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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.10.2009
Aktenzeichen: IX ZR 235/06
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 4
ZPO § 227 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,

die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser,

die Richterin Lohmann und

den Richter Dr. Pape

am 8. Oktober 2009

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. November 2006 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 132.578,91 EUR festgesetzt.

Gründe:

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht.

1.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bisher offen geblieben, ob die Amtsniederlegung des Alleingesellschafters einer GmbH im Einzelfall wegen Unzeitigkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit unwirksam sein kann (vgl. BGHZ 121, 257, 262 a.E.). Diese Frage hat auch das Berufungsgericht nicht entschieden. Denn sein Urteil beruht nicht auf einer Leugnung des von der Beschwerde für richtig erachteten Rechtssatzes, dass auch eine solche Erklärung stets wirksam sei. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Frage nur bei der Prüfung auseinandergesetzt, wie der Kläger pflichtmäßig zu beraten gewesen wäre. In diesem Zusammenhang ist es zutreffend davon ausgegangen, dass wichtige Stimmen der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung die Amtsniederlegung des alleinigen geschäftsführenden Gesellschafters einer GmbH in der wirtschaftlichen Krise oder nach Einreichung eines Insolvenzantrags für rechtsmissbräuchlich und unwirksam halten (vgl. insbesondere BayObLGZ 1999, 171, 173; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 609, 610 ; OLG Zweibrücken ZIP 2006, 950 f. ). Das ihm pflichtmäßig eröffnete Risiko, mit einer gesellschaftsrechtlich unwirksamen Niederlegung seiner Geschäftsführerstellung die organisatorische Verflechtung zu der in die Krise geratenen GmbH nicht lösen zu können, so dass die umsatzsteuerrechtliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG fortdauerte, musste der Kläger in sein Entscheidungsverhalten einbeziehen. Erst wenn das Berufungsgericht sich nach § 287 ZPO unter Abwägung aller Umstände davon hätte überzeugen können, dass der Kläger gleichwohl die Geschäftsführung niedergelegt hätte, so wäre die bisher höchstrichterlich nicht entschiedene Frage zu beantworten gewesen, welche Wirkung diese Erklärung entfaltet hätte. Dazu ist das Berufungsgericht jedoch nicht gekommen, weil es schon die Vorfrage verneint hat.

Ob nach Ansicht des Klägers auch das vom Berufungsgericht angenommene Risiko, der Kläger könne sich mit einer unzeitigen und rechtsmissbräuchlichen Niederlegung der Geschäftsführung Schadensersatzansprüchen der Einstellungskörperschaft aussetzen, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen soll, ist der Beschwerde nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Auch diese Rechtsfrage bedurfte für das Berufungsgericht keiner abschließenden Entscheidung. Ein beratender Hinweis auf dieses Risiko war jedenfalls geboten. Die weitere Frage, ob auf eine entsprechende Klage des Insolvenzverwalters der Kläger hätte verurteilt werden müssen, stellte sich bei der Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht.

2.

Entgegen der Beschwerde ist das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen über die Beratungspflicht der Beklagten auch nicht von der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs abgewichen. Denn es hat die vorliegende Rechtsprechung nur zum Maßstab genommen, an welchem die Beklagten ihre Beratung des Klägers auszurichten hatten. Einen eigenen, möglicherweise abweichenden Rechtssatz zu den hier berührten gesellschaftsrechtlichen Vorfragen hat das Berufungsgericht für seine Entscheidung jedoch nicht aufgestellt und hatte dazu auch keinen Anlass.

3.

Das Verfahren des Berufungsgerichts rügt die Beschwerde ohne Erfolg als Verletzung der Verfassungsgarantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Diese Gewährleistung schützt auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig (§ 139 Abs. 4 ZPO) einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrages erforderlich sein kann (BGH, Beschl. v. 15. März 2006 - IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 m.w.N.; v. 26. Juni 2008 - V ZR 225/07 Rn. 5; v. 23. April 2009 - IX ZR 95/06, WM 2009, 1155, 1156 Rn. 5). Sonst gebotene Hinweise können entfallen, wenn die betroffene Partei von der Gegenseite die nötige Unterrichtung erhalten hat (BGHZ 170, 67, 75; BGH, Beschl. v. 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05, NJW-RR 2008, 581, 582 Rn. 2; v. 23. April 2009, aaO Rn. 6).

Im Beschwerdefall kann offen bleiben, ob das Berufungsgericht - wie die Beschwerdeerwiderung annimmt - von einem Hinweis auf den unzureichenden Vortrag zur haftungsausfüllenden Kausalität auch hätte absehen können. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass das Berufungsgericht hier nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO rechtzeitig vor der Berufungsverhandlung auf den unzureichenden Sachvortrag hinweisen musste, ist sein weiteres Verfahren aus grundrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Zwar kann das rechtliche Gehör einer Partei verletzt werden, wenn das Gericht einen sachlich gebotenen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt und diese schließt, ohne Gelegenheit zur Ergänzung des Vortrages zu bieten (BGH, Beschl. v. 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328, 2329 Rn. 6; v. 13. März 2008 - VII ZR 204/06, NJW-RR 2008, 973 Rn. 9; v. 18. Dezember 2008 - VII ZR 200/06, NZBau 2009, 244 Rn. 7; vgl. auch BGHZ 127, 254, 260) . Das setzt aber voraus, dass eine sofortige Äußerung nach der konkreten Prozesssituation nicht erwartet werden konnte.

Ein solcher Fall war für das Berufungsgericht nicht eindeutig erkennbar. Der Kläger war persönlich zugegen und eine etwaige Ergänzung des Sachvortrages, die sein persönliches Entscheidungsverhalten nach fehlerfreier Beratung über die Möglichkeiten zur Aufhebung der bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft betraf, war unter Umständen sogleich oder nach kurzer Verhandlungsunterbrechung möglich. Jedenfalls unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht die mündliche Verhandlung schließen, wenn der Klägervertreter keine Unterbrechung beantragte und keinen Vertagungsantrag nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO stellte. Das war von ihm auch dann zu erwarten, wenn sich die Notwendigkeit weiteren Vortrags während der Terminsstunde noch nicht hinreichend übersehen ließ. Auch eine Schriftsatzfrist gemäß § 139 Abs. 5 ZPO hatte das Berufungsgericht dem Kläger nicht aufzudrängen, sondern es durfte abwarten, ob ein solcher Antrag gestellt wurde. Das ist gleichfalls unterblieben. Der Kläger hat vielmehr nach Schluss der mündlichen Verhandlung einen nicht nachgelassenen Schriftsatz eingereicht, den das Berufungsgericht nach den §§ 525, 296a ZPO nicht mehr berücksichtigt hat, ohne darin im Übrigen Anlass zu sehen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Das kann eine Partei nicht als Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend machen, wenn sie zuvor die prozessualen Möglichkeiten selbst schuldhaft versäumt hat, sich das noch gewünschte Gehör vor Gericht zu verschaffen (BVerfGE 15, 256, 267 ; BayVerfGE 49 n.F., 31, 34 unter III. 1. b).

So lag es im Beschwerdefall. Das Berufungsgericht musste deshalb auch die mündliche Verhandlung nicht entsprechend § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnen, selbst wenn die neuen Sachausführungen des nicht nachgelassenen Schriftsatzes entscheidungserheblich gewesen wären.

Der Inhalt des nachgelassenen Schriftsatzes war, soweit er sich nicht ohnehin in Rechtsausführungen erschöpfte, allerdings nicht entscheidungserheblich. Die Ausführungen dieses Schriftsatzes bestätigten lediglich, dass für den Kläger mehrere Wege in Betracht kamen, um die umsatzsteuerliche Organschaft mit der insolvenzbedrohten GmbH zu beenden. Der Kläger hat aber niemals behauptet, dass er einen der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung dargelegten Lösungswege nach pflichtmäßiger Beratung gewählt hätte. Die insoweit geäußerte Bereitschaft, jedem Rat der Beklagten zu folgen, liegt neben der Sache. Die Beklagten hatten dem Kläger eine eigene Entscheidung in Kenntnis aller rechtlichen Umstände von Belang zu ermöglichen, nicht jedoch eine solche Entscheidung abzunehmen.

4.

Das Berufungsgericht ist schließlich nicht von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. September 2005 (IX ZR 104/01, BGHReport 2006, 164 unter II. 2.b, aa) abgewichen, auf welche sich die Beschwerde - wenn auch ohne ausdrückliche Divergenzrüge - beruft. Zumindest in dem letztlich entscheidenden Gesamtvermögensvergleich hätten sich unterschiedliche Schadensbilder je nach der Entscheidung des Klägers ergeben. Bei einer Veräußerung des betriebswesentlichen Grundstücks wäre der Eigenkapitaleinwand der GmbH erloschen (BGHZ 166, 125, 130 f Rn. 13-16). Der Kläger hätte dem Insolvenzverwalter jedoch für den Wegfall der unentgeltlichen Nutzungsmöglichkeit der GmbH Ersatz leisten müssen (vgl. BGHZ 127, 1, 14 ; 166, 125, 132 Rn. 18). Dies wäre eine andere Schadensersatzpflicht gewesen als diejenige, welcher sich der Kläger bei einer wirksamen Niederlegung der Geschäftsführertätigkeit ausgesetzt hätte. Von daher bedurfte die Frage, ob sich der Kläger zur Niederlegung der Geschäftsführertätigkeit oder für eine andere Vorgehensweise entschlossen hätte, der Beweisfeststellung des Berufungsgerichtes gemäß § 287 ZPO. Dieser Beweis ist dem Kläger misslungen. Er konnte durch die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens nicht erleichtert werden.

Ende der Entscheidung

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