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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.03.2004
Aktenzeichen: IX ZR 180/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, SGB XI


Vorschriften:

ZPO § 296 Abs. 2
BGB § 1572
BGB § 1572 Nr. 1
SGB XI § 15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZR 180/02

vom 4. März 2004

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Vill und Cierniak

am 4. März 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 33. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Juni 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 31.578,05 € festgesetzt (siehe Senatsbeschl. v. 7. Juni 2001 - IX ZR 19/99).

Gründe:

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor.

I.

Die beklagten Rechtsanwälte vertraten den Kläger in dessen Scheidungsverfahren, in welchem als Folgesache auch um Geschiedenenunterhalt der Ehefrau gestritten wurde. Mit Versäumnisurteil des AG Brilon - Familiengericht - vom 19. Dezember 1994 - Geschäftsnummer 4 F - wurde der Kläger zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 1.000 DM an seine geschiedene Ehefrau verurteilt, nachdem verspätetes Vorbringen - fehlerhaft - nach § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden war und der Kläger durch seine Prozeßbevollmächtigten im folgenden nicht mehr verhandelt hatte.

Das Versäumnisurteil wurde wegen Versäumung der Einspruchsfrist rechtskräftig.

Der Senat hat durch Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 19/99, abgedruckt in NJW 2002, 290, die abweisenden Instanzentscheidungen im Anwaltshaftpflichtprozeß aufgehoben, weil nach "Flucht in die Säumnis" der Anwalt grundsätzlich verpflichtet sei, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen. Die haftungsbegründende Pflichtverletzung des Beklagten stand damit für den Tatrichter bindend fest, an den der Rechtsstreit zur Prüfung des Schadens und der haftungsausfüllenden Kausalität zurückverwiesen worden ist.

In der wiedereröffneten Berufungsinstanz war danach nur noch zu prüfen, ob ein rechtzeitiger und ausreichend begründeter Einspruch das Familiengericht hätte veranlassen müssen, die Unterhaltsklage unter Aufhebung seines Versäumnisurteils abzuweisen, weil die Ehefrau den Anspruch verwirkt hatte oder der Kläger nicht leistungsfähig war, oder ansonsten die ausgesprochene Unterhaltspflicht des Klägers zu ermäßigen. So hat es zutreffend auch das Berufungsgericht gesehen und danach die Klage erneut abgewiesen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde erstrebt die Überprüfung des zweiten Berufungsurteils zunächst unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeitssicherung, sodann unter dem Gesichtspunkt der Grundsatzbedeutung.

1. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht sei von der ständigen Rechtsprechung abgewichen, daß im Anwaltshaftpflichtprozeß darauf abzustellen sei, wie in einer pflichtwidrig geführten Rechtssache richtig hätte entschieden werden müssen, nicht wie das im Vorprozeß erkennende Gericht mutmaßlich entschieden hätte (zur st. Rspr. vgl. BGHZ 46, 221, 228; 133, 110, 111; BGH, Urt. v. 21. November 2001 - IX ZR 389/98, NJW 2002, 1417, 1418 m.w.N.). Das geht fehl. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Bezug auf das in dieser Reihe stehende Urteil vom 28. Juni 1990 - IX ZR 209/89, NJW-RR 1990, 1241 = WM 1990, 1917, 1922 ausdrücklich angeschlossen.

Das Berufungsgericht hat lediglich angezweifelt, von welchem Beurteilungszeitpunkt der Regreßrichter bei dieser Prüfung auszugehen habe, wenn sich zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und Regreßurteil die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Fragen des Ausgangsrechtsverhältnisses (hier des Geschiedenenunterhalts) ändere. Diese Frage ist im Sinne der "Neigungsrichtung" des Berufungsgerichtes bereits geklärt (BGHZ 145, 256), so daß insoweit keine Veranlassung zur Zulassung der Revision bestehen kann.

Die Nichtzulassungsbeschwerde stützt sich allerdings in diesem Zusammenhang auch darauf, daß das Berufungsgericht in den Tatfragen des Unterhaltsprozesses eine Beweisprognose des Familiengerichts zugrunde gelegt habe. Das ist unschädlich, soweit es auf die Beweislast ankommt, weil ihre Verteilung im Ausgangsprozeß und im Regreßprozeß gleichen Regeln folgt (vgl. BGHZ 133, 110, 115 f; BGH, Urt. v. 18. November 1999 - IX ZR 420/97, WM 2000, 189, 192; st. Rspr.).

Die Anwendung eines unrichtigen Beweismaßes (richtig § 287 ZPO) ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.

Das Berufungsgericht hat zu der in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bezeichneten Position 12 (Pflegegeldanteil der Ehefrau) - wie geboten - auch eine eigene Beweiswürdigung vorgenommen. Dasselbe gilt für die dort gleichfalls angegriffene Position 14 (Versorgung des Bekannten W. ). In beiden Punkten ist daher die Beweisprognose des Berufungsgerichtes mit Bezug auf das Familiengericht ein überflüssiger, aber unschädlicher Zusatz, der das Berufungsurteil nicht trägt. Deshalb kann auch die Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls aus diesem Grunde nicht durchdringen.

2. Grundsatzbedeutung will die Nichtzulassungsbeschwerde im weiteren nur in Auslegungsfragen des § 1572 BGB erkennen.

a) Dies wird zum einen aus folgenden Erwägungen hergeleitet: Das Berufungsgericht habe dem Grunde nach einen Anspruch der geschiedenen Ehefrau des Klägers auf nachehelichen Unterhalt bejaht, der sich aus § 1572 Nr. 1 BGB ergebe. Es sei aber fragwürdig, ob die Anspruchsgrundlage im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar sei, und zwar wegen fehlender Ehebedingtheit der Erwerbsunfähigkeit. Die Vorschrift des § 1572 BGB beruhe auf dem Gedanken der nachehelichen Solidarität für krankheitsbedingte Erwerbseinschränkungen. Es stelle sich aber die Frage, ob die Loslösung der nachehelichen Mitverantwortung von der Ehebedingtheit der Bedürftigkeit sozial gerechtfertigt sei oder ob die Vorschrift - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - nicht einschränkend dahin auszulegen sei, daß die Ehebedingtheit der Bedürftigkeit gefordert werden müsse, die Vorschrift also nicht eingreife, wenn die Erwerbsunfähigkeit auf einer bei Eheschließung schon vorhandenen Erkrankung beruhe (vgl. hierzu etwa Johannsen/Henrich/Büttner Eherecht 4. Aufl. § 1572 Rn. 1). Zu der Ehebedingtheit der Erwerbsunfähigkeit der geschiedenen Ehefrau fänden sich in den Akten keine Anhaltspunkte; das Berufungsurteil enthalte dazu keine Feststellungen.

Dieses Vorbringen gibt keinen Anlaß, die betreffende Rechtsfrage einer - erneuten - Beurteilung zu unterziehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundsgerichtshofs ist für einen Anspruch aus § 1572 BGB - wie auch die Beschwerde nicht verkennt - nicht erforderlich, daß die Erwerbsunfähigkeit des Ehegatten durch die Ehe bedingt ist (vgl. BGH, Urt. v. 27. April 1988 - IVb ZR 58/87 - FamRZ 1988, 930, 931; v. 9. Februar 1994 - XII ZR 183/92 - FamRZ 1994, 566 und v. 10. Juli 1996 - XII ZR 121/95 - FamRZ 1996, 1272, 1273). Demgemäß hatte die Ehefrau zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen ihres Unterhaltsbegehrens schlüssig vorgetragen, indem sie ausführte, zum Zeitpunkt der Scheidung durch verschiedene Erkrankungen an einer Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. Es wäre Sache des (jetzigen) Klägers gewesen, eine rechtliche Notwendigkeit der Ehebedingtheit der Bedürftigkeit geltend zu machen sowie die Ehebedingtheit in Abrede zu stellen. Daß dementsprechender Vortrag übergangen worden wäre, macht die Beschwerde indessen nicht geltend. Sie geht vielmehr selbst davon aus, daß sich in den Akten hierzu nichts finde. Kann danach aber nicht unterstellt werden, daß die Erwerbsunfähigkeit der Ehefrau nicht ehebedingt ist, so besteht kein Anlaß, erneut zu prüfen, ob abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nunmehr die Ehebedingtheit der Bedürftigkeit zu verlangen ist. Einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Unterhaltsrecht bedarf es hierzu nicht.

b) Darüber hinaus soll der vorliegende Rechtsstreit die grundsätzliche Frage aufwerfen, ob die völlige Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit eines insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Gläubigers nicht - zumindest indiziell - auszuschließen sei, wenn er für eine erheblich pflegebedürftige Person die Pflegedienstleistungen der Pflegestufe I i.S. von § 15 SGB XI erbringe.

Auch diese Frage ist nach den getroffenen Feststellungen nicht entscheidungserheblich. Die geschiedene Ehefrau des Klägers pflegt ihre Mutter danach nicht allein, sondern wird hierbei von ihrem Bruder unterstützt, der die Mutter regelmäßig viermal monatlich, gelegentlich auch für längere Zeiträume, zu sich holt. Im übrigen ist davon auszugehen, daß die von der geschiedenen Ehefrau des Klägers für die mit ihr in Haushaltsgemeinschaft lebende Mutter erbrachten Leistungen nicht mit Pflegeleistungen für einen Dritten verglichen werden können. Einer Prüfung, ob die Übernahme der vollen Pflegeleistungen für einen "Außenstehenden" der Annahme der Erwerbsunfähigkeit entgegensteht, bedarf es deshalb nicht. Wie die weiteren Ausführungen der Beschwerde zeigen, geht es ihr auch letztlich nicht um die aufgeworfene angebliche Grundsatzfrage, sondern um die tatrichterliche Beurteilung des Einzelfalls.

Ende der Entscheidung

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