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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.1998
Aktenzeichen: IX ZR 259/97
Rechtsgebiete: GesO, KO, ZPO


Vorschriften:

GesO § 11 Abs. 3
GesO § 18 Abs. 2
GesO § 19
KO § 146 Abs. 1 und 2
KO § 152
ZPO § 256
GesO §§ 11 Abs. 3, 18 Abs. 2, 19; KO §§ 146 Abs. 1 und 2, 152; ZPO § 256

a) Der Gläubiger hat regelmäßig ein Rechtsschutzinteresse an einer Feststellungsklage gegen den widersprechenden Verwalter, solange die Gesamtvollstreckung nicht eingestellt und es nicht offenkundig ausgeschlossen ist, daß mit der Klage noch rechtsschutzwürdige Ziele zu erreichen sind.

b) Über die Frage, ob Forderungen bei Verteilungen nicht zu berücksichtigen sind, entscheidet auch in der Gesamtvollstreckung allein das Gesamtvollstreckungs-, nicht das Prozeßgericht.

BGH, Urt. v. 5. Februar 1998 - IX ZR 259/97 - OLG Naumburg LG Halle


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 259/97

Verkündet am: 5. Februar 1998

Giovagnoli Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 30. Juni 1997 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 20. November 1996 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten beider Rechtsmittel.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Beklagte ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der L. GmbH. Zu diesem Verfahren meldete die Klägerin eine Kreditforderung von 904.211,65 DM an, die als vom Verwalter bestritten in die Gesamtvollstreckungstabelle aufgenommen wurde. In dem vom Beklagten im Herbst 1995 erarbeiteten Verteilungsvorschlag war die Klägerin nicht berücksichtigt. Das Gesamtvollstreckungsgericht bestimmte Schlußtermin auf den 14. Dezember 1995 und ließ dies in der Ausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 6. Dezember 1995 bekanntmachen. In der Bekanntmachung heißt es auszugsweise weiter:

"Der Termin dient: ... zur Erhebung von Einwendungen gegen das Schlußverzeichnis ... Einwendungen gegen das Schlußverzeichnis sowie Nachweise von Feststellungsklagen für noch nicht festgestellte Forderungen sind bis zum Ablauf einer Ausschlußfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Verwalter zu erbringen."

Mit der am 7. Dezember 1995 eingegangenen Klage fordert die Klägerin die Feststellung ihrer Forderung zur Gesamtvollstreckungstabelle. Im Schlußtermin vom 14. Dezember 1995, in dem die Klägerin nicht vertreten war, wurde der Verteilungsvorschlag des Beklagten genehmigt; die vorhandene Masse wurde anschließend bis auf 27.000 DM verteilt. Die vorliegende Klage wurde dem Beklagten am 17. Januar 1996 zugestellt.

Das Landgericht (dessen Urteil ist erörtert von Haarmeyer in EWiR 1997, 261 f) hat die Forderung der Klägerin in Höhe von 903.940,19 DM in der Rangklasse des § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO zur Gesamtvollstreckungstabelle festgestellt und den Beklagten verurteilt, das Verzeichnis nach § 11 GesO binnen einer Frist von drei Wochen nach Rechtskraft dieses Urteils entsprechend dem Feststellungsausspruch zu berichtigen sowie der Klägerin hiervon Mitteilung zu machen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die - zugelassene - Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin habe ein Rechtsschutzinteresse am der Klage, weil diese für mögliche Schadensersatzansprüche bedeutsam sein könnte. Die Klage sei jedoch unbegründet. Sie hätte innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Schlußtermins, also bis zum 20. Dezember 1995, erhoben werden müssen. Auch im Rahmen der Gesamtvollstreckungsordnung sei § 152 KO entsprechend anzuwenden. Die Versäumung dieser Frist führe zur Nichtberücksichtigung der Forderung in der Gesamtvollstreckung.

Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.

II.

Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage für zulässig gehalten. Der Beklagte ist für die Gesamtvollsteckungsmasse weiterhin prozeßführungsbefugt, weil das Gesamtvollstreckungsverfahren bisher unstreitig nicht - insbesondere gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 GesO - eingestellt worden ist.

Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse für die gemäß § 11 Abs. 3 GesO erhobene Klage. Während der Dauer einer Gesamtvollstreckung kann ein nicht bevorrechtigter Gläubiger - wie der Konkursgläubiger gemäß §§ 12, 138 f, 146 Abs. 1 und 2 KO - seine Forderung nur durch Anmeldung im Verfahren (§§ 5 Nr. 3, 11 Abs. 1, 14 GesO) sowie, bei einem Bestreiten des Verwalters, durch Erhebung einer Klage nach § 11 Abs. 3 GesO durchsetzen. Für eine Klage auf Feststellung der angemeldeten und bestrittenen Forderung besteht regelmäßig ein Rechtsschutzinteresse. Dieses entfällt während eines laufenden Gesamtvollstreckungsverfahrens nur, wenn es offenkundig ausgeschlossen ist, daß der Gläubiger mit seiner Klage noch rechtsschutzwürdige Ziele erreichen kann. Das ist hier nicht der Fall.

1. Ein Betrag von 27.000 DM aus der Masse ist bisher nicht verteilt. Zwar hat das Gesamtvollstreckungsgericht inzwischen den vom Beklagten - ohne Berücksichtigung der hier eingeklagten Forderung - aufgestellten Verteilungsvorschlag im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 GesO unangefochten bestätigt. Aufgrund der formellen Rechtskraft eines solchen Beschlusses sind regelmäßig Gläubiger, die keine Einwendungen im Schlußtermin (§ 18 Abs. 1 Satz 1 GesO; § 162 i.V.m. § 158 Abs. 2 KO) erhoben haben, mit ihren Forderungen nicht mehr im Verfahren zu berücksichtigen. Der hier fragliche Bestätigungsbeschluß begegnet aber erheblichen verfahrensmäßigen Bedenken. Die Ladungsfrist für den Schlußtermin war - gemessen an der Bedeutung dieses Termins (vgl. § 162 Abs. 1 KO, § 197 Abs. 2 InsO) - viel zu kurz, zumal ihr Lauf in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 1 Satz 2 KO (§ 9 Abs. 1 Satz 3 InsO) erst mit dem 9. Dezember 1995 (Samstag) begann. Die dreitägige Ladungsfrist des § 217 ZPO (i.V.m. § 1 Abs. 3 GesO) wird der Bedeutung der dargestellten Ausschlußwirkung nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht (NJW 1988, 1255, 1256 unter III) hat schon in Zweifel gezogen, ob eine einwöchige Rechtsmittelfrist noch den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügt, wenn sie durch eine öffentliche Bekanntmachung in Gang gesetzt wird. Das könnte ebenso für eine nur fünftägige Ladungsfrist, wie im vorliegenden Fall, gelten. Das Bundesverfassungsgericht (aaO) hat eine einwöchige Frist jedenfalls dann nicht für ausreichend gehalten, wenn die öffentliche Bekanntmachung nicht den Entscheidungsausspruch selbst enthielt. Die Ankündigung des Gesamtvollstreckungsgerichts vom 7. Dezember 1995 gab keinen Hinweis darauf, daß Rechte von Gläubigern ausgeschlossen werden würden, die nicht im Termin angemeldet würden.

Damit kommt hier auch ernsthaft in Betracht, daß das Gesamtvollstreckungsgericht mit der Bestätigung des Verteilungsvorschlags am 14. Dezember 1995 das rechtliche Gehör der abwesenden Gläubiger (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. In einem derartigen Fall kann das Gericht gehalten sein, sogar eine formell unanfechtbare Entscheidung auf Gegenvorstellungen hin zu überprüfen (vgl. BGHZ 130, 97, 99 f). Danach ist jedenfalls nicht zweifelsfrei auszuschließen, daß die Klägerin bei der Verteilung der restlichen Masse berücksichtigt werden muß.

2. Darüber hinaus ist das Interesse der Klägerin, eine vollstreckbare Ausfertigung des Verzeichnisses über ihre Forderung zu erhalten (§ 18 Abs. 2 Satz 2 GesO), hier nicht offensichtlich bedeutungslos.

Allerdings wird überwiegend angenommen, nach der Schlußverteilung und der Einstellung des Konkursverfahrens begründe sogar die Aussicht, einen Titel für die Vollstreckung gegen den bisherigen Gemeinschuldner zu erlangen, kein Rechtsschutzinteresse (Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 146 Rdnr. 44, S. 401; Bley, Die Feststellung des Konkursgläubigerrechts S. 94; a.M. Oetker ZZP 25, 60, 71). Zur Begründung wird darauf abgehoben, daß die Vollstreckungsmöglichkeit nach Konkursbeendigung nicht Zweck, sondern allenfalls eine mittelbare Folge des Feststellungsprozesses sei. Das Interesse, eine Berücksichtigung der bestrittenen Forderung bei der Verteilung der Konkursmasse zu verhindern, sei unter der genannten Voraussetzung weggefallen. Ob und inwieweit dem zu folgen ist, braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Denn im vorliegenden Falle ist die Gesamtvollstreckung noch nicht im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 GesO eingestellt worden.

Das Feststellungsinteresse mag zwar abnehmen, wenn der Gläubiger die weiteren Ziele, am Verfahren mitwirken zu können und Zahlungen aus der Masse zu erhalten, wegen Zeitablaufs nicht mehr erreichen kann. Daneben ist es aber auch ein rechtlich geschütztes Ziel der Klage, die Forderung in der Weise anerkannt zu erhalten, daß nach Verfahrensende gegen den Schuldner persönlich vollstreckt werden kann (vgl. Jaeger/Weber, aaO § 146 Rdnr. 12, S. 364), konkret nach Maßgabe des § 18 Abs. 2 Satz 1 GesO. Dieses Ziel bleibt rechtlich geschützt, solange das Verfahren andauert. Der Gläubiger darf dann regelmäßig nicht darauf verwiesen werden, von vornherein auf eine Teilnahme am schwebenden Verfahren zu verzichten und sich mit einer Klage gegen den Schuldner persönlich zufriedenzugeben, die allein dessen beschlagfreies Vermögen erfassen könnte. Eine solche Klage wäre kein einfacherer und billigerer Weg der Rechtsverfolgung, der gemäß allgemeinen Grundsätzen das Rechtsschutzinteresse an der Feststellungsklage nach § 11 Abs. 3 GesO beseitigen könnte. Ihr Ergebnis reichte auch nicht weiter als die "Feststellungsklage" gemäß § 11 Abs. 3 GesO, die - sogar nach völliger Verteilung der vorhandenen Masse - ebenfalls zu einem vollstreckbaren Titel führen kann. Die Entscheidung, welchen von zwei gleichwertigen Rechtsbehelfen er vorzieht, liegt allein beim Gläubiger.

Daran ändert es nichts, daß gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 GesO eine Vollstreckung im allgemeinen nur stattfindet, soweit der Schuldner über ein angemessenes Einkommen hinaus zu neuem Vermögen gelangt. Dies gilt ebenfalls für beide möglichen Arten der Rechtsverfolgung gleich. Ferner ist ein zu erlangender Titel hier nicht deswegen von vornherein bedeutungslos, weil die Gesamtvollstreckungsschuldnerin eine juristische Person und deren Fortbestand über das Ende der Gesamtvollstreckung hinaus ungewiß ist. Jedenfalls die Gesamtvollstreckung verfolgt - wie § 14 GesO erkennen läßt - nicht das Ziel einer vollständigen Liquidation des Vermögens der juristischen Person unter Verteilung an alle Gläubiger. Den infolge der konkreten Verfahrensgestaltung nicht berücksichtigten Gläubigern darf die rechtliche Möglichkeit, auf etwa noch vorhandenes Vermögen der insolventen juristischen Person zugreifen zu können, allenfalls dann genommen werden, wenn eine solche Chance offenkundig nicht gegeben ist. Derartiges ist hier nicht festgestellt.

3. Danach kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, daß die Klägerin bei Einreichung ihrer Klage nicht mit den erheblichen Fehlern im Gesamtvollstreckungsverfahren zu rechnen brauchte, die zur Nichtberücksichtigung der eingeklagten Forderung im Verteilungsvorschlag führten: Eine Ausschlußfrist für Einwendungen gegen das Schuldnerverzeichnis sieht die Gesamtvollstreckungsordnung nicht ausdrücklich vor. Es mag zwar viel für eine sinngemäße Anwendung des § 152 KO (§ 189 InsO) im Rahmen der Gesamtvollstreckung sprechen. Nach 151 KO (§ 188 InsO) obliegt die öffentliche Bekanntmachung des Verteilungsverzeichnisses aber dem Verwalter, nicht dem Gericht; sie erfolgt üblicherweise zeitlich vor der Bekanntmachung des Schlußtermins. Ferner wurde nicht beachtet, daß die Ausschlußfrist nach Maßgabe des § 270 Abs. 3 ZPO unter Umständen bereits mit der Einreichung der Klageschrift gewahrt werden kann (vgl. Jaeger/Weber aaO § 152 Rdnr. 5; Hess, KO 5. Aufl. § 152 Rdnr. 6).

III.

Die Klage ist begründet.

Insoweit kommt es nicht entscheidend auf die vom Berufungsgericht geprüfte Frage an, ob § 152 KO im Rahmen der Gesamtvollstreckungsordnung entsprechend anzuwenden ist. Denn diese Vorschrift betrifft allein die Abwicklung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Ob die Forderung der Klägerin bei der Verteilung der Masse zu berücksichtigen ist, hat das Gesamtvollstreckungsgericht und allenfalls das Beschwerdegericht (§ 20 GesO) zu entscheiden (vgl. Happ/Huntemann, Der Gläubiger in der Gesamtvollstreckung § 20 Rdnr. 42). Das Prozeßgericht hingegen hat im Rahmen einer Klage nach § 11 Abs. 3 GesO lediglich die materielle Berechtigung der angemeldeten und bestrittenen Forderung zu prüfen (ebenso zu § 146 KO OLG Köln MDR 1990, 558; zustimmend Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 152 KO Anm. 3 a.E.; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 158 Rdnr. 2; vgl. auch BGH, Urt. v. 25. Juni 1957 - VIII ZR 251/56, WM 1957, 1225, 1226 f; Jaeger/Weber aaO § 158 Rdnr. 4). Hierbei könnte es sich nur im Rahmen der Vorfrage nach dem Rechtsschutzinteresse auswirken, wenn der Kläger mit der Klage infolge der Abwicklung des Gesamtvollstreckungsverfahrens kein schutzwürdiges Ziel mehr erreichen könnte. Davon ist hier jedoch, wie ausgeführt (oben II.), nicht auszugehen.

Die Berechtigung der geltend gemachten Darlehensforderung (§ 607 BGB) hat das Landgericht festgestellt. Dagegen hat sich der Beklagte seither nicht mehr gewandt.

Ende der Entscheidung

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