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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.12.2008
Aktenzeichen: IX ZR 219/07
Rechtsgebiete: BRAO, BGB, RVG


Vorschriften:

BRAO § 49b Abs. 4 Satz 2
BGB § 398
RVG § 14
Tritt ein Rechtsanwalt mit wirksamer Zustimmung des Mandanten Vergütungsansprüche an einen Dritten ab, so kann er an diesen jedenfalls nicht ohne Einverständnis des Mandanten das Billigkeitsermessen zur Bestimmung einer Rahmengebühr delegieren.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 219/07

Verkündet am: 4. Dezember 2008

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf das am 5. November 2008 geschlossene schriftliche Verfahren durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Pape

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 31. August 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger wurde in einem sozialgerichtlichen Verfahren, in dem es um seine einkommensabhängige Beitragspflicht aus der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung durch die AOK und eine Beitragsnachforderung ging, durch die Rechtsanwältin D. vertreten. Die Beklagte erteilte als Rechtsschutzversicherer des Klägers für diese Angelegenheit Deckungsschutz. Rechtsanwältin D. trat ihren Vergütungsanspruch an die C. GmbH ab. Diese GmbH lässt ihre Forderungen durch die D. AG einziehen.

Der Kläger unterzeichnete im Februar 2006 eine ihm von Rechtsanwältin D. vorgelegte Zustimmungserklärung folgenden Inhalts:

"Ich erkläre mich ausdrücklich einverstanden mit der

- Weitergabe der zum Zwecke der Abrechnung und Geltendmachung jeweils erforderlichen Informationen, insbesondere von Daten aus der Mandantenkartei (Name, Geburtsdatum, Anschrift, Gegenstandswert, Prozessdaten und -verlauf, Honorarsatz) an die D. AG - A. und die C. GmbH,

- Abtretung der sich aus dem Mandat ergebenden Forderungen an die C. GmbH.

Diese Zustimmung gilt auch für alle laufenden und zukünftigen Mandatierungen. Sofern ich rechtsschutzversichert bin, bevollmächtige und beauftrage ich hiermit die C. GmbH und deren Prozessbevollmächtigte mit der Geltendmachung der Freistellungsansprüche aus dem Mandatsverhältnis. Hierdurch entstehen mir keine weiteren Kosten. Für den Fall der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Gegner bevollmächtige ich A. und C. mit der Beauftragung eines Rechtsanwalts in meinem Namen zur Einziehung der Forderung. Auch hierbei entstehen für mich keine Aufwände oder Kosten.

Die C. GmbH kann bei der Entscheidung, ob sie die Honorarforderungen ankauft, meine Bonität (Zahlungsfähigkeit) prüfen; hierzu kann die C. GmbH eine Auskunft bei einer Auskunftei oder Kreditschutzorganisation (Schufa, CEG-Crefo o.ä.) einholen.

Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die C. GmbH die Leistungen meines Rechtsanwalts mir gegenüber durch die A. in Rechnung stellen und für eigene Rechnung einziehen wird. Sollte es über die Berechnung der Forderung unterschiedliche Auffassungen geben, kann der Rechtsanwalt in einer etwaigen Auseinandersetzung als Zeuge gehört werden. Ich entbinde meinen Rechtsanwalt von seiner anwaltlichen Schweigepflicht, soweit dies für die Abrechnung und Geltendmachung der Forderungen erforderlich ist.

Eine Ausfertigung dieser Einverständniserklärung habe ich erhalten."

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dieser Abtretung. Die Beklagte hat zudem weitere Einwendungen erhoben. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Sachantrag weiter, von der auf 458,20 € bezifferten Forderung der C. GmbH aus dem Rechtsanwältin D. erteilten Mandat freigestellt zu werden.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

I.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 24. April 2008 (IX ZR 53/07, WM 2008, 1229) bereits entschieden, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schon vor dem 18. Dezember 2007 Vergütungsansprüche von Rechtsanwälten mit wirksamer Zustimmung des Schuldners auch an Nichtanwälte abgetreten werden konnten, ohne dass es unter dieser Voraussetzung auf eine rechtskräftige Feststellung der Forderung und einen erfolglosen Vollstreckungsversuch ankam. Dagegen rügt die Revisionserwiderung zu Unrecht, der Senat habe in Ansehung von § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO in der Fassung vom 2. September 1994 das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG verletzt (ebenso Huff BRAK-Mitt. 2008, 177, 178; Glauben DRiZ 2008, 289 f; Edelmann/Glemser WuB VIII B.-1.08). Der Senat hat die Gesetzesvorschrift weder verworfen noch angewendet, sondern aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung von Art. 20 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840), zu welcher er befugt ist, seiner Entscheidung § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO in der Fassung vom 12. Dezember 2007 zugrunde gelegt. Diese Auslegung stützt sich auf die deutliche und zutreffende Kritik des Altrechts in den Materialien zu Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts. Ihr Gewicht wird nicht dadurch verringert, dass die Bundesregierung es in ihrer Entwurfsbegründung vermieden hat, die Verfassungswidrigkeit des § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO in der Fassung vom 2. September 1994 ausdrücklich anzusprechen. Umgekehrt wird dadurch deutlich, dass Art. 20 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts mit seinem einheitlichen Inkrafttreten von Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes eine planwidrige Lücke enthält. Die Annahme von Huff (aaO), der Gesetzgeber habe sich bewusst für ein Inkrafttreten der Neufassung des gesamten § 49b Abs. 4 BRAO zum 18. Dezember 2007 entschieden, findet in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle Rückhalt. Die Bedenken von Glauben (aaO S. 290), die Rückwirkung von § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO in der Fassung vom 12. Dezember 2007 könne ihrerseits verfassungsrechtlich unzulässig sein, sind unbegründet. Schützenswertes Vertrauen in die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Altregelung bestand für die Mandanten nicht; für die beteiligten Verkehrskreise ergab sich hinreichender Schutz aus § 407 Abs. 1 BGB (vgl. BGHZ 172, 278, 286 f Rn. 26; BGH, Urt. v. 18. März 2004 - IX ZR 177/03, WM 2004, 981, 985 unter II. 4.). Die Neuregelung schränkt auch Grundrechte der Mandanten innerhalb des Gesetzesvorbehalts nicht stärker ein, sondern sichert deren im Hinblick auf § 402 BGB erforderliche Zustimmung durch die gesetzliche Verankerung der Aufklärungsobliegenheit des Rechtsanwaltes besser ab.

Das in Art. 103 Abs. 2 GG ausgesprochene Verbot, Strafbarkeitslücken rückwirkend zu schließen (siehe dazu BVerfGE 26, 31, 42; 64, 389, 393; 81, 132, 135), und die ebenfalls nicht rückwirkende Verschwiegenheitspflicht neuer Gläubiger gemäß § 49b Abs. 4 Satz 4 BRAO in der Fassung vom 12. Dezember 2007 stehen der vom Senat in seinem Urteil vom 24. April 2008 (aaO) vorgenommenen Auslegung von Art. 20 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts im Sinne eines rückwirkenden Inkrafttretens der mit Art. 4 Nr. 1 dieses Gesetzes angeordneten Anpassung von § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO an grundrechtliche Erfordernisse ebenfalls nicht entgegen. Die Ausdehnung der Verschwiegenheitspflicht auf Zessionare und ihre Strafbewehrung nach § 203 StGB ist keine verfassungsrechtlich gebotene Voraussetzung für die Abtretbarkeit von Vergütungsansprüchen der gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufsangehörigen. Wäre dies anders, hätten solche Ansprüche auch nicht gepfändet werden können, was die Rechtsprechung schon früher als zulässig anerkannt hat (vgl. BGHZ 141, 173, 177), ohne damit dem Gesetzgeber Anlass zu bieten, vermeintliche Pflichtendefizite und Strafbarkeitslücken auszufüllen. Die Strafbarkeit von Geheimnisverletzungen ist durch Art. 17 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 auch nur für die Angehörigen anwaltlicher Verrechnungsstellen begründet worden, ohne die Abtretung anwaltlicher Vergütungsansprüche an andere Empfänger zu hindern.

Die vom Kläger unterzeichnete Zustimmung zu der Abtretung des anwaltlichen Honoraranspruchs ist mit derjenigen der Sache IX ZR 53/07 inhaltsgleich. Ihre Wirksamkeit ist daher aus den in jener Sache bereits dargestellten Gründen zu bejahen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und - mangels Spruchreife - zur Zurückverweisung der Sache.

II.

1. Das Berufungsurteil ist nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Hat der Kläger die Berechnung seiner Rechtsanwältin vom 28. Februar 2006 erhalten, wie er es unter Bestreiten der Beklagten erstinstanzlich behauptet hat, hätte ihm nach § 15 Abs. 1 Buchst. e) ARB 75 zwar oblegen, ihr diese Berechnung unverzüglich vorzulegen. Unstreitig ist dieses unterblieben. Die Beklagte beruft sich gleichwohl zu Unrecht auf ihre Leistungsfreiheit gemäß § 15 Abs. 2 ARB 75.

Leistungsfreiheit der Beklagten wegen grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung scheidet schon deshalb aus, weil die vorgerichtlich versäumte Vorlage der anwaltlichen Gebührenberechnung nach unstreitigem Sachverhalt keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der von der Beklagten zu erbringenden Leistung gehabt hat.

Die Beklagte ist auch nicht wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil die Vorsatzvermutung widerlegt ist. Es fehlen schon Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die objektiv verletzte Vorlageobliegenheit des § 15 Abs. 1 Buchst. e) ARB 75 in ihrem Kern überhaupt bewusst war. Ohne dieses Bewusstsein scheidet ein entsprechender Verletzungsvorsatz aus. Im Übrigen fehlt es an einem erheblichen Verschulden des Klägers im Sinne der Relevanzrechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97, VersR 1998, 447, 448 unter 2. b). Nach allgemeiner Erfahrung will sich kein vernünftiger Rechtsschutzversicherter durch die vorsätzliche Nichterfüllung seiner Obliegenheit zur Vorlage der anwaltlichen Gebührenberechnung dem Rechtsnachteil aussetzen, den zugesagten Deckungsschutz seiner anwaltlichen Rechtsbetreuung zu verlieren (vgl. BGH, Urt. v. 3. Oktober 1979 - IV ZR 45/78, VersR 1979, 1117, 1118 unter II. 5.; v. 8. Januar 1981 - IVa ZR 60/80, VersR 1981, 321, 322; v. 21. April 1993 - IV ZR 33/92, VersR 1993, 830, 832 unter II. 2.; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 6 Rn. 76). Dieser von der Rechtsprechung für versicherte Haftpflichtrisiken entwickelte Gedanke gilt auch im Bereich der Rechtsschutzversicherung. Für den Kläger ergab sich hier die nahe liegende Annahme, dass die C. GmbH als seine Beauftragte zur Geltendmachung des Freistellungsanspruchs alle notwendigen Unterlagen anfordern und der Beklagten zuleiten würde.

2. Die Beklagte hat die Behauptung des Klägers bestritten, dass der Gebührenrechnung der anwaltlichen Verrechnungsstelle vom 1. März 2006 eine anwaltliche Berechnung zugrunde lag, wie sie vom Kläger mit Datum vom 28. Februar 2006 vorgetragen worden ist. Dieses Bestreiten ist erheblich. Der Kläger verlangt die Freistellung von einer Betragsrahmengebühr gemäß § 3 Abs. 1 RVG. Der Rechtsanwalt kann das ihm nach § 14 RVG eingeräumte Billigkeitsermessen nicht einseitig auf einen Dritten übertragen, sondern diese im anwaltlichen Dienstvertrag wurzelnde Befugnis lässt sich ebenso wie ein vertragliches Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 BGB allenfalls durch eine Vereinbarung beider Vertragsteile an einen Dritten delegieren (vgl. Staudinger/Rieble, BGB 13. Aufl. Bearb. 2004 § 315 Rn. 89 f). Das Leistungsbestimmungsrecht nach § 14 RVG gehört in seiner Ausübung zum Entstehungstatbestand des Vergütungsanspruchs. Das hierbei bestehende Billigkeitsermessen kann daher jedenfalls nicht ohne Zustimmung des anderen Vertragsteils mit dem Abtretungsvertrag einem Zessionar zugeschoben werden. Stets bleibt der Rechtsanwalt wie der Arzt bei Einschaltung einer privatärztlichen Verrechnungsstelle trotz Zustimmung des anderen Teils auch zumindest dafür verantwortlich, dass der Dritte das Billigkeitsermessen (dort § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GOÄ) durch Kenntnis von der Leistungserbringung und ihren Besonderheiten sachgerecht ausüben kann (vgl. Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar 2. Aufl. § 5 Rn. 26).

In seiner Zustimmung zur Honorarabtretung hat sich der Kläger mit einer Übertragung des Billigkeitsermessens auf die C. GmbH oder die von dieser beauftragten D. AG nicht einverstanden erklärt. Desgleichen hat er auf eine anwaltliche Vergütungsberechnung gemäß § 10 RVG nicht verzichtet, so dass offen bleiben kann, welche Wirkung eine solche Verzichtserklärung hätte. Es bedarf deshalb weiterer Aufklärung, ob die Rechnung der D. AG vom 1. März 2006 auf der Berechnung der Rechtsanwältin D. vom 28. Februar 2006 beruht. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob diese Berechnung dem Kläger auch alsbald mitgeteilt worden ist. Nachdem der Kläger sie erstinstanzlich in den Rechtsstreit eingeführt hat, steht fest, dass er persönlich oder sein auch insoweit zuständiger Prozessbevollmächtigter spätestens zu diesem Zeitpunkt im Besitz der formgerechten Berechnung war und die Fälligkeit des eingeklagten Freistellungsanspruchs wegen mangelnder Durchsetzbarkeit des anwaltlichen Vergütungsanspruchs gemäß § 10 RVG nicht mehr hinausgeschoben sein konnte.

3. Die Beklagte hat ferner bestritten, dass die angesetzte Betragsrahmengebühr nach den Umständen der anwaltlichen Tätigkeit des Mandates sich im Rahmen des gesetzlichen Billigkeitsermessens bewege. Der Kläger ist dem im Einzelnen entgegengetreten. Auch dieser Streitpunkt bedarf zunächst tatrichterlicher Würdigung.

Ende der Entscheidung

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