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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.09.2007
Aktenzeichen: IX ZB 172/06
Rechtsgebiete: ZPO, InsO
Vorschriften:
ZPO § 114 | |
ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1 | |
InsO § 208 | |
InsO § 209 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 27. September 2007
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Cierniak und Dr. Fischer
am 27. September 2007
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem am 31. März 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N. GmbH (fortan: Schuldnerin). Mit Schreiben vom 26. Februar 2004 zeigte er bei dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 InsO an.
Unter dem 25. Oktober 2005 hat der Kläger - nach Durchführung eines Mahnverfahrens - die Durchführung eines streitigen Verfahrens beantragt, in welchem er von der Beklagten die Zahlung von 26.666,09 € nebst Zinsen begehrt. Zugleich hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat vorgetragen, auf dem Insolvenzhinterlegungskonto befinde sich ein Guthaben von 447.597,04 €. Damit sowie mit den zu erwartenden Verwertungserlösen seien jedoch die Masseverbindlichkeiten gemäß §§ 54, 55 InsO nicht zu begleichen. Die geschätzten Verfahrenskosten beliefen sich auf mindestens 180.000 €. Hinzu kämen Masseverbindlichkeiten gegenüber Arbeitnehmern in Höhe von 182.883,31 €, Kosten der abzugebenden steuerlichen Erklärungen in Höhe von mindestens 25.000 € sowie weitere Masseschulden von 72.125,11 €. Das Landgericht hat die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt, weil der Kläger eine Neumasseunzulänglichkeit nicht dargelegt habe. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 127 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO) und zulässig (§ 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung.
1. Nach bisher völlig herrschender Auffassung ist bei Masseunzulänglichkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass die Kosten eines Rechtsstreits nicht aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden können. Diese Auffassung liegt - wenngleich nicht ausdrücklich formuliert - der bisherigen Rechtsprechung des Senats zugrunde (vgl. BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 460/02, ZIP 2003, 2036; v. 14. Juli 2005 - IX ZB 224/04, DZWIR 2005, 521 m. Anm. Gundlach/Frenzel; v. 23. März 2006 - IX ZB 134/05, ZInsO 2006, 491). Sie wird auch von der Rechtsprechung anderer Gerichtszweige geteilt (vgl. BAG ZIP 2003, 1947 f; ZInsO 2003, 722, 723; BVerwG ZIP 2006, 1542, 1543; FG Brandenburg ZInsO 2004, 53).
2. Demgegenüber haben die Vorinstanzen - im Anschluss an Ringstmeier/Homann (ZIP 2005, 284, 285 f) - gemeint, die unter der Geltung der Konkursordnung noch berechtigte Annahme, dass man im Falle der Masseunzulänglichkeit grundsätzlich von der Bedürftigkeit im Sinne des § 116 ZPO auszugehen habe, sei durch das neue Regelungssystem in §§ 208 ff InsO überholt. Erhebe der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Klage, seien die aus dieser Klage resultierenden Verbindlichkeiten Neumasseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Da solche vorrangig vor Altmasseverbindlichkeiten zu bezahlen seien, müssten Altmasseverbindlichkeiten bei der Frage, ob die Masse, was die Finanzierung des Prozesses angehe, bedürftig sei, außer Betracht bleiben. Der Verwalter dürfe und müsse die Prozesskosten als Neumasseverbindlichkeiten bezahlen, wenn er über ausreichende Mittel verfüge, die Massekosten und sämtliche Neumasseverbindlichkeiten zu begleichen, also keine Neumasseunzulänglichkeit vorliege.
3. Diese Ansicht ist unzutreffend.
a) Das neue Regelungssystem der §§ 208 ff InsO soll - wie auch Ringstmeier/Homann (aaO) nicht verkennen - den Insolvenzverwalter in die Lage versetzen, trotz Vorliegens einer "Insolvenz in der Insolvenz" das Schuldnervermögen voll abzuwickeln. Im Rahmen der Abwicklung soll er unter weitestgehender Vermeidung einer persönlichen Haftung (vgl. § 61 InsO) neue Verbindlichkeiten eingehen können. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit und der daran anknüpfende Vorrang der nach dieser Anzeige begründeten Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 InsO) geben dem Verwalter die zur Fortsetzung seiner Tätigkeit unerlässliche Handlungsfreiheit zurück (HK-InsO/Landfermann, 4. Aufl. § 208 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 208 Rn. 2; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 209 Rn. 3a; Nerlich/Römermann/Westphal, InsO § 208 Rn. 5; HambKomm-InsO/Weitzmann, § 208 Rn. 1). Es ist nicht Sinn und Zweck der Neuregelung, eine Masse (bzw. die Partei kraft Amtes, welche die Interessen der Masse wahrnimmt), die nach dem Recht der Konkursordnung als bedürftig gemäß § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO galt, nunmehr nicht mehr als bedürftig zu betrachten und somit unter dem Gesichtspunkt der Prozesskostenhilfe schlechter zu stellen.
b) Die Ansicht der Vorinstanzen schlägt zum Nachteil der Altmassegläubiger aus. Wenn deren Forderungen bei der Prüfung der Bedürftigkeit der Masse nicht zählen, finanzieren letztlich sie die Prozessführung. Der Insolvenzverwalter darf und muss die Prozesskosten aus den Mitteln bezahlen, die sonst der Befriedigung der Altmassegläubiger gedient hätten. Die Vorinstanzen haben dies erkannt, jedoch gemeint, dass das Kostenrisiko der Prozessführung nunmehr dort liege, wo es hingehöre. Das Geld, das für eine erfolglose Prozessführung aus der Masse verbraucht werde, fehle am Ende des Verfahrens der Gläubigergruppe, die von dem gewonnenen Prozess profitiert hätte. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass das nach der Erklärung der Masseunzulänglichkeit fortgesetzte Verfahren nunmehr in erster Linie der Befriedigung der Neumassegläubiger dient, nicht mehr derjenigen der Insolvenzgläubiger und auch nicht derjenigen der Altmassegläubiger (vgl. MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 208 Rn. 1; Kübler/Prütting/Pape, aaO § 208 Rn. 1). Dies folgt aus der Rangordnung des § 209 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO. Ein Prozesserfolg kommt also vorrangig den Neumassegläubigern zugute, während die Altmassegläubiger das Risiko des Scheiterns tragen. Mit anderen Worten: Die Handlungsfreiheit, die der Verwalter durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit wiedergewinnt, geht auf Kosten der Altmassegläubiger. Durch die neue Handlungsfreiheit geschützt werden demgegenüber die Neumassegläubiger.
c) Können die Kosten eines von dem Insolvenzverwalter geplanten Aktivprozesses nicht aus der verwalteten Vermögensmasse aufgebracht werden (§ 116 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO), kommt es darauf an, ob den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich beteiligten Gläubigern zuzumuten ist, die Prozesskosten aufzubringen (vgl. § 116 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Dies ist anhand einer wertenden Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalls zu prüfen. Hierbei sind insbesondere die im Falle des Obsiegens zu erwartende Quotenverbesserung, das Prozess- und Vollstreckungsrisiko und die Gläubigerstruktur zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 6. März 2006 - II ZB 11/05, ZIP 2006, 682, 683). Da sich die Altmassegläubiger - weil vorrangig die Neumassegläubiger bedient werden - von einem Prozesserfolg nichts oder nur wenig versprechen können, ist ihnen (falls man sie als "wirtschaftlich Beteiligte" ansieht) jedenfalls nicht zuzumuten, die Prozesskosten aufzubringen. Dann kann es auch nicht richtig sein, ihnen das Prozesskostenrisiko zu überbürden, indem ihre Forderungen bei der Prüfung der Bedürftigkeit (§§ 116 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO) außer Betracht gelassen werden.
d) Die Erwägung, die Entscheidung für eine Klageerhebung unterscheide sich strukturell nicht von anderen Verwertungsentscheidungen des Verwalters (so Ringstmeier/Homann aaO), trägt die Auffassung der Vorinstanzen ebenfalls nicht.
Trifft der Verwalter nach Anzeige der Masseinsuffizienz eine Verwertungsentscheidung, muss er prüfen, ob die Insolvenzmasse - nach Abzug der vorrangig zu bedienenden Kosten (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO), jedoch ohne Berücksichtigung der Altmasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) - zur Befriedigung der aus der Entscheidung resultierenden Verbindlichkeiten voraussichtlich ausreichen wird (§ 61 InsO). Für den Verwalter hat also maßgeblich zu sein, ob sich die Entscheidung nach gewissenhafter Prüfung wirtschaftlich "rechnen" wird. Muss er diese Frage verneinen, hat er von der ins Auge gefassten Verwertungsmaßnahme Abstand zu nehmen.
Hat sich der Verwalter in derselben Lage zu entscheiden, ob er eine aussichtsreiche Klage erhebt, ist er dieser Prüfung enthoben. Wenn die Masse zur Deckung der Prozesskosten ausreicht, wird er den Prozess führen. Reicht die Masse nicht aus, wird er den Prozess - unter Inanspruchnahme der Prozesskostenhilfe - ebenfalls führen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif. Dass die Beklagte die Masseunzulänglichkeit bestritten hat, ist zwar unerheblich. Denn die vom Insolvenzverwalter formgerecht angezeigte Masseunzulänglichkeit ist für das Prozessgericht bindend (BGHZ 154, 358, 360). Es ist jedoch nicht geklärt, ob die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO). Deshalb ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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