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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.05.2006
Aktenzeichen: IX ZB 202/05
Rechtsgebiete: InsO, InsVV
Vorschriften:
InsO § 63 | |
InsVV § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b |
b) Will der Insolvenzverwalter, der den Betrieb des Schuldners fortführt, vermeiden, dass die finanziellen Zuwendungen an den im Betrieb weiter mitarbeitenden Schuldner das als Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters einzustellende Betriebsergebnis schmälern, muss er die Vermutung widerlegen, dass mit den Zuwendungen der Arbeitseinsatz des Schuldners vergütet wird.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 4. Mai 2006
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Dr. Detlev Fischer
am 4. Mai 2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 25. Juli 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 14.705,24 € festgesetzt.
Gründe:
I.
In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners führte der Insolvenzverwalter dessen Betrieb fort. Der Schuldner war ohne weitere Vergütung im Betrieb tätig. Der Insolvenzverwalter gewährte ihm Unterhaltszahlungen.
Der Insolvenzverwalter hat beantragt, seine Vergütung (einschließlich Auslagenersatz und Umsatzsteuer) auf 31.874,78 € festzusetzen. Das Amtsgericht - Insolvenzgericht - hat dem nur in Höhe von 17.169,54 € entsprochen, weil die Berechnungsgrundlage um die Unterhaltszahlungen zu kürzen sei. Die sofortige Beschwerde des Insolvenzverwalters hat das Landgericht mit Beschluss vom 25. Juli 2005 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Insolvenzverwalter mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist kraft Gesetzes statthaft (§§ 6, 7, 63 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Es ist ferner - ohne dass eine Bindung an die überflüssige Zulassungsentscheidung des Beschwerdegerichts bestünde - zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO) und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Die Frage, wie sich Unterhalt, den ein Insolvenzverwalter, der den Betrieb des Schuldners fortführt, an den darin weiter mitarbeitenden Schuldner zahlt, auf die Vergütung des Insolvenzverwalters auswirkt, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Offen ist insbesondere, ob der Unterhalt unter die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 InsVV fällt, somit auch der Satz 2 Buchst. b der Nr. 4 anwendbar ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Ansicht vertreten worden, solche Unterhaltsleistungen an den Schuldner seien (Betriebs-) Ausgaben im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV, wenn es sich der Sache nach um ein Arbeitsentgelt für den Schuldner handele, der eine für die Unternehmensfortführung erforderliche Arbeitsleistung erbringe (OLG Schleswig NZI 2001, 251, 252; ZVI 2002, 428, 430). Das Beschwerdegericht ist dem gefolgt. Die Rechtsbeschwerde möchte die Unterhaltsleistungen demgegenüber den "Sowieso-Kosten" zuordnen, die auch ohne eine Betriebsfortführung angefallen wären (vgl. auch Frege/Keller/Riedel, HRP Insolvenzrecht 6. Aufl. Rn. 2492; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzrechtliche Vergütung 3. Aufl. § 1 InsVV Rn. 88; Wischemeyer NZI 2005, 534, 535 ff).
2. Unterhalt im eigentlichen Sinne liegt nur vor, wenn er von den Gläubigern an den Schuldner in gleicher Weise gezahlt worden wäre, falls dieser nicht in dem vom Insolvenzverwalter fortgeführten Betrieb mitgearbeitet hätte. Dann handelt es sich um "Sowieso-Kosten", die das Betriebsergebnis nicht schmälern und sich somit vergütungsrechtlich nicht zum Nachteil des Insolvenzverwalters auswirken. Wäre der Unterhalt nicht gezahlt worden, wenn der Schuldner nicht durch seine Mitarbeit im fortgeführten Betrieb eine Gegenleistung erbracht hätte, hat er Lohnersatzfunktion; gegebenenfalls ist er in zumindest entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV bei der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für die Insolvenzverwaltervergütung abzuziehen, weil die Ausgaben durch die Unternehmensfortführung veranlasst sind (vgl. BGH, Urt. v. 24. Mai 2005 - IX ZB 6/03, ZInsO 2005, 760, 761). Auf die Benennung der Leistungen als "Unterhalt" kommt es dann nicht an.
Arbeitet der Schuldner in dem vom Insolvenzverwalter fortgeführten Betrieb weiter mit und erhält er im Gegenzug aus der Insolvenzmasse finanzielle Zuwendungen, ist zu vermuten, dass damit seine Mitarbeit abgegolten worden ist. Diese Vermutung gilt auch dann, wenn und soweit die monatlichen Zahlungen die Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff ZPO nicht übersteigen und somit gemäß § 36 Abs. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse gehören. Denn nach überwiegender Meinung hat der Schuldner selbst auf den das Existenzminimum abdeckenden Unterhalt keinen Rechtsanspruch gegen die Masse (MünchKomm-InsO/Passauer, § 100 Rn. 20; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO § 100 Rn. 2a; FK-InsO/App, 4. Aufl. § 100 Rn. 2; HK-InsO/Eickmann, 4. Aufl. § 100 Rn. 3; Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 100 Rn. 2; Schmidt/Wendler, InsO § 100 Rn. 3; Braun/Kroth, InsO 2. Aufl. § 100 Rn. 3; a.A. Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 100 Rn. 1; Kohte, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung 2. Aufl. S. 805 ff). Ob diese Auffassung zutrifft, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist es Sache des Insolvenzverwalters klarzustellen, dass die dem Schuldner zu gewährenden Leistungen von seiner Mitarbeit im Betrieb unabhängig sind, es sich somit um Unterhalt handelt. Zu diesem Zweck kann er einen dies aussprechenden Beschluss der Gläubigerversammlung nach § 100 Abs. 1 InsO herbeiführen. Hat er dies unterlassen, kann er später die Vermutung nur widerlegen, indem er Umstände dartut und notfalls beweist, die eindeutig auf den Unterhaltscharakter der Zahlungen schließen lassen. Ein solcher Umstand kann etwa darin gesehen werden, dass der Schuldner nur ganz geringfügig und unregelmäßig im Betrieb mitgearbeitet hat, weshalb seine Tätigkeit nicht als Gegenleistung für die gewährten Geldzuwendungen betrachtet werden kann. Wenn umgekehrt der Betrieb ohne die Leistungen, die der Schuldner erbringt, entweder überhaupt nicht oder nur dadurch hätte fortgeführt werden können, dass statt des Schuldners ein Dritter gegen entsprechende Vergütung beschäftigt wurde, ist die Vermutung regelmäßig nicht widerlegbar. Auf den Umfang der Leistungen des Schuldners kommt es dabei nicht an.
3. Wie der vorliegende Fall einzuordnen ist, lässt sich mangels Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Beschwerdegericht ist zwar davon ausgegangen, dass dem Schuldner "nach einem Beschluss des Gläubigerausschusses gemäß § 100 InsO" Unterhaltszahlungen gewährt worden seien. Ob sich dieser Beschluss (bei dem es sich um einen solchen nach § 100 Abs. 2 Satz 1 InsO gehandelt haben dürfte) über die Unabhängigkeit der Zahlungen von der Mitarbeit des Schuldners verhält, steht jedoch nicht fest. Wenn es so gewesen sein sollte - wovon die Rechtsbeschwerde ausgeht -, dass der Schuldner als selbstständiger Messebauer tätig ist, keine Mitarbeiter beschäftigt und keine eigenen Geschäftsräume unterhält, hätte der Insolvenzverwalter ohne ihn den Betrieb möglicherweise nicht fortführen können. Dies wäre dann sogar ein weiteres Indiz dafür, dass die Unterhaltsleistungen "Lohnersatzfunktion" gehabt haben. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 4 InsO i.V.m. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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