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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: IX ZR 202/05
Rechtsgebiete: GesO, KO, BGB


Vorschriften:

GesO § 9
KO § 23 Abs. 1
BGB § 675
a) Der Kautionsversicherungsvertrag erlischt mit Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens; dem Gesamtvollstreckungsverwalter steht kein Wahlrecht nach § 9 Abs. 1 GesO zu.

b) Für die Zeit nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens stehen dem Kautionsversicherer keine Prämienansprüche mehr zu (im Anschluss an BGH ZIP 2006, 1781, z.V.b. in BGHZ).


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 202/05

Verkündet am: 18. Januar 2007

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Dr. Detlev Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 25. Oktober 2005 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 28. Dezember 2004, berichtigt durch Beschluss vom 22. April 2005, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte verpflichtete sich im April 1996 durch Kautionsversicherungsvertrag, der H. GmbH (fortan: Schuldnerin) Gewährleistungs- und Ausführungsbürgschaften bis zu einem Limit von 750.000 DM in angemessener Stückelung zur Verfügung zu stellen. Dafür stand ihr bei einer Mindestprämie von 50 DM p.a. ein Beitragssatz von 1 v.H. zu. Nach den einbezogenen allgemeinen Vertragsbedingungen beginnt die Beitragspflicht mit der Ausstellung der jeweiligen Bürgschaft oder Beginn der Bürgenhaftung, bei Gewährleistungsbürgschaften regelmäßig mit dem Abnahmedatum des Bauvorhabens. Sie endet mit der Rückgabe der Originalurkunde an den Versicherer, wenn damit dessen Haftung erloschen ist. Zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen, auch bedingten und befristeten Ansprüche aus der Geschäftsbeziehung trat die Schuldnerin im April 1997 ihre Ansprüche auf das jeweilige Guthaben aus einem näher bezeichneten Festgeldsonderkonto bei der S. AG (fortan: Bank) an die Beklagte ab.

Am 1. September 1998 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt. Mit Schreiben vom 23. September 2003 wandte sich die Beklagte an die Bank. Unter Hinweis auf den Abtretungsvertrag verlangte sie Zahlung der seit dem 8. Februar 1998 rückständigen Prämien in Höhe von insgesamt 25.911,19 €. Davon entfallen auf den "Berechnungsraum" ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens 20.150,52 €. Die Bank zahlte den gesamten Betrag am 15. Oktober 2003 an die Beklagte aus.

Der Kläger verlangt die Summe der für die Zeit nach Verfahrenseröffnung berechneten Prämien von der Beklagten mit der Begründung zurück, dass insoweit Prämienansprüche nicht entstanden seien, so dass die Beklagte auf die ihr gewährte Sicherheit nicht habe zurückgreifen dürfen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht meint unter Bezugnahme auf die - in der Zwischenzeit vom Senat durch Urteil vom 6. Juli 2006 (IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781, z.V.b. in BGHZ) aufgehobene - Entscheidung des OLG Frankfurt vom 2. Juni 2005 (ZIP 2005, 1245), dass dem beklagten Versicherer wegen der für den Zeitraum nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens geforderten Avalprämien ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zustehe. Die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 Satz 1 GesO (Erfüllungswahl) auf Kautionsversicherungsverträge könne dahinstehen. Die Versicherungsprämien würden nach den einbezogenen Geschäftsbedingungen mit Ausreichung der jeweiligen Bürgschaft fällig, weil ab diesem Zeitpunkt der Bürge unwiderruflich dem Bürgschaftsgläubiger hafte. Im Streitfall seien die Bürgschaften durchweg vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens ausgereicht worden. Damit sei der Avalvertrag von der Beklagten erfüllt gewesen. Ein Wahlrecht habe dem Kläger nicht mehr zugestanden. Nach den getroffenen Vereinbarungen habe die von der Schuldnerin zu erbringende Sicherheit das gesamte Risiko und alle Ansprüche der Beklagten abdecken sollen. Erfasst werde auch der - eingetretene - Fall, dass sich das Risiko erst in der Insolvenz des Versicherungsnehmers verwirkliche. Die streitgegenständlichen Prämienforderungen seien damit insolvenzfest gesichert.

II.

Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Da die Beklagte nach Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin keine Prämienansprüche mehr erwirtschaften konnte, waren solche auch nicht sicherbar.

1. Der zwischen der Beklagten und der Schuldnerin geschlossene Kautionsversicherungsvertrag ist rechtlich als Geschäftsbesorgungsvertrag zu qualifizieren. Er erlosch insgesamt in entsprechender Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 KO durch die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens mit Wirkung für die Zukunft; entgegen der in der mündlichen Verhandlung von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung ist nicht nur die Geschäftsbesorgungsbefugnis der Beklagten weggefallen.

a) Für den Anwendungsbereich der Insolvenzordnung hat der Senat diese Wirkungen bereits ausgesprochen (BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1781 f). Der Kautionsversicherungsvertrag ist seiner wirtschaftlichen Funktion nach mit dem Avalkreditvertrag vergleichbar, soweit sich dort die Bank zur Übernahme einer Bürgschaft verpflichtet. Darüber hinaus hält der Kautionsversicherer für den Versicherungsnehmer den Liquiditätsspielraum bei dessen Hausbank frei. In den wirtschaftlichen Parallelen zum Haftungskredit einer Bank hat der Senat keinen Grund gesehen, nur die Geschäftsbesorgungsbefugnis des Vertragspartners der Schuldnerin in Wegfall geraten zu lassen. Hieran hält der Senat fest.

b) Die Anwendung der §§ 115, 116 InsO kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, es gehe nicht um die Geschäftsbesorgung durch den Versicherer in der Zeit nach Insolvenzeröffnung, sondern um die Weiterzahlung von Prämien als Gegenleistung des Schuldners für die Übernahme von Bürgschaften in der Zeit vor der Eröffnung. Im Falle eines Geschäftsbesorgungsvertrages verdrängen die Vorschriften der §§ 115 f InsO das Verwalterwahlrecht. Soweit der Geschäftsbesorger den Vertrag vor Insolvenzeröffnung durch Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens und Abgabe der Bürgschaftserklärungen erfüllt hat, muss der Insolvenzverwalter dies für und gegen die Masse gelten lassen. Folglich bleibt für eine Anwendung des § 103 InsO auf die Gegenleistung für die vom Versicherer vor Eröffnung erbrachte Leistung kein Raum mehr (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1782).

c) Vorliegend ist jedoch nicht die Insolvenzordnung, sondern die Gesamtvollstreckungsordnung in ihrer zuletzt geltenden Fassung anzuwenden, weil das Verfahren vor dem 1. Januar 1999 beantragt worden ist (vgl. Art. 103 EGInsO). Die Gesamtvollstreckungsordnung enthält keine den §§ 115 f InsO entsprechende Regelung. Die Revision will die Regelungslücke durch eine Anwendung der mit § 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO sachlich übereinstimmenden Vorgängerbestimmung in § 23 Abs. 1 Satz 1 KO schließen, nach der ein von dem Gemeinschuldner erteilter Auftrag durch die Eröffnung des Verfahrens erlischt, es sei denn, dass der Auftrag sich nicht auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen bezieht. Diese Ansicht verdient Zustimmung.

aa) Im Schrifttum zu § 9 GesO wird für Geschäftsbesorgungsverträge zwar teilweise das Gegenteil vertreten (Hess/Binz/Wienberg, GesO 4. Aufl. § 9 Rn. 17b; Hess/Binz, KO 6. Aufl. Anh. VII § 9 GesO Rn. 9, 9a; Obermüller WM 1991, 305, 307; wie hier: Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 9 GesO Anm. 2c). Zur Begründung wird angeführt, dass die Gesamtvollstreckungsordnung keine Vorschriften enthalte, nach denen Geschäftsbesorgungsverträge durch die Verfahrenseröffnung beendet würden.

bb) Demgegenüber hat der Senat wiederholt den fragmentarischen Charakter der Gesamtvollstreckungsordnung hervorgehoben. Bei ihrer Auslegung ist besonders zu beachten, dass der Gesetzgeber, um den knappen Formulierungsstil der Gesamtvollstreckungsordnung der ehemaligen DDR beizubehalten, bei umfangreichen Regelungen des übernommenen Konkursrechts in der Regel nur die Grundnorm übertragen hat. Wurde eine Vorschrift knapper gefasst als die entsprechende Regelung des bundesdeutschen Konkursrechts, der dort enthaltene Grundtatbestand jedoch unverändert übernommen, so liegt es besonders nahe, hinsichtlich der Einzelheiten auf die entsprechenden Vorschriften der Konkursordnung zurückzugreifen (vgl. BGHZ 139, 319, 322 f; 155, 87, 91 f). § 9 Abs. 1 GesO fasst die detaillierten Vorschriften der §§ 17, 18, 23 bis 26 KO in einer allgemeinen Vorschrift zusammen. Dem entsprechen in der Insolvenzordnung die §§ 103, 115, 116 InsO. Die besonderen Regelungen der §§ 104 bis 107 InsO sind in § 9 Abs. 1 GesO nur in "Spurenelementen" (vgl. Smid, Gesamtvollstreckungsordnung 3. Aufl. § 9 Rn. 2 f) anzutreffen. Dies deutet entscheidend auf eine lückenhafte Regelung hin und nicht auf ein von der Konkursordnung grundsätzlich abweichendes Regelungsmodell. Ein solches hat der Senat beispielsweise bei der Rückschlagsperre angenommen, bei der die Regelung der Gesamtvollstreckungsordnung erheblich über diejenigen der Konkursordnung und der im Werden begriffenen Insolvenzordnung hinausging (vgl. BGHZ 142, 208, 210). Sieht der eindeutige Wortlaut der Gesamtvollstreckungsordnung in einem Punkt einen von den anderen Insolvenzgesetzen abweichenden Regelungsinhalt vor, setzt sich dieser allerdings durch. Hierunter fällt auch die in § 14 GesO verankerte Ausschlussfrist für schuldhaft verspätet angemeldete Forderungen, die weder in der Konkursordnung noch in der Insolvenzordnung eine Entsprechung findet (vgl. § 142 KO, § 177 InsO; hierzu BGH, Beschl. v. 10. März 2005 - IX ZB 269/03, ZIP 2005, 995, 996; v. 15. Dezember 2005 - IX ZB 135/03, ZIP 2006, 385, 386). Dem steht der vorliegende Fall indes nicht gleich.

2. Die geltend gemachten Prämienansprüche für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens wären deshalb - ebenso wie in dem vom Senat bereits entschiedenen Fall - nur dann durch Vorausabtretung des Guthabens sicherbar gewesen, wenn sie als Insolvenzforderungen bereits vor der Verfahrenseröffnung begründet worden wären. Dies ist nicht der Fall.

a) Prämienansprüche des Kautionsversicherers für die Zeit nach Insolvenzeröffnung lassen sich nicht damit rechtfertigen, er hafte als Bürge nach Beendigung des Valutaverhältnisses dem Begünstigten gegenüber weiter und sei daher gezwungen, für diese Position Risikovorsorge zu betreiben. Der Bundesgerichtshof hat das Argument von der Äquivalenz von Risikovorsorge und Prämienanspruch mit der Begründung als nicht durchgreifend angesehen, dass der Versicherungsvertrag auf Regress gegenüber dem Versicherungsnehmer angelegt ist und die laufende Versicherungsprämie für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens und die Abgabe der Bürgschaftserklärungen berechnet wird. Mit der Ausreichung der Bürgschaften vor Insolvenzeröffnung hat der Versicherer im Verhältnis zum Versicherungsnehmer (Schuldner) seine Leistungspflichten zumindest teilweise erfüllt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen und Erlöschen des Geschäftsbesorgungsvertrages ist die Verpflichtung zur Übernahme weiterer Bürgschaften entfallen. Damit beruht die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Bürgschaftshaftung des Versicherers im Verhältnis zum Schuldner ausschließlich auf der Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens vor Insolvenzeröffnung (BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1783).

b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung gelten diese Grundsätze auch im Streitfall. Die von der Beklagten übernommene Kautionsversicherung ist ebenfalls auf einen Regress gegenüber der Schuldnerin angelegt.

aa) Nach Nr. 4 der "Allgemeinen Vertragsbedingungen zur Bürgschaftsversicherung" hat sich die Schuldnerin unter anderem dazu verpflichtet, dem Versicherer die von ihm gezahlten Beträge nebst Kosten ohne Rücksicht auf etwaige Einwendungen unverzüglich "auf dessen erste Anforderung" zurückzuerstatten. Es sollte dann ihre Sache sein, ob sie den Betrag nach erfolgter Zahlung an den Versicherer vom Empfänger der Bürgschaftsleistung zurückforderte. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist deshalb auch im Streitfall die laufende Prämie für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens bedungen, die mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin endete und danach keinen Prämienanspruch mehr entstehen lassen konnte.

bb) Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die von der Schuldnerin für die Bereitstellung des Bürgschaftsrahmens zu entrichtende Prämie - abgesehen von der stets geschuldeten Grundgebühr - an die Höhe der ausgereichten Bürgschaften anknüpft. In dem von dem Senat bereits entschiedenen Fall bestimmte sich die Prämie im laufenden Vertragsverhältnis dagegen nach der Höhe des eingeräumten Limits (BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1783; siehe auch OLG Frankfurt ZIP 2005, 1245, 1246). Die gegenüber der Parallelentscheidung verfeinerte Berechnungsweise der Versicherungsprämie nimmt dem Geschäftsbesorgungsvertrag jedoch nicht den Charakter eines auf Regress angelegten Vertrages. Dies verdeutlicht neben der scharfen Rückgriffshaftung, die sich auch auf den Ersatz der angefallenen Kosten erstreckt, die geschuldete Teilbesicherung von bis zu 40 v.H. der jeweiligen Bürgschaftssumme. Die laufenden Prämienzahlungen, die von etwaigen nicht streitgegenständlichen Regressforderungen des Versicherers streng zu unterscheiden sind, stellen sich deshalb auch im Streitfall als Gegenleistung dafür dar, dass für den Versicherungsnehmer weitere abrufbare Sicherheiten bereitgehalten werden.

Schließlich war weder eine - grundsätzlich sicherbare - Einmalprämie (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1783) vereinbart noch handelte es sich bei den Prämienansprüchen für den Berechnungsraum nach Verfahrenseröffnung um nur betagte (noch nicht fällige) Forderungen im Sinne von § 65 KO (§ 41 InsO). Die Forderungen waren vielmehr befristet, weil ihre Fälligkeit nach den allgemeinen Vertragsbedingungen von der Rechnungserteilung als einem zeitlich ungewissen Ereignis abhing (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 2006, aaO S. 1783).

Ende der Entscheidung

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