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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: IX ZR 196/04
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 287 | |
ZPO § 287 Abs. 1 Satz 2 | |
ZPO § 493 Abs. 1 | |
ZPO § 544 Abs. 7 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 18. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Cierniak
am 18. Januar 2007
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. September 2004 zugelassen.
Auf die Revision des Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 82.024 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Beratung bei der Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen Schadensersatz. Sie wirft ihm vor, geeignete Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung unterlassen zu haben.
Im April 1996 erwarb die Klägerin von der Gesellschaft für T. mbH (fortan: GTV) eine Abwasseraufbereitungsanlage, die im Juli 1996 im Betrieb der inzwischen insolventen AUT A. & T. GmbH (fortan: AUT) aufgestellt wurde. Über die Dauer der Gewährleistung und über die Verjährungsfristen besteht zwischen den Parteien Streit. Die Anlage arbeitete mangelhaft; zwei Nachbesserungsversuche schlugen fehl. Im März 1997 beauftragte A. , der Geschäftsführer der AUT, den Beklagten mit der Durchsetzung von Ansprüchen. Ob er hierbei im Namen der AUT handelte oder für die Klägerin, ist ebenso streitig wie der genaue Gegenstand des erteilten Mandats. Der Beklagte wandte sich unter dem 19. März 1997 namens der "Fa T. Besitzgesellschaft mbH" an die GTV und kündigte Schadensersatzansprüche an. Eine solche Gesellschaft existierte zu keinem Zeitpunkt. Im Mai 1997 reichte er für dieselbe Gesellschaft einen gegen die GTV gerichteten Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ein. Dieses Verfahren endete im Oktober 1997 mit Übermittlung des unter dem 7. Oktober 1997 erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachtens an den Beklagten. Weitere Aktivitäten entfaltete der Beklagte nicht.
Die Klägerin meint, die ihr persönlich zustehenden Gewährleistungsansprüche aus dem Kauf der Abwasseraufbereitungsanlage seien im April 1998 verjährt. Dies habe der Beklagte zu verantworten. Dieser hat sich im Prozess unter anderem damit verteidigt, Gewährleistungsansprüche hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden, weil die aufgetretenen Probleme mit dem Wälzkolbenkompressor der Abwasseraufbereitungsanlage durch die Zuführung verunreinigter bzw. für die Anlage nicht zugelassener Abwässer und damit durch eine nicht sachgerechte, das heißt zweckentfremdete Benutzung entstanden seien. Hierfür und für seinen weiteren Vortrag, das vorliegende Gutachten sei unergiebig, hat er Sachverständigenbeweis angetreten.
Das Landgericht hat der Schadensersatzklage mit Ausnahme eines geringen Teils der Zinsforderung stattgegeben, ohne zu den Mängeln der Anlage einen Sachverständigen zu hören. Das Oberlandesgericht hat das Urteil ohne Beweisaufnahme bestätigt. Das rügt die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten als Verletzung rechtlichen Gehörs.
II.
Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat, wie der Beklagte mit Recht rügt, entscheidungserheblichen Sachvortrag des Klägers übergangen und damit dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
1. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Sachvortrags und Beweisangebots verstößt auch dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn der Tatrichter dieses Vorbringen - hier des Beklagten - zwar zur Kenntnis genommen hat, das Unterlassen der danach gebotenen Beweisaufnahme aber im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655; vgl. auch BGH, Beschl. v. 31. August 2005 - XII ZR 63/03, BGH-Report 2005, 1616; v. 7. Dezember 2006 - IX ZR 173/03, z.V.b.). Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität wie schon das Landgericht die ihm nach § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO gezogenen Grenzen seines Aufklärungsermessens überschritten, indem es dem streitigen Vortrag der Klägerin gefolgt ist, ohne auf die unter Sachverständigenbeweis gestellte Behauptung des Beklagten einzugehen, die aufgetretenen Schäden an dem Kompressor seien auf einen Fehlgebrauch der Abwasseraufbereitungsanlage zurückzuführen.
a) Das Berufungsgericht hat sich bei der Annahme eines die Wandlungsklage begründenden Mangels allein darauf gestützt, dass der Sachverständige in dem gegen die GTV gerichteten selbständigen Beweisverfahren den Einsatz eines Wälzkolbenkompressors aus Grauguss für das Absaugen von Dämpfen aus photographischen Entwicklerflüssigkeiten als nicht geeignet angesehen habe, weil keine ausreichende Korrosionsbeständigkeit erwartet werden könnte. Die vorhandene Nickelschicht sei als unzureichend bewertet worden. Dass mit der Anlage Entwicklerflüssigkeiten gereinigt werden sollten, müsse der GTV bekannt gewesen sein.
b) Diese Begründung findet im Prozessrecht keine Stütze mehr.
aa) Zwar gehört der vom Regressgericht zu beurteilende hypothetische Ausgang des Ursprungsprozesses zu den Elementen der haftungsausfüllenden Kausalität, über die nach § 287 ZPO zu entscheiden ist (vgl. BGHZ 133, 110, 111 f; 163, 223, 227; Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 1073). Die in dieser Vorschrift angeordneten Beweiserleichterungen rechtfertigen es hingegen nicht, Beweisanträge des Haftungsschuldners zur Kausalität unter Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung zu übergehen. Auch im Regressprozess ist grundsätzlich der Sachverhalt zugrunde zu legen, der dem Gericht des Ausgangsverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten der dortigen Prozessbevollmächtigten unterbreitet worden wäre. Dabei darf und muss der Regressrichter bei der Ermittlung des zu ersetzenden Schadens im Interesse eines gerechten Ergebnisses sogar verwertbare Beweismittel berücksichtigen, auf welche im Vorprozess nicht hätte zurückgegriffen werden können (BGHZ 133, 110, 115; 163, 225, 228).
bb) Danach kam ohne eine vorherige Aufklärung der Mangelursachen durch Erhebung der beantragten Beweise eine Entscheidung zu Lasten des Beklagten nicht in Betracht.
(1) Ein im vorliegenden Rechtsstreit als solches verwertbares Sachverständigengutachten lag aus mehreren Gründen nicht vor. Die schriftliche Begutachtung vom 7. Oktober 1997 konnte ohnehin nur urkundenbeweislich verwertet werden. Eine Verwertung gemäß § 493 Abs. 1 ZPO wie ein vor dem Prozessgericht erhobener Beweis schied schon mangels Identität der Parteien des Inzidenzprozesses und des Regressprozesses aus (vgl. Saenger/Pukall, ZPO § 493 Rn. 1; Zöller/Herget, ZPO 26. Aufl. § 493 Rn. 1).
Im Übrigen hat sich der Beklagte unter Beweisantritt darauf berufen, dass sich der Sachverständige zu den erheblichen Beweisfragen nicht vollständig geäußert habe, insbesondere auf eine vertragswidrige Benutzung als Ursache für die aufgetretenen Schäden nicht eingegangen sei. Dieser Einwand trifft zu. In einem solchen Fall ist die Beschränkung auf eine urkundenbeweisliche Verwertung des Gutachtens aus einem anderen Verfahren unzulässig. Reichen die urkundenbeweislich herangezogenen Ausführungen nicht aus, um die von einer Partei zum Beweisthema angestellten Überlegungen und die in ihrem Vortrag angesprochenen aufklärungsbedürftigen Fragen zu beantworten, muss der Tatrichter einen Sachverständigen hinzuziehen und eine schriftliche oder mündliche Begutachtung anordnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung der Partei in der urkundenbeweislich herangezogenen Begutachtung eine Stütze findet oder nicht. Der Urkundenbeweis darf nämlich nicht dazu führen, dass den Parteien das ihnen zustehende Recht, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, verkürzt wird. Deshalb hat der Tatrichter eine schriftliche oder mündliche Begutachtung schon dann anzuordnen, wenn eine Partei zu erkennen gibt, dass sie von einem Sachverständigen die Beantwortung weiterer, das Beweisthema betreffender Fragen erwartet (BGH, Urt. v. 14. Oktober 1997 - VI ZR 404/96, NJW 1998, 311 f; v. 6. Juni 2000 - VI ZR 98/99, NJW 2000, 3072, 3073).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Sachverständige die an ihn gerichtete Beweisfrage, ob es zutreffe, dass die Materialabtragungen und Auswaschungen auf eine ungeeignete oder ungenügende Oberflächenbehandlung der Wälzkolben zurückzuführen seien, nicht abschließend beantwortet hat, weil dazu eine - zerstörende - metallographische Untersuchung nötig war. Von einem Zerschneiden des Kompressors hat der Sachverständige im Hinblick darauf abgesehen, dass zu dem damaligen Zeitpunkt ein erneuter Einsatz der Anlage angestrebt wurde. Dieser Hinderungsgrund ist mit Beendigung des Geschäftsbetriebs der AUT weggefallen.
(2) Das Berufungsgericht durfte die Beweisbedürftigkeit auch nicht mit der Begründung verneinen, der Einsatz eines Kompressors aus Grauguss sei im Hinblick auf den bekannten Verwendungszweck ungeeignet und die vorhandene Nickelschicht unzureichend. Diese Annahmen können aus der schriftlichen Begutachtung vom 7. Oktober 1997 nicht gewonnen werden und sind deshalb aktenwidrig. Abgesehen davon, dass dem Beklagten auch insoweit das verfassungsrechtlich verbürgte Fragerecht abgeschnitten worden ist, lässt sich dem Gutachten die sachverständige Feststellung eines grundsätzlich ungeeigneten Werkstoffes nicht einmal ansatzweise entnehmen. Dort wird allerdings ausgeführt, ein anderer Grundwerkstoff wäre "besser" geeignet gewesen als der tatsächlich verwendete vernickelte Grauguss. Dass ein hochwertigeres Grundmaterial von der GTV auch geschuldet war, folgt hieraus allerdings nicht. Der Sachverständige zieht insbesondere nicht in Zweifel, dass eine Vernickelung grundsätzlich geeignet ist, die erforderliche Korrosionsbeständigkeit zu gewährleisten. Zu der hierfür erforderlichen Stärke der Nickelschicht wird in dem Gutachten ausgeführt, dass 10 µm nicht ausreichend seien. An den noch vorhandenen relativ intakten Schichtstreifen hat der Sachverständige die vorgefundene Schichtstärke jedoch auf 50 µm geschätzt. Zu einer Bewertung der Abrisskanten und der streifenförmigen Abtragungen dieser Nickelschicht sah sich der Sachverständige ohne eine zerstörende Untersuchung nicht in der Lage. Das Beweisergebnis war deshalb auch insoweit offen.
2. Der Gehörsverstoß ist für die Verurteilung des Beklagten auch entscheidungserheblich geworden. Leidet der Wälzkolbenkompressor der Abwasseraufbereitungsanlage unter keinem Mangel, der zur Wandlung berechtigt, kann die Schadensersatzklage gegen den Beklagten keinen Erfolg haben.
3. Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Klägerin jedenfalls in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages mit dem Beklagten einbezogen (vgl. Zugehör, aaO Rn. 1653 ff, 1659 f). Zum Zeitpunkt seiner Mandatierung waren etwaige Gewährleistungsansprüche auf der Grundlage des Vertragsangebots vom 11. April 1996 noch nicht verjährt.
Ende der Entscheidung
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