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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: IX ZR 139/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 389
ZPO § 717 Abs. 2
Zu den Wirkungen der Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2008

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,

den Richter Vill,

die Richterin Lohmann und

die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 2. Juli 2007 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als das Urteil der 2.Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 24. Juli 2006 zum Nachteil der Beklagten abgeändert worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt Zahlung von Werklohn. Die Beklagten haben gegen die Klageforderung mit einer Schadensersatzforderung aus § 717 Abs. 2 ZPO aufgerechnet. Mit dieser Forderung hat es folgende Bewandtnis: In einem weiteren Prozess (LG Frankenthal 1 HKO 199/97 = Pfälzisches OLG Zweibrücken 8 U 113/06) nahm die Klägerin die Beklagten auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 240.000 DM in Anspruch. Das Landgericht verurteilte die Beklagten am 2. Februar 1999 zur Zahlung von 240.000 DM, davon 40.000 DM Zug um Zug gegen Beseitigung bestimmter Mängel. Zur Abwendung der von der Klägerin bereits eingeleiteten Zwangsvollstreckung zahlte die Beklagte zu 1 am 2. März 1999 insgesamt 111.114,85 EUR, davon 941,95 EUR Vollstreckungskosten. Mit Urteil vom 17. Januar 2006 wurde das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagten nur 79.491,22 EUR zu zahlen habe. Im vorliegenden Rechtsstreit haben die Beklagten daraufhin - zunächst hilfsweise - mit dem zu viel gezahlten Betrag von 30.681,68 EUR sowie einem Schadensersatzanspruch in Höhe von 20.659,33 EUR aufgerechnet, der sich daraus ergebe, dass sie zur Finanzierung der 31.623,63 EUR (30.681,68 EUR Überzahlung sowie 941,95 EUR Vollstreckungskosten) im Zeitraum vom 3. März 1999 (Zahlung) bis zum 17. Januar 2006 (Abänderung des erstinstanzlichen Urteils) Überziehungszinsen von 9,5 % p.a. zu zahlen gehabt habe. In Höhe von 30.681,68 EUR hat die Klägerin die Klage daraufhin für erledigt erklärt.

Die Parteien streiten nunmehr nur noch um die Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch wegen der Finanzierungskosten. Das Landgericht ist von einem Werklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 49.189,06 EUR ausgegangen. Abzüglich des erledigten Teils von 30.681,68 EUR bleibe ein Anspruch von 18.507,39 EUR, der durch die Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch, der in Höhe von 19.800,55 EUR bestanden habe, vollständig erfüllt sei; Gleiches gelte für einen Teil der Zinsforderungen. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung aus Rechtsgründen für ausgeschlossen gehalten. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wollen die Beklagten weiterhin die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt (OLG-Report Zweibrücken 2008, 86): Der Beklagten zu 1 stehe wegen der im Parallelprozess zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleisteten Zuvielzahlung kein Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO auf Ersatz der Finanzierungskosten ("Zinsschaden") zu. Ihre Aufrechnung wirke auf den Zeitpunkt zurück, in dem sich die beiderseitigen Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüber gestanden hätten. Dies sei der Zeitpunkt der Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gewesen, also der 2. März 1999. Der Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO auf Rückzahlung des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Betrages sei bereits mit der Zahlung entstanden, nicht erst mit dem Erlass des Berufungsurteils im Parallelprozess. Nur so lasse sich ein Wertungswiderspruch zum gleichzeitig bestehenden Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB vermeiden. Die Klägerin sei vom Erhalt der Zahlung an ungerechtfertigt bereichert gewesen, weil insoweit ein Rechtsgrund gefehlt habe. Da die Aufrechnung auf den 2. März 1999 zurückwirke, sei für einen Anspruch auf Ersatz des Zinsschadens kein Raum.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beklagten zu 1 steht ein zur Aufrechnung gegen die Klageforderung geeigneter Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO auf Ersatz der Finanzierungskosten zu.

1.

Gemäß § 717 Abs. 2 ZPO ist der Gläubiger, der aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben hat, zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der dem Schuldner durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte Leistung entstanden ist. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Titels in Anspruch genommen worden ist, seine Leistung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Der Schadensersatzanspruch umfasst jedoch nicht nur die erbrachte Leistung, sondern auch weitere Schäden, welche der Schuldner erlitten hat. Der Gläubiger, der aus einem nicht endgültigen Titel vollstreckt, handelt auf eigene Gefahr. Der aus der Vollstreckung folgende Schaden soll vollständig aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung des Gläubigers ausgeglichen werden (z.B. BGHZ 136, 199 ; 169, 308, 314Rn. 19). Die Kosten, welche mit der Aufbringung der vorläufigen Leistung verbunden sind, stellen daher grundsätzlich einen zu erstattenden Schaden dar.

2.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wirkt die von den Beklagten erklärte Aufrechnung nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung zurück.

a)

Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Die Voraussetzungen der Aufrechnungslage ergeben sich aus § 387 BGB. Die Forderung dessen, der die Aufrechnung erklärt, muss durchsetzbar, die Forderung des Aufrechnungsgegners erfüllbar sein.

b)

"Erfüllbar" im Sinne von § 387 BGB ist eine Forderung dann, wenn sie jedenfalls entstanden ist. Gegen eine künftige oder aufschiebend bedingte Forderung kann nicht aufgerechnet werden (BGHZ 103, 362, 367 ; 160, 1, 6) . Die Frage, wann eine Forderung aus § 717 Abs. 2 ZPO in diesem Sinne "erfüllbar" ist, wird - worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat - in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Dem Wortlaut des § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO nach setzt der Anspruch die Aufhebung des für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils voraus. Nach Satz 2 des § 717 Abs. 2 ZPO kann der Schadensersatzanspruch jedoch bereits in dem anhängigen Rechtsstreit geltend gemacht werden. Der Bundesgerichtshof hat deshalb in dem vom Berufungsgericht zitiertenUrteil vom 21. April 1980 (II ZR 107/79, NJW 1980, 2527 = ZZP 94 (1981), 444) den Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO für im laufenden Rechtsstreit erfüllbar und die vom Anspruchsgegner - dem Gläubiger also - erklärte Aufrechnung bereits vor Erlass des aufhebenden oder abändernden Urteils für zulässig gehalten. Das Reichsgericht hat in früheren Entscheidungen ebenfalls die Ansicht vertreten, die Aufhebung oder Änderung des Urteils schaffe den Anspruch nicht, sondern bringe den vorhandenen zur Anerkennung und Feststellung und verschaffe ihm die Möglichkeit der Geltendmachung (RGZ 11, 398, 400; ähnlich RG JW 1906, 719, 720). In einer späteren Entscheidung wird der Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO allerdings als "aufschiebend bedingt" bezeichnet (RGZ 85, 214, 219). In der Kommentarliteratur wird der Anspruch teils ebenfalls als durch den Erlass des aufhebenden oder abändernden Urteils bedingt bezeichnet (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 717 Rn. 24; Thomas/Putzo, ZPO 29. Aufl. § 717 Rn. 11); überwiegend heißt es schlicht, der Anspruch entstehe erst mit der Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Titels (z.B. MünchKomm-ZPO/Krüger, ZPO 3. Aufl. § 717 Rn. 14; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 66. Aufl. § 717 Rn. 6; Wieczorek/Heß, ZPO 3. Aufl. § 717 Rn. 31; Schuschke in Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 4. Aufl. § 717 Rn. 8; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht 10. Aufl. S. 168; ebenso OLG Koblenz MDR 1957, 427 ).

c)

Im Ergebnis kommt es auf diese Frage jedoch nicht an. Aufgerechnet hat nicht die Klägerin. Die Aufrechnung ist vielmehr von den Beklagten erklärt worden. Nach § 387 BGB muss die Forderung dessen, der aufrechnet, durchsetzbar sein. Er muss die ihm gebührende Leistung fordern können. Durchsetzbar war die Forderung aus § 717 Abs. 2 ZPO erst vom Erlass des Berufungsurteils vom 17. Januar 2006 an (vgl. auch BGHZ 136, 199, 201 ; 169, 308, 312 Rn. 14: "Zur Auslösung der Schadensersatzpflicht genügt die Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils ..."). Die von den Beklagten erklärte Aufrechnung kann allenfalls auf den Zeitpunkt zurückwirken, in dem für sie eine Aufrechnungslage entstand. Dazu musste ihre eigene Forderung aus § 717 Abs. 2 ZPO nicht nur entstanden, sondern auch durchsetzbar sein.

d)

Neben dem Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO stand den Beklagten ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) zu. Aber auch dieser Anspruch wurde nicht vor der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils am 17. Januar 2006 durchsetzbar. Die Beklagten haben nicht einfach auf eine nicht bestehende Schuld gezahlt, was sofort einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB hätte begründen können. Wer Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel leistet, will nicht die - von ihm ja bestrittene - Forderung des Gläubigers erfüllen, sondern die mit der Vollstreckung verbundenen Nachteile von sich abwenden (BGHZ 86, 267, 269 ; BGH, Beschl. v. 25. Mai 1976 - III ZB 4/76, MDR 1976, 1005; Münch-Komm-ZPO/Krüger, aaO § 708 Rn. 6). Dieser Leistungszweck entfällt erst mit der (rechtskräftigen) Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils (BGHZ 169, 308, 315 Rn. 22; Palandt/Sprau, BGB 66. Aufl. § 812 Rn. 76). Um eine Leistung auf eine aufschiebend bedingte Schuld, die bis zum Eintritt der Bedingung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB kondiziert werden könnte, handelt es sich gerade nicht (unrichtig Katins DZWiR 2007, 124).

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 ZPO). Weil die Klageforderung insgesamt - abgesehen nur von den bereits vom Berufungsgericht aberkannten Positionen - neu berechnet werden muss, wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat weist auf folgenden rechtlichen Gesichtspunkt hin:

Der Klägerin stand eine Werklohnforderung von insgesamt 49.195,06 EUR zu. Auf diese Forderung kann sie Zinsen bis zum 17. Januar 2006 - dem Entstehen der Aufrechnungslage durch die Aufhebung des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts im Vorprozess - verlangen; dabei ist der Sicherungseinbehalt zu berücksichtigen. Die Aufrechnung mit dem Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO, der auch die zur Finanzierung des zuviel gezahlten Betrages erforderlichen Aufwendungen umfasst, wirkt auf das Entstehen der Aufrechnungslage am 17. Januar 2006 zurück.

Ende der Entscheidung

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