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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.07.2008
Aktenzeichen: IX ZB 182/07
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 20 Abs. 2 | |
InsO § 287 Abs. 1 Satz 2 |
b) Die dem Schuldner nach Eingang eines Gläubigerantrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu setzende Frist für die Stellung eines eigenen Insolvenzantrags verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung stellt keine Ausschlussfrist dar, auf die § 230 ZPO entsprechend anzuwenden ist; der Schuldner kann auch nach Ablauf der richterlichen Frist bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag des Gläubigers einen Eigenantrag stellen (Ergänzung zu BGHZ 162, 181).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 3. Juli 2008
in dem Insolvenzverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Pape
am 3. Juli 2008
beschlossen:
Tenor:
Dem Schuldner wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 3. April 2007 gewährt.
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den vorbezeichneten Beschluss wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 27. Februar 2006 beantragte das Finanzamt Bottrop die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der sowohl als Gesellschafter und Geschäftsführer verschiedener Gesellschaften mit beschränkter Haftung als auch als Einzelunternehmer im Bezirk des Insolvenzgerichts Essen wirtschaftlich tätig war. Das Amtsgericht Essen wies den Schuldner mit Schreiben vom 2. März 2006 auf die Möglichkeit hin, Restschuldbefreiung zu beantragen; dazu müsse er einen eigenen Insolvenzantrag stellen, für den es ihm eine Frist von zwei Wochen setzte. Der Schuldner trat dem Insolvenzantrag des Finanzamts zunächst entgegen.
Nachdem er im Juni 2006 seine einzelunternehmerische Tätigkeit aufgegeben und seinen Wohnsitz nach Hamburg verlegt hatte, stellte er am 11. Juli 2006 unter Hinweis auf das beim Amtsgericht Essen bereits anhängige Insolvenzantragsverfahren beim Amtsgericht Hamburg einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, Erteilung der Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO war diesem Antrag nicht beigefügt.
Nach Hinweis des Amtsgerichts Hamburg auf seine örtliche Unzuständigkeit mit Verfügung vom 30. Oktober 2006 beantragte der Schuldner mit Schreiben vom 27. November 2006 die Verweisung des Verfahrens an das Amtsgericht Essen, die mit Beschluss vom 4. Dezember 2006 erfolgte. Bereits vor Eingang der Akten des Amtsgerichts Hamburg am 11. Dezember 2006 hatte das Amtsgericht Essen mit Beschluss vom 20. November 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.
Das Amtsgericht Essen hat den Eigenantrag des Schuldners als unzulässig abgewiesen, weil er die ihm gesetzte Frist von zwei Wochen nicht eingehalten habe. Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 7, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 1 InsO statthafte und nach § 574 Abs. 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei unzulässig, denn für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund des Eigenantrages sei kein Raum mehr, nachdem das Insolvenzgericht das Verfahren auf den Antrag des Finanzamts Bottrop bereits eröffnet habe.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Ist bereits ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, sind weitere Anträge auf Eröffnung des Verfahrens über das bereits insolvenzbefangene Vermögen unzulässig (BGHZ 162, 181, 186). Die Antragsteller haben kein rechtlich zu schützendes Interesse. Das gilt sowohl für Gläubiger- als auch für Eigenanträge.
a) Altgläubiger haben von vornherein kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens; sie können und müssen am bereits eröffneten Verfahren teilnehmen (§§ 38, 174 Abs. 1 InsO).
Für Neugläubiger gilt im Ergebnis das Gleiche. Ein weiteres Insolvenzverfahren zu ihren Gunsten, welches das vom Schuldner neu erworbene Vermögen zum Gegenstand hat, ist unter Geltung der Insolvenzordnung - vom Ausnahmefall des § 35 Abs. 2 InsO abgesehen - nicht möglich (BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004 - IX ZB 189/03, WM 2004, 1589). Der Insolvenzbeschlag umfasst nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, aaO).
b) Diese Grundsätze sind auf Eigenanträge zu übertragen. Wenn das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist, hat auch der Schuldner kein rechtlich schützenswertes Interesse an der Eröffnung eines weiteren Verfahrens. Es gibt kein Vermögen, das von dem weiteren Verfahren erfasst werden könnte.
c) Vorliegend ist der Eigenantrag unzulässig, weil er erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim zuständigen Amtsgericht Essen gestellt worden ist. Das Amtsgericht Hamburg hat das bei ihm anhängige Insolvenzeröffnungsverfahren erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht Essen am 20. November 2006 an letzteres verwiesen (§ 4 InsO, § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO); es wurde dort am 11. Dezember 2006 anhängig, weil die Hamburger Akten zu diesem Zeitpunkt eingegangen waren (§ 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
3. Das Beschwerdegericht hat ferner zutreffend erkannt, dass im vorliegenden Verfahren über die Frage der Restschuldbefreiung nicht zu entscheiden ist. Seine weiteren Ausführungen sowie die des Amtsgerichts zur Fristüberschreitung geben dem Senat jedoch Anlass zu folgenden Hinweisen.
a) Ohne die zwischenzeitliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens wäre der Eigenantrag zulässig gewesen. Zwar hat der Schuldner ihn erst im Juli 2006 gestellt, obwohl er schon im März auf die Notwendigkeit der Antragstellung hingewiesen und ihm eine Frist von zwei Wochen gesetzt worden war. Die Versäumung der Frist führt aber nicht zur Unzulässigkeit des Antrags. Der Schuldner konnte den Antrag rechtswirksam vielmehr bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen.
aa) Die Unzulässigkeit des Antrags folgt nicht aus § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die dort genannte Frist von zwei Wochen gilt nicht für den Eigenantrag des Schuldners, sondern nur für den Antrag auf Restschuldbefreiung, wenn dieser nicht mit dem Eigenantrag verbunden worden ist (vgl. BGHZ 162, 181, 185; BGH, Beschl. v. 8. Juli 2004 - IX ZB 209/03, NZI 2004, 593, 594; Beschl. v. 1. Dezember 2005 - IX ZB 186/05, NZI 2006, 181, 182 Rn. 7; Mohrbutter/Ringstmeier/Pape, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. § 17 Rn. 30).
bb) Die Unzulässigkeit des Eigenantrags folgt auch nicht aus § 4 InsO, § 230 ZPO, denn § 230 ZPO ist auf die Nichteinhaltung der für die Eigenantragstellung zu setzenden richterlichen Frist (BGHZ 162, 181, 186) nicht anzuwenden (vgl. LG Dresden ZVI 2006, 154).
Zwar ist § 230 ZPO grundsätzlich auch auf richterliche Fristen anzuwenden (MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl. § 230 Rn. 5; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. vor § 230 Rn. 1). Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift - wie sie nach § 4 InsO allenfalls in Betracht kommt - wird hier jedoch durch die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 5).
Die richterliche Frist hat den Zweck, den Schuldner im Interesse einer zügigen Behandlung des Verfahrens dazu anzuhalten, sich möglichst kurzfristig zu entschließen, ob er den Eigenantrag stellen will, der ihm die Option auf die Erlangung der Restschuldbefreiung offen hält (BGHZ 162, 181, 185). Diesem Zweck wird jedoch vollauf gedient, wenn das Insolvenzgericht nach fruchtlosem Ablauf der Frist jederzeit - falls die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - auf den Gläubigerantrag hin das Verfahren eröffnen kann, ohne auf das Interesse des Schuldners an der Erlangung der Restschuldbefreiung Rücksicht nehmen zu müssen. Es wäre andererseits eine überschießende Rechtsfolge, wenn es einen nach Fristablauf eingegangenen Eigenantrag des Schuldners unberücksichtigt lassen könnte, obwohl es erst später über den Gläubigerantrag entscheiden kann oder will. Denn die Setzung der richterlichen Frist für den Eigenantrag geschieht auch im Interesse des Schuldners, dem die Chance auf die Restschuldbefreiung auch dann erhalten bleiben soll, wenn zunächst nur ein Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen vorliegt (BGHZ 162, 181, 186).
b) Das Amtsgericht wird deshalb - nach Eingang der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO - zu prüfen haben, ob der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ausnahmsweise zulässig ist, obwohl sein Eigenantrag durch die Verfahrenseröffnung unzulässig geworden ist (vgl. BGHZ 162, 181, 186).
aa) Der Senat hat einen isolierten Antrag auf Restschuldbefreiung für zulässig erachtet, wenn das Gericht den Schuldner auf die Möglichkeit, Restschuldbefreiung zu erlangen, und deren Voraussetzungen nicht hingewiesen hat (vgl. § 20 Abs. 2 InsO). Das rechtliche Gehör des Schuldners darf nicht durch einen fehlerhaften, unvollständigen oder verspäteten Hinweis verletzt werden (BGHZ 162, 181, 186).
bb) Diese Grundsätze könnten auf den vorliegenden Fall zu übertragen sein. Auch hier könnte das rechtliche Gehör des Schuldners nicht ausreichend gewahrt sein, falls der Restschuldbefreiungsantrag für unzulässig erachtet würde. Der Schuldner hat ca. vier Monate, bevor das Amtsgericht Essen auf den Gläubigerantrag hin das Verfahren eröffnet hat, bei dem von ihm für zuständig gehaltenen Amtsgericht Hamburg einen eigenen Antrag auf Verfahrenseröffnung und Restschuldbefreiung gestellt. Beide Gerichte wussten von dem jeweils anderen Verfahren. Unter diesen Umständen liegt nicht fern, dass man eine Klärung der Zuständigkeit früher, jedenfalls vor der Verbescheidung des Gläubigerantrags ohne Rücksicht auf das Hamburger Verfahren, das sich hierdurch schon vor der Verweisung praktisch erledigt hat, hätte herbeiführen können.
Ende der Entscheidung
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