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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: IX ZB 35/03
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, VwGO


Vorschriften:

InsO § 7
InsO § 4
InsO § 252 Abs. 1 Satz 1
InsO § 6 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 58
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 35/03

vom 16. Oktober 2003

in dem Insolvenzverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Dr. Bergmann und Vill am 16. Oktober 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 21. Januar 2003 wird auf Kosten der Gläubigerin als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

I.

Auf Eigenantrag des T. vom 24. Oktober 2001 wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Flensburg vom 1. Januar 2002 wegen Zahlungsunfähigkeit das Regelinsolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet. Durch Beschluß vom 5. Juli 2002 hat das Amtsgericht den vom Schuldnervertreter vorgelegten Insolvenzplan bestätigt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht Flensburg mit Beschluß vom 21. Januar 2003 verworfen, gleichzeitig den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Rechtsmittelfrist als unzulässig zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde. Sie macht geltend, daß für den Beginn des Laufs der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels eine hierfür erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung maßgebend sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist müsse zwingend von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Prozeßhandlung rechtzeitig nachgeholt sei.

II.

Die gemäß § 7 InsO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 4 InsO i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO.

1. Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde zu klärende Frage, ob für den Beginn des Laufs der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels eine hierfür erteilte falsche Rechtsmittelbelehrung maßgebend ist, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Auch einer Fortbildung des Rechts bedarf es insoweit nicht.

Das Landgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beschwerdeführerin die Rechtsmittelfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht eingehalten hat. Bei Einreichung des Beschwerdeschriftsatzes vom 13. August 2002 war die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde aus den vom Landgericht angeführten Gründen abgelaufen.

Das Amtsgericht war nicht verpflichtet, eine Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen. Eine solche ist im Gesetz nicht vorgesehen. Eine Verpflichtung hierzu ergibt sich auch nicht von Verfassungs wegen (BVerfG, NJW 1995, 3173).

Durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung wurde die Beschwerdeführerin allerdings unzutreffend über den Beginn der Rechtsmittelfrist belehrt. Dies hat entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeführerin nicht zur Folge, daß der sich aus der Rechtsmittelbelehrung ergebende Fristbeginn maßgebend wäre. Entscheidend sind vielmehr weiterhin die gesetzlichen Regelungen. Etwas anderes folgt, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, weder aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch aus dem Meistbegünstigungsprinzip.

Aus dem von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700, läßt sich eine andere Auffassung nicht entnehmen. Sie betraf den Fall, daß das gegen eine ausländische Partei ergangene Versäumnisurteil und eine gemeinsam mit diesem zugestellte amtliche Belehrung unterschiedliche Angaben über die Dauer der Einspruchsfrist enthielten. Bei Einlegung des formgerechten Einspruchs war jedoch bereits die längere der beiden Fristen abgelaufen. Der BGH hat hierzu festgestellt, daß eine fehlerhafte Bestimmung der Einspruchsfrist allenfalls dazu geführt hätte, daß sich diese auf den angegebenen Zeitraum verlängert hätte. Dies war jedoch letztlich nicht zu entscheiden; außerdem war die längere Frist im Versäumnisurteil festgesetzt worden, die Belehrung enthielt die kürzere Frist. Für den vorliegenden Fall kann daher aus der Entscheidung nichts hergeleitet werden.

Auch aus der Entscheidung BGHZ 140, 208 läßt sich nichts für den vorliegenden Fall entnehmen, weil dort maßgeblich auf eine entsprechende Anwendung des § 58 VwGO abgestellt wird und damit auf Fälle, in denen eine Rechtsmittelbelehrung gesetzlich vorgeschrieben ist.

Auch aus dem im Zivilprozeßrecht herrschenden Meistbegünstigungsprinzip ergibt sich nicht, daß die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung für den Beginn der Frist maßgeblich wäre. Dieses Prinzip besagt, daß Entscheidungen, die in unrichtiger oder nicht eindeutiger Form erlassen worden sind, sowohl mit dem Rechtsbehelf angefochten werden können, der ihrer Form entspricht, als auch mit demjenigen, der bei verfahrensrechtlich korrekter Entscheidung gegeben wäre (BGHZ 98, 362, 364; 140, 208, 217; BGH, Beschl. v. 3. November 1998 - VI ZB 29/98, NJW 1999, 583; Musielak/Ball, ZPO 3. Aufl. vor § 511 Rn. 32; Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. vor § 511 Rn. 30 f). Dasselbe gilt, wenn unklar ist, in welcher Funktion das Gericht entschieden hat (BGH, Beschl. v. 21. Oktober 1993 - V ZB 45/93, WM 1994, 180). Das Meistbegünstigungsprinzip versagt jedoch dann, wenn die Entscheidung nach Form und Inhalt eindeutig ist (Musielak/Ball, aaO vor § 511 Rn. 32). In einem solchen Fall besteht von Rechts wegen kein Zweifel darüber, welches Rechtsmittel gegeben und welche Frist einzuhalten ist.

2. Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde als rechtsgrundsätzlich und zur Fortbildung des Rechts zu entscheidende Frage, ob bei unrichtiger Rechtsmittelbelehrung entgegen dem Wortlaut des § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO Wiedereinsetzung zwingend von Amts wegen gewährt werden muß, ist nicht entscheidungserheblich. Denn die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung lagen nicht vor.

a) Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag im Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Dezember 2002 in zutreffender Weise als unzulässig behandelt.

Es ist dabei richtig davon ausgegangen, daß durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum auf Seiten der Partei hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht (BGH, Beschl. v. 26. November 1980 - IVb ZR 592/80, NJW 1981, 576, 577; v. 17. Oktober 1990 - XII ZB 105/90, NJW 1991, 295, 296; v. 16. Oktober 1991 - XII ZB 113/91, FamRZ 1992, 300; v. 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700; v. 23. September 1993 - LwZR 10/92, NJW 1993, 3206; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl. Aktualisierungsband ZPO-Reform vor § 511 ZPO Rn. 9, § 517 ZPO Rn. 14; Zöller/Vollkommer, aaO § 313 Rn. 26; Musielak/Grandel, aaO § 233 Rn. 43).

Dabei darf sich auch eine anwaltlich vertretene Partei auf die Richtigkeit der Belehrung durch das Gericht verlassen (Musielak/Ball, aaO § 511 ZPO Rn. 36). Ob die Belehrung durch den Richter erfolgte (so etwa in den Fällen BGH, Beschl. v. 26. November 1980, aaO; v. 23. September 1993, aaO), den Rechtspfleger oder auf andere Weise, etwa durch Übersendung eines Formblattes durch die Geschäftsstelle, ist unerheblich. Denn es geht in allen diesen Fällen um Verlautbarungsfehler des Gerichts, die bei den betroffenen Parteien einen Vertrauenstatbestand schaffen.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin war jedoch, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, verspätet. Spätestens mit Zugang des Beschlusses vom 9. Oktober 2002, also spätestens Anfang November 2002, war der Beschwerdeführerin die Nichteinhaltung der Frist und die Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung bekannt. In diesem Beschluß führt nämlich das Amtsgericht aus, daß die von ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung falsch war.

b) Das Beschwerdegericht hat es unterlassen, eine Wiedereinsetzung von Amts wegen zu prüfen, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO. Dies ist jedoch unschädlich. Denn eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kam nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen hierfür fehlten.

Die Wiedereinsetzung von Amts wegen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO setzt voraus, daß die versäumte Prozeßhandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt wurde. Dies ist hier der Fall, weil die sofortige Beschwerde eingelegt wurde, bevor die Beschwerdeführerin auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung hingewiesen wurde.

Voraussetzung ist außerdem, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung offenkundig oder aktenkundig sind (BGH, Beschl. v. 24. Mai 2000 - III ZB 8/00, NJW-RR 2000, 1590; Zöller/Greger, aaO § 236 Rn. 5; Musielak/Grandel, aaO, § 236 Rn. 8 je m.w.N.). Dies traf hier nicht zu.

Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch offenkundig, daß die Beschwerdeführerin infolge der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung die Rechtsmittelfrist versäumt hat. Der Beschluß des Amtsgerichts war am 5. Juli 2002 verkündet worden. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde betrug gemäß § 252 Abs. 1 Satz 1 InsO zwei Wochen ab Verkündung und war damit am 19. Juli 2002 abgelaufen, § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 6 Abs. 2 InsO. Bei Zustellung des Protokolls an die Beschwerdeführerin am 20. August 2002 war der Beschluß damit bereits rechtskräftig. Die bei Zustellung des Beschlusses beigefügte falsche Rechtsmittelbelehrung konnte die Beschwerdeführerin nicht gehindert haben, rechtzeitig sofortige Beschwerde einzulegen.

Ein Vertrauenstatbestand durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung wäre deshalb nur dann geschaffen worden, wenn die Rechtsmittelbelehrung im Termin vom 5. Juli 2002 mit dem anzufechtenden Beschluß verkündet worden wäre und wenn die Beschwerdeführerin dies zur Kenntnis genommen und sich darauf verlassen hätte. Dies ist jedoch aus den Akten nicht festzustellen und nicht offenkundig.

Dem Protokoll vom 5. Juli 2002 läßt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die Rechtsmittelbelehrung verkündet worden ist. Sie war nicht Bestandteil des Beschlusses, der ausweislich des Protokolls verkündet wurde. Es erscheint ohne weiteres möglich, daß die Belehrung zwar ins Protokoll aufgenommen, aber nicht verkündet, sondern erst bei Zustellung des Protokolls den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wurde. Nach dem Inhalt der Belehrung wäre dies auch ausreichend gewesen.

Die Rechtsbeschwerdeführerin hat bei Einlegung und Begründung der sofortigen Beschwerde nicht behauptet, die Belehrung sei am 5. Juli 2002 verkündet worden und sie habe sich hierauf verlassen. Sie stellt vielmehr allein auf die bei Zustellung des Protokolls beigefügte Rechtsmittelbelehrung ab; auf diese zugestellte Belehrung will sie vertraut haben. Hierauf kommt es aber nicht an.

In der Rechtsbeschwerdebegründung und im landgerichtlichen Beschluß wird ausgeführt, dem am 5. Juli 2002 verkündeten Beschluß sei die Rechtsmittelbelehrung "angefügt" gewesen. Hieraus läßt sich aber nicht entnehmen, daß die Belehrung bereits am 5. Juli 2002 oder jedenfalls vor Ablauf der Frist am 19. Juli 2002 zur Kenntnis der Beschwerdeführerin gelangte und daß diese hierauf vertraute.



Ende der Entscheidung

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