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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: IX ZB 163/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114 Abs. 1
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gilt nicht für eine nachträgliche Klageänderung.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 163/04

vom 22. September 2005

in dem Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann

am 22. September 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Juni 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Vollstreckungsabwehrklage bewilligt. Nunmehr beabsichtigt die Antragstellerin, eine Drittwiderspruchsklage zu erheben. Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den neuen Antrag wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen; die sofortige Beschwerde der Antragstellerin blieb erfolglos. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den geänderten Klageantrag.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

1. Im Grundsatz zutreffend hat das Oberlandesgericht für den Fall einer Klageänderung eine Prüfung der Erfolgsaussichten des neuen Antrags für erforderlich gehalten.

a) Gemäß § 114 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat. Hinreichende Erfolgsaussicht hat eine Klage, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachverhaltsdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder jedenfalls für vertretbar und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung mindestens für möglich hält (BGH, Beschl. v. 14. Dezember 1993 -VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160, 1161). Um eine Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Gericht zu ermöglichen, hat der Antragsteller das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. etwa Zöller/Philippi, ZPO 25. Aufl. § 117 Rn. 12). Insbesondere der Sachantrag, der gestellt werden soll, ist bestimmt zu bezeichnen (Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl. § 117 Rn. 16; Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO 3. Aufl. § 117 Rn. 11). Der Streitgegenstand, um den es gehen soll, muss nach Art und Umfang bestimmbar sein (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 117 Rn. 17).

b) Die in § 114 ZPO vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten wäre sinnlos, wenn der Antragsteller nach der Bewilligungsentscheidung beliebig einen anderen Lebenssachverhalt oder einen anderen Antrag "nachschieben" könnte. Nach nahezu einhelliger Ansicht bezieht sich die Bewilligung der Prozesskostenhilfe daher nur auf den im Antrag dargelegten prozessualen Anspruch (MünchKomm-ZPO/Wax, 2. Aufl. § 119 Rn. 56; Stein/Jonas/Bork aaO § 119 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 26. Aufl. § 119 Rn. 11; Wieczorek/Schütze/Steiner aaO § 119 Rn. 10). Im Falle einer Klageänderung umfasst die bisherige Bewilligungsentscheidung den neuen Antrag nicht (Musielak/Fischer, ZPO 4. Aufl. § 119 Rn. 9).

c) Eine andere Meinung vertreten - soweit ersichtlich - nur Zöller/Philippi, aaO § 119 Rn. 14. Das Gericht hat danach lediglich zu prüfen, ob der geänderte Antrag einen höheren Streitwert hat; erhöht der Streitwert sich nicht, soll sich die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch auf den geänderten Antrag erstrecken, soweit keine zusätzlichen Kosten ausgelöst werden. Hintergrund dieser Ansicht sind wohl folgende Überlegungen: Die Vorschriften der §§ 263, 264 ZPO ersparen dem Kläger die Kosten eines weiteren Prozesses. Die Klageänderung zieht - wenn der Wert des neuen Antrags denjenigen des früheren Antrags nicht übersteigt - keine kostenrechtlichen Folgen nach sich. Hinsichtlich der Gerichtsgebühren gilt der neue Antrag als von Anfang an anhängig. Auch der Anwalt kann seine Gebühren nur einmal fordern, weil es sich um ein und dieselbe Angelegenheit handelt (Gerold/Schmidt/Madert, RVG 16. Aufl. § 15 Rn. 102; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG 9. Aufl. § 15 Rn. 10; Zöller/Greger, aaO § 263 Rn. 32; vgl. zur BRAGO auch KG JurBüro 1968, 610, 611; OLG Hamburg JurBüro 1978, 1807).

Kostenrechtliche Überlegungen vermögen die in § 114 ZPO vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung jedoch nicht zu ersetzen. Dem Antragsteller können aus der erneuten Sachprüfung zudem keine rechtlich relevanten Nachteile entstehen. Hat der geänderte Antrag keine Aussicht auf Erfolg, ordnet § 114 ZPO an, dass insoweit kein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe besteht.

d) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt auch aus den Besonderheiten des vorliegenden Falles kein Anspruch der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag, der keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Frage, ob das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ursprünglich gestellten Antrag widerrufen durfte, stellt sich nicht, weil kein Widerruf erfolgt ist. Dass der neue Antrag auf eine geänderte Rechtsauffassung des Gerichts zurückzuführen sein soll, begründet ebenfalls keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe; denn das Gericht ist an die im Bewilligungsbeschluss vertretene Rechtsansicht nicht gebunden (vgl. § 318 ZPO). Welche Kosten der zunächst beigeordnete Rechtsanwalt abrechnen kann, ist nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.

2. Ob eine Klageänderung vorliegt, kann der Senat jedoch nicht beurteilen, weil der angefochtene Beschluss keine hinreichenden Angaben zum Sachverhalt enthält.

a) Beschlüsse, welche der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird; denn die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind Grundlage der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686 f; v. 7. April 2005 - IX ZB 63/03, WM 2005, 1246). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so kann eine Rechtsprüfung nicht erfolgen. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne.

b) Nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses hat die Klägerin zunächst eine Vollstreckungsgegenklage erhoben, während sie nunmehr Prozesskostenhilfe für eine Drittwiderspruchsklage begehrt. Ob den beiden Anträgen derselbe oder ein jeweils anderer Lebenssachverhalt zugrunde liegt, lässt sich den Ausführungen des Beschwerdegerichts jedoch nicht entnehmen. Eine Rechtsprüfung ist nicht möglich. Nach § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO beruht der angefochtene Beschluss auf diesem Mangel. Er muss aufgehoben werden; die Sache muss zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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