auslagenpauschale nicht zu, wäre der Insolvenzverwalter gezwungen, entweder alle Auslagen einzeln abzurechnen oder auf die Geltendmachung der Zustellungskosten zu verzichten. Beides ist ihm nicht zumutbar. Es ist nicht einzusehen, dass der Insolvenzverwalter auf den Ersatz für Auslagen verzichten soll, die ohne die Übertragung gemäß § 8 Abs. 3 InsO beim Staat angefallen wären. Selbst wenn dem Insolvenzverwalter für die Erledigung der Zustellungen ein Zuschlag gewährt wird, stellt dieser eine tätigkeitsbezogene Vergütung dar (Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO § 3 InsVV Rn. 1; HmbKomm-InsO/Büttner, § 3 InsVV Rn. 1) und umfasst keine Auslagen.

d) Eine besondere Auslagenpauschale von 2,70 € für die Zustellungen kann der weitere Beteiligte zu 1 gleichwohl nicht verlangen, weil damit auch der Bearbeitungsaufwand, also der Personaleinsatz, abgegolten werden soll. Der Aufwand durch die Beschäftigung eigenen Personals kann jedoch nicht im Wege des Auslagenersatzes geltend gemacht werden.

aa) Allerdings ist der personelle Bearbeitungsaufwand, der durch die Zustellungen entsteht, nicht bereits durch die Vergütung gemäß § 2 InsVV abgegolten. Die Einführung einer von der Zahl der Gläubiger abhängigen Staffelvergütung in § 2 Abs. 2 InsVV durch die Änderungsverordnung vom 4. Oktober 2004 hat daran nichts geändert. Die Vergütungssätze des § 2 Abs. 2 InsVV n.F. sind lediglich dazu bestimmt, den regelmäßig durch ein Insolvenzverfahren verursachten Aufwand des Insolvenzverwalters abzudecken. Mit der Übertragung der Zustellungen gemäß § 8 Abs. 3 InsO entsteht diesem hingegen ein zusätzlicher, von der gewöhnlichen Geschäftsführung nicht umfasster Aufwand. Schon in der Insolvenzordnung ist indes der grundsätzliche Unterschied zwischen Vergütung und Auslagenersatz angelegt (vgl. §§ 63, 65 InsO). Die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung nimmt diesen Unterschied auf (vgl. § 8 Abs. 1 InsVV). Zwar fallen auch Aufwendungen, die aus der gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV möglichen Beauftragung Dritter zur Erledigung besonderer Aufgaben für die Masse entstanden sind, unter den Begriff der Auslagen (BGHZ 160, 176, 180; vgl. ferner Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO § 4 InsVV Rn. 6: "Aufwendungen für Sach- oder Personaleinsatz"). Der Insolvenzverwalter, der sein vorhandenes Büropersonal einsetzt, um für ein bestimmtes Insolvenzverfahren eine besondere Aufgabe mit zu erledigen, kann die Bürokosten jedoch nicht als Auslagen geltend machen. Dies gilt selbst dann, wenn die dem Personal übertragene Aufgabe der Erfüllung hoheitlich auferlegter Pflichten dient und der Insolvenzverwalter ansonsten auch einen Dritten damit hätte beauftragen dürfen (BGHZ 160, 176, 181; BGH, Beschl. v. 13. Juli 2006 - IX ZB 198/05, ZIP 2006, 1501, 1502 f). Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Hier wie dort ist entscheidend, dass die Verhältnisse weniger durchschaubar würden, wenn die Kosten des eigenen Personals im Wege des Auslagenersatzes abgewälzt werden könnten.

bb) Welcher Teil des für jede Zustellung geltend gemachten Betrages von 2,70 € auf den personellen und welcher auf den sächlichen Bearbeitungsaufwand entfällt, hat der Antragsteller nicht angegeben. Er hat sich lediglich auf Berechnungen bezogen, die in der Rechtsprechung praktiziert worden sind (LG Chemnitz ZInsO 2004, 200; AG Göttingen ZInsO 2004, 1351). Dort ist der betreffende Anteil jedoch ebenso wenig beziffert worden (vgl. ferner LG Bamberg ZInsO 2004, 1196, 1197; AG Marburg ZInsO 2005, 706, 707).

2. Nicht ausgeschlossen erscheint, dass der sächliche Aufwand der Zustellungen - insbesondere Kopier- und Portokosten sowie die Kosten der Umschläge - geschätzt werden kann. Dazu hat wohl auch das Beschwerdegericht tendiert. Es hat von einer Schätzung abgesehen, weil es - rechtsirrig - gemeint hat, eine Auslagenerstattung komme insoweit überhaupt nicht in Betracht, nachdem der Insolvenzverwalter den Pauschsatz nach § 8 Abs. 3 InsVV gewählt habe. Deshalb ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

3. Im vorliegenden Fall hat der weitere Beteiligte zu 1 einen Zuschlag entsprechend § 3 Abs. 1 InsVV nicht beantragt, weil er davon ausgegangen ist, im Wege des Auslagenersatzes sein Ziel zu erreichen. Das Beschwerdegericht hat ihn auf die Möglichkeit eines Zuschlags nicht hingewiesen, weil es gemeint hat, ein erheblicher Mehraufwand im Sinne von § 3 Abs. 1 InsVV könne "bei nur 76 Gläubigern" nicht angenommen werden. Dies erscheint verfahrensfehlerhaft und nötigt ebenfalls zur Zurückverweisung.

a) Die Erledigung der dem Insolvenzverwalter gemäß § 8 Abs. 3 InsO aufgetragenen Zustellungen kann einen Zuschlag entsprechend § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 22. Juli 2004 - IX ZB 222/03, NZI 2004, 591, 592; Haarmeyer/Wutzke/Förster aaO § 3 Rn. 68, 72; MünchKomm-InsO/Ganter, § 8 Rn. 36; Uhlenbruck, aaO § 8 Rn. 16, 18; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 8 Rn. 13; Nerlich/Römermann/Becker § 8 Rn. 20; Keller NZI 2002, 581, 587; Graeber ZInsO 2005, 752, 753 ff). Denn das Insolvenzgericht hat ihm zur eigenen Entlastung zusätzliche, dem Verwalter kraft Gesetzes nicht obliegende Aufgaben übertragen. Deren Erledigung darf jedenfalls dann, wenn sie einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert, nicht unvergütet bleiben. Mit dem Zuschlag ist dann auch der personelle Bearbeitungsaufwand vergütet. Damit ist der Grundsatz gewahrt, dass der Staat für die Erledigung von im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben Staatsbürger im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nicht ohne angemessene Vergütung in Anspruch nehmen darf (BGHZ 157, 282, 288).

b) Im Unterschied zur Erstattung der durch die Zustellungen verursachten sächlichen Auslagen, die grundsätzlich vollen Umfangs - ohne dass ein bestimmter Schwellenwert erreicht sein müsste - stattzufinden hat, ist für die Gewährung eines Vergütungszuschlags allerdings zu verlangen, dass durch die Übertragung der Zustellungen ein ins Gewicht fallender Mehraufwand bewirkt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Juli 2004 aaO). Im Allgemeinen ist dies dann der Fall, wenn der Insolvenzverwalter mindestens 100 Zustellungen hat besorgen müssen (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO § 3 Rn. 72). Da der weitere Beteiligte zu 1 geltend macht, er habe 187 Zustellungen erledigt, ist dieser Schwellenwert überschritten.

Ende der Entscheidung

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