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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.11.2009
Aktenzeichen: IX ZB 91/09
Rechtsgebiete: GG, InsO, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
InsO § 4b Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,

die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser,

die Richterin Lohmann und

den Richter Dr. Pape

am 5. November 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt vom 9. März 2009 wird auf Kosten des Schuldners als unzulässig verworfen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 18. Februar 2003 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die Verfahrenskosten waren bereits mit Beschluss vom 2. Oktober 2002 gestundet worden. Der weitere Beteiligte (fortan: Treuhänder) wurde zum Treuhänder bestellt. Das Verfahren ist bisher nicht aufgehoben worden.

Der Schuldner, von Beruf Steinmetz und Bildhauer, bezieht Arbeitslosengeld II. Daneben ist er als freiberuflicher Künstler tätig. Mit Schreiben vom 7. April 2008 regte der Treuhänder die Aufhebung der Stundung an, weil der Schuldner Einkommensnachweise nur sporadisch und auf mehrfache Mahnungen hin vorlege. Das Insolvenzgericht gab dem Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Schuldner überreichte dem Treuhänder mit Schreiben vom 2. Juni 2008 die ALG II-Bescheide sowie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 28. Mai bis 4. Juli 2008. Er teilte mit, er übe seine freiberufliche Tätigkeit nach wie vor aus und werde die hierzu geforderten Nachweise bis zum 13. Juni 2008 nachreichen; außerdem kündigte der Schuldner an, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Der Schuldner legte keine Belege hinsichtlich seiner freiberuflichen Tätigkeit vor und erteilte auch keine weitere Auskunft. Mit Verfügung vom 8. Juli 2008 mahnte das Insolvenzgericht die Einreichung der Belege an. Hierauf reagierte der Schuldner nicht. Mit Verfügung vom 19. August 2008 wies das Insolvenzgericht den Schuldner darauf hin, dass die Verfahrenskostenstundung aufgehoben werden könne, wenn eine vom Gericht verlangte Erklärung nicht abgegeben werde, und forderte ihn auf, die Einkommensnachweise bis zum 12. September 2008 bei Gericht vorzulegen. Auch auf dieses Schreiben antwortete der Schuldner nicht.

Mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 hat das Insolvenzgericht die Kostenstundung aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Aufhebung des die Kostenstundung aufhebenden Beschlusses erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 4d Abs. 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Auch ein Prozessunfähiger kann eine gegen ihn ergangene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht darauf überprüfen lassen, ob die Vorinstanz ihn zu Recht als prozessfähig oder prozessunfähig behandelt hat. Gleiches gilt, wenn eine Partei, deren Prozessfähigkeit fraglich sein könnte, sich gegen die in der Vorinstanz ergangene Sachentscheidung wendet und mit ihrem Rechtsmittel eine andere, ihrem Begehren entsprechende Sachentscheidung anstrebt (vgl. BGHZ 143, 122, 127). Im Übrigen bestehen hier - worauf später noch einzugehen sein wird - keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des Schuldners. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch aus anderen Gründen unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).

1.

Die Rechtsbeschwerde meint im Anschluss an die Kommentierung von Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 4c Rn. 2, das Insolvenzgericht dürfe den Schuldner nur dann zu einer Erklärung über seine Verhältnisse auffordern (§ 4c Nr. 1, § 4b Abs. 2 InsO), wenn es Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung habe und diese dem Schuldner mitteile; erst auf eine derart qualifizierte Aufforderung hin sei der Schuldner überhaupt verpflichtet, sich zu äußern. Im Wortlaut des Gesetzes findet diese Ansicht jedoch keine Stütze. Das Insolvenzgericht kann vom Schuldner eine Erklärung über seine Verhältnisse verlangen, um zu prüfen, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners verbessert haben und die Entscheidung über die Stundung deshalb gemäß § 4b Abs. 2 InsO zu ändern ist. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus § 120 Abs. 4 ZPO, auf dessen Sätze 1 und 2 § 4b Abs. 2 Satz 3 InsO verweist. In § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO heißt es ausdrücklich, die Partei habe sich auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die Erklärungspflicht wird also gerade nicht davon abhängig gemacht, dass das Gericht der Partei zuvor eine Änderung ihrer Verhältnisse vorgehalten hat. Instanzgerichtliche Entscheidungen, die der von der Rechtsbeschwerde vertretenen - fern liegenden - Ansicht gefolgt wären, weist die Rechtsbeschwerde nicht nach. Eine vereinzelt gebliebene, möglicherweise nur missverständlich formulierte Kommentarstelle begründet keinen Klärungsbedarf.

2.

Die Rechtsbeschwerde rügt eine Verletzung des Anspruchs des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil dem Schuldner nicht deutlich gemacht worden sei, was eigentlich von ihm erwartet werde. Der Schuldner habe die fehlende Bestimmtheit des Auskunftsverlangens des Gerichts bereits in der Begründung seiner sofortigen Beschwerde gerügt. Das Landgericht hat sich mit diesem Einwand jedoch auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer wendet sich der Sache nach also nur gegen die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte jedoch nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1, 12; BVerfG NJW 2005, 3345, 3346; BGH, Beschl. v. 16. September 2008 - X ZB 28/07, BGH-Report 2009, 255, 256 Rn. 10).

3.

Eine weitere Verletzung des Anspruchs des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sieht die Rechtsbeschwerde darin, dass das Beschwerdegericht den Vortrag des Schuldners zu seiner psychischen Erkrankung als Schutzbehauptung angesehen, kein Gutachten eines Sachverständigen zur Schwere der Beeinträchtigungen eingeholt und die Vorlage eines schriftsätzlich angekündigten fachärztlichen Attestes nicht abgewartet hat.

Der Schuldner hätte Gelegenheit gehabt, ein Attest zu den Akten zu reichen. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2009, der am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangen ist, hatte er angekündigt, das Attest werde "kurzfristig" nachgereicht. Bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses am 9. März 2009 hat er sich dann nicht mehr geäußert, also weder ein Attest übersandt noch um die Einräumung einer weiteren Frist gebeten. Im Übrigen gilt auch hier, dass das Landgericht den Vortrag des Schuldners zur Kenntnis genommen und in seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Es hat lediglich nicht die vom Schuldner gewünschte Schlussfolgerung gezogen, die Missachtung der gerichtlichen Aufforderung unter Androhung der Aufhebung der Stundung sei nicht grob fahrlässig gewesen.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entbehrt die Würdigung des Vorbringens des Schuldners als "offenkundiges Schutzvorbringen" nicht jeder tatsächlichen Basis. Das Landgericht hat seine Entscheidung insbesondere darauf gestützt, dass der Schuldner seine sofortige Beschwerde zunächst damit begründet hatte, im Jahre 2008 keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt und sein Atelier bereits im Januar 2008 aufgelöst zu haben. Daraufhin legte der Treuhänder ein Schreiben des Schuldners vom 2. Juni 2008 vor, in dem es heißt, die freiberufliche Tätigkeit werde noch ausgeübt, und die Nachweise über Einnahmen und Ausgaben würden bis zum 13. Juni 2008 nachgereicht. Erst danach behauptete der Schuldner, es fehle am Verschulden, weil er aufgrund psychosomatischer Beeinträchtigungen den Inhalt und die Wichtigkeit von Mitwirkungspflichten nicht habe abschätzen können.

4.

Der Senat sieht sich nicht veranlasst, seinerseits ein Gutachten zur Frage der Prozessfähigkeit des Schuldners einzuholen. Die fehlende Prozessfähigkeit einer Prozesspartei oder des Beteiligten eines Insolvenzverfahrens ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist ein Erwachsener allerdings prozessfähig. Die Prozessfähigkeit ausschließende Störungen der Geistestätigkeit treten nur in Ausnahmefällen auf. Von einer Partei, die sich auf sie beruft, muss deshalb die Darlegung von Tatsachen erwartet werden, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit ergeben (BGHZ 18, 184, 190; BGHZ 86, 184, 189; BGH, Urt. v. 9. Januar 1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060). Das ist hier nicht der Fall. Das vom Schuldner nunmehr vorgelegte Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. vom 4. März 2009 beschreibt die Beschwerden, wegen derer der Schuldner sich in fachärztliche Behandlung begeben hat, und bescheinigt ihm Antriebslosigkeit, eine Einschränkung der Konzentration und Aufmerksamkeit, teils affektiv überschießende Reaktionen in Belastungssituationen sowie multiple somatische Beschwerden. Dass der Schuldner deshalb nicht mehr in der Lage sei, Prozesshandlungen, die er selbst angekündigt hat, in eigener Person oder durch einen selbst bestellten Vertreter vornehmen oder entgegennehmen zu können, steht nicht in dem Attest und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich; weder der Schuldner noch die von ihm in den Vorinstanzen und in der Rechtsbeschwerdeinstanz beauftragten Anwälte gehen von einem Fehlen der Geschäftsoder Prozessfähigkeit des Schuldners aus.

Ende der Entscheidung

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