Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: IX ZR 204/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 765
BGB § 648 a
Zum Einwand aus § 648 a Abs. 2 Satz 2 BGB gegenüber dem Anspruch des Unternehmers aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, die ihm aufgrund einer im Bauvertrag enthaltenen Sicherungsabrede erteilt wurde.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 204/00

Verkündet am: 24. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Kayser

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 20. April 2000, berichtigt durch Beschluß vom 8. Juni 2000, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Streithelferin hat die Kosten der Nebenintervention in der Revisionsinstanz zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Durch Generalunternehmervertrag (GUV) vom 9. November 1995 übertrug die C. AG (fortan: C.) der Klägerin die schlüsselfertige Erstellung eines Teils des Bauvorhabens Ch. in B. Die Auftraggeberin verpflichtete sich, Zug um Zug gegen eine von der Klägerin beizubringende Vertragserfüllungsbürgschaft eine Finanzierungsbürgschaft in Höhe von 4.478.250 DM (15 % der Auftragssumme) vorzulegen. Beide Bürgschaften sollten auf erstes Anfordern zahlbar sein. Mit Erklärung vom 29. Juli 1996 übernahm die S. GmbH & Co. KG (nachfolgend: S.), die Streithelferin der Beklagten, die Bürgschaft gegenüber der Klägerin. Am 29. Oktober 1997 vereinbarte die Klägerin mit der C. und der S. eine Ermäßigung dieser Bürgschaft um 50 %.

Am 11. November 1997 erteilte die Beklagte der Klägerin die "modifizierte Rückbürgschaft" für die Bürgschaft der S. in Höhe des reduzierten Betrages von 2.239.125 DM mit folgender Maßgabe:

"Die (Beklagte) verpflichtet sich, Zahlungen aus dieser Bürgschaft auf erste schriftliche Anforderung der (Klägerin) ohne Einwendungen und Einreden zu leisten gegen deren schriftliche Erklärung, daß die Firma C. ihre Zahlungsverpflichtungen aus dem Generalunternehmervertrag 3 Wochen nach Fälligkeit nicht erfüllt hat und die S. aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wurde und diese ihren Bürgschaftsverpflichtungen nicht nachgekommen ist.

Die Inanspruchnahme darf nur Forderungen für solche Teilleistungen betreffen, die gem. Bauzeiten- und Zahlungsplan vollständig erbracht wurden. Mehr- und Zusatzforderungen dürfen nicht betroffen sein."

Am 6. Februar 1998 übersandte die Klägerin der C. eine Rechnung über 2.027.106,80 DM. Mit Schreiben vom 21. April 1998 teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß weder die C. noch die S. Zahlung geleistet hätten.

Die Klägerin hat die Beklagte im Urkundenprozeß zunächst in Höhe eines Teilbetrages von 1 Mio. DM aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin Anschlußberufung eingelegt und den Betrag von 2.027.106,80 DM verlangt. Die Beklagte hat unter anderem eingewandt, der erhobene Anspruch sei gemäß § 648 a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 7 BGB ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat - mit Ausnahme eines Teils der Zinsen - die Berufung zurückgewiesen, dem erweiterten Klageantrag entsprochen und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Diese und die Streithelferin begehren mit der Revision die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Beklagte entgegen dem Wortlaut ihrer Erklärung eine Ausfallbürgschaft zugunsten der Klägerin übernommen hat. Diese tatrichterliche Auslegung wird von der Revision auch nicht angegriffen.

II.

Die Beklagte hat in Ziff. 1 Abs. 2 der Bürgschaftsurkunde ihre Haftung auf Forderungen für vollständig erbrachte Teilleistungen beschränkt. Infolge dieser inhaltlichen Eingrenzung der übernommenen Verpflichtung ist bereits im Erstprozeß zu prüfen, ob die Klägerin die Beklagte wegen solcher Forderungen in Anspruch nimmt, auf die sich die Bürgschaft bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - IX ZR 57/95, WM 1996, 193, 194 f). Trifft dies zu, braucht die Klägerin ihre Forderung nicht schlüssig darzulegen; es genügt, daß sich nach ihrem Vorbringen die Klage auf Ansprüche stützt, die von der Bürgschaft gedeckt sind (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1998 - IX ZR 79/97, WM 1998, 1062, 1064). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet. Seine Feststellung, die Klägerin verlange die Vergütung nur für Teilleistungen, die nach ihrer Behauptung vollständig erbracht sind, hat die Revision nicht angegriffen. Mehr brauchte die Klägerin zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs in diesem Punkt nicht vorzutragen.

III.

Nach der Rechtsprechung des Senats sind Einwände des Bürgen gegen den Anspruch ausnahmsweise schon im Erstprozeß beachtlich, sofern sich deren Berechtigung aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt. Diese Einschränkung der Gläubigerrechte bezieht sich nicht lediglich auf liquide Einwände gegen Bestand und Höhe der Hauptforderung, sondern auch auf den Inhalt der Sicherungsabrede, wenn der Bürgschaftsvertrag nur deren Erfüllung dient (BGHZ 143, 381, 384; BGH, Urteil vom 8. März 2001 - IX ZR 236/00, WM 2001, 947, 948, z.V.b. in BGHZ 147, 99). Dagegen sind Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, im Rückforderungsprozeß auszutragen (BGHZ 143, 381, 383; BGH, Urteil vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, WM 1996, 2228, 2229 f; vom 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, WM 1997, 656, 658). Ein liquider, schon im Erstprozeß beachtlicher Einwand steht der Beklagten nicht zur Verfügung.

1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstößt die Klägerin mit ihrem Begehren nicht gegen § 648 a Abs. 2 Satz 2 BGB. Zwar könne im Geltungsbereich dieser Norm eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht als Sicherheit verlangt werden. Den Vertragspartnern sei damit jedoch nicht das Recht genommen, eine solche Sicherheit frei zu vereinbaren. § 648 a Abs. 7 BGB greife nur ein, wenn der Unternehmer von dem Sicherungssystem des § 648 a BGB Gebrauch mache. Daher dürfe der Unternehmer, der von vorneherein im Wege einer vertraglichen Vereinbarung die Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten habe, den Anspruch daraus uneingeschränkt durchsetzen.

Ob dieser Auffassung zu folgen ist oder, wie die Revision meint, die den Bürgschaftsanspruch des Unternehmers einschränkende Norm des § 648 a Abs. 2 Satz 2 BGB infolge der Bestimmung des § 648 a Abs. 7 BGB auch dann gilt, wenn der Vergütungsanspruch des Unternehmers aufgrund einer im Bauvertrag enthaltenen Abrede durch Bürgschaft gesichert wird, hat der Senat im Rahmen des Erstprozesses nicht zu entscheiden. Die Frage läßt sich allein aus dem Gesetzestext nicht eindeutig und zweifelsfrei beantworten. Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. Einige vertreten die Ansicht, § 648 a Abs. 7 BGB gelte nur für die auf ein Verlangen nach § 648 a Abs. 1 BGB hin geleisteten Sicherheiten (Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl. § 648 a Rn. 4; Hofmann/Koppmann, Die neue Bauhandwerkersicherung 3. Aufl. S. 122; Leinemann/Sterner BauR 2000, 1414, 1415 ff). Andere verstehen die Vorschrift demgegenüber in einem auch vertragliche Vereinbarungen erfassenden Sinne (Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB 14. Aufl. Anh. 2 BGB Rn. 211; Staudinger/Peters, BGB Neubearbeitung 2000 § 648 a Rn. 27; Sturmberg BauR 1994, 57, 66; wohl auch Soergel, in MünchKomm-BGB 3. Aufl. § 648 a Rn. 45; im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf BauR 2000, 919; OLG Celle IBR 2000, 377). Eine gefestigte Auffassung hat sich danach bisher nicht gebildet. Demzufolge handelt die Klägerin nicht rechtsmißbräuchlich, wenn sie den Bürgschaftsanspruch geltend macht, obwohl die in § 648 a Abs. 2 Satz 2 BGB normierten Voraussetzungen nicht gegeben sind.

2. Die Beklagte hat sich weiter darauf berufen, gemäß § 10.3 GUV dürfe die Bürgschaft nicht für streitige Forderungen dienen. Das Berufungsgericht hat die vertragliche Regelung in dem Sinne auslegt, sie beziehe sich nur darauf, daß die Berechtigung der Forderung als solcher, also deren Entstehung, in Frage gestellt werde, erfasse jedoch nicht die Fälle, in denen der Schuldner mit Gegenansprüchen aufrechne oder eine Überzahlung behaupte. Diese grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Auslegung der Sicherungsabrede ist möglich. Die Revision vermag in diesem Punkt keinen Rechtsfehler aufzuzeigen.

3. Die Beklagte meint, die Inanspruchnahme sei rechtsmißbräuchlich, weil die Klägerin Schadensersatzansprüche von 1,3 Mio. DM anerkannt habe. Die Klägerin hat das Anerkenntnis jedoch wegen arglistiger Täuschung angefochten. Insoweit geht es um tatsächliche Fragen, die nicht liquide beweisbar sind. Der Einwand der Beklagten ist damit im Erstprozeß ausgeschlossen.

IV.

Die Beklagte hat nach Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz den Eintritt in den GUV erklärt. Sie hat dies unter Berufung auf Ziff. 2 Abs. 1 der Bürgschaftsurkunde getan, die ihr eine solche Befugnis zur Abwendung der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft vorbehält.

1. Neue tatsächliche Umstände sind von der Beurteilung des Revisionsgerichts grundsätzlich ausgeschlossen (§ 561 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsprechung hat aus prozeßökonomischen Gründen bei Tatsachen, die für die sachlich-rechtliche Beurteilung bedeutsam sein können, dann Ausnahmen zugelassen, wenn die Tatsachen unstreitig sind und schutzwürdige Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (vgl. BGHZ 85, 288, 290; 104, 215, 221; 139, 214, 221). Im Streitfall ist diese neue Erklärung schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil die Parteien darüber streiten, ob der Eintritt im Hinblick auf den späten Zeitpunkt der Erklärung noch wirksam erfolgen konnte, und die Beurteilung dieser Frage eine tatrichterliche Würdigung aller Umstände erfordert.

2. Die in diesem Zusammenhang gegen das Verfahren des Berufungsgerichts erhobene Rüge der Revision hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO).



Ende der Entscheidung

Zurück