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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.2004
Aktenzeichen: IX ZR 152/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 765
BGB § 777
AGBG § 3
ZPO § 286 G
Zur Abgrenzung der gegenständlich beschränkten Bürgschaft von der Zeitbürgschaft.

Wird auf Wunsch des Bürgen eine als Zeitbürgschaft zu verstehende Befristung seiner Haftung vereinbart, so ist eine Klausel überraschend, mit der sich der Gläubiger formularmäßig von der Anzeigeobliegenheit freizeichnet.

Streiten der Gläubiger und der Bürge darüber, ob eine vereinbarte Befristung als Zeitbürgschaft oder nur als gegenständliche Beschränkung der Haftung zu verstehen ist, trägt der Gläubiger die Beweislast für den von ihm behaupteten Inhalt der Bürgschaft; sichert die Bürgschaft einen Kontokorrentkredit, stellt dies regelmäßig ein wesentliches Beweisanzeichen dafür dar, daß eine gegenständliche Beschränkung vereinbart ist.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 152/00

Verkündet am: 15. Januar 2004

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2004 durch die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Neskovic

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 14. März 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte verbürgte sich am 30. September 1993 selbstschuldnerisch bis zu einem Höchstbetrag von 140.000 DM für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen die B. & J. GmbH, die bei der Klägerin seit dem 28. Januar 1991 ein debitorisch geführtes Geschäftskonto unterhielt.

Die Bürgschaftsurkunde enthält den maschinenschriftlichen Zusatz:

"Die Bürgschaft ist befristet bis zum 31.10.1993. Diese Höchstbetragsbürgschaft ersetzt die Bürgschaft vom 24.6.1993 und setzt diese ununterbrochen fort."

Der Bürgschaft vom 30. September 1993 waren Bürgschaften vom 29. April 1991 unter Befristung bis zum 29. April 1993, vom 23. April 1993 unter Befristung bis zum 30. Juni 1993 und vom 24. Juni 1993 unter Befristung bis zum 30. September 1993, jeweils mit Höchstbeträgen von 350.000 DM, vorausgegangen. Die erste der Bürgschaften wurde der Klägerin in ihrer Filiale Würselen/Aachen erteilt. Die folgenden Bürgschaften nahm die Filiale der Klägerin in Erfurt herein.

Die Beklagte war Gesellschafterin der Hauptschuldnerin, hatte ihren Geschäftsanteil jedoch mit Vertrag vom 21. Dezember 1992 auf die J. Beteiligungsgesellschaft mbH übertragen. Die Beklagte erstrebte aus diesem Grunde die Entlassung aus der Bürgschaft und die Stellung einer Ersatzbürgschaft ihrer Nachfolgegesellschafterin.

Am 24. Februar 1994 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Hauptschuldnerin eröffnet. Am 18. März 1994 kündigte die Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin den auf dem Geschäftskonto eingeräumten Kontokorrentkredit mit einem Debetsaldo des Eröffnungstages von 148.010,36 DM. Diese Forderung meldete sie zur Gesamtvollstreckungstabelle an. Mit Schreiben vom selben Tage forderte die Klägerin auch die Beklagte zur Zahlung des verbürgten Höchstbetrages von 140.000 DM auf.

Das Landgericht hat der erhobenen Teilklage über 30.000 DM zur Hauptsache stattgegeben, weil die Urkunde vom 30. September 1993 keine Zeitbürgschaft im Sinne des § 777 BGB, sondern eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft enthalte. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist bis auf einen Teil der zugesprochenen Zinsen erfolglos geblieben. Auf die in zweiter Instanz erhobene Widerklage hat das Berufungsgericht nur festgestellt, daß der Klägerin aus der Bürgschaft vom 30. September 1993 keine über 118.329,95 DM hinausgehenden Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Gegen die Zurückweisung der Berufung und den abgewiesenen Teil der Widerklage wendet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Da weitere Feststellungen zu treffen sind, kann nicht in der Sache selbst entschieden werden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.).

I.

Das Berufungsgericht hat - wie das Landgericht - eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft statt einer Zeitbürgschaft angenommen und dazu ausgeführt:

Heranzuziehen seien die Auslegungsgrundsätze für Individualvereinbarungen. Von der Beklagten sei nicht bewiesen, daß sich die Parteien außerhalb der Urkunde auf eine Zeitbürgschaft geeinigt hätten. Die Auslegung der Bürgschaft nach dem Urkundeninhalt und den Begleitumständen lasse nicht auf eine Zeitbürgschaft schließen.

Die vorliegende Bürgschaftsreihe, in der jeder der Vorgängerbürgschaften vom 29. April 1991, 23. April 1993 und 24. Juni 1993 vor Fristablauf eine neue Bürgschaft gefolgt sei, spreche nicht für eine Zeitbürgschaft, da auch bei der gegenständlich beschränkten Bürgschaft der Gläubiger auf eine Anschlußsicherheit bedacht sein müsse. Der Hinweis des Zeugen B. an seinen Nachfolger in der Filiale Erfurt der Klägerin, die Endtermine in den Bürgschaften seien zu beachten, lege gleichfalls noch keine Zeitbürgschaft nahe. Erklärungen von Mitarbeitern der Beklagten bei Erteilung der streitigen Bürgschaft am 30. September 1993, nach welcher die Haftung mit Fristablauf habe erlöschen sollen, seien durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Auch der Zeuge B. habe sich gegenüber der Beklagten nicht in diesem Sinne geäußert.

Auf die Behauptung der Beklagten, anläßlich der Unterzeichnung der ersten Bürgschaftsurkunde am 29. April 1991 habe der damaligen Aachener Filialleiter der Klägerin D. erklärt, daß die Bürgschaftsverpflichtung infolge der Befristung erlösche, wenn die Beklagte nicht bis zum Fristende in Anspruch genommen werde, komme es für die Auslegung der streitigen Bürgschaft vom 30. September 1993 nicht an. Diese Äußerung könne, da sie dem Zeugen B. beim Zustandekommen der Bürgschaftsvereinbarung vom 30. September 1993 unbekannt gewesen sei, seinen Empfängerhorizont nicht mitgeprägt haben.

Selbst wenn dem Zeugen B. aber die Kenntnis der behaupteten Erklärungen des Zeugen D. zuzurechnen sei, so habe die Beklagte aus der Klausel Nummer 1 Abs. 2 der Bürgschaftsurkunde entnehmen müssen, daß im Falle einer Zeitbürgschaft auch ohne Anzeige der Inanspruchnahme die Bürgenhaftung im Umfang der Hauptschuld bei Fristablauf habe fortbestehen sollen. Damit habe die Klägerin unabhängig von einer etwaigen Unwirksamkeit der Klausel ihre tatsächlich bestehende Ablehnung gegenüber einer echten Zeitbürgschaft zum Ausdruck gebracht.

Entscheidend für eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft spreche auch der Sicherungszweck und die Interessenlage bei ihrer Erteilung am 30. September 1993. Es sei nicht anzunehmen, daß die Klägerin auf eine Sicherheit habe verzichten wollen, bevor sie den beabsichtigten Ersatz durch eine Bürgschaft der J. Beteiligungs GmbH erhalten habe. Der Annahme einer Zeitbürgschaft stehe ferner entgegen, daß hier ein Kontokorrentkredit zu sichern gewesen sei. Aus einer Zeitbürgschaft könne nur vorgegangen werden, wenn die Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit fällig gewesen sei. Es entspreche im Regelfall nicht dem Interesse der Beteiligten, daß die Sicherungsnehmerin zu ihrem Schutz das Kontokorrent kündigen müsse. Hier sei die Klägerin innerhalb der Bürgschaftsfrist zu einer Kündigung auch gar nicht in der Lage gewesen.

Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.

Das Berufungsgericht hätte die streitige Vereinbarung nicht als gegenständlich beschränkte Bürgschaft auslegen dürfen, ohne den von der Beklagten benannten Zeugen D. zu dessen angeblicher Erklärung bei Erteilung der ersten Bürgschaft am 29. April 1991 zu vernehmen. Wegen dieses Rechtsfehlers ist die Auslegung der Bürgschaft durch das Berufungsgericht für die Revision nicht bindend und kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

1. Wird einer Bürgschaft durch Individualvereinbarung eine zeitliche Begrenzung hinzugefügt, so kann das zweierlei bedeuten: Die zeitliche Begrenzung kann den Sinn eines Endtermins (§ 163 BGB) haben, nach dessen Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll. Sie kann aber auch die Verbindlichkeit, für die der Bürge sich verbürgt, dahin näher bestimmen, daß der Bürge nur für die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten - für diese aber unbefristet - einstehen soll (BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987 - IX ZR 93/87, NJW 1988, 908 m.w.N.). Welche Art von Bürgschaft gewollt ist, muß aufgrund einer Auslegung der Bürgschaftsverpflichtung ermittelt werden. Da die Befristung der Bürgschaft im vorliegenden Fall in einer maschinenschriftlich hinzugefügten individuellen Vereinbarung enthalten ist, sind dabei nicht die Grundsätze für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern für die Auslegung einer Individualvereinbarung zugrunde zu legen (vgl. BGH, aaO).

2. Wie die hinzugesetzte Befristung der streitigen Bürgschaft vom 30. September 1993 auszulegen ist, muß unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls tatrichterlich gewürdigt werden (vgl. BGH, aaO; Urt. v. 30. Januar 1997 - IX ZR 133/96, WM 1997, 625, 628). Diese Auslegung kann im Revisionsverfahren nur beschränkt nachgeprüft werden.

a) Rechtsfrage ist, ob der Tatrichter gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet hat. Berücksichtigt der Tatrichter auslegungserhebliche Umstände nicht, so verstößt er gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1990 - IX ZR 33/90, WM 1991, 495, 496). Eine entsprechende rechtliche Nachprüfung der Auslegung bedarf revisionsrechtlich keiner Rüge.

b) Zu den auslegungserheblichen und aufklärungsbedürftigen Begleitumständen eines Vertragsschlusses kann auch seine Entstehungsgeschichte gehören, insbesondere wenn dazu Vorbesprechungen geführt worden sind (BGHZ 63, 359, 362; BGH, Urt. v. 12. Februar 1981 - IVa ZR 103/80, NJW 1981, 2295 - Festpreisgarantie im Blickwinkel eines Verkaufsprospekts; v. 23. Februar 1987 - II ZR 183/86, NJW 1987, 2437, 2438).

c) Die Feststellung außerhalb der Bürgschaftsurkunde liegender Auslegungstatsachen ist von dem Revisionsgericht grundsätzlich nur auf die Verfahrensrüge hin überprüfbar (vgl. allgemein: BGH, Urt. v. 8. Dezember 1989 - V ZR 53/88, WM 1990, 423, 424). Auf eine solche Rüge kommt es jedoch hier nicht an, weil das Berufungsgericht die behauptete Auslegungstatsache aus Gründen des sachlichen Rechts für unerheblich gehalten hat. Dieser Rechtsfehler verletzt die §§ 133, 157 BGB, nicht § 286 ZPO.

3. Aus der revisionsrechtlich zu unterstellenden Äußerung des Zeugen D. , daß die Bürgschaftsverpflichtung vom 29. April 1991 mit Ablauf der Befristung erlösche, falls keine Inanspruchnahme erfolgt sei, würde sich ergeben, daß die Beklagte damals nur eine Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) übernommen hat. Der nur auf eine Zeitbürgschaft gerichtete Verpflichtungswille der Beklagten ist nach ihrem Vortrag von dem Zeugen D. am 29. April 1991 zur Kenntnis genommen und durch den maschinenschriftlichen Zusatz akzeptiert worden.

a) Hat die Klägerin nach dieser Behauptung den Willen der Beklagten, nur eine Zeitbürgschaft zu übernehmen, erkannt und akzeptiert, ist demgegenüber die in Nummer 1 Abs. 2 der Bürgschaftsurkunde enthaltene Klausel unerheblich.

Die Klausel lautet:

"Im Falle einer Zeitbürgschaft ist die Bank nicht verpflichtet, dem Bürgen bei Fristablauf anzuzeigen, daß sie ihn in Anspruch nimmt; auch ohne Anzeige besteht die Haftung fort, jedoch beschränkt auf den Umfang der verbürgten Ansprüche bei Fristablauf."

Der Klauselinhalt setzt mithin eine Zeitbürgschaft voraus und enthält für die hier erteilte selbstschuldnerische Bürgschaft einen Ausschluß von § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB sowie eine Änderung von § 777 Abs. 2 BGB. Die Klausel ist im Sinne des § 3 AGBG überraschend; denn sie brachte mit der Haftungsfortdauer des selbstschuldnerischen Kontokorrentbürgen trotz Fristablaufs ohne Anzeige der Inanspruchnahme das Gegenteil von dem zum Ausdruck, was die Beklagte erkennbar wollte. Mit einer solchen "typengehaltändernden" Klausel braucht der Kunde bei Vereinbarung einer Zeitbürgschaft nicht zu rechnen (vgl. auch BGH, Urt. v. 19. März 1998 - IX ZR 120/97, WM 1998, 976, 979 f).

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes mußte die Beklagte aus der überraschenden Klausel auch nicht entnehmen, daß die Klägerin eine Zeitbürgschaft ablehnte und das erteilte Bürgschaftsversprechen als gegenständlich beschränkte Bürgschaft verstand. Denn eine Auslegung des Befristungszusatzes nach Maßgabe der unwirksamen Überraschungsklausel ist ausgeschlossen.

b) Hat der Zeuge D. die von der Beklagten behaupteten Erklärung am 29. April 1991 abgegeben, so hat sich ihre Wirkung in die textlich unveränderten Folgebürgschaften fortgepflanzt, weil die Klägerin unstreitig nicht davon abgerückt ist. Einer entsprechenden Nachfrage der Beklagten bedurfte es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hierzu nicht, weil sich die Klägerin entsprechend § 166 BGB (Wissenszurechnung) so behandeln lassen muß, als sei die Erklärung des Filialleiters D. aus Aachen der später tätigen Filiale in Erfurt bekannt gewesen. Dies durfte auch die Beklagte voraussetzen.

Diese Zurechnung der Erklärung und des Wissens des Zeugen D. war hier zu Lasten der Klägerin jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil die Bürgschaften das gleiche Kontokorrentdarlehen der Hauptschuldnerin besicherten, dies der Filiale Erfurt bekannt und ein Informationsaustausch mit der Filiale Aachen daher möglich und naheliegend war (vgl. BGH, Urt. v. 1. Juni 1989 - III ZR 261/87, NJW 1989, 2879, 2881; siehe ferner BGHZ 117, 104, 106 ff; 135, 202, 206). Eine Erklärung, wie sie der Zeuge D. bei Erteilung der ersten befristeten Kontokorrentbürgschaft abgegeben haben soll, war auch für die Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Beklagten von solcher Wichtigkeit, daß sie bankseitig bei dem Kredit- oder dem Bürgschaftsvorgang aktenmäßig festgehalten werden mußte. Die Klägerin muß sich daher nach dem Vorbringen der Beklagten in der Auslegung der Folgebürgschaften so behandeln lassen, als habe sie die Informationen der Aachener Filiale abgerufen.

III.

Sollte die Vernehmung des Zeugen D. die ihm zugeschriebene Äußerung nicht bestätigen, sondern keine weiteren Erkenntnisse vermitteln, wird das Berufungsgericht gleichwohl in eine umfassende erneute Auslegung des streitigen Bürgschaftsversprechens eintreten müssen und dabei auch das Revisionsvorbringen der Parteien zu berücksichtigen haben. Soweit noch Feststellungen zu treffen sind, wird zu beachten sein, daß die Klägerin für die behauptete Vereinbarung einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft die Beweislast trägt.

1. Der Umstand, daß die Bürgschaft einen Kontokorrentkredit des Hauptschuldners sichert, stellt allerdings regelmäßig ein erhebliches Beweisanzeichen dafür dar, daß die Parteien mit der zeitlichen Befristung eine gegenständliche Begrenzung der Bürgenhaftung auf die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten gemeint haben (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987, aaO). Eine Zeitbürgschaft im Sinne des § 777 BGB ist wirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn der Gläubiger den Hauptschuldner innerhalb der Laufzeit der Bürgschaft in Anspruch nehmen kann. Denn auch die fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, erhält dem Gläubiger die Rechte aus der Bürgschaft grundsätzlich nur, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt (BGHZ 91, 349, 355 f; 139, 325, 329; BGH, Urt. v. 21. März 1989 - IX ZR 82/88, ZIP 1989, 627, 628). Wollte man bei einer zeitlich begrenzten Bürgschaft für einen Kontokorrentkredit eine Zeitbürgschaft annehmen, so wäre der Gläubiger genötigt, jeweils vor Ablauf der bestimmten Zeit den Kredit zu kündigen, um sich die Rechte aus der Bürgschaft zumindest für die bereits entstandenen Verbindlichkeiten zu erhalten. Dies dürfte in der Regel nicht dem Interesse der Bank und insbesondere des Hauptschuldners an einer ungestörten Fortsetzung ihrer Geschäftsverbindung entsprechen (BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987, aaO m.w.N.). Von diesem Grundsatz hat sich - insoweit zutreffend - auch das Berufungsgericht bei seiner Auslegung der streitigen Bürgschaft leiten lassen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 30. Januar 1997 (IX ZR 133/96, WM 1997, 625, 628) jedoch verdeutlicht, daß sich die im Urteil vom 17. Dezember 1987 als maßgebend bezeichneten Erwägungen nicht schematisch auf alle Kontokorrentbürgschaften übertragen lassen, sondern es vielmehr darauf ankommt, wie es zu der zeitlichen Begrenzung gekommen und weshalb sie vereinbart worden ist (vgl. auch OLG Köln, WM 1986, 14, 15).

2. Der Würdigung solcher, den Regelfall in Frage stellender Anhaltspunkte hat das Berufungsgericht zu geringe Beachtung geschenkt; zum Teil ist es von einer rechtlich fehlerhaften Annahme ausgegangen.

Die Revision beruft sich darauf, daß die Befristung im Streitfall auf Betreiben der Beklagten in die Bürgschaftsurkunde aufgenommen worden sei. Die Beklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, sie wolle mit dem Fristablauf aus der Haftung frei werden, wenn die Bürgschaft von der Klägerin nicht rechtzeitig "gezogen" wurde. Die Beklagte konnte nach dem erwarteten Verlauf des gesicherten Kontokorrentkredits aber möglicherweise mit einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft für ein solches Haftungsbegrenzungsinteresse gar nichts gewinnen.

Bei gegenständlich beschränkter Kontokorrentbürgschaft zum Fristende wäre durch die späteren Rechnungsabschlüsse nach § 356 HGB keine Enthaftung eingetreten, sondern eine zusätzliche Haftungsbeschränkung. Der Bürge haftet bei der gegenständlich beschränkten Kontokorrentbürgschaft grundsätzlich nach § 356 HGB in dem bei Fristende erreichten Umfang weiter, wenn das debitorische Kontokorrent - wie hier - bis zur Inanspruchnahme des Bürgen ungekündigt fortbesteht, soweit es nicht zuvor bereits durch die Insolvenz des Hauptschuldners gelöst ist. Die gegenständlich beschränkte Bürgenhaftung ermäßigt sich dann nur bei nachfolgenden Rechnungsabschlüssen mit einem niedrigeren Schuldsaldo; auf einen niedrigeren Tagessaldo zwischen den Rechnungsabschlüssen kommt es bei fortbestehendem Kontokorrent nicht an (RGZ 76, 330, 334; BGHZ 26, 142, 150; 50, 277, 283 a.E.; BGH, Urt. v. 13. Dezember 1990 - IX ZR 33/90, WM 1991, 495, 497). Dies liegt bei der nach einem Endtermin (§ 163 BGB) befristeten Kontokorrentzeitbürgschaft anders (vgl. Schröter, WM 1986, 16, 18). Die rechtzeitige Kündigung des Kontokorrentkredits bei Sicherung durch eine Zeitbürgschaft kann zur Folge haben, daß sich der Haftungsumfang des Bürgen nach § 777 Abs. 2 BGB bei jedem Eingang auf dem Konto verringert; denn die Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 Abs. 2 BGB) ist für den Bürgen nach Kündigung des Kontokorrents nicht mehr durch periodische Verrechnung und Ausschluß der Einzelaufrechnung gehindert. Die diese Einrede abbedingende Klausel im Bürgschaftsformular ist unwirksam (BGH, Urt. v. 16. Januar 2003 - IX ZR 171/00, WM 2003, 669, 671, z.V.b. in BGHZ 153, 293). Auch § 356 HGB kann nicht angewendet werden, wenn infolge wirksamer Kündigung kein Kontokorrent mehr fortbesteht.

Bei Erteilung der Bürgschaft vom 30. September 1993 wollte die Beklagte aus der übernommenen Bürgschaftsverpflichtung entlassen werden, sobald die J. Beteiligungs GmbH, welche - wie die Klägerin ebenfalls wußte - die Beteiligung der Beklagten an der Hauptschuldnerin übernommen hatte, kapitalmäßig hinreichend ausgestattet war und eine Anschlußbürgschaft gestellt hatte. Damit wurde für den Bürgschaftszeitraum Oktober 1993 gerechnet. Diese Enthaftung konnte die Beklagte mit einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft nicht durchsetzen, es sei denn, die Klägerin hätte sich bei Erteilung der letzten Bürgschaft gegenüber der Beklagten verpflichtet, sie nach dem Erhalt der Anschlußbürgschaft von der Weiterhaftung gemäß § 356 HGB freizustellen. Eine solche Verpflichtung der Klägerin haben die Parteien nicht behauptet.

3. Nicht aufrechterhalten werden kann ferner die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe sich schon deshalb auf keine Zeitbürgschaft einlassen dürfen, weil sie den gesicherten Kontokorrentkredit nicht innerhalb der einmonatigen Bürgschaftszeit habe kündigen, damit die Fälligkeit des Kreditsaldos herstellen und aus der Bürgschaft nach § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB habe vorgehen können. Die Klägerin konnte nach § 355 Abs. 3 HGB, AGB-Banken Nr. 19 Abs. 2 jederzeit den (unbefristeten) Kontokorrentkredit ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Sie verletzte dabei auch keine berechtigten Belange des Kontokorrentinhabers (vgl. AGB-Banken Nr. 19 Abs. 2 Satz 2), wenn eine vorhandene Zeitbürgschaft auslief und angemessene Ersatzsicherheiten nicht rechtzeitig vor dem Verlust der Sicherheit gestellt wurden. Zwar mag auch die Kürze der Bürgschaftszeit zwischen der Erteilung am 30. September 1993 und dem Bürgschaftsende einen Monat später nach allgemeiner Erfahrung mehr für eine nach dem Endzeitpunkt gegenständlich beschränkte Bürgschaft sprechen (vgl. RGZ 82, 382, 384). Im Streitfall gibt es für die Kürze der Bürgschaftsverlängerung jedoch möglicherweise besondere Gründe. Der Zeuge B. hat bestätigt, es sei angestrebt gewesen, die Beklagte mit Gründung des neuen Unternehmens aus der Bürgschaft zu entlassen.

IV.

Sollte die weitere Sachaufklärung und erneute Vertragsauslegung des Berufungsgerichts dazu führen, daß die Beklagte nur eine Zeitbürgschaft übernommen hat, muß der Widerklage vollen Umfangs entsprochen und die Klage abgewiesen werden. Denn der verbürgte Kontokorrentkredit der Hauptschuldnerin ist unstreitig nicht vor dem 24. Februar 1994 fällig geworden.

Sollte sich aus der Vernehmung des Zeugen D. ergeben, daß in den Verhandlungen der Parteien bei Übernahme der ersten Bürgschaft am 29. April 1991 die Beklagte das Zugeständnis einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft gemacht hat, so würde auch diese Auslegungstatsache bis in die streitige Bürgschaft vom 30. September 1993 hinein - insoweit zu Lasten der Beklagten - fortwirken, so daß es auf andere Auslegungsgesichtspunkte nicht mehr ankäme.

Ende der Entscheidung

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