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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: IX ZB 23/06 (1)
Rechtsgebiete: AVAG, ZPO


Vorschriften:

AVAG § 15 Abs. 1
ZPO § 139
ZPO § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 23/06

vom 9. November 2006

in dem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Dr. Kayser, Cierniak und die Richterin Lohmann

am 9. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. Januar 2006 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 49.717,55 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner (im Folgenden auch: Schuldner) wurde durch Urteil des Landgerichts Colmar vom 9. Oktober 2003 verurteilt, an die Antragstellerin (im Folgenden auch: Gläubigerin) mehrere Geldbeträge nebst Zinsen zu zahlen. Der Antragsgegner hatte sich auf das Verfahren in Frankreich nicht eingelassen. Die Gläubigerin möchte gegen den Schuldner, der nunmehr in Deutschland wohnt, hier vollstrecken.

Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts das Urteil für vollstreckbar erklärt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Schuldner mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1. Mit Recht hat das Beschwerdegericht entschieden, dass der Schuldner durch die Zustellung der Klageschrift und der Ladung am 9. Juli 2003 unter der Anschrift in Ville nicht an seiner Verteidigung gehindert worden ist.

a) Nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, der auch für Inlandszustellungen gilt (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Januar 2005 - IX ZB 154/01, InVo 2005, 427, 428), wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO verlangt ebenso wie zuvor Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht den Nachweis, dass der Beklagte tatsächlich von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück Kenntnis erhalten hat (BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2005 - IX ZB 27/02, IHR 2006, 259, 261). Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nach dem Recht des Erststaats ist nicht zu überprüfen (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 34 Rn. 91, 128; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 34 Rn. 33). Ein formaler Zustellungsfehler reicht nach der Begründung des Verordnungsentwurfs nicht aus, um die Anerkennung nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO zu versagen, wenn der Schuldner dadurch nicht an seiner Verteidigung gehindert war (BR-Drucks. 534/99 S. 24 zu Art. 41 EuGVVO-E; Geimer/Schütze, aaO Art. 34 Rn. 71; Kropholler, aaO Art. 34 Rn. 38, 40, 41). Vor dem Hintergrund, dass der Name des Schuldners nach wie vor auf der Klingel und dem Briefkasten stand, der Schuldner den Mietvertrag bis Ende 2003 zu erfüllen hatte und er sein in der Wohnung unterhaltenes Büro nicht sogleich schließen konnte, durfte das Beschwerdegericht aus den von ihm aufgeführten Indizien folgern, dass dem Beklagten die Möglichkeit der Verteidigung offen stand.

b) Zudem ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Schuldner jedenfalls ursprünglich unter der Zustellungsanschrift eine Wohnung unterhalten hatte. Das Beschwerdegericht führt sodann weiter aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Schuldner zur Zeit der Zustellung der Ladung und der Klageschrift diesen Wohnsitz tatsächlich aufgegeben habe. Soweit diese Beurteilung auf der Anwendung des Rechts des Urteilsstaats - hier also des französischen Rechts - über die Zustellung beruht (vgl. BGH, aaO; Geimer/Schütze, aaO Art. 34 Rn. 131 ff; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 2. Aufl. Art. 27 EuGVÜ Rn. 19, Art. 47 EuGVÜ Rn. 6; Kropholler, aaO Art. 59 Rn. 5), kann dies vom Bundesgerichtshof nicht überprüft werden (§ 17 Abs. 1 Satz 1 AVAG).

c) Im Übrigen liegt der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht vor. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 96, 205, 216 f). Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen lässt, müssen demnach besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BGHZ 154, 288, 300 f m.w.N.). Daran fehlt es hier. Das gilt schon deshalb, weil die zur Ordnungsgemäßheit der Zustellung (nach französischem Recht) vorgebrachten Rügen des Schuldners für ein Eingreifen des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO unerheblich sind. Der Möglichkeit der Kenntnisnahme vom verfahrenseinleitenden Schriftstück steht der Vortrag des Schuldners nicht entgegen. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht andere Schlüsse aus den im Verfahren vorgelegten Schriftstücken gezogen, als der Schuldner für richtig hält. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sein Vorbringen nicht beachtet hätte. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1, 12; BVerfG NJW 2005, 3345, 3346). Danach kommt es auf die Herkunft der im Schriftsatz des Schuldners vom 7. November 2005 angegebenen Zahl von 49.743,55 € nicht an; selbst wenn dieser Umstand entfiele, ergäbe sich hieraus kein Beweisanzeichen für das Fehlen einer Verteidigungsmöglichkeit.

2. Fehlt es deshalb im Blick auf einen der den angefochtenen Beschluss tragenden Gründe an einem Zulässigkeitsgrund, kommt es auf weiteres nicht an. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass das Beschwerdegericht aus dem Schreiben der Gläubigerin vom 27. März 2003 die von ihm gezogenen Schlüsse ziehen durfte. Unerheblich ist, dass der Schuldner die Gläubigerin nach seinem Vortrag erst danach mündlich und schriftlich auf die Aufgabe seines Büros hingewiesen haben will. Denn nach seinem Vortrag sollen Wohnung und Büro bereits am 3. März 2003 leer gewesen sein. Das Schreiben vom 27. März 2003 durfte das Beschwerdegericht daher dahin würdigen, der Schuldner sei nach wie vor über die Adresse in Ville erreichbar gewesen, er habe mit der Einleitung rechtlicher Schritte gegen ihn rechnen und für die Kenntnisnahme entsprechender Schriftstücke Vorsorge treffen müssen. Das gilt besonders, weil der Name des Schuldners weiterhin auf Klingel und Briefkasten vermerkt war. Eine solche Berücksichtigung des Verhaltens des Schuldners ist dem Beschwerdegericht nicht verwehrt; eine Grundsatzfrage, ob Art. 34 Nr. 2 EuGVVO das ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmal aufweise, dass die Unkenntnis des Schuldners von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück unverschuldet sein müsse, stellt sich damit nicht.

Das Beschwerdegericht hat sich weiter darauf berufen, dass die Zustellung in Frankreich den Schuldner auch deshalb nicht in seiner Verteidigung behindert habe, weil, wie die Gläubigerin unwidersprochen geltend gemacht habe, der Gerichtsvollzieher den Schuldner telefonisch auf den Inhalt der Klageschriften nebst Ladung hingewiesen habe. Der Vortrag der Gläubigerin und die Begründung des Beschwerdegerichts beruhen nicht allein auf dem Schriftsatz der Gläubigerin vom 30. November 2005. Vielmehr konnte dies auch der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners vom 31. Oktober 2005 entnommen werden, die dieser mit Schriftsatz vom 10. November 2005 vorgelegt hat. Von einer Behauptung ins Blaue hinein kann daher nicht die Rede sein. Auch durfte das Beschwerdegericht diesen Vortrag als unstreitig ansehen, weil der Schriftsatz der Gläubigerin vom 30. November 2005 dem Schuldner bereits am 1. Dezember 2005 übersandt, der angefochtene Beschluss indessen erst am 11. Januar 2006 gefasst wurde. Für einen Hinweis gemäß § 139 ZPO an den anwaltlich vertretenen Schuldner bestand kein Anlass. Damit ist die Rechtsbeschwerde auch deshalb unzulässig, weil im Blick auf diesen weiteren, die Entscheidung selbständig tragenden Grund kein Zulässigkeitsgrund gegeben ist.

3. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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