Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: IX ZR 2/05
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 131 Abs. 1
Direktzahlungen des Auftraggebers gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B an einen Nachunternehmer gewähren diesem eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 2/05

Verkündet am: 16. Oktober 2008

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7. Dezember 2004 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 6. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die E. GmbH (fortan Schuldnerin) schloss mit der H. G: mbH (fortan: H-GmbH) mehrere Bauverträge, denen die Bestimmungen der VOB/B zugrunde gelegt wurden. Die von ihr auszuführenden Arbeiten übertrug die Schuldnerin an die P. GmbH (fortan: P-GmbH) als Subunternehmerin. Die P-GmbH trat ihre gegen die Schuldnerin bestehenden Werklohnansprüche, zu denen auch Forderungen auf Abschlagszahlungen gehörten, an die Beklagte, eine Factoring-Gesellschaft, ab.

Die Beklagte bevorschusste die abgetretenen Ansprüche und erstellte im April und Mai 2000 mehrere Abschlagsrechnungen gegenüber der Schuldnerin. Nachdem diese keine Zahlungen erbrachte, stellte die P-GmbH ihre Arbeiten ein und kündigte gegenüber der Schuldnerin auch den verfahrensgegenständlichen Werkvertrag zum 15. Juni 2000. Anschließend wandten sich die P-GmbH und die Beklagte an die H-GmbH mit der Bitte um Ausgleich der noch offen stehenden Forderungen. Die Schuldnerin hatte bereits am 13. Juni 1994 ihre Werklohnforderungen im Rahmen einer Globalzession an die Bank (fortan: Bank) abgetreten. Am 7. Juni 2000 unterrichtete die Bank die H-GmbH über diese Zession. Die H-GmbH und die Bank vereinbarten anschließend, die H-GmbH solle auf die Werklohnforderungen der Schuldnerin eine Abschlagszahlung von 200.000 € an die Bank erbringen. Den darüber liegenden Betrag könne die H-GmbH einbehalten und damit Zahlungen an die Subunternehmer gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B erbringen. Nach Erhalt der vereinbarten Zahlung von 200.000 € teilte die Bank der Schuldnerin mit Schreiben vom 29. Juni 2000 mit, sie werde aus der Globalzession keine Ansprüche mehr geltend machen. Hiervon wurden auch die Drittschuldner unterrichtet. Hierauf zahlte die H-GmbH am 4. Juli 2000 gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B 28.216,28 € an die Beklagte.

Nachdem die Schuldnerin am 10. Juli 2000 Eigenantrag gestellt hatte, wurde am 1. September 2000 über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Die Klägerin macht geltend, die Zahlung der H-GmbH sei als inkongruente Deckung anfechtbar und begehrt Rückzahlung. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bank sei aufgrund der Globalzession und zwischenzeitlich eingetretener Verwertungsreife berechtigt gewesen, die abgetretenen Forderungen zu verwerten. In Wahrnehmung dieses Verwertungsrechts habe die Bank mit der H-GmbH die Vereinbarung geschlossen, wonach die H-GmbH Subunternehmer der Schuldnerin direkt befriedigen solle. Durch diese Art der Verwertung seien diese Forderungen noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gänzlich aus dem Vermögen der späteren Schuldnerin ausgeschieden. Eine Gläubigerbenachteiligung liege daher nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte durch die Zahlung eine inkongruente Deckung erlangt habe.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Der geltend gemachte Anfechtungsanspruch aus §§ 129 ff, 143 Abs. 1 InsO scheitert entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht am Fehlen einer Gläubigerbenachteiligung.

a) Eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften liegt vor, wenn eine Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert hat (BGHZ 124, 76, 78 f; 165, 343, 350; 170, 276, 280 Rn. 12; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 129 Rn. 36 mit weiteren Nachweisen). Eine Verkürzung der Masse kann insbesondere dann eintreten, wenn eine dem Schuldner zustehende Forderung durch Zahlung an einen Dritten getilgt wird, so dass sich hierdurch die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger schlechter gestalten.

b) Die hier in Rede stehende Werklohnforderung der Schuldnerin für die von ihrer Subunternehmerin ausgeführten Arbeiten unterlag am 4. Juli 2000, als die H-GmbH gegenüber der Beklagten die Zahlung von 28.216,28 € erbrachte, nicht mehr der Globalzession. Sie stand ausschließlich der Schuldnerin zu. Denn die Bank als Zessionarin hatte bereits zuvor gegenüber der Schuldnerin erklärt, sie werde aus der Globalzession keine Ansprüche mehr geltend machen und habe dies den Drittschuldnern mitgeteilt. Damit hatte die Bank zu erkennen gegeben, dass sich der Sicherungszweck erledigt hatte. Sie durfte fortan über die streitgegenständliche Forderung nicht mehr verfügen, insbesondere sie nicht mehr verwerten. Die Bank war mit den inzwischen an sie geflossenen 200.000 € auch bereits überbezahlt, wie die spätere Rückzahlung von rund 59.000 € deutlich macht. Im Übrigen durfte die Bank die bisher ungesicherte Forderung der Beklagten auch nicht unter die Deckung der ihr zustehenden Sicherung nehmen (vgl. BGHZ 59, 230, 234 ff.). Denn dadurch wurden die Gläubiger der Schuldnerin ebenfalls benachteiligt.

c) Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung des Berufungsgerichts, der H-GmbH hätten im Falle der Nichterfüllung der Werklohnforderung erhebliche Schadensersatzansprüche gegenüber der Schuldnerin zugestanden, ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, nicht statthaft. Die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Rechtshandlung und der Gläubigerbenachteiligung ist aufgrund des realen Geschehens zu beurteilen. Für hypothetische, nur gedachte Kausalverläufe ist insoweit kein Raum (BGH, Urt. v. 2. Juni 2005 - IX ZR 263/03, ZIP 2005, 1521, 1523; v. 29. September 2005 - IX ZR 184/04, ZIP 2005, 2025, 2026; HK-InsO/Kreft, aaO § 129 Rn. 63; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 181). Eine Gläubigerbenachteiligung lässt sich unter diesen Umständen nicht verneinen.

2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Vielmehr sind auch die übrigen Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs aus § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO erfüllt.

a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Direktzahlungen des Auftraggebers gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B an einen Nachunternehmer diesem eine inkongruente Deckung im Sinne von § 30 Nr. 2 KO gewähren (BGH, Beschl. v. 6. Juni 2002 - IX ZR 425/99, ZInsO 2002, 766; OLG Dresden, ZIP 1999, 2161, 2165 mit zustimmender Anmerkung von Schmitz EWiR 2000, 253 f). Für § 131 Abs. 1 InsO gilt dieser Grundsatz gleichermaßen. Denn der Nachunternehmer hat keinen Anspruch darauf, seine Forderung gegen den Auftragnehmer in dieser Art - aufgrund einer vorweggenommenen Zahlungsanweisung an den Auftraggeber - durch diesen als Dritten erfüllt zu erhalten. Darin liegt eine nicht unerhebliche Abweichung vom normalen Zahlungsweg des Auftragnehmers an den Nachunternehmer. Derartige Direktzahlungen sind zudem deswegen besonders verdächtig, weil sie an einen Zahlungsverzug des Auftragnehmers und damit typischerweise an dessen Liquiditätsschwierigkeiten anknüpfen (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Juni 2002 - IX ZR 425/99, aaO). Es handelt sich um eine nicht in der Art zu beanspruchende Befriedigung im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO. (BGH, Urt. v. 9. Januar 2003 - IX ZR 85/02, ZIP 2003, 356, 358; vgl. auch Urt. v. 10. Mai 2007 - IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162, 1163 Rn. 8; HK-InsO/Kreft, aaO § 131 Rn. 9; Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 131 Rn. 35; Graf-Schlicker-InsO/Huber, § 131 Rn. 7).

b) Die hier in Rede stehende Zahlung hat die H-GmbH am 4. Juli 2000 veranlasst. Sie ging am 10. Juli 2000 bei der Beklagten ein, so dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegen.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück