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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: IX ZR 203/07
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 88
InsO § 114 Abs. 3
InsO § 114 Abs. 3 Satz 2
InsO §§ 129 ff
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 140 Abs. 3
ZPO § 832
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 203/07

Verkündet am: 17. Juli 2008

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 31. Mai 2008 eingereichten Schriftsätze durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Pape

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 24. Oktober 2007 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 700 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 13. September 2004 beantragten und am 12. November 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des F. (fortan: Schuldner). Der Beklagte hat gegen den Schuldner eine titulierte Forderung. Am 16. April 2003 hatte er den Anspruch des Schuldners auf Arbeitslohn gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. In den Monaten Juni, Juli und August 2004 hatte der Arbeitgeber des Schuldners an ihn jeweils 350 € ausgekehrt.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger Rückgewähr von insgesamt 1.050 € verlangt. Die Klage hatte wegen der in den Monaten Juli und August 2004 abgeführten Beträge, also in Höhe von 700 € nebst Zinsen, Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat in den im Wege der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Beträgen inkongruente Deckungen gesehen und § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angewandt. Das ist richtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Sicherung oder Befriedigung, die im Wege der Zwangsvollstreckung nicht früher als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags erlangt worden ist, inkongruent (BGHZ 136, 309, 311 ff; 155, 75, 80; 157, 350, 353; 162, 143, 149; 167, 11, 14 f Rn. 9).

2. Bei Prüfung der Frage, ob der Beklagte zuvor infolge des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 16. April 2003 ein anfechtungsfestes Absonderungsrecht (§ 50 Abs. 1 InsO) an den gepfändeten Lohnforderungen erlangt hatte (§ 129 Abs. 1 InsO), hat das Berufungsgericht den für die Anfechtung maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen Wirkungen der Pfändung (§ 140 Abs. 1 InsO) - ebenfalls in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 157, 350, 353 f m.w.Nachw.) - als denjenigen der Entstehung der gepfändeten Forderung bestimmt. Es hat angenommen, der Anspruch des Arbeitnehmers auf monatlichen Arbeitslohn entstehe zum Anfang jeden Monats neu, so dass auch das Pfändungspfandrecht an den Lohnansprüchen für Juli und August 2004 anfechtbar gewesen sei. Auch das entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (RGZ 142, 291, 295; BGHZ 167, 363, 366 Rn. 7; BGH, Urt. v. 30. Januar 1997 - IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513, 514; v. 26. Juni 2008 - IX ZR 87/07, z.V.b.; BAG NJW 1993, 2699, 2700). Entgegen der Ansicht der Revision entstehen die Lohnansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nicht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages. Der Vertragsschluss als solcher reicht nicht aus. Der Vertrag kann durch Kündigung beendet werden; bei Nichterfüllung seiner Arbeitspflicht hat der Schuldner ebenfalls keinen Anspruch auf Arbeitslohn. Aus diesem Grund findet auch die Vorschrift des § 140 Abs. 3 InsO keine Anwendung. Der Arbeitnehmer hat nicht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages einen gesicherten, durch spätere Ereignisse nicht mehr entziehbaren Anspruch auf künftigen Arbeitslohn.

3. Die Anfechtbarkeit des durch Pfändung künftiger Lohnansprüche entstandenen Pfändungspfandrechts widerspricht weder § 832 ZPO noch § 114 Abs. 3 InsO.

a) Nach § 832 ZPO erstreckt sich das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, auch auf die "nach der Pfändung fällig werdenden Beträge". Die Vorschrift erfasst nach allgemeiner Meinung nicht nur bestehende, erst künftig fällig werdende, sondern auch künftige Forderungen (vgl. etwa BAG NJW 1993, 2699, 2700 f; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 832 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO 26. Aufl. § 832 Rn. 2). Die Verwendung des Begriffs "fällig werden" steht nicht entgegen. Auch künftige Forderungen werden erst in der Zukunft fällig. Für die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage, ob ein Lohnanspruch (§ 611 Abs. 1 BGB) bereits mit Vertragsschluss oder monatlich fortlaufend entsteht, lässt sich aus § 832 ZPO folglich nichts herleiten.

b) Die Vorschrift des § 114 Abs. 3 InsO schließt eine Anfechtung von Lohnpfändungen nicht aus. Sie hat einen anderen Anwendungsbereich als die Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff InsO, betrifft nämlich die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Frage eines "Wertungswiderspruchs" stellt sich ebenso im Hinblick auf § 88 InsO, der die Unwirksamkeit der im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag und im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Eröffnung erlangten Pfändungspfandrechte anordnet, obwohl diese nach § 114 Abs. 3 InsO im Monat der Eröffnung und gegebenenfalls im Folgemonat Bestand haben. Gleichwohl bleibt die Vorschrift des § 88 InsO nach § 114 Abs. 3 Satz 2 InsO "unberührt". Nichts anderes gilt im Verhältnis zum Insolvenzanfechtungsrecht. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ergangene, zur Veröffentlichung bestimmte Senatsurteil vom 26. Juni 2008 (IX ZR 87/07) Bezug genommen.

4. Die Revision war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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