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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.11.2009
Aktenzeichen: IX ZR 131/07
Rechtsgebiete: ARB 75, RVG


Vorschriften:

ARB 75 § 2 Nr. 1 Buchst. a)
ARB 75 § 15 Abs. 1 Buchst. a)
RVG § 10 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf das am 20. Oktober 2009 geschlossene schriftliche Verfahren

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,

die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser,

die Richterin Lohmann und

den Richter Dr. Pape

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 22. Juni 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin wurde in einer Arzthaftungssache außergerichtlich durch die Rechtsanwälte Q. vertreten. Die beklagte Rechtsschutzversicherung gewährte mit Schreiben vom 19. September 2005 der Klägerin als mitversicherter Ehefrau Kostendeckung für das beabsichtigte Vorgehen dem Grunde nach und bat um weitere Information. Die Sachbearbeiterin der mandatierten Anwälte erläuterte der Beklagten mit Schreiben vom 27. September 2005 den angenommenen Streitwert von 24.499,22 EUR, die angesetzte 2,0-fache Geschäftsgebühr und kündigte die Vorschussrechnung einer anwaltlichen Verrechnungsstelle an.

Diese, die D.- AG, rechnete den Vergütungsanspruch unter dem 29. September 2005 gegenüber der Beklagten im Auftrag der C. GmbH, deren Forderungsberechtigung aufgrund Abtretung der mandatierten Rechtsanwälte sie anzeigte, in entsprechender Höhe von 1.614,72 EUR einschließlich Umsatzsteuer als Kostenvorschuss ab.

Die Klägerin unterzeichnete am 22. März 2006 eine ihr von den Rechtsanwälten Q. vorgelegte Zustimmungserklärung folgenden Inhalts:

"Ich erkläre mich ausdrücklich einverstanden mit der

- Weitergabe der zum Zwecke der Abrechnung und Geltendmachung jeweils erforderlichen Informationen, insbesondere von Daten aus der Mandantenkartei (Name, Geburtsdatum, Anschrift, Gegenstandswert, Prozessdaten und -verlauf, Honorarsatz) an die D.- AG,

- Abtretung der sich aus dem Mandat ergebenden Forderungen an die C. GmbH.

Diese Zustimmung gilt auch für alle laufenden und zukünftigen Mandatierungen. Sofern ich rechtsschutzversichert bin, bevollmächtige und beauftrage ich hiermit die C. GmbH und deren Prozessbevollmächtigte mit der Geltendmachung der Freistellungsansprüche aus dem Mandatsverhältnis. Hierdurch entstehen mir keine weiteren Kosten. Für den Fall der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen meinen Gegner bevollmächtigte ich A. und C. mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts in meinem Namen zur Einziehung der Forderung. Auch hierbei entstehen für mich keine Aufwände oder Kosten.

Die C. GmbH kann bei der Entscheidung, ob sie die Honorarforderungen ankauft, meine Bonität (Zahlungsfähigkeit) prüfen; hierzu kann die C. GmbH eine Auskunft bei einer Auskunftei oder Kreditschutzorganisation (Schufa, CEG-Crefo o.ä.) einholen.

Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die C. GmbH die Leistungen meines Rechtsanwalts mir gegenüber durch die A. in Rechnung stellen und für eigene Rechnung einziehen wird. Sollte es über die Berechtigung der Forderung unterschiedliche Auffassungen geben, kann der Rechtsanwalt in einer etwaigen Auseinandersetzung als Zeuge gehört werden. Ich entbinde meinen Rechtsanwalt von seiner anwaltlichen Schweigepflicht, soweit dies für die Abrechnung und Geltendmachung der Forderungen erforderlich ist.

Eine Ausfertigung dieser Einverständniserklärung habe ich erhalten."

Die Beklagte zahlte im Mai 2006 ohne Präjudiz für den angegebenen Streitwert einen Vorschuss von 1.000 EUR an die Rechtsanwälte Q. und Kollegen. Wegen einer Schadensposition bat sie um zusätzliche Auskunft. Weitere Zahlung erfolgte nicht.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Abtretung des anwaltlichen Vergütungsanspruchs an die C. GmbH. Die Beklagte hat zudem weitere Einwendungen erhoben.

In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Sachantrag weiter, von restlichen 614,72 EUR der an die C. GmbH abgetretenen Forderung freigehalten zu werden, hilfsweise, sie von einer Restforderung der Rechtsanwälte Q. und Kollegen in dieser Höhe freizustellen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

1.

Der Revision muss nicht deshalb sachlicher Erfolg versagt bleiben, weil die Berufung der Klägerin verspätet begründet worden wäre (zur Verspätungsfolge vgl. BGHZ 6, 369, 370; BGH, Beschl. v. 4. Juni 1992 - IX ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338, 1339). Der Freibeweis vollständigen Einganges der 19-seitigen Berufungsschrift innerhalb der Begründungsfrist ist erbracht. Dafür spricht der vorgelegte Sendebericht der klägerischen Berufungsanwälte, welcher die Absendung sämtlicher 19 Seiten angibt. Dieser Bericht wird bestätigt durch die nach Feststellung des Berufungsgerichts gewahrten Berufungsformalien und die hierzu eingeholten dienstlichen Äußerungen der Vorsitzenden Richterin der Berufungskammer und der zuständigen Geschäftsstellenbeamtin. Hiernach bestand seinerzeit bei dem Berufungsgericht die Praxis, nur die erste Seite einer per Fax eingehenden Rechtsmittelbegründungsschrift zum Beweis des Eingangsdatums bei den Akten zu behalten und die Folgeseiten vorläufig in der Tasche am rückwärtigen Aktendeckel aufzubewahren, nachdem die Übermittlung des bestimmenden Schriftsatzes durch Normalpost erfolgt war. Nach richterlicher Prüfung der Berufungsformalien sind diese Folgeseiten jedoch oftmals als vermeintlich entbehrlich ausgesondert worden. Ihr Fehlen kann danach nicht als Hinweis auf ein unvollständig übermitteltes Telefax gewertet werden. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt, dass nicht auch in der vorliegenden Sache nach der beschriebenen, inzwischen abgestellten Praxis des Berufungsgerichts verfahren worden ist.

2.

Bereits vor dem 18. Dezember 2007 konnten Vergütungsansprüche von Rechtsanwälten entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts mit wirksamer Zustimmung des Schuldners auch an Nichtanwälte abgetreten werden, ohne dass es unter dieser Voraussetzung auf eine rechtskräftige Feststellung der Forderung und einen erfolglosen Vollstreckungsversuch ankam (BGH, Urt. v. 24. April 2008 - IX ZR 53/07, WM 2008, 1229). Zwar kann der Rechtsanwalt dabei nicht ohne Einverständnis seines Mandanten das Billigkeitsermessen zur Bestimmung einer Rahmengebühr delegieren (BGH, Urt. v. 4. Dezember 2008 - IX ZR 219/07, WM 2009, 187). Von diesem Ermessen haben jedoch die mandatierten Rechtsanwälte bereits nach ihrem Schreiben vom 27. September 2005 an die Beklagte selbst Gebrauch gemacht.

3.

Das Berufungsurteil ist nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Die Einwendungen der Beklagten aus § 2 Nr. 1 Buchst. a) ARB 75 ist unbegründet. Die Klägerin verlangt die Freistellung von einer anwaltlichen Gebührenforderung. An dieser Rechtsnatur des Streitgegenstandes ändert sich nichts, wenn der Anspruch, dem der Versicherte ausgesetzt ist, an einen Dritten abgetreten wird.

Die Klägerin hat ferner ihre Obliegenheit zu vollständiger Information nach § 15 Abs. 1 Buchstabe a) ARB 75 nicht vorsätzlich verletzt, so dass die Beklagte nicht deshalb von der Leistung frei ist (vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 2008 - IX ZR 220/07 Rn. 11, bei [...]).

Der Freistellungsanspruch der Klägerin ist auch fällig. Denn der Rechtsanwalt muss die nach § 10 Abs. 1 RVG geschuldete Berechnung nicht persönlich erstellen und unterzeichnen. Es genügt, wenn aus einem von ihm unterzeichneten Schreiben, wie hier vom 27. September 2005, hervorgeht, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für eine mit diesem Inhalt aufgemachte Abrechnung eines Dritten, hier der Rechnung Nr. 0017-05-0075 der D.- AG vom 29. September 2005, tragen will (vgl. BGH, Urt. v. 4. Dezember 2008 - IX ZR 220/07 Rn. 13, bei [...]).

4.

Nach Wiedereröffnung der Berufungsinstanz wird sich das Landgericht mit den bereits in seiner Erörterung vom 22. März 2007 angesprochenen Fragen auseinanderzusetzen haben, welche die Höhe des erhobenen Freistellungsanspruchs betreffen. Das gilt sowohl für den angenommenen Geschäftswert als auch für den Rahmensatz von 2,0 für die Geschäftsgebühr. Diese setzt nach Nr. 2400 RVG VV (ab 1. Juli 2006 wortgleich Nr. 2300 RVG VV) eine umfangreiche oder schwierige, mithin überdurchschnittliche Tätigkeit voraus (BGH, Urt. v. 31. Oktober 2006 - VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420, 421; v. 4. Dezember 2008 - IX ZR 218/07, NJW-RR 2009, 491, 492 Rn. 10).

Für die Beklagte besteht Gelegenheit, im zweiten Berufungsdurchgang auf ihren Einwand grob fahrlässiger Verletzung der Informationsobliegenheit gemäß § 15 Nr. 1 Buchst. a) ARB 75 zurückzukommen.

Ende der Entscheidung

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